05.05.2024

Taiwan Today

Kultur

Kunsthandwerk in Familientradition

23.01.2015
Göttin der Gnade 53 x 21 x 21 cm (Foto: Huang Chung-hsin)

Holzschnitzerei ist seit Generationen in Lee Ping-kuei‘s Familie verwurzelt

An einem ruhigen Wochentag im Oktober 2014 herrscht reges Treiben in einem der alten Häuser, die die Gassen des Ortes Lugang im taiwanischen Landkreis Changhua säumen. Gemeinsam mit drei altgedienten Mitarbeitern restauriert der 65-jährige Holzschnitzer Lee Ping-kuei (李秉圭) eine Sänfte, die am nächsten Tag in einer Ausstellung in der Nachbarstadt Taichung gezeigt werden soll. Die Sänfte dient einer Gottheit bei festlichen Umzügen als Sitzplatz. Gebaut wurde sie 1948 von Lee Ping-kuei’s Vater, Lee Song-lin (李松林, 1907–1998). „Bei der Restauration einer Antiquität müssen ursprüngliches Aussehen und Stil bewahrt bleiben“, sagt Lee Ping-kuei.

Aufgrund des engen Zeitplans konnte die Restauration durch Lee und seine Mitarbeiter erst nach der Ausstellung, die vom Amt für kulturelles Erbe (BCH) organisiert wurde, fertiggestellt werden. Nach der einmonatigen Ausstellung wurde die Sänfte in Lee Ping-kuei’s Werkstatt gebracht und dort vollständig repariert. Danach fand sie ihren Weg zurück zu einem kleinen Tempel im Landkreis Yunlin, südlich von Changhua, wo sie seit der Fertigstellung durch Lee’s Vater ihre Heimat hat.

Die Restauration der Sänfte, die vom Kulturministerium (MOC), der übergeordneten Behörde des BCH, in Auftrag gegeben wurde, hat Lee Ping-kuei sehr gern übernommen. Ein Grund dafür ist das emotionale Band, das ihn mit der Arbeit seines Vaters, der im hohen Alter von 91 Jahren verschied, verbindet. Aber Lee Ping-kuei ist unter seinen Holzschnitzkollegen auch bekannt für seine außergewöhnlichen technischen Fertigkeiten und seine Bereitschaft, besonders schwierige Aufgaben zu übernehmen. Vater und Sohn sind landesweit respektiert für ihren wichtigen Beitrag zur Holzschnitzkunst. 1985 zeichnete der Kulturrat, der Vorläufer des jetzigen Kulturministeriums, Lee Song-lin als einen der ersten Künstler mit dem Staatlichen Kultur- und Kunstpreis aus. 2013 nahm das MOC Lee Ping-kuei in seine Liste der Bewahrer wichtiger traditioneller Kunst auf. Diese Liste existiert erst seit 2009 und teilt sich in die Kategorien traditionelle darstellende Kunst und traditionelles Kunsthandwerk. Die darin benannten Meister erfreuen sich landesweiter Hochschätzung.

Die Holzschnitz-Tradition der Familie Lee wurde schon begründet, als die Vorfahren der Familie noch in Quanzhou, in der festlandchinesischen Provinz Fujian, lebten. Lee Ping-kuei erzählt, dass seine Ahnen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über das Meer nach Taiwan kamen und Tempelbauarbeiten in Lugang übernahmen. Damals war Lugang eine der reichsten Städte Taiwans. Die Lee-Familie ließ sich dort nieder und startete ein Familienunternehmen, in dem Möbel, kleine Altäre und Einbauten für Häuser und Tempel, wie Fensterrahmen und Zaojings (dekorative Caisson-Decken) produziert wurden. In den späten 1910er Jahren erlernte Lee Song-lin das Schnitzhandwerk und schon mit 18 Jahren spielte er eine wichtige Rolle bei der vier Jahre dauernden Restauration des Luganger Mazu-Tempels.

Lee Ping-kuei in seiner Werkstatt in Lugang, Landkreis Changhua, Mitteltaiwan (Foto: Huang Chung-hsin)

„Was mein Vater zu Hause tat, hat mich langsam, aber stetig beeinflusst. Und so versuchte ich mich ebenfalls an Holzschnitzerei“, erinnert sch Lee Ping-kuei an seine Jugend. Manchmal bekam er sogar Ärger, weil er an halbfertigen Stücken seine Fähigkeiten ausprobierte. Zunächst erwarb Lee Kenntnisse in zwei der wichtigsten Holzschnitz-Techniken: dem Relief-Schnitzen und dem Durchbruch-Schnitzen. Später wand er sich dem weitaus schwierigeren Schnitzen dreidimensionaler Figuren zu. „Künstler finden diese Technik besonders kompliziert, aber irgendwann muss man sich der Herausforderung stellen, um voranzukommen“, erklärt Lee.

Herausforderungen meistern

Nach Beendigung seines Wehrdienstes in den späten 1960er Jahren begann Lee eine hauptberufliche Tätigkeit als Mitarbeiter seines Vaters. Mit jedem Jahr wurde er technisch versierter und meisterte vielfältige Projekte. „Egal ob menschliche Figuren, Blumen oder Vögel - Lee beherrscht alle Elemente der traditionellen Holzschnitzkunst“, sagt Chuang Po-ho (莊伯和), Experte für kulturelles Erbe und Vorstandsmitglied der MOC-finanzierten Staatlichen Stiftung für Kultur und Kunst (NCAF). Lee Ping-kuei betont, dass menschliche Figuren besonders schwer zu schnitzen seien. „Wenn man Menschen oder Gottheiten herstellt, kann man sich weniger Nachlässigkeit erlauben“, sagt Lee. „Der Betrachter ist eher bereit, Ungenauigkeiten in nicht-menschlichen Figuren zu akzeptieren, als zum Beispiel ein unproportioniert langes menschliches Bein.“

Lee Ping-Kuei’s Göttin der Gnade ist eine Kopie der frühesten Statue dieser Göttin aus Lugangs Lungshan-Tempel. (Foto: Huang Chung-hsin)

„Wichtig ist, dass Lee seine Schöpfungen mit künstlerischem Wert versehen will, während viele andere seiner Berufskollegen sich damit zufrieden geben, als versierte Kunsthandwerker zu gelten“, sagt Chuang Po-ho. „Lee ist um Kreativität bemüht, aber respektiert gleichzeitig die Traditionen und Regeln seines Handwerks, die zum Beispiel festlegen, dass Besonderheiten bestimmter Buddha-Figuren nicht verändert werden dürfen.“ NCAF-Vorstandsmitglied Chuang verrät, dass ihn insbesondere Lee’s Guanyin- und FeiTian-Figuren, die die Göttin der Gnade bzw. eine Gottheit der Musik abbilden, beeindrucken. „Lee’s künstlerisches Talent kommt am besten in seinen dynamischen FeiTian-Figuren zum Ausdruck“, fügt Chuang hinzu. FeiTian wird in der Regel in Form einer fliegenden Frau dargestellt.

Lee unterscheidet sich von vielen seiner Kollegen auch durch sein Interesse für andere Bereiche. Bereits als Teenager erhielt Lee neben seiner normalen schulischen Ausbildung Unterricht in Kalligraphie, chinesischer Malerei, chinesischer Geschichte und Literatur. Laut Chuang Po-ho ist dies ein Grund für Lee’s kulturelles Wissen und außergewöhnliches Kunstgefühl. In Lugang, dessen Geschichte als wichtiges kulturelles und religiöses Zentrum weit zurückreicht, gibt es eine ganze Reihe Meister mit ähnlich profundem Wissen wie Lee.

„Keiner dieser Privatlehrer nutzte Lehrbücher zur Wissensvermittlung“, erinnert sich Lee. „Mein Wissen habe ich durch gemeinsame Gespräche über Literatur erhalten oder indem ich ihren geschichtlichen Erzählungen zugehört und beim kalligraphischen Zeichnen zugeschaut habe.“ Lee fügt hinzu, dass keiner dieser Lehrmeister sehr gesprächig war. Dennoch stellte er viele Fragen, um von ihnen zu lernen. Der kalligraphische Einfluss ist besonders auffällig in Lee’s Werken. Viele seiner Schnitzereien sind mit Kalligraphie verziert.

FeiTian, 47,5 x 112 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Lee Ping-kuei)

Jahrelange Verfeinerung seiner Techniken und der Wille, seinen Schöpfungen künstlerischen Wert zu verleihen, haben Lee allmählich in den Stand eines Meisterschnitzers gehoben. Bereits 1984 im Alter von 35 Jahren nahm er gemeinsam mit anderen Holzschnitzern aus Lugang an Ausstellungen teil. Seine erste Solo-Schau folgte 1992 im Landkreis Changhua. 1995 zeigten er und sein Vater ihre Kunstschnitzereien bei zwei Ausstellungen in den USA, an der Universität von Massachusetts und auf Rode Island.

Obwohl Lee weiterhin auch Reparaturen an Tempeln vornimmt und Einbauten herstellt, widmet er jetzt den Großteil seiner Zeit künstlerischen Stücken. Im Jahre 2008 hat das Staatliche Forschungs- und Entwicklungsinstitut für taiwanisches Kunsthandwerk (NTCRI) im mitteltaiwanischen Landkreis Nantou das Yii-Projekt ins Leben gerufen, das Industriedesigner mit Künstlern zusammenbringt, um außergewöhnliche und exquisite Kunststücke zu erschaffen. Lee gehörte zu den acht eingeladenen Künstlern des ersten Projektjahres. „Die Designer hatten tolle Ideen, die sie gemeinsam mit den Künstlern diskutiert und weiterentwickelt haben. Letztere haben diese dann umgesetzt“, erläutert Yu hu-chia (余慧佳), die seit 2008 als NTCRI-Projektassistentin am Yii-Programm beteiligt ist. „Die beeindruckenden Fertigkeiten von Meistern wie Lee Ping-kuei steigern enorm den ästhetischen Wert guter moderner Designideen“, erklärt sie. Im Rahmen der ersten Ausstellung schufen Lee und sein Industriedesign-Partner einen Appearance genannten Lampensockel. Das gemeinsame Werk wurde später unter anderem auf Möbelmessen in Paris (2008) und Mailand (2009) gezeigt.

Der kommerzielle Wert seiner Kreationen ist für Lee nicht wichtig. „Ich schaffe Skulpturen, weil ich diese Arbeit mag“, sagt der Künstler, dessen Werke besonders Geschäftsleute gern sammeln. „Meine Stücke sind verkäuflich, aber ich behalte sie auch gern“, sagt Lee. Gelegentlich wird er eingeladen, seine Schnitzereien im In- oder Ausland auszustellen. Im Dezember 2013 reiste er gemeinsam mit drei anderen vom MOC als Bewahrer wichtiger traditioneller Kunst ausgezeichneter Kollegen für eine 19-tägige Ausstellung ins belgische Boortmeerbeek. Die Reise wurde von der Landkreisverwaltung Changhua finanziert. Zwölf Kreationen Lee’s wurden in der kleinen Stadt nordöstlich von Brüssel gezeigt.

Eine von Lee Song-lin 1948 geschnitzte Sänfte wird im Herbst 2014 in Lee Ping-kuei’s Werkstatt restauriert. (Foto: Huang Chung-hsin)

Lee Ping-kuei und seine Vorfahren konnten von ihrem Kunsthandwerk leben und sogar kleine Berühmtheiten der Holzschnitzerei werden. Aber man muss leider konstatieren, dass die Tradition langsam verblasst. Es fällt den Werkstätten immer schwerer, neue junge Kräfte anzuziehen. Dies betrifft sogar die traditionellen Hochburgen wie Lugang und die Gemeinde Sanyi im nordtaiwanischen Landkreis Miaoli, wo sich das Sanyi-Museum für Holzschnitzereien befindet. Die Mehrzahl der heute in Taiwan verkauften Holzschnitzereien sind in Festlandchina vorgefertigt und werden in Taiwan nur noch fertiggestellt. „Einige Leute beschäftigen sich heutzutage ausschließlich mit Handel“, sagt Lee. „Die, die noch Skulpturen schnitzen, tun dies für Ausstellungen. Dadurch können sie berühmt werden und ihre Werke Sammlern anbieten.“

Chuang Po-ho verrät, dass vor 30 Jahren allein in Lugang noch fast tausend Holzschnitzer tätig waren, die zuweilen sogar nach Japan reisten, um dort temporäre Arbeitsverhältnisse aufzunehmen. Obwohl das Interesse an diesem traditionellen Kunsthandwerk nachgelassen hat, gibt sich der Kulturerbe-Experte hoffnungsvoll: „Die Branche ist heute viel kleiner als früher und es wird weniger produziert. Aber Taiwan hat noch immer hervorragende Meister, die ausgezeichnete Qualität liefern.“

Diesen Meistern und ihrer Tätigkeit gebührt Respekt und Anerkennung, ist Chuang überzeugt. Lee’s Bedeutung als Bewahrer traditioneller Kunst wird mit den Jahren noch weiter steigen.

Schreiben Sie an Oscar Chung unter: mhchung@mofa.gov.tw

Eine Fee gratuliert zum Geburtstag 46 x 20 x 18 cm (Foto: Huang Chung-hsin)

Appearance 30 x 22 x 22 cm. Eine gemeinsame Kreation von Lee Ping-kuei und dem Designer Wang Li-hsin (Foto mit freundlicher Genehmigung des Staatlichen Forschungs- und Entwicklungsinstituts für taiwanisches Kunsthandwerk)

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