27.04.2024

Taiwan Today

Kultur

Für noch besseres Papier

01.07.2014
Wang Kuo-tsai ist einer der wenigen Experten, die sich sowohl mit der Theorie als auch mit der Praxis handgemachten Papiers bestens auskennen. (Foto: Huang Chung-hsin)
Wertschätzung für ein jahrhundertealtes Werk chinesischer Kalligrafie an Orten wie dem Nationalen Palastmuseum (National Palace Museum, NPM) in Taipeh ist in der Regel eine Frage persönlicher Geschmacksvorlieben. Manche Menschen bewundern das Können und den Stil des Kalligrafen, andere betrachten die Nutzung von Raum, die Geschichte des Werkes oder vielleicht den persönlichen Hintergrund des Künstlers. Wang Kuo-tsai (王國財) hat eine Leidenschaft für Kalligrafie und übt sich seit Jahrzehnten in der Kunstform. Er unterscheidet sich allerdings insofern vom durchschnittlichen Museumsbesucher, als er eine ebenso starke, wenn nicht gar stärkere Leidenschaft für das Papier hegt, auf welches die Tusche aufgetragen wurde. „Selbst in einer kontrollierten Umgebung setzt bei gewöhnlichem Papier normalerweise nach ein paar Jahrzehnten der Verfall ein“, weiß er. „Diese antiken Kunstwerke können wir heute deswegen betrachten, weil sie auf dem besten Papier ausgeführt wurden.“

Wang, im Jahr 1956 auf der vorgelagerten Insel Matsu geboren, ist ein Experte für seltenes Papier, der sich sowohl in Theorie als auch in der Praxis bestens auskennt. Mit Papierherstellung kam er erstmals in Kontakt, als er an der National Chung Hsing University (NCHU) in der zentraltaiwanischen Stadt Taichung Forstwesen studierte. Er befasste sich mit den Prinzipien der Papierherstellung von Hand als Schüler des mittlerweile emeritierten NCHU-Professors für Forstwesen Chang Feng-jyi (張豐吉), der ein Verfahren für die Herstellung von xuan-Papier (宣紙) entwickelt hatte, das oft von Malern und Kalligrafen benutzt und aus Ananasblättern gefertigt wird. Nach seinem Examen arbeitete Wang in der Holzzellstoff-Abteilung des Forstwesen-Forschungsinstituts Taiwan (Taiwan Forestry Research Institute, TFRI) in Taipeh. Er begann seine ungewöhnliche Laufbahn in Papierforschung im damals neu eingerichteten TFRI-Labor für handgemachte Papier-Wissenschaft. Gleichzeitig fing er ein Graduiertenstudium in Forstwissenschaft an der National Taiwan University (NTU) in Taipeh an.

Zur Handarbeit bekehrt

Shyu Jiann-gwo ist derzeit der Leiter des Labors für handgemachte Papier-Wissenschaft, nach seinen Worten die einzige staatliche Organisation, die Forschung über handgemachtes Papier und seine Anwendungen durchführt. „Handgemachtes Papier wurde größtenteils durch maschinell hergestellte Produkte ersetzt, doch manchmal ist maschinell fabriziertes Papier schlicht unzureichend“, urteilt er. Wer zum Beispiel Tuschemalerei und chinesische Kalligrafie praktiziert, stellt an das verwendete Papier hohe Ansprüche. Eine Art von hochwertigem handgemachten Papier erfüllt indes nicht alle Bedürfnisse. „Papiersorten mit verschiedenen Herstellungs-Formeln reagieren unterschiedlich auf Tusche, deswegen haben einzelne Künstler aufgrund ihres Stils und Könnens ihre eigenen Papiervorlieben“, erläutert Shyu. „Weil das Gewerbe für handgemachtes Papier sich jedoch im Niedergang befindet, wird es für sie immer schwieriger, das ideale Papier aufzutreiben.“

Wang interessierte sich ursprünglich für maschinell fabriziertes Papier, welches den Großteil der modernen Papierproduktion ausmacht, bis ihn ein Plausch mit einem Freund in eine andere Richtung lenkte. „Mein Freund beklagte sich, dass er kein gutes handgemachtes Papier in Taiwan finden konnte und die althergebrachten Methoden der Papierherstellung verloren gegangen seien“, kolportiert Wang. Nicht lange danach kam das TFRI durch Zufall in den Besitz einer Garnitur Werkzeuge für die Papierherstellung von Hand. Man schrieb das Jahr 1984, und Wang beschäftigt sich seitdem mit Fleiß und Beharrlichkeit mit dem Handwerk. Auch seine Pensionierung vom TFRI im Jahr 2010 konnte seiner Leidenschaft für die Papierherstellung von Hand und der Werbung dafür keinen Abbruch tun.

Der Papiermeister bedauert, dass viele Arten hochwertigen Papiers, die im Laufe der langen Geschichte Chinas in Gebrauch waren, heute nur noch dem Namen nach bekannt sind. Zum Beispiel ist die Kunst der Herstellung von liusha (流沙, fließender Sand) — einer Papiersorte mit einem mehrfarbigen marmorierten Aussehen ähnlich wie wirbelnde Wolken und fließendes Wasser — in China seit dem Ende der Song-Dynastie (960-1279) verschwunden. In Europa wird Liusha-Papier noch gefertigt, und man nimmt dort an, dass es aus Japan stammt, obwohl die Japaner die Technik in Wirklichkeit von China gelernt hatten. Glücklicherweise haben sich diese Methoden der Papierherstellung seit der alten Zeit kaum gewandelt, und bestimmte Arten von Papier und die Techniken für ihre Herstellung wurden beschrieben und dokumentiert. Tatsächlich skizzierte der Song-zeitliche Gelehrte Su Yijian (蘇易簡, 958–996) die Technik für die Herstellung von Liusha-Papier in einer von ihm bearbeiteten Kompilation mit dem Titel Die vier Schätze des Studiums, in der es um die Bedeutung von Schreibpinseln, Tusche, Tuschereibsteinen und Papier für Kalligrafen und Maler geht.

Von oben nach unten: Das gehärtete Rohmaterial wird gewaschen; das Material wird gebleicht; Weiterverarbeitung zu Brei; ein Bogen Papier wird geformt. (Fotos mit freundlicher Genehmigung von Taiwan Forestry Research Institute, Council of Agriculture)

Sus Buch erzählt, wie Handwerker einem Pasten-Werkstoff aus Mehl und Wasser Farbe zusetzten, weil das durch Mehl verdickte Wasser die Verteilung der Farbpigmente erleichterte. Man benutzte unvermutete Elemente wie Samen des Lederhülsenbaumes (Gleditsia triacanthos), Croton-Öl, Ingwer und sogar Kopfschuppen, um Pigmente über die Oberfläche des Substrats zu verteilen. Die Herstellung des Papiers „hinter fast geschlossenen Rolladen in einem stillen Raum“ verhütet, dass Luftströme die noch flüssigen Muster stören, welche sich an der Oberfläche zu verfestigen beginnen, und der Einsatz von „sauberen Behältern und reinem Wasser“ verhindert ebenfalls eine Verschmutzung der Pigmente. Wang hat im Laufe der Jahre Hunderte von Papiersorten nachgebildet, indem er den Anleitungen altertümlicher Text folgte wie Die vier Schätze des Studiums. „Bei langen Textabschnitten in klassischer chinesischer Schriftsprache wären viele andere Menschen ratlos, doch offenbar kann Wang da immer eine Menge von Informationen herausholen“, kommentiert Shyu achtungsvoll seine Erfahrung der Zusammenarbeit mit Wang.

Auf manche der alten Papierherstellungstechniken wurde viel Nachdenken verwendet. Ein Beispiel ist das Xuan-Papier, das seit der Tang-Dynastie (618-907) häufig für Tuschemalerei und Kalligrafie benutzt wurde. Xuan-Papier wurde ursprünglich in der festlandchinesischen Präfektur Xuanzhou (Kreis Jing, Provinz Anhui) gefertigt und verdankt dem Ort seinen Namen, und es ist beständig gegenüber Lichteinwirkung und vergilbt nicht, nachdem das traditionell als Rohmaterial benutzte Reisstroh mehrere Monate lang unter der Sonne gebleicht wurde. Heutzutage ist es wegen der Knappheit an Raum und Zeit für Papiermühlen schwierig, dieses Verfahren nachzuahmen. In solchen Fällen wartet Wang mit einer modernen Lösung auf. „Ich bin als Wissenschaftler ausgebildet“, prahlt er. „Wenn die alten Methoden nicht anwendbar oder bestimmte Bestandteile schwer aufzutreiben sind, wende ich mich einfach der modernen Wissenschaft zu.“

Seine Nachbildung von Papier der Sorte Ciqing (blaues Porzellan) ist ein typisches Beispiel. Ciqing-Papier wird mit Indigo gefärbt, um ein tiefes Blau zu erzeugen, das so aussieht wie der Farbton auf blauweißem Porzellan. Ursprünglich benutzte man es überwiegend für buddhistische Schriften mit goldener Tusche, und das Papier bringt die Würde religiöser Texte besonders gut zum Ausdruck. Wang sah Ciqing-Papier aus der Ming-Dynastie (1368-1644) erstmals im NPM. „Die Farbe, Textur und Qualität des Ciqing-Papiers beeindruckten mich so tief, dass ich es nachbilden wollte“, bekennt er.

Der Ming-zeitliche Wissenschaftler Song Yingxing (宋應星, 1587–1666) beschrieb die Schritte, die für die Herstellung von Ciqing-Papier erforderlich sind und die mit der Gärung von Indigo-haltigen Pflanzen beginnen, indem man die Blätter und Äste sieben Tage lang in Wasser einweicht, um einen Alkohol zu erzeugen. 100 Litern des Alkohols wurden fünf Liter anorganischen Kalkpulvers zugesetzt. Die Mischung wurde wiederholt dutzendweise umgerührt, bis der Indigo ausflockte und sich, wenn das Wasser zum Stillstand kam, am Boden absetzte. Der Indigo wurde neu konstituiert, indem er in einer Alkalilösung aufgelöst wurde und dadurch „Indigo-Weiß“ entstand. Papier, das mehrmals in den Farbstoff getaucht und dann mit Wasser gespült wurde, nahm dann einen immer dunkleren blauen Farbton an, weil Indigo-Weiß sich durch den Sauerstoff in der Luft in ein intensives Blau verwandelt. Das tiefblaue Ciqing-Papier gewinnt man dadurch, dass man das Papier etwa 10 Mal in den Farbstoff taucht. „Es war ein zeitraubendes Verfahren, während dem das Papier leicht reißen oder knittern konnte“, sagt Wang. „Deswegen war Ciqing-Papier in der alten Zeit außerordentlich selten und wertvoll.“

Wang versuchte sogar, mit dieser altertümlichen Methode einen Indigo-Farbstoff herzustellen. Er begab sich ins Bergland und sammelte Färberwaid (Isatis tinctoria L.), eine Pflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse, deren Blätter seit langer Zeit zur Herstellung von blauem Färbestoff verwendet wurden. Er wiederholte das altertümliche Verfahren zur Extraktion von Indigo-Blau, gewann am Ende jedoch nur genug Farbstoff, um ein Stück Papier von der Größe eines Taschentuches zu färben. Da synthetischer Indigo die gleiche chemische Zusammensetzung hat wie Natur-Indigo und leicht erhältlich ist, beschloss Wang, für sein Ciqing-Papier synthetischen Indigo zu benutzen. Er färbte überdies den Brei, der bei der Papierherstellung zum Einsatz kommt, anstatt das fertige Papierprodukt, wodurch er die Gefahr des Misslingens bei dem Verfahren wesentlich verringerte und die Qualität des Papiers verbesserte, weil die Farbe gleichmäßig verteilt wurde.

Handgemachtes Papier wird in geringer Quantität und großer Vielfalt gefertigt. Von oben nach unten: Mit einem Nylonfaden an der Ecke jedes Papierbogens lassen diese sich leicht zählen; das Papier wird gepresst, um überschüssiges Wasser zu entfernen; der Papierbogen wird auf einer erhitzten Platte getrocknet. (Fotos mit freundlicher Genehmigung von Taiwan Forestry Research Institute, Council of Agriculture)

Der Qing-zeitliche Gelehrte Shen Chu (沈初, 1729–1799) beschrieb eine andere Papiersorte, für deren Nachbildung traditionelle Techniken heute unpraktisch wären. Papier der Sorte Yangnao (羊腦), zu Deutsch Schafhirn, sei „so schwarz wie Lack und glänzend wie ein Spiegel“, schrieb Shen und erläuterte, wie man für dieses besonders robuste Papier Schafhirn mit Ruß vom oberen Ende eines Kamins (wo die Rußpartikel am feinsten sind) mischt und die Mixtur in einem kühlen Keller lagert. Das Zeug wird später auf Ciqing-Papier geschmiert und mit einem Stein glattpoliert. Solches Papier hält sich viele Jahre, ohne zu verfallen, und hält sogar Insekten ab. „Vereinfacht gesagt, man macht Yangnao-Papier, indem man einen Belag auf Ciqing-Papier aufträgt“, doziert Wang. „Zu Forschungszwecken musste ich das altertümliche Verfahren wiederholen.“ Es gelang ihm, Ruß vom oberen Teil eines Kamins zu bekommen, aber er musste einen kompletten Schafskopf auf dem Markt kaufen, weil das Hirn nicht separat verkauft wurde. Er sägte dann den Schädel auf und entfernte das Gehirn, das ungefähr die Größe eines Hühnereis hatte. „Plötzlich wurde mir klar, dass in dem Buch nicht stand, ob das Hirn roh oder gekocht verarbeitet werden sollte“, erinnert er sich.

Glänzend wie ein Spiegel

Die Zusammensetzung für den Belag nachzuahmen war gar nicht so kompliziert. Wang mutmaßte, dass ein Pigment, ein Klebstoff und ein Glanzverstärker gebraucht wurden, damit das Papier „so glänzend wie ein Spiegel“ wurde. Er dachte sich, der Ruß sei offensichtlich das schwarze Pigment, und eine Art von nicht näher beschriebenem tierischen Leim war in dem Buch als Klebstoff beschrieben. Außerdem überlegte er, das Cephalin im Schafhirn würde die Funktion eines Befeuchters erfüllen, um den Ruß gleichmäßig zu verteilen, tiefer in die Oberfläche des Papiers einzudringen und dem Papier einen satten Glanz zu verleihen. „Zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten mussten die Handwerker mit den Materialien zurechtkommen, die für sie verfügbar waren“, sinniert Wang. „Ich habe großen Respekt vor solcher antiker Weisheit, aber wir müssen wirklich nicht jeden Schritt befolgen und die gleichen Materialien wie bei diesen altertümlichen Verfahren verwenden.“ Die moderne Wissenschaft liefert reichlich Ersatz, und Wang fand schließlich einen Weg, Yangnao-Papier ohne Schafhirn nachzubilden.

Während das Aussehen verschiedener Papiersorten anhand von Beschreibungen in alten Büchern oder Museums-Mustern nachgeahmt werden kann, muss die Qualität jeder Sorte dennoch getestet werden. Forschern stehen Geräte zur Verfügung, die genaue Daten über die Stärke, chemische Zusammensetzung und andere Eigenschaften eines Bogens Papier bieten. „Daten sind aber nur Daten, die einem nicht alles sagen“, warnt Shyu, der kurz vor Wangs Pensionierung zum Labor für handgemachte Papier-Wissenschaft kam. „Was unterm Strich wirklich zählt, ist, ob der Künstler, der auf dem Papier malt oder schreibt, es als hochwertiges Papier anerkennt.“ Wenn sein Labor eine Papiersorte herstellt, nimmt es kleine Anpassungen an der Formel vor und bittet dann Kalligrafen oder Maler, mit dem Papier zu arbeiten.

Viele der Künstler, an die man sich um Mithilfe wendet, sind überaus zufrieden mit der Qualität des Papiers, das aus den Bemühungen hervorgegangen ist, und wollen es kaufen. Dem Labor ist es als staatlicher Behörde jedoch nicht gestattet, sich kommerziell zu betätigen. Wang löst das Problem, indem er Künstlern kostenlos Muster gibt und sie dann nach ihrer „professionellen Meinung zu den Forschungsergebnissen“ befragt. Wang veröffentlicht außerdem seine Formeln für Papierherstellung und Techniken, damit Künstler seine Schöpfungen in einer Papiermühle eigens fabrizieren lassen können. Dank der Empfehlungen unter Künstlern durch Flüsterpropaganda und gelegentlicher Berichterstattung in den Medien hat Wangs Papier in bestimmten Kreisen genug Anerkennung gewonnen, so dass immer mehr Künstler es benutzen wollen, und Museen bemühen sich nun um Wangs Beistand bei der Restaurierung alter Kunstwerke.

Wangs Terminkalender ist nach wie vor recht voll, doch er besteht weiterhin darauf, alles selbst zu machen — die Herstellung des Zellstoffs aus Baumrinde, die Auswahl der Pflanzen für Färbemittel, das Formen der Papierbögen und das Trocknungsverfahren sowie Analyse und Experimente mit den Resultaten. Wang: „Es wäre wunderbar, wenn durch mein Papier die Kunst, die darauf geschaffen wird, noch in Jahrhunderten in Museen bewundert werden kann, so wie wir heute ein Werk Song-zeitlicher Kalligrafie im Nationalen Palastmuseum bestaunen können.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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