04.05.2024

Taiwan Today

Kultur

Verbindung mit der Welt — Die Kunst des Kang Muxiang

17.07.2015
Kang Muxiang hat einen beträchtlichen Teil seines Lebens seiner Kunst gewidmet. Bei seinem bevorzugten Arbeitsmaterial stieg der Bildhauer unlängst von Treibholz auf Stahlseile um. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Kang Muxiang Museum)
Die Stadt Karlsruhe in Baden-Württemberg, Sitz des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, feiert im August 2015 ihren 300. Geburtstag. Zu dem Anlass wird unter anderem ein Kunstwerk des bekannten taiwanischen Bildhauers Kang Muxiang ausgestellt.

Der aus der Gemeinde Sanyi im nordtaiwanischen Landkreis Miaoli stammende Künstler widmete sein Leben der Schaffung von Kunstwerken aus Treibholz. Für die Arbeit an einem Objekt mit asiatischem Schwerpunkt, das der Stadt Karlsruhe zum Geschenk gemacht werden sollte, wandte er sich der Herausforderung eines neuen Materials zu und verwendete Stahlseile, die bei der Herstellung der Fahrstühle im Wolkenkratzer Taipei 101 übrig geblieben waren.

Das Mammut-Kunstwerk ist etwa drei Meter hoch und wiegt über drei Tonnen. Die sanften, leichten Linien, welche die Form kennzeichnen, stehen im Gegensatz zu der bedrohlichen Kälte des Stahls. Es besitzt eine ausgewogene Schönheit, irgendwo zwischen Aggression und Ruhe, Neu und Alt. Kang verlieh dem Werk den Titel Wünsche aus Taiwan, und das Stück ist das letzte Exemplar in seiner „Leben“-Reihe. Eingebettet in die Arbeit ist ein orientalisches Ornament, ein ruyi-Bild, das Glück bringt und Karlsruhe Segenswünsche übermittelt.

„Bei den Deutschen gibt es eine starke Betonung auf erneuerbare Ressourcen und Umweltschutz, deswegen passt dieses Werk hervorragend zu dem Geist unserer Nation“, kommentierte Dr. Roland Wein, geschäftsführender Direktor des Deutschen Wirtschaftsbüros (DWB) in Taipeh, der große Bewunderung für Kangs Kunst zum Ausdruck brachte. Kangs Arbeiten, die moderne Materialien mit einem traditionellen Bild vereinigen und weggeworfenen Stahlseilen neues Leben einhauchen, tragen dazu bei, eine Brücke des guten Willens zwischen Taiwan und Deutschland zu schlagen.

Die „Leben“-Reihe wurde Kangs repräsentatives Werk. In sanften Konturen wurde hier das Verhältnis zwischen Mutter und Baby dargestellt. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Kang Muxiang Museum)

Von der Natur lernen
Der 54-jährige Kang gilt als einzigartiger einheimischer Künstler. Zwar erlernte er in seiner Jugend traditionelle Holzschnitzfertigkeiten, doch vermochte er unorthodox zu denken, um seinen eigenen Kunststil zu entwickeln.

„Seit meiner Jugend hatte ich immer den klaren Gedanken, dass meine Arbeiten anders sein sollten”, erzählt Kang. Jeder geschickte Holzschnitzer kann Werke gemäß den Wünschen der Kunden herstellen. Figuren des Gottes Guan Gong zum Beispiel haben immer einen langen Bart und ein Schwert. „So überleben Handwerker. Ich wollte jedoch mehr als nur überleben — ich wollte leben!“

Das Gewerbe machte während der neunziger Jahre einen Wandel durch, als viele Holzschnitzer anfingen, sich auf künstlerisches Schaffen anstatt lediglich Produktion zu konzentrieren. Kang vollzog den Kurswechsel früher als die meisten seiner Kollegen, deswegen wurden seine Arbeiten bereits in Ausstellungen in Südamerika, Südostasien und Japan populär. Als sein kreativer Impuls in diese Richtung zu jener Zeit an seine Grenzen zu stoßen schien, ergab sich für ihn glücklicherweise eine neue Gelegenheit.

Im Jahr 2002 hatten sich nach mehreren Taifunen, die durch die Region gezogen waren, enorme Mengen Treibholz an Taiwans Nordostküste und am Strand der Guishan-Insel angesammelt. Die Verwaltung des Nationalen Landschaftsgebietes Nordostküste entwickelte eine für alle Beteiligten vorteilhafte Strategie, das Problem zu bewältigen, und konnte auf diese Weise riesige Ausgaben für Aufräumarbeiten vermeiden — es wurden mehrere Künstler eingeladen, das Treibholz als Material für ihre Kunstwerke zu verwenden.

Sein wallendes graues Haar und der Rauschebart sind besondere Markenzeichen von Kang geworden. Hinter dem imposanten, kantigen Äußeren verbirgt sich allerdings eine sensible und sanfte Seele. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Kang Muxiang Museum)

Kang zählte zu denen, die für diese Aufgabe ausgewählt wurden, deswegen zog er auf die gut 9 Kilometer vor Yilan an Taiwans Ostküste gelegene vulkanische Guishan-Insel, auf der seit 1977 keine permanente Bevölkerung mehr angesiedelt ist, um Kunst aus Abfall zu schaffen.

„Als ich auf der Insel lebte, konnte ich wirklich die Natur aus der Nähe beobachten“, berichtet Kang. Während er in seiner entlegenen Einsiedelei Tag für Tag die Sterne am Nachthimmel und das Universum betrachtete und dem Rauschen der Meeresbrandung lauschte, wurde er gewahr, wie unbedeutend und kurz das Leben verglichen mit den Ewigkeiten der Natur ist. Seine Erfahrung während der einjährigen Abgeschiedenheit auf der Insel wurde ein wichtiger Quell der Inspiration für seine künftige kreative Arbeit.

„Jedes Stück Treibholz war einstmals ein Baum, der für Jahrzehnte oder Jahrhunderte in den Bergen gewachsen war, am Ende von Stürmen fortgerissen und von Flüssen ins Meer gespült wurde und schließlich auf meiner Insel landete“, sinnierte Kang. „Es muss ein besonderes Schicksal sein, welches das Treibholz und mich zusammenführte.“ Er hatte mit seiner täglichen Arbeit so viel zu tun, dass er manchmal vergaß zu essen, und das Jahr war schnell vorüber, ehe er sich’s versah.

Im Verlauf der Perfektionierung seiner Kunst aus Stahlseilen arbeitet Kang häufig ohne Schweißerschutzbrille, infolgedessen haben seine Augen gelitten. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Kang Muxiang Museum)

Unbegrenztes Leben
Durch die Erfahrung des Lebens auf der Insel inspiriert, schuf Kang eine Reihe von Kunstwerken mit dem Titel „Leben“, die seine repräsentativsten aktuellen Arbeiten geworden sind.

Die Themen der „Leben“-Serie sind sehr breit angelegt. Eines der Werke zeigt eine füllige runde Mutterfigur, die das winzige Baby in ihrem Schoß umarmt, Symbol für den Ursprung des Lebens. Im Ganzen steht die Figur außerdem für die chinesischen Konzepte Yin und Yang und die Fünf Elemente, und sie reflektiert die Kultivierung der eigenen Persönlichkeit des Künstlers über einen langen Zeitraum hinweg im Einklang mit der Natur.

Die „Leben“-Reihe war die maßgebliche Kreation seines Schaffens in diesem Zeitraum und bildet die Grundlage für die bedeutende Sammlung seiner Galerie in Sanyi. Im Jahr 2013 gab es für die „Leben“-Reihe weiteren Fortschritt durch Zusammenarbeit mit Taipei 101.

Der Wolkenkratzer Taipei 101 ist nicht nur das höchste umweltfreundliche Gebäude der Erde, sondern verfügt auch über die weltweit schnellsten Hochgeschwindigkeits-Fahrstühle. Die Stahlseile, welche die Aufzugkabinen halten und führen, sind natürlich außerordentlich stark, doch nach jahrelanger Belastung und Verschleiß mussten sie samt und sonders ausgetauscht werden.

Diese Aufnahme zeigt den Künstler, wie er Stahlseile in die gewünschte Form bringt. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Kang Muxiang Museum)

„Wir dachten an mehrere Möglichkeiten, die Seile wiederzuverwenden, allerdings erwies sich keine davon als praktikabel“, bekennt Christina Song, die Vorsitzende von Taipei 101. „Wir setzten uns auch mit zahlreichen Künstlern in Verbindung und boten ihnen an, die ausrangierten Stahlseile zu benutzen, doch alle meinten, das sei unmöglich.“ Dann aber machte ein Freund von Song sie mit Kang bekannt.

Stahlseile bestehen aus Tausenden von dünneren Stahldrähten, die miteinander verflochten werden. Es ist kaum möglich, sie zu krümmen, geschweige denn Kunstwerke daraus zu schaffen.

Ein Holzschnitzer schickte sich an, das Unmögliche zu wagen — Kunst aus Stahlseilen zu erzeugen! „Alle dachten, ich sei übergeschnappt, aber ich wollte es einfach versuchen“, kommentiert Kang. „Wenn ich nicht ein bisschen verrückt wäre, wie könnte ich dann ein Künstler sein?“ Diese wunderbar starken Stahlseile hatten 6,6 Millionen Besucher getragen, deswegen schienen Millionen von Leben in ihre Windungen gewickelt. Kang war inspiriert. „Das Treibholz wurde recht knapp und teurer, daher fand ich, es sei ohnehin Zeit, ein neues Material auszuprobieren.“

Der Künstler und seine Assistenten arbeiteten sehr hart, um ihre gewaltige Aufgabe in 18 Monaten zu vollenden. Kang litt an Muskelbelastung und Verbrennungen, auch hatte er mit Augenverletzungen zu kämpfen, weil er lange Zeit mit einem Schweißgerät hantieren musste. „Es hat sich aber gelohnt“, behauptet er. „Ich gebe mein kurzes schlichtes Leben für ein Stück ewiger Kunst, ein Vermächtnis für nachfolgende Generationen.“

Für das Werk Wünsche aus Taiwan setzten sich bedeutende Persönlichkeiten ein, von links: Vanessa Shih, stellvertretende Außenministerin der Republik China; Dr. Roland Wein, Direktor des Deutschen Wirtschaftsbüros in Taipeh; der Bildhauer Kang Muxiang; und Christina Song, Vorsitzende von Taipei 101. (Chuang Kung-ju)

Wünsche aus Taiwan
Unendliches Leben, ein aus alten Fahrstuhl-Stahlseilen geschaffenes Kunstwerk, wurde inzwischen vor dem Taipei 101-Turm aufgestellt. Immer wieder bleiben Passanten stehen, um die Skulptur zu betrachten, und sobald sie das Schild mit den Erläuterungen gelesen haben, sind alle ohne Ausnahme sprachlos vor Bewunderung. „Es ist einfach unglaublich, dass Aufzug-Stahlseile in Kunst verwandelt werden können!“ Unendliches Leben hat den Spaß und die phantasievolle Umgebung von Taipehs Straßenbild bereichert.

Als Vanessa Shih, die stellvertretende Außenministerin der Republik China, im vergangenen Jahr Deutschland besuchte, erfuhr sie, dass in der Stadt Karlsruhe die Planungen für die Feierlichkeiten zum 300-jährigen Bestehen liefen. „Wir wollten diese Gelegenheit nutzen, unsere Freundschaft zu verbessern“, bemerkte Shih. „Vorführungen und ähnliche Aktivitäten sind jedoch flüchtig. Ich wollte eine bleibende Erinnerung hinterlassen.“ Schon bald hatte sie eine Idee — ein Kunstwerk als Geschenk, welches taiwanische Kultur nach Karlsruhe bringen würde. „Ich rief rasch Meister Kang an und bat ihn um Hilfe.“ Kang willigte ein und erklärte sich bereit, seine Arbeit gratis zu spenden. Shih war von dieser Geste schwer beeindruckt.

Taipei 101 half mit, indem die Stahlseile für das Unterfangen zur Verfügung gestellt wurden, und die Reederei Evergreen Marine sponserte das Projekt mit kostenlosem Versand. Die Firma bestellte sogar besondere Container, um das massive Objekt nach Deutschland zu schaffen.

Kangs Verwendung ausrangierter Fahrstuhl-Stahlseile zur Schaffung von Kunstwerken ist einzigartig. Gemeinsam mit seiner Liebe zu und Respekt vor der Natur strebt er danach, seine Fertigkeiten ständig bis an ihre Grenzen auszuschöpfen, und stellt sich der Herausforderung, „das Unmögliche“ zu tun.

Den Blick auf die Stücke von Stahlseilresten gerichtet, munter gestikulierend, während der Wind durch sein graues Haar und Bart weht, verkündet er: „Dieses Werk ist erst der Anfang. Die alten Stücke von Stahlseilen aus Taipei 101 werden eines Tages die Kontinente überbrücken und dabei helfen, die Völker der Welt zusammenzubringen.“

—Deutsch von Tilman Aretz
—Quelle: Taiwan Panorama, 07/01/2015 (Juli 2015, S. 50-57)
—Zuschriften an die Taiwan heute-Redaktion unter taiwanheute@yahoo.com

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