03.05.2024

Taiwan Today

Gesellschaft

Clever aber schüchtern

01.07.2013
Zwei Jungen voller Konzentration bei einer Mathematik-Prüfung. Internationale Studien haben ergeben, dass taiwanische Schüler in dem Fach über erstaunliches Können verfügen. (Foto: Central News Agency)
Für Beobachter von außen sind taiwanische Schüler mit einer bemerkenswerten Begabung für Mathematik gesegnet. In der Studie Trends in internationaler Mathematik und Wissenschaft (Trends in International Mathematics and Science Study, TIMSS), die alle vier Jahre in der ganzen Welt vom Internationalen Verband für die Bewertung pädagogischer Errungenschaften durchgeführt wird, stufte man die mathematischen Fähigkeiten taiwanischer Viertklässler im Jahr 2011 auf Platz 4 von 52 untersuchten Ländern und Regionen ein, Taiwans Achtklässler kamen auf Rang 3 von 45 Ländern und Regionen.

Wer sich ein wenig besser mit Taiwans Bildungssystem auskennt, weiß indes seit langem, dass die einheimischen Schüler im Laufe ihrer Schulzeit in Mittelschule und Oberschule oft eine allgegenwärtige „Mathe-Phobie“ entwickeln. In der Tat wird dieses Unbehagen von einem anderen Teil der TIMSS-Studie, die bewertet, wie sehr Schüler Mathematik mögen und wie viel Selbstvertrauen sie beim Lernen des Faches haben, an den Tag gebracht. Überraschenderweise zählten die Werte der gleichen Viert- und Achtklässler aus Taiwan in beiden Kategorien mit zu den niedrigsten, was den Schluss zulässt, dass das Bildungssystem die Grund- und Mittelschüler zwar mit guten Mathematik-Fertigkeiten ausstattet, die Kids den Verlauf jedoch als schmerzhaft und entmutigend erleben.

Lai You-tang ist Lehr-Direktor des Mathematikunterrichts-Programms der Humanistischen Bildungsstiftung (Humanistic Education Foundation, HEF), einer 1987 gegründeten gemeinnützigen Organisation, die sich für Bildungsreform in Taiwan einsetzt. Lai fasst das seltsame Paradox des Mathelernens in Taiwan folgendermaßen zusammen: „Die Leistungen der taiwanischen Schüler [bei Mathe] zählten immer mit zu den Besten. Im Allgemeinen sind die Grundrechenfähigkeiten unserer Kinder bei weitem besser als bei Kindern in den USA und [vielen] europäischen Ländern. Doch während sie recht gut abschneiden, halten sie ihr eigenes Können für schrecklich. Das bedeutet, dass sie ihre Fertigkeiten wohl in einem nicht besonders gesunden Lernumfeld erworben haben.“

Bildungsbehörden suchen seit langem nach Wegen, den Ablauf des Mathe-Lernens weniger traumatisch zu gestalten. Vor dem Jahr 1975 unterrichteten die taiwanischen Grundschulen überwiegend Arithmetik, also die Grundrechenarten, und schenkten dem weiteren Feld der Mathematik, das als Studium von Zahlen, Gleichungen, Funktionen und geometrischen Formen sowie ihr Verhältnis untereinander definiert wird, wenig Aufmerksamkeit. Die ersten Reformansätze rührten sich in jenem Jahr, als Mathematik offiziell als Fach eingeführt wurde. Das ging einher mit der Verordnung eines Standard-Lehrplanes, welcher das Ziel hatte, den Kindern die im Alltagsleben erforderlichen Mathefertigkeiten zu vermitteln, außerdem sollten ihre Lernstrategien und die Fähigkeit zu vernünftigen Schlussfolgerungen entwickelt werden. In dem neuen Lehrplan lernten die Grundschüler weiterhin die vier Grundrechenarten, doch daneben brachte man ihnen noch einfache Geometrie, bestimmte Formeln und Gleichungen bei. Der Lernprozess vollzog sich aber nach wie vor größtenteils durch Auswendiglernen und wiederholte Anwendung, da man glaubte, diese Methode sei für die Kinder der schnellste Weg, mit Erfolg rechnen zu lernen.

Lai gesteht dem Lehrplan von 1975 gute Seiten zu, es habe aber auch viel Spielraum für Verbesserungen gegeben. Einerseits spielten nach seinen Worten die Kurse eine wichtige Rolle dabei, die Menschen mit den notwendigen Fähigkeiten im Leben auszustatten, besonders in der Phase, als Taiwans Wirtschaft eine rasante Expansion durchlief. „Heutzutage können die meisten Taiwaner einfache, grundlegende Vorgänge ohne besondere Schwierigkeiten durchführen“, sagt er. „In dieser Hinsicht kann man die [1975] erstellten Lehrmaterialien und Richtlinien als wirksam betrachten.“

Andererseits macht Lai darauf aufmerksam, dass die Reform von 1975 zwar vordergründig darauf abzielte, die Lernstrategien der Schüler und ihre Fähigkeiten zu vernünftiger Schlussfolgerung zu entwickeln, doch in der Praxis wurde immer noch zu viel Gewicht auf den Arithmetik-Unterricht gelegt. Schüler mit schlecht entwickelten Denkfähigkeiten haben nach seinen Ausführungen ab der Mittel- oder Oberschule, wenn Mathematik als Fach an Bedeutung zunimmt und erheblich abstrakter wird, Schwierigkeiten damit. Lai: „Mathe ist daher bei vielen dieser Schüler ziemlich gefürchtet.“

Ein Kind bei einem landesweiten Kopfrechnen-Wettbewerb 2007 in New Taipei City. Die Mathematik-Ausbildung des Landes legt tendenziell mehr Gewicht auf Rechenfertigkeiten. (Foto: Central News Agency)

Zum Teil als Reaktion auf solche Erwägungen wurde im Jahr 1996 eine größere Reform in Angriff genommen, die in Taiwans Grundschulen einen Lehrplan der neuen Generation mit der Bezeichnung „konstruktive Mathematik“ umsetzte. Ein möglicher Auslöser für diesen radikalen Wandel war der Ruf des Nationalrats für Mathematiklehrer in den USA aus dem Jahr 1989 nach einem neuen Lehrplan, geleitet von einem konstruktivistischen Verständnis darüber, wie Schüler lernen. Während traditionelle Mathematiklehrmethoden mechanisches Auswendiglernen und Üben in den Mittelpunkt stellen, geht es bei dem konstruktivistischen Ansatz darum, dass die Schüler ihr eigenes Können entwickeln müssen, indem sie zuerst die entsprechenden mathematischen Konzepte und den Hintergrund begreifen. „Der Kernpunkt dieser Philsosophie ist, dass die Schüler das Wissen selbst ,konstruieren‘“, erläutert Jen Wei-yang, Mathematiklehrer an der Ersten Mädchenoberschule Taipeh. „Um zu verhindern, dass die Schüler denken, es gäbe nur einen Weg zur Lösung, soll man den Schülern die etablierten Regeln nicht direkt mitteilen.“

Viele Mathematiklehrer reagierten auf die neuen Richtlinien, indem sie den Schülern rieten, gar keine Regeln auswendig zu lernen, noch nicht mal das Einmaleins. Gleichfalls verbreitet war das Beharren darauf, dass die Schüler horizontal rechneten anstatt vertikal. Beispielsweise empfahl man bei der Multiplikation 3 x 7 den Kindern, nach der Lösung zu suchen, indem sie „3 + 3 + 3 + 3 + 3 + 3 + 3 = 21“ schrieben. Für die Addition 25 + 32 lehrte man die Kinder, ihre Gedankenkette zu zeigen und „25 + 32 = 20 + 5 + 30 + 2 = 20 + 30 + 5 + 2 = 50 + 5 + 2 = 50 + 7 = 57“ zu schreiben.

Kinder, die der horizontalen Methode nicht folgen konnten und die Frage beantworteten, indem sie sich aufs auswendig gelernte Einmaleins oder Kopfrechnen verließen, erhielten oft schlechtere Noten, obwohl sie die korrekte Lösung angegeben hatten. Laut Jen hielten viele Eltern die konstruktivistische Mathematik für einen Alptraum, denn sie fanden die neue Methode zu ineffizient, und für sie war nicht erkennbar, was das mit den Rechenregeln zu tun hatte, die sie selbst früher gelernt hatten.

Lih Ko-wei ist Wissenschaftler am Mathematikinstitut der Academia Sinica, Taiwans renommiertester Forschungseinrichtung, und außerdem Einberufer der Sektion für Mathematikbildung in der Abteilung für Wissenschaftsbildung des Nationalen Wissenschaftsrates (National Science Council, NSC), einer Behörde in Ministeriumsrang. Nach Lihs Überzeugung ist der konstruktivistische Ansatz insgesamt eine gute Methode, Mathematik zu unterrichten. Was die Reform von 1996 am Ende untergrub, war laut Lih, dass zu viele Lehrer nicht die passenden Verfahren zum Unterrichten von konstruktivistischer Mathematik begriffen und infolgedessen ein auf Nachfragen basierendes Lernsystem in ein weiteres Regelwerk und Techniken verwandelten, die mechanisch gelernt werden mussten.

Ähnlich lässt sich Lai vernehmen. Während man den Lehrern empfahl, beim Unterrichten der neuen Mathematik Innovation und Kreativität einzusetzen, war diese Methode, als sie schließlich in den Klassenräumen der Grundschulen ankam, leider verwässert worden. Die anfänglichen Befürworter der konstruktivistischen Mathematik — zwei Professoren an der National Taiwan University (NTU) in Taipeh — hatten mehrere „Keim-Lehrer“ ausgebildet, und diese Keim-Lehrer gaben die Methode an die Lehrervertreter in jedem Schulbezirk weiter, die wiederum die Mathelehrer in den Lehranstalten schulten, erklärt Lai. „Die Kernwerte [der konstruktivistischen Mathematik] gingen verloren, nachdem sie so häufig weitergegeben worden waren“, bedauert er und fügt hinzu, dass bei der Weitergabe der Lehrmethoden von Lehrer zu Lehrer viele Regeln, die von dem echt konstruktivistischen Ansatz deutlich abwichen, entstanden und zementiert wurden.

Lehrer, welche die Aufgabe hatten, konstruktivistische Mathematik zu unterrichten, hatten überdies erheblich mit dem Mangel an hochwertigem Lehrmaterial zu kämpfen, fährt Lai fort. Beispielsweise waren nicht annähernd genug „warum“-Fragen für Lehrer in den Lehrbüchern aufgeführt, mit denen sie Klassendiskussionen in Gang bringen konnten, enthüllt er. Wenn den Lehrern solche Fragen für die Schüler ausgingen, griffen sie darauf zurück, wieder die Rechenregeln zu unterrichten. Bei der Hinwendung zu konstruktivistischer Mathematik gelang es daher nicht, das Problem des mechanischen Lernens anzupacken.

Kinder in einem Mathematik-Denkkurs von HEF erarbeiten das Konzept des Stellenwerts von Zahlen. (Foto: Courtesy Humanistic Education Foundation)

Nachdem die Mittelschullehrer ein allgemeines Nachlassen bei den Rechenfähigkeiten unter den Schülern, die konstruktivistische Mathematik gelernt hatten, feststellten, wurde 2005 ein neuer Lehrplan verfügt. Nach Lais Angaben gilt der jüngste Lehrplan als Kompromiss zwischen den Lehrplänen von 1975 und 1996, weil der Einsatz konstruktivistischer Lehrmethoden nicht betont wird, man den Lehrern aber dennoch empfiehlt, mathematische Konzepte auf vielfältige und kreative Weise zu unterrichten.

In Taiwan war einer der umstrittensten Aspekte der konstruktivistischen Mathematik ihr Beharren, dass Verstehen Vorrang vor Auswendiglernen hat. Der Lehrplan von 2005 akzeptiert dagegen, dass Auswendiglernen in manchen Fällen nützlich sein kann. Beim Nachdenken über den Schritt zurück zu einer ausgewogenen Methode meint Lih, er sähe nichts Falsches darin, Kindern, die anfangen, Mathematik zu lernen, aufzutragen, bestimmte Regeln und Formeln auswendig zu lernen. „Am Anfang, wenn wir klein sind, eignen wir uns viel so genanntes arbeitstechnisches Wissen an“, definiert er und bezieht sich damit auf Wissen, das man erwirbt, indem man eine Aufgabe löst. „Es ist wie Fahrrad fahren lernen — man weiß nicht, wie das Fahrrad funktioniert, kapiert es aber nach und nach, indem man damit fährt. Das Einmaleins auswendig zu lernen stellt für Kinder keine große Belastung dar. Indem sie sich das einprägen, machen sie sich mit Multiplikation vertraut, was den Lernprozess in der Zukunft vereinfacht.“

Einer der einflussreichsten Faktoren dafür, sich beim Unterrichten von Mathematik weiterhin auf Auswendiglernen zu stützen, ist das außerordentlich große Gewicht, das in Taiwan auf akademische Leistungen gelegt wird. „Für die meisten Lehrer, die ich kenne, ist das wichtigste Ziel, den Schülern zu helfen, gute Noten zu bekommen, denn das ist es, was die Eltern von den Schulpädagogen wollen und erwarten“, kolportiert Jen. „Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, versuchen die Lehrer, den Unterricht etwas lustiger zu gestalten, damit das Fach den Schülern nicht zu langweilig vorkommt.“

Lih sieht das ebenso und stellt fest, das auffallendste Merkmal der Mathematik-Ausbildung in Taiwan sei der große Druck, gute Noten zu bekommen, damit man in eine gute weiterführende Schule aufgenommen werden kann. In diesem von hartem Wettbewerb geprägten Umfeld geben die Lehrer nach Einschätzung des Forschers den Schülern am liebsten so viel Übung wie möglich, damit sie bei den Prüfungen gut abschneiden, was den Lehrern jedoch kaum Gelegenheit lässt, mit kreativen Lehrmethoden zu experimentieren.

Weiter auswendig lernen

Ein so großer Schwerpunkt auf Auswendiglernen ist, wie manche Lehrer und Eltern es interpretieren, ein Hauptfaktor der Angst von Schülern vor Mathematik, denn der Drill kann zwar die Rechenfähigkeiten der Schüler verbessern, sie können dadurch aber nicht leichter verstehen, wie die Formeln funktionieren oder warum ein bestimmter Rechenschritt angewandt werden sollte. Lai nennt folgendes Beispiel — wenn einheimische Kinder aufgefordert werden, die Fläche der Antarktis zu schätzen, reichen ihre Kenntnisse, um auf einer Karte einen Kreis um den Kontinent zu ziehen und die Fläche des Kreisinhalts mit der Formel „A=πr2“ zu berechnen. Dafür wissen die Kinder meist nicht, warum sie für die Flächenberechnung einen Kreis benutzen sollen oder warum die Formel mit dem Radius (r) des Kreises und nicht dem Durchmesser gerechnet wird. Ohne die Formel selbst zu verstehen, werden die Schüler leicht unsicher, ob sie sich die Formel korrekt eingeprägt oder ob sie die Formel korrekt angewandt haben, begründet Lai.

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass es in naher Zukunft weitere aufs Auswendiglernen gerichtete Lehrplanreformen geben wird, doch es werden größere Anstrengungen unternommen, etwas gegen den intensiven Notendruck der Schüler zu tun. Viele Jahre lang galt eine hohe Punktzahl bei der Oberschul-Aufnahmeprüfung als Schlüssel dafür, in eine gute Oberschule aufgenommen zu werden, von dort zu einer guten Uni zu kommen und dann einen guten Job zu ergattern. Das wird sich im kommenden Jahr mit der Umsetzung der neuen 12-jährigen Schulpflicht ändern, bei der die Bedeutung der Punktzahl in der Oberschul-Aufnahmeprüfung deutlich verringert wird. Lih und andere Pädagogen hegen die Hoffnung, dass die neue Politik den Notendruck allmählich vermindern wird, wodurch die Lehrer größere Freiheit gewännen, Zeit im Unterricht dem Vermitteln von Hintergrundwissen zu widmen, durch das die Schüler besser begreifen könnten, warum man eine bestimmte Art von Mathematik benutzen sollte.

In einem Mathematik-Denkkurs von HEF, der den Schülern helfen soll, die „Warums“ von Mathe zu ergründen, stellen Teilnehmer Fragen. (Foto: Courtesy Humanistic Education Foundation)

Ein anderes institutionelles Problem, das Angst vor Mathe hervorrufen kann, sind die Mathematiklehrbücher, die in Taiwans Grund- und Mittelschulen viel mehr Themen abdecken als die vergleichbaren Lehrbücher in zahlreichen anderen Ländern, rügt Lai. Eine größere Bandbreite von Themen hat fast unvermeidlich zur Folge, dass die jungen Schüler viel mehr Regeln auswendig lernen müssen. Das Problem dabei ist nach Lais Worten, dass die Kinder zwar augenscheinlich eine große Menge Wissen anhäufen, das Gelernte aber sehr oberflächlich ist und die Kinder kein Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, den Stoff anzuwenden, wie aus der TIMSS-Studie hervorgeht.

„Es werden fragmentarische Kenntnisse gelehrt, damit die Schüler die Prüfungen schaffen“, sagt Lih und merkt an, solch stückchenweises Lernen sei wenig hilfreich dabei, wirkliches Verstehen aufzubauen. Lih: „Es ist interessant, dass Schüler manchmal eine Frage korrekt beantworten können, ohne das Konzept dahinter zu begreifen.“

Anstatt den Schülern eine kleine Menge in vielen Themen beizubringen, hält Lai es für besser, weniger Themen abzudecken und dafür umfassende Hintergrundinformationen über jedes Thema zu bieten. In diesem Fall kommt die Reform-Initiative nicht von der Regierung, sondern von privaten Organisationen wie HEF, die vor etwa zehn Jahren ihr eigenes Mathematikprogramm startete. Die Stiftung verlegte zunächst ihre eigenen Mathematik-Lehrbücher und bot dann ab 2008 regelmäßigen Unterricht, dessen Inhalt „mathematisches Denken“ genannt wird und der eingehendes Lernen fördern soll. „Beispielsweise dringen wir tiefer in die mathematischen Themen vor, indem wir sie mit Geschichten und Bildern illustrieren und Diskussionen ermuntern“, berichtet Lai. Seit die regelmäßigen Kurse begonnen wurden, absolvieren jedes Jahr über 2000 Schüler die HEF-Mathekurse.

Die „Warums“ beim Lernen

Das Programm „mathematisches Denken“ soll außerdem das Verständnis mehren, indem Aspekte des konstruktivistischen Ansatzes beim Unterrichten von Mathematik wiederbelebt werden. „Am wichtigsten ist, den Kindern beizubringen, beim Lernen von Mathe die ,Warums‘ zu ergründen“, versichert Lai. Wenn Kinder zum Beispiel lernen, die Uhr zu lesen, lehrt man sie bei der konventionellen Methode, dass der kürzere Zeiger der Uhr die Stunde anzeigt und der längere Zeiger die Minute. Das Programm für mathematisches Denken vermittelt solche Regeln laut Lai nicht, stattdessen werden die Kinder aufgefordert, herauszufinden, warum die Uhrzeiger so angeordnet sind. Nach einigen Diskussionen und Anstößen durch den Lehrer zum passenden Zeitpunkt werde den jungen Schülern schließlich klar, dass der Minutenzeiger lang genug sein müsse, um dem Minuten-Ziffernkreis am Rand nahe genug zu kommen, damit man die Minute klar erkennen könne.

Trotz der hohen Punktzahlen, welche taiwanische Schüler bei Mathetests erreichen, konzentrieren Pädagogen sich weiterhin darauf, die Angst vor Mathematik zu vermindern, weil Können in dem Fach eng mit verbesserter Denkfähigkeit zusammenhängt. „Mit Mathe können die Menschen die Gewohnheit zum logischen Denken entwickeln und ihre Fähigkeit heranbilden, im alltäglichen Leben rationale Analysen und Beurteilungen zu machen“, wirbt Jen. Lai stimmt ihm zu und fügt hinzu: „Man mag sich fragen, was es bringt, die Quadratwurzel von Drei und die Quadratwurzel von Fünf zu lernen, dabei kommt es in erster Linie nicht auf diese Zahlen an. Stattdessen geht es um das logische Denken, das wir um Zuge des Begreifens solcher Konzepte entwickeln. Logisches Denken benötigt man nicht nur im Hightech-Gewerbe, wir alle brauchen es in jedem Teil der täglichen Routine.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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