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Schutz für die betagte Schönheit der Natur

01.01.2010
Die Orchideenart Pleione formosana Hayata ist in Taiwans Bergland heimisch. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Chen Tze-ying)
„Es war im Winter 1986. Ich war mit meinem Kollegen auf dem Qilan-Berg und studierte den Zypressenwald im Schnee. Als wir fertig wurden und aus dem Wald hinaustraten, klarte plötzlich der Himmel auf. Nebel verwandelte sich in Dunstfetzen, von goldenem Sonnenschein beleuchtet. Es war so schön wie ein Ölgemälde!“ So erinnert sich Chen Tze-ying von der Abteilung für Naturschätze an der National Ilan University an seinen ersten Besuch im Wald der Qilan-Gegend im nordosttaiwanischen Landkreis Ilan.

Auf der ganzen Welt gibt es nur noch sechs Zypressenarten, und am nordtaiwanischen Qilan-Berg kommen zwei von ihnen vor: die Rote Taiwanzypresse/Formosa-Scheinzypresse (Chamaecyparis formosensis Matsum) und die Gelbe Taiwanzypresse (Chamaecyparis obtusa [Siebold & Zucc.] Endl. var. Formosana [Hayata] Rehder). Die Gegend ist auch der Lebensraum von vielen Bäumen der Kategorie „lebende Fossilien“, darunter Exemplare des Taiwanischen Sargbaums (Taiwania cryptomerioides Hayata) und der Taiwan-Spießtanne (Cunninghamia konishii). Manche der Bäume tief im Walde sind über 1000 Jahre alt, hoch und stattlich, wodurch Qilan sich als Kandidat für eine potenzielle Weltkulturerbe-Stätte eignet.

Man sagt, dass Qilan 棲蘭 (der chinesische Name bedeutet auf Deutsch „sich [auf Bäumen] niederlassende Orchideen“) seinen Namen dem großen Reichtum von Orchideen verdankt, die auf den Bäumen im Wald wachsen. Zypressenwälder, die vor Millionen von Jahren riesige Flächen bedeckten, fielen im Laufe der Zeit der Evolution, der Eiszeit und der veränderten irdischen Ökologie zum Opfer. Ihr Bestand ist geschrumpft, und heute gibt es sie nur noch an der Westküste Nordamerikas, in Japan und in Taiwan. In Anerkennung ihrer Seltenheit wurde Qilan zum Zypressen-Schutzgebiet erklärt.

Studien haben ergeben, dass Zypressen ursprünglich aus Nordamerika stammen könnten und sich über Japan nach Taiwan ausbreiteten. Daher wird die Gelbe Taiwanzypresse zuweilen als Variante der japanischen Hinoki-Scheinzypresse betrachtet. Taiwans zwei Zypressenarten gedeihen zumeist in Höhenlagen ungefähr zwischen 1200 und 2600 Metern und haben ähnliche Wachstumszonen, aber größere Toleranz gegen unfruchtbaren Boden und Feuchtigkeit erlaubt es der Roten Taiwanzypresse, in feuchten Tälern überwiegend zwischen 1200 und 2200 Metern Höhe zu wachsen, wogegen die Gelbe Taiwanzypresse auf steilen Berghängen zwischen 1500 und 2600 Metern Höhe eine Heimat findet. Am Qilan-Berg sind beide zu Hause. Die beiden Arten sind leicht an ihren Blättern zu unterscheiden, da die Rote Taiwanzypresse mehr Zweige und spitze Blätter besitzt, die Gelbe Taiwanzypresse hat weniger Zweige und rundere Blätter.

Die Bäume sondern geringe Mengen seltener Substanzen ab, aus denen man Duftstoffe gewinnen kann, die zu ätherischen Ölen verarbeitet werden, welche weithin im Handel sind. Es ist die Ansicht verbreitet, Zypresse gebe ein Aroma ab, das Müdigkeit lindert, und das in Zypressen vorkommende Hinokitiol schützt das Holz vor Verfall und Termiten. Diese Eigenschaften, vereint mit der eleganten Textur des Holzes, haben allzeit dafür gesorgt, dass Zypressen als kostbarer Schatz der Wälder geachtet werden.

Göttliche Bäume

Die „Zone der Göttlichen Bäume Qilan“ befindet sich auf einer Höhe von 1760 Metern an der Waldstraße 100 und stellt eine der wichtigsten Touristenattraktionen am Qilan-Berg dar. Am Ende eines Schotterweges liegt der endlose Zypressenwald, wo diese 1000 Jahre alten Bäume geduckt dastehen, sich umeinander winden oder schlicht hoch aufragen, dem Fortlauf der Zeit trotzend. Die Waldschutz- und -verwaltungsbehörde (Forest Conservation and Management Administration, FCMA) hat viele der Baumriesen je nach Alter des betreffenden Baumes nach berühmten historischen Gestalten benannt.

Die Verwaltung des Waldes am Qilan-Berg konzentriert sich auf Planung für das gesamte Ökosystem der Gegend. (Foto: Dai Jin-yuan)

Chen Tze-ying meint, dass die Bäume normalerweise sehr langsam wachsen, deswegen kann eine Zunahme des Durchmessers um 20 bis 30 Zentimeter 40 bis 50 Jahre dauern. Das Alter eines Baumes kann über die radioaktiven Isotope ermittelt werden, mit Röntgenstrahlung oder mit einem Wachstumskern, dem am häufigsten verwendeten Messgerät. Dies geschieht, indem man einen Bohrer in den Stamm dreht, ein Muster hinauszieht und die Zahl der Wachstumsringe darauf zählt.

Trotzdem ist es schwer, das Alter eines Baumes genau zu bestimmen. In einem 1990 gestarteten Baumschutzplan räumte die Regierung älteren Bäumen, Bäumen mit einem größeren Durchmesser oder Exemplaren von kultureller oder historischer Einzigartigkeit Vorrang ein. Bäume, die älter als 100 Jahre sind, wurden als „alte Bäume“ bezeichnet, während international als „Riesenbäume“ bezeichnete Gewächse über ihren Durchmesser und ihre Höhe definiert werden. Taiwans Ureinwohner verehren betagte Baumriesen seit langer Zeit als „göttliche Bäume“, um damit ihren Respekt vor ihnen zu bekunden.

Zusätzlich zu dem kostbaren Zypressenwald ist der Qilan-Berg auch die Heimat von vielen anderen geschützten Arten wie dem Sassafrasgewächs Sassafras randaiense (Hayata) Rehder (auch „Taiwan-Sassafras“ genannt), der Orchideenart Pleione formosana Hayata und dem Taiwanischen Sargbaum. Taiwan-Sassafras gedeiht am Qilan-Berg auf Höhenlagen zwischen 900 und 2400 Metern in Mischwäldern mit Laub- und Nadelbäumen. Die Pflanze ist eine der seltensten Arten Taiwans, und auf der ganzen Welt gibt es nicht mehr als drei Unterarten. Es ist zudem die einzige Wirtspflanze für den Breitschwanz-Ritterfalter (Agehana maraho), eine gefährdete Schmetterlingsart, die als einer von Taiwans Schätzen verehrt wird.

Pleione formosana Hayata ist eine in Taiwan heimische Orchidee. In niedrigeren Höhenlagen wächst sie nur schwer, ist in freier Wildbahn selten anzutreffen, und sie ist ein einzigartiger Teil der Schönheit vom Qilan-Berg. Der Taiwanische Sargbaum ist der einzige Nacktsamer, der nach Taiwan benannt wurde, und gilt gemeinsam mit Ginkgo (Ginkgo biloba) und dem Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum) als eines der repräsentativsten „lebenden Fossilien“ der Welt. Gastierende japanische Gelehrte haben den Taiwanischen Sargbaum als ebenso qualifiziert für den Weltkulturerbe-Status eingestuft wie Zypressen.

Vor Beginn der japanischen Kolonialzeit in Taiwan (1895-1945) wurden die Zypressenwälder der Insel nicht abgeholzt. Die Japaner erkannten die hervorragende Qualität der taiwanischen Zypressen und setzten alle Mittel ein, diesen Naturschatz auszubeuten. 1912 begannen die Japaner mit der großangelegten Abholzung der drei größten Zypressenwälder Taiwans — Alishan, Taipingshan und Baxianshan — und verschifften die Stämme nach Japan. Die massive Abholzung wurde nach Kriegsende von der Regierung der Republik China, die von der Nationalen Volkspartei (Kuomintang, KMT) geführt wurde, fortgesetzt. Heute sind mehrere der Bahnhöfe aus der Frühphase von Taiwans Eisenbahnbau wie die Stationen in Jiji und Checheng im zentraltaiwanischen Landkreis Nantou sowie Baoan in Tainan (Südtaiwan) Zypressenholzbauten mit historischem Wert.

Als der wirtschaftliche Wohlstand wuchs, nahm auch die Sorge um Taiwans schrumpfende Wälder zu, mit dem Ergebnis, dass die Regierung das Abholzen von Zypressen im Jahre 1990 untersagte und das Abholzungsverbot 1991 auf alle Naturwälder ausdehnte. Seitdem bemühen sich die Regierung und die Öffentlichkeit darum, die Zypressen wegen ihres ökologischen und ökonomischen Wertes zu schützen.

In einem Wald mit Gelben Taiwanzypressen am Bianjiyan Mountain in Nordtaiwan wachsen Baumriesen, die wahrscheinlich Tausende von Jahren alt sind. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Chen Tze-ying)

„Zwar haben staatliche Behörden, private Organisationen und Ureinwohnervereinigungen allesamt unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie genau man den Wald am Qilan-Berg am besten bewahrt, doch ihre Ansichten über die Notwendigkeit des Schutzes sind identisch“, weiß Chen. „Nach jahrelanger Arbeit haben die meisten von uns einen ungefähren Konsens über Umweltschutz erreicht, auch wenn es ab und an immer noch Dispute gibt. Selbst in den USA streiten die Nationalpark- und die Waldbehörden gelegentlich wegen divergierenden Gesetzen und Landverwaltungsmethoden. Effiziente Koordination und Ausführung durch höhere Ebenen sind der Schlüssel für die Beständigkeit unserer wertvollen Wälder.“

Beim Schutz der Wälder am Qilan-Berg konzentriert die FCMA, welche der Kommission für Veteranenangelegenheiten im Exekutiv-Yuan 行政院 (also Taiwans Regierungskabinett oder Ministerrat) untersteht, sich nun auf Planung für das gesamte Ökosystem und vereinigt Fremdenverkehr, Umweltpädagogik und Umweltforschung, damit Touristen sich an den Wäldern erfreuen und etwas über ihren Wert lernen können.

Geteilter Schatz

Der May Chang-Baum (Litsea cubeba Lour) ist eine weitere Art, die am Qilan-Berg häufig vorkommt. Der Atayal-Ureinwohnerstamm nennt ihn Makauy und bezeichnet den Qilan-Berg in Anlehnung daran als „Magao-Berg“. Makauy wächst gewöhnlich im Sommer und kann als Gewürz benutzt werden. Da man es in der Nähe von menschlichen Siedlungen nur selten findet, teilen Stammesangehörige, wenn sie Makauy finden, es mit allen. Für die Atayal ist Makauy ein gemeinsamer Schatz und ein spirituelles Symbol, das die Stammesangehörigen einander näherbringt.

Hoffentlich können Taiwans verbliebene Zypressenwälder in die Liste der Weltkulturerbe-Stätten aufgenommen werden und der Welt die Schönheit von Taiwans Naturlandschaft vor Augen führen. Jetzt, wo die FCMA sich auf die Planung für das gesamte Ökosystem der Gegend konzentriert und Forstbehörden gleichfalls großes Gewicht auf eine dauerhafte Entwicklung und Schutz des Ökosystems im Wald legen, gilt die Gegend nun auch als wichtiger Lebensraum für Tiere. Taiwans Bau- und Planungsbehörde im Innenministerium hat Meinungen aus allen Sektoren angehört und formulierte dann einen Verwaltungsplan für den „Makauy-Nationalpark“, bei dem die Gewerbe der Gegend, Planung, Organisation und Ökosysteme im Mittelpunkt stehen. Die Behörden hoffen, die beste Praxis für Landnutzung und Schutz der Naturschätze zu finden, um den aktuellen Bedürfnissen gerecht zu werden und diese Kleinodien für künftige Generationen zu bewahren.

„Vernünftige Nutzung und richtiger Schutz garantieren die Dauerhaftigkeit von Naturschätzen“, versichert Chen Tze-ying von der National Ilan University. „Um natürliche Ressourcen zu schützen, können wir sie nicht einfach von der Außenwelt abschließen. Es ist wichtig, den Wert von jedem brauchbaren Teil davon zu maximieren.“
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Dies ist die überarbeitete Version eines Artikels aus der März 2009-Ausgabe der Zeitschrift National Park Quarterly (國家公園季刊). Redaktion des englischen Textes: Robyn Taylor; deutsche Fassung von Tilman Aretz

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