07.05.2024

Taiwan Today

Kultur

Schichten der Innovation

26.02.2015
Vase mit Wolkenmuster (2012). 32 x 39 x 39 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Su Shih-hsiung)

Der Keramikkünstler Su Shih-hsiung ist für seine einzigartigen Glasur-Reliefarbeiten bekannt.

Der staatliche Handwerkspreis National Crafts Achievement Award würdigt eher das Lebenswerk eines Künstler als die Qualität einer einzelnen Arbeit. Der Preis, der im Jahr 2007 vom Rat für Kulturangelegenheiten (Council for Cultural Affairs, CCA) — im Jahr 2012 zum Kulturministerium aufgewertet — ins Leben gerufen worden war, stellt die höchste Ehrung dar, die Kunsthandwerkern in Taiwan zuteil werden kann. Der Preisträger des Jahres 2010 Su Shih-hsiung, der sich mit seiner einzigartigen Glasur-Relieftechnik einen Namen machte, wurde für sein vier Jahrzehnte langes Engagement bei Forschung und Innovation von Keramikkunst ausgezeichnet und auch dafür, dass er sein Wissen und seine Expertise an jüngere Künstler weitergab.

Die Technik, die Su vor etwa 30 Jahren schuf, umfasst das Auftragen von Schichten unterschiedlicher Glasurmischungen auf keramische Oberflächen und anschließendes Wegschnitzen an bestimmten Glasurstellen zu einer vorgesehenen Tiefe. Nach dem Brennen der Keramik im Brennofen erzeugen die verschiedenen Arten offenliegender Glasur ein Gemisch von Farben und Mustern. „Es ist eine Technik und ein Stil, womit man Objekte herstellt, die nicht im Geringsten asiatischen oder westlichen Keramikarbeiten ähneln, mit denen ich sonst vertraut bin“, urteilt der Maler Hou Li-jen, der in den Kunstabteilungen mehrerer Universitäten in Taiwan lehrt. Zwar ist Su am besten bekannt für seine einzigartige Glasurschnitzmethode, doch er beherrscht daneben das ganze Spektrum traditioneller Keramiktechniken. Einen großen Teil seiner beruflichen Laufbahn verbrachte er damit, an mehreren Oberschulen und Universitäten Töpfern zu unterrichten, bevor er sich im Jahr 2010 aus dem Lehrbetrieb zurückzog. Sein erstaunlicher Erfahrungsschatz und das Wissen, was der Künstler angesammelt hat, sind umso mehr bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass er selbst nie in dem Handwerk unterwiesen wurde.

Vase mit Blumenmuster (2010). 49 x 24 x 24 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Su Shih-hsiung)

Künstlerischer Einserschüler

Su, der 1935 in der südtaiwanischen Stadt Tainan zur Welt kam, zeigte gute Leistungen in der Schule und auch ein beachtliches künstlerisches Talent. Die Oberschule Tainan First Senior High School, eine der besten des Landes, schloss er als Klassenbester ab. Daher waren seine Angehörigen und Lehrer überrascht, als sich Su für seine weiterführende Ausbildung dazu entschloss, Kunst zu studieren. „Alle meine Mitschüler aus der Oberschule wollten Medizin oder Jura studieren, und meine Lehrer und meine Mutter erwarteten von mir das Gleiche“, erinnert er sich. „Sie waren enttäuscht von meinem Beschluss, Kunst zu studieren, da sie vermuteten, dass ich dann nach dem Examen nicht viele Möglichkeiten für eine berufliche Laufbahn haben würde.“ Das einzige Kunstprogramm, dass ihm damals an einer Universität offen stand, wurde an der Kunstabteilung der Pädagogischen Hochschule Taiwan (National Taiwan Normal University, NTNU)in Taipeh angeboten. Die NTNU bildet Lehrer für Sekundarschulen aus, und zum Glück für Su bietet die Existenz als Lehrer das regelmäßige Einkommen, das er brauchte, um seiner Leidenschaft nachzugehen.

Das Kunstprogramm an der NTNU konzentrierte sich überwiegend auf chinesische und westliche Malereitechniken. Zwar wurden die Studierenden dort auch mit anderen Kunstformen bekannt gemacht, doch die Keramik-Handwerkskunst stand nicht auf dem Lehrplan. Sus erste Begegnung mit Keramik ereignete sich während seines dritten Studienjahres bei einer Exkursion zu einer Keramikfabrik in Taipeh. Jeder Studierende glasierte eine Vase, die im Brennofen der Fabrik gebrannt und ein paar Wochen später an die Hochschule geschickt wurde. „Es ist über 50 Jahre her, aber ich kann mich noch an die Freude erinnern, die ich empfand, als ich mein erstes Stück sah“, rekapituliert Su. „Ich war fasziniert von dem Ablauf, Erde in Kunst zu verwandeln.“ Diese Exkursion war allerdings die einzige unmittelbare Erfahrung, die Su während seines vierjährigen Studiums mit Keramik machte.

Su fand nach dem Examen an der NTNU im Jahr 1959 eine Stelle als Kunstlehrer an einer Oberschule. Anfang der sechziger Jahre befasste er sich mit Industriedesign, damals im Land ein neu aufkommendes Feld. Viele der Designer der ersten Generation kamen über Kunststudien zu dem Fach. Su war einer der ersten Designer, die vom China Productvity Center ausgebildet wurden, einer staatlich gesponserten Beratungs- und Schulungsorganisation, die 1955 eingerichtet worden war, um einheimischen Branchen bei der Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz, Verwaltung und Produktionstechniken zu helfen. Anstatt eine Laufbahn in diesem Bereich zu verfolgen, wandte Su sich jedoch dem Unterrichten von Kunst und Industriedesign in Lehranstalten zu.

Su Shih-hsiung, der sich seinem 80. Geburtstag nähert, hat keine Absichten, als Künstler in den Ruhestand zu treten. (Foto: Huang Chung-hsin)

Mit Industriedesign Neuland betreten

Industriedesign bot die Gelegenheit, mit unterschiedlichen Materialien zu arbeiten. Su kam dadurch wieder die Zeit in Erinnerung, als er seine erste Keramikkreation an der NTNU in Augenschein genommen hatte. Im Jahr 1973 kaufte Su in der Hoffnung, die Freude jenes Moments aufs Neue zu erleben, einen kleinen elektrischen Brennofen und ließ sich in einer Metallwerkstatt eine Töpferscheibe anfertigen, damit er anfangen konnte, mit Keramik zu arbeiten. „Die gleichen Leute, die sich dagegen ausgesprochen hatten, dass ich Kunst im Hauptfach studierte, hielten es nun für Zeitverschwendung von mir, Keramik zu erkunden“, enthüllt er. „Es galt zu jener Zeit als überholtes und außerordentlich stumpfsinniges Handwerk.“

Unbeeindruckt vertiefte Su sich darin, sich mit den unterschiedlichen Tonsorten, Glasurrezepturen, Brenntemperaturen und Handwerkstechniken vertraut zu machen und anschließend zur Meisterschaft darin zu gelangen, Kenntnisse, die im damaligen taiwanischen Bildungssystem nicht vermittelt wurden. Auch war in chinesischer Sprache gedrucktes Referenzmaterial dazu schwer zu finden. Glücklicherweise halfen ihm seine drei Jahre Grundschulbildung während der Zeit, als die Insel zwischen 1895 und 1945 unter japanischer Kolonialherrschaft stand, und neben seinen Bemühungen, sein Können in der japanischen Sprache zu bewahren, konnte er sich das, was er brauchte, in japanischen Publikationen aneignen. Indem er Keramik und industrielles Design zusammenführte, unterrichtete Su ab 1978 Taiwans ersten Kurs für Keramik-Produktdesign an der Abteilung für industrielles Design der National Cheng Kung University (NCKU) im südtaiwanischen Tainan. In den Jahren darauf trug er dazu bei, an mehreren Lehranstalten Kurse im Bereich Keramik und Übungswerkstätten einzurichten.

Kreativität schnitzen

Fürs Unterrichten und die Verwaltungsarbeit an der NCKU ging viel Zeit drauf, aber Su schuf weiterhin neue Objekte. Alle Techniken zu meistern füllte Su jedoch nicht aus, und er strebte nach einem höheren Kreativitätsgrad. „Es gibt Kunsthandwerker und Künstler, die Techniken aller Art hervorragend beherrschen, doch sie wiederholen immer nur, was andere schon vorher kreiert haben“, moniert er. „Ich dachte mir, es wäre interessant, wenn ich dieses jahrhundertealte Handwerk um etwas Innovation ergänzen würde.“ Inspiriert von Schnitzereien auf Lackgegenständen begann Su mit dem Gedanken zu spielen, auf Glasur zu schnitzen. Nach seinen Worten wurde diese Technik in der Song-Dynastie (960–1279) angewandt, aber damals nur auf einer einzelnen Glasurschicht. Seine Idee war, mehrere Schichten aufzutragen und dann durch Entfernen unterschiedlicher Stärken von Glasur Muster zu gestalten, was in der Theorie einfach erschien, sich in der Praxis allerdings als außerordentlich schwierig erwies. „Bei Ölmalerei kann man einen Fehler beheben, indem man ihn mit einer neuen Schicht Farbe bedeckt, doch wenn man in Glasur schnitzt, sind Fehler irreparabel“, seufzt Su.

Eine noch größere Herausforderung ist der Brennvorgang, weil Glasur fließen und sich mit Schichten daneben vermischen kann. „Manchmal will ich sie mischen, damit eine neue Farbe erscheint, bei anderen Stücken muss jede Schicht farbecht herauskommen wie aufgetragen“, doziert der Künstler. Um mit Erfolg das gewünschte Resultat zu erzielen, braucht man profunde Kenntnisse von den Eigenschaften diverser Glasuren. Je nach ihrer Beschaffenheit wird jede Glasur unterschiedlich dick aufgetragen, damit beim Brennen der Keramik das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Weil das hinsichtlich der Töpfertraditionen eine vergleichsweise neue Technik ist, musste Su in vielen Versuchen ausprobieren, wie dick eine Glasur sein muss, damit man einen bestimmten Effekt erreicht. Bis heute ist Su mit rund einem Drittel der Arbeiten aus seinem Brennofen nicht zufrieden, und er zertrümmert jedes Stück mit der kleinsten Unvollkommenheit. „Ich habe nicht genug Platz, um all den Schrott hier aufzustapeln“, rechtfertigt er sich. „Aber ich denke, ich mag die Herausforderung, auf dem schmalen Grad zwischen Erfolg und Fehlschlag zu balancieren.“

Dieses vernickelte Experimentalstück entstand 2012. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Su Shih-hsiung)

Produktivität sekundär

Sus geringe Produktivität als Künstler ist die Folge seiner hohen Ausschussrate, und er stellt im Jahr nicht mehr als 30 Stücke her. Gleichzeitig ist seine Keramikkunst wegen des Schwierigkeitsgrades seiner Technik aber auch einzigartig und unmöglich nachzuahmen. Deswegen sind Sus Arbeiten wertvolle Sammlerstücke, selbst wenn der Künstler die Nachfrage des Marktes nie Einfluss auf seinen kreativen Ablauf nehmen ließ. Für Su ist ein Mensch als Künstler erledigt, wenn er versucht, den Wünschen der Sammler gerecht zu werden, anstatt den eigenen künstlerischen Zielen zu folgen. „Ein Kunstwerk sollte keinen Titel oder keine Erklärung brauchen“, definiert er. „Wenn die Botschaft einer Arbeit einfach durch Betrachten verstanden werden kann, würde ich das Kunst nennen.“ Nach den Worten von Lin Jenn-yang, der unlängst als Dekan des Kunst-Colleges an der Nanhua University im südtaiwanischen Landkreis Chiayi pensioniert wurde, haben sich in den jüngsten Jahren immer mehr Menschen in Taiwan der Keramikkunst zugewandt, und die Handwerker kann man grob in zwei Gruppen unterteilen — diejenigen, die traditionelle chinesische Techniken anwenden, und Jene, die von japanischen und westlichen Praktiken beeinflusst wurden. „Während Su an die Bewahrung der Tradition glaubt, bringt er gleichzeitig Innovation ins Spiel“, urteilt Lin. „Er hat seinen eigenen Weg eingeschlagen, indem er sowohl jahrhundertealte als auch moderne Designästhetik mit einer klugen Technik hervorgerufen hat.“

Der Handwerkspreis National Crafts Achievement Award würdigt nicht nur Sus Hingabe für Erziehung und Innovation im Keramikbereich, sondern auch seine Ideale über Kunst insgesamt. „Anerkennung ist gleichermaßen eine Ehre und eine Verpflichtung, da ich mich weiter selbst übertreffen muss“, sinniert der Preisträger, der sich seinem 80. Geburtstag nähert, aber noch keine Absichten hat, als Künstler in den Ruhestand zu treten.

(Deutsch von Tilman Aretz)

—Quelle: Taiwan Review, Dezember 2014
—Zuschriften an die Taiwan heute-Redaktion unter taiwanheute@yahoo.com

Schale mit Chrysanthemenmuster (2010). 14 x 38 x 38 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Su Shih-hsiung)

Schale mit Blumenmuster (2010). 13,5 x 31,5 x 31,5 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Su Shih-hsiung)

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