28.04.2024

Taiwan Today

Kultur

Bilder einer verschwundenen Welt

01.11.2013
Am Hafen von Nanfang’ao (1956) (Foto mit freundlicher Genehmigung von Yang Wen-hwa)
Das Lexikon besagt, dass eine Zeitkapsel ein Behälter zur Aufbewahrung von Dingen für eine bestimmte Zeit ist. Sie darf erst nach Ablauf eines bestimmten Zeitintervalls geöffnet werden, mit dem Zweck, zeittypische Dinge an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Zeitkapsel

Auch die Schwarz-Weiß-Fotografien in der Galerie der Handelskammer Hamburg waren über einen langen Zeitraum der Öffentlichkeit unbekannt, als ob sie in einer Zeitkapsel eingeschlossen gewesen wären. So hat der 1923 geborene Yang Chi-hsin (楊基炘) noch zu Lebzeiten selbst den Ausstellungstitel „Zeitkapsel“ gewählt. Er verstarb im Jahr 2005. Seiner Ehefrau Ho Huei-cheng (何惠珍) ist es allerdings zu verdanken, dass die Negative mehrere Umzüge und Jahrzehnte überstanden.

Im Jahr 1999 fand die erste Einzelausstellung mit Werken im Taiwan Museum of National History in Taipeh statt. Vielleicht war Yang Chi-hsin einer der wenigen und letzten Fotozeugen, der das alte, bodenständige und ruhige Taiwan zwischen fünfzigjähriger japanischer Kolonialzeit (1895-1945) und einem ab 1960 alle Lebensbereiche durchdringenden Umformungsprozess ablichtete.

Heute wird Yang nicht nur in seinem Heimatland als Avantgarde-Fotograf gewürdigt: In einigen wichtigen Fotografie- und kulturgeschichtlichen Ausstellungen in Taiwan und Deutschland waren seine Werke zu sehen.

Historischer Zusammenhang

Kultur- und fotografiehistorisch bettet sich die Arbeit von Yang Chi-hsin auf eine sehr eigenständige Art und Weise in den Gesamtkontext der Fotografie ein.

Das erste bekannte Foto, das in Taiwan aufgenommen wurde, stammt vom britischen Fotografen John Thomson (1837-1921). Es zeigt die Ruinen des ehemaligen niederländischen Forts „Zeelandia“ in Anping in der südtaiwanischen Stadt Tainan. Thomson nahm es etwa 30 Jahre nach Einführung der Fotografie auf, im Jahr 1871. Zu weiteren Fotos von ihm aus der Zeit zählt eine kleine Serie aus Porträts und Gruppenaufnahmen von Stammesangehörigen der Pingpu-Ureinwohner, die im Flachland der Insel lebten. Ein weiteres Kontingent zeigt Küstenszenen, Flüsse und Landschaft. Es ging Thomson damals bei seinen Aufnahmen nicht allein darum, die Schönheit oder Exotik von Land und Leuten zu zeigen, sondern seine Aufnahmen hatten in der Zeit des Kolonialismus auch immer eine militärische Bedeutung. Das detailgetreue Sichtbarmachen von strategisch wichtigen Orten war für die Kolonialländer von Vorteil.

Zur Ausstellungseröffnung in der Galerie der Hamburger Handelskammer fand sich ein zahlreiches Publikum ein. (Foto: Courtesy Taipeh Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland, Büro Hamburg)

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert quellen die Archive über von Porträts. Waren es seit 1895 überwiegend japanische Fotografen, folgte zwischen 1905 und 1910 der Chinese Lin Tsao (林草, 1881-1953) den kolonialen Vorbildern. Seine Frontalaufnahmen von überwiegend Han-chinesischen Familien und Einzelpersonen bilden den Grundstock der Porträtfotografie Taiwans mit. Ähnlich wie in der bildenden Kunst galt das Ablichten von harter, ländlicher Arbeit zur damaligen Zeit als kunstunwürdig, doch um 1915 entstanden die ersten bekannten Aufnahmen von Chen Keng-pin (陳耿彬), die Familien bei der Feldarbeit zeigen oder bei der Weiterverarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs ab 1946 waren es eine Handvoll Fotografen, zu denen auch Yang gehörte, die in Schwarz-Weiß kontinuierlich und methodisch das ländliche Leben Taiwans ablichteten. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre ist dann fast ausschließlich Farbfotografie zu sehen.

Yangs besondere Rolle begründet sich in der immens hohen Anzahl der Fotografien über den Zeitraum von 10 Jahren, den vielen verschiedenen fotografierten Orten und Landesteilen, und besonders in der hohen Qualität seiner Bilder.

Taiwan nach dem Krieg und heute

Die Aufnahmen der Ausstellung „Zeitkapsel – Fotografien einer Dekade“ wurden also zwischen 1950 und 1960 geschossen und zeigen in erster Linie ein Taiwan des alltäglichen Lebens, der Landwirtschaft, der Fischerei und der Nahrungsmittelverarbeitung. Damals lebten knapp 9 Millionen Menschen auf der Insel, heute gehört Taiwan mit über 23 Millionen Einwohnern zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Erde. Anbauflächen sind entsprechend verschwunden, der landwirtschaftliche Anteil des Bruttoinlandprodukts liegt heute bei geringen 1,5 Prozent (verglichen mit 36 Prozent im Jahr 1951), Dienstleistungen und Industrie machen dagegen heute zusammen 97 Prozent aus.

„Als westlicher Stützpunkt gegenüber der kommunistischen Volksrepublik wurde Taiwan bereits Ende der fünfziger Jahre in einem Umbildungsprozess von Ländern des Westens, insbesondere der USA, unterstützt. Für die Reorganisation und den Wiederaufbau der Landwirtschaft sind dabei zwei im wesentlichen von Amerika finanzierte Organisationen zu nennen: das Harvest Magazine und die Joint Commission on Rural Reconstruction“, schrieb Yang Wen-hwa (楊文華) in einem Vorwort zu einer der Ausstellungen ihres Vaters. Für beide Organisationen war Yang Chi-hsin tätig, als Redakteur und Fotograf. Neben seinen offiziellen Fotografien – die für ihn nie erschöpfende Dokumentation waren – lichtete er auch seine Augenblicksbegegnungen mit Menschen und Dingen ab, die nicht in die Archive wanderten. Gerade diese Bilder sind es, die es für den heutigen Betrachter möglich machen, die damalige Lebenswelt umfassender zu verstehen. Die Fotos zeigen unbeschwerte Kindheit, zeugen vom Miteinander der Menschen sowie der Lebensumstände von Minderheiten. Auch Traditionen und Religionen der Bevölkerung Taiwans sind thematisiert. Somit haben die Fotos nicht allein einen dokumentarisch-historischen und künstlerischen, sondern insbesondere auch einen soziologischen und ethnischen Wert.

Yang wurde schon während seiner Dokumentationsarbeit der Aufbautätigkeit klar, dass die alte Bauernkultur verschwinden würde und sich zukünftig gesellschaftsrelevante Umwälzungen ergeben würden. Vieles davon für ihn nicht nur zum Positiven – so beklagte der Fotograf, dass mit der Einführung des Fernsehens in den sechziger Jahren die gemeinschaftlich verbrachten Abende zum stummen Glotzen wurden und über den neu entstandenen Konsumzwang Neid und Habgier wuchsen und das Lachen aus den Gesichtern der Menschen nach und nach verschwand.

Vielleicht waren es genau diese Gründe, die Yang Chi-hsin veranlassten, die Kamera in den frühen sechziger Jahren beiseitezulegen und als Unternehmer tätig zu sein.

Abkühlung am Teich (1955) (Foto mit freundlicher Genehmigung von Yang Wen-hwa)

Die Ausstellung

Yangs Vermächtnis bleibt aber bestehen und lautet: „Ich hoffe, dass auch künftige Generationen sich bereit finden, die Bilder anzusehen und zu verstehen“. In Hamburg jedenfalls ist der Besucherstrom groß und hätte den Fotografen sehr erfreut.

In der Ausstellung sind 75 Aufnahmen in einen choreographischen Zusammenhang gebracht worden, der speziell für die Präsentation in der Handelskammer Hamburg entwickelt wurde. Einer Reise gleich bewegen sich die Besucher vom Nordosten Taiwans bis in den tiefen Süden. Yang selbst reiste in den zehn Jahren seiner Tätigkeit saltatorisch, mal hier, mal dort hin und auch mehrmals an dieselben Orte. Zur besseren Orientierung haben die Kuratoren eine stringente Route erdacht und mit Hilfe des Instituts für Asienkunde sowie der sinologischen Abteilung der Universität Hamburg Textbanner entwickelt, die dem Publikum helfen, sich in den unterschiedlichen Regionen zurechtzufinden. Die Texte über die jeweiligen Landkreise Taiwans sind die Brücken zum Heute, beschreiben die Veränderungen und geben ebenso Auskunft wie Landkarten, die den jeweiligen Standort der Fotos definieren.

---------------------------------------------------------
Yang Chi-hsin „Zeitkapsel – Fotografien einer Dekade. Taiwan zwischen 1950 und 1960“
Handelskammer Hamburg
Adolphsplatz 1, 20457 Hamburg
Laufzeit: 11. September bis 3. November 2013

Eine Ausstellung von Claus Friede*Contemporary Art und Marcard Pro Arte Hamburg.
Mit freundlicher Unterstützung der Handelskammer Hamburg, der Taipeh Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland, Büro Hamburg und Wheeler International Taiwan.
Es ist ein Katalog erschienen zum Preis von 19 Euro. (www.cfca.de)

Meistgelesen

Aktuell