04.05.2024

Taiwan Today

Gesellschaft

Am östlichen Horizont

01.07.2013
Spektakuläre Aussicht auf Jiqi Bay von Baqi Gazebo in der Gemeinde Fengbin, Landkreis Hualien. Die Region ist wegen ihrer landschaftlichen Schönheit für die Entwicklung von Fremdenverkehr geradezu prädestiniert. (Foto: Courtesy Hualien County Government)
Die Schönheit von Taiwans Ostküste wurde Menschen aus anderen Teilen der Welt erstmals Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bekannt, als portugiesische Seeleute, die dort vorbeisegelten, von der atemberaubenden Naturlandschaft so fasziniert waren, dass sie „Ilha Formosa“ ausriefen, zu Deutsch „schöne Insel“. Wegen Osttaiwans relativ abgeschiedener Lage, der rauen Landschaft und der langsamen industriellen Entwicklung konnten die osttaiwanischen Landkreise Hualien und Taitung über die Zeit viele ihrer natürlichen Schätze bewahren, darunter saubere Strände, ausgedehnte Schutzgebiete mit reicher Flora und Fauna, fruchtbarer Boden für Landwirtschaft und eine spektakuläre Berglandschaft. Infolgedessen betrachten erschöpfte Stadtbewohner, die der Härte und dem Stress des Lebens in engen Städten entkommen möchten, Hualien und Taitung seit langem als ideale Zuflucht.

Diejenigen allerdings, die an der Ostküste leben, machen sich andererseits mehr Sorgen um die unzureichende Entwicklung der Region, die soziale Probleme nach sich zog wie Arbeitslosigkeit und Armut. Diese Probleme sind wesentlich, denn laut Statistiken von der Generaldirektion für Budget, Rechnungswesen und Statistik (Directorate-General of Budget, Accounting and Statistics, DBGAS), einer Behörde in Ministeriumsrang, erreichte das durchschnittliche verfügbare Jahreseinkommen pro Haushalt im Landkreis Taitung im Jahr 2011 lediglich 607 872 NT$ (15 586 Euro). Diese Zahl war die niedrigste unter den im jenen Jahr untersuchten 20 Stadt- und Landkreisen des Taiwangebiets. Die Stadt Taipeh hatte im Vergleich dazu den höchsten Wert, nämlich 1 251 519 NT$ (32 090 Euro).

Die Zentralregierung und die Lokalverwaltungen bemühen sich seit langem, den Lebensstandard an der Ostküste zu verbessern, doch die Anstrengungen werden durch die schroffe Geografie der Region, hohe Empfindlichkeit der Umwelt, ein schwach entwickeltes Verkehrssystem und eine relativ kleine Bevölkerung behindert. Kuo Fei-yu, kommissarische Generaldirektorin der Abteilung für Stadt- und Wohnraumentwicklung im Rat für Wirtschaftsplanung und Entwicklung (Council for Economic Planning and Development, CEPD), weist darauf hin, dass die Zentralregierung seit 2006 jedes Jahr rund 10 Milliarden NT$ (256,4 Millionen Euro) für Osttaiwan abgezweigt hat, wobei der größte Teil des Geldes dafür benutzt wurde, die Verkehrs-Infrastruktur zu verbessern und geringverdienende Haushalte mit Zuschüssen für den Lebensunterhalt zu versorgen.

Trotz solchen Beistandes erklärt Justin Huang (黃健庭), Vorsteher des Landkreises Taitung, dass sich soziale Probleme hartnäckig halten, denn Taitung hat den höchsten Anteil von Einwohnern mit geringem Einkommen, den höchsten Anteil von Bürgern mit einer Behinderung und die niedrigste durchschnittliche Lebenserwartung. „Unsere Wirtschaft ist seit langem wegen der abgelegenen Lage des Landkreises und des unzureichenden Transportsystems, welche industrielle Entwicklung behindern und folglich zu einer Abwanderung junger Erwachsener führen, in einer schwierigen Situation“, geißelt Huang. „Trotzdem verfügen wir über mehrere typische Merkmale wie eine üppige schöne Naturlandschaft, ein reichliches Angebot von Agrar- und Fischereiprodukten sowie eine kulturelle Vielfalt durch die sieben Ureinwohner-Volksgruppen, die im Landkreis leben. Die Herausforderung beruht darin, wie man diese Ressourcen richtig nutzt, um den Fremdenverkehr zu fördern.“

Der Landkreis Hualien steht vor ähnlichen Problemen. „Es gibt ein beträchtliches Entwicklungsgefälle zwischen der Westküste und der Ostküste Taiwans“, enthüllt Fu Kun-chi (傅崑萁), Vorsteher des Landkreises Hualien. „Unser Landkreis hat mit Isolation zu kämpfen, weil ein bequemes, effizientes Verkehrsnetz fehlt. Infolgedessen hinkt Hualiens Entwicklung seit mindestens 30 Jahren hinter der von vielen Stadt- und Landkreisen im Westteil der Insel hinterher.“

Das Augenmerk der Zentralregierung für Osttaiwan gewann im Juni 2011 an Schärfe, als der Legislativ-Yuan der Republik China (立法院), also Taiwans Parlament, das Gesetz über die Entwicklung des Gebietes Hualien-Taitung verabschiedete. Gemäß dem Gesetz, das am Ende jenes Monats in Kraft trat, werden über einen Zeitraum von zehn Jahren zusätzliche 40 Milliarden NT$ (1,02 Milliarden Euro) bereitgestellt, um den Lebensstandard mit besseren Sozialfürsorgeprogrammen, Förderung industrieller Entwicklung und Schutz der Naturschätze zu steigern.

Im März vergangenen Jahres richtete der Exekutiv-Yuan (行政院), also das Regierungskabinett oder der Ministerrat der Republik China, eine besondere Arbeitsgruppe ein, um Ideen und Beiträge zu einem strategischen Entwicklungsplan für Hualien und Taitung zu bieten. Die Arbeitsgruppe besteht aus Vertretern akademischer Kreise, der Zentralregierung und der Lokalverwaltungen, der Industrie und Nichtregierungsorganisationen (Nongovernmental Organizations, NGO). Der CEPD war zuständig dafür, die Eingaben der Arbeitsgruppe zusammenzufassen und den endgültigen Plan zu entwerfen, der dann im September 2012 vorgelegt wurde, und der CEPD ist nun damit betraut, die unter dem Entwicklungsgesetz vorgesehenen Gelder zuzuweisen.

Das Geld wird durch direkte Finanzierung, Investitionen und Subventionierungspläne verteilt. Bei den ersten beiden Methoden plant der Rat die Vergabe von niedrig verzinsten Darlehen und Kreditgarantien an Mikro-Unternehmen, zudem soll in örtliche Unternehmen investiert werden. Im Hinblick auf Subventionen reichten die Lokalverwaltungen von Hualien und Taitung Ende vergangenen Jahres Vorschläge für mehrere Projekte zur Umsetzung des strategischen Entwicklungplanes ein und schickten sie an den CEPD. Der Rat arbeitet derzeit mit anderen Regierungsbehörden daran, die Projekte zu prüfen, und wird die genehmigten Projekte mit Finanzmitteln versorgen.

Durch den Taroko-Express und den Puyuma-Express werden Fahrtzeiten an der Ostküste verkürzt. Die Flotte von Puyuma-Zügen soll Anfang kommenden Jahres stark vergrößert werden. (Foto: Courtesy Hualien County Government)

Der strategische Entwicklungsplan konzentriert sich auf fünf Wirtschaftssektoren, die hohes Wachstumspotenzial an den Tag legten — die kulturellen und kreativen Gewerbe, Meeres-Biotechnologie, biologische Landwirtschaft, Freizeit und Tourismus. Laut Kuo wurden diese Bereiche ausgewählt, um die menschlichen und natürlichen Ressourcen der Ostküste auszunutzen. Damit Talente in den fünf Sektoren herangebildet werden, will der CEPD eng mit dem Landwirtschaftsrat (Council of Agriculture, COA), dem Rat für Arbeitnehmerangelegenheiten (Council of Labor Affairs, CLA) und dem Bildungsministerium zusammenarbeiten, so dass den Anwohnern der Ostküste berufliche Schulung geboten wird.

Der Plan soll sowohl unmittelbare als auch langfristige Auswirkungen haben. Nach Kuos Worten zielt die Initiative darauf ab, ein solides ökonomisches Fundament zu legen, das private Investoren dazu ermuntert, nachzuziehen, denn man wird eine Kombination aus staatlicher und privater Finanzierung brauchen, um eine andauernde Entwicklung von Osttaiwan zu gewährleisten.

Während alle Projekte, die unter dem strategischen Plan ausgeführt werden, umfassender Bewertungen ihrer ökologischen Auswirkungen unterzogen werden, ist Entwicklung ein maßgebliches Ziel, so Kuo. „Hualien und Taitung haben einen Großteil ihrer natürlichen Schönheit bewahrt, und das ist die größte Attraktion für Besucher aus dem In- und Ausland“, weiß sie. „Wir müssen ihre malerischen Landschaften weiterhin beschützen, doch es ist ebenso wichtig, Jobs für Anwohner zu schaffen, damit sie ihre Existenzgrundlage behalten, und dazu braucht man gewerbliche Entwicklung.“

Fu und Huang äußern sich ähnlich wie Kuo und geloben, ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaftsentwicklung und Umweltschutz anzustreben. Fu betont, seine Kreisverwaltung wende bei der Planung örtlicher Entwicklung sehr strenge Umweltkriterien an und unterwerfe Firmen, die im Landkreis Hualien aktiv seien, strikter Abgas- und Abwasserkontrolle. In gleicher Weise lässt sich Huang vernehmen, Taitung habe 2012 eine Selbstverwaltungs-Verordnung mit der Absicht umgesetzt, die Naturlandschaft und die bebaute Umwelt des Landkreises vor „unpassender“ Entwicklung zu schützen. „Uns ist vollkommen klar, dass die [natürliche] Umwelt unsere Hauptattraktion ist“, sagt er. „Wenn wir es nicht schaffen, das zu schützen, verlieren wir unseren Wettbewerbsvorteil. Wenn wir aber gar keine Entwicklung vornehmen, werden wir wahrscheinlich arm und rückständig bleiben, was bedeutet, dass die Begabten und Gebildeten mangels Jobs weiterhin abwandern.“

Toby Tsai, Manager des Osttaiwan-Büros von Citizen of the Earth, einer Umweltschutz-NGO, lobt den Schwerpunkt auf ökologische Nachhaltigkeit im CEPD-Plan, merkt jedoch an, dass viele Anwohner sich immer noch über die Auswirkungen des Plans Sorgen machen. Tsai rät nachdrücklich, die Ostküste sollte unter Ausnutzung dessen, was die Region bereits hat, etwa die landwirtschaftlichen Zonen, Ureinwohnerdörfer und die natürliche, gesunde Umwelt, entwickelt werden, anstatt dass man große Infrastrukturprojekte baut.

Die Bewohner der Gegend fragen sich auch, wer von der Entwicklung profitieren wird, kolportiert Tsai. „Die Entwicklungsprojekte müssen örtlichen Gemeinden und Gruppen helfen, in einer Weise zu wachsen, welche die wirtschaftlichen Möglichkeiten vor Ort ausweitet und in umfassendem Maßstab Arbeitsplätze schafft, anstatt einigen wenigen auswärtigen Wirtschaftskonzernen zu helfen, Profit zu machen“, fordert er.

Als Reaktion auf solche Besorgnisse hat sich Tsais Organisation mit über zehn örtlichen NGOs und den Vertretern von Ureinwohnerstämmen zusammengetan, um eine Allianz zu bilden, welche Entwicklungsvorschläge, die von den Landkreisverwaltungen Hualien und Taitung vorgebracht wurden, im Auge behält. Wenn nötig, präsentiert die Allianz der Zentralregierung und den Lokalverwaltungen ihre Ansichten und Alternativvorschläge. „Wir werden weiterhin eine aktive Rolle bei den Bemühungen für lokale Entwicklung spielen, indem wir Seminare organisieren und politische Lobbyarbeit betreiben, denn wir sind der Überzeugung, dass Ökologie und Wirtschaft koexistieren können“, begründet er.

Die Frage des unzulänglichen Transportwesens tritt bei praktisch jeder Diskussion über die Entwicklung von Taiwans Ostküste in den Vordergrund. An der Westküste des Landes kann man zum Beispiel die Hochgeschwindigkeitseisenbahn, mehrere Schnellstraßen und zwei Autobahnen nutzen, in Hualien und Taitung beschränken sich die bodengestützten Verkehrsmöglichkeiten auf kleinere Schnellstraßen und langsameren Eisenbahnservice. Das gebirgige Terrain und wenig flaches Land sind die größten Hindernisse für eine Verbesserung der Verkehrsverbindungen an der Ostküste, doch angesichts der relativ geringen Bevölkerung und mangelnden Industrialisierung der Region stellt sich auch die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, wenn über große Infrastrukturprojekte nachgedacht wird.

Justin Huang (Mitte hinten im blauen T-Shirt), Vorsteher des Landkreises Taitung, mit Schaustellern aus Neuseeland und den Salomoneninseln beim Austronesischen Kultur- und Kunstfestival, das im vergangenen Jahr in seinem Landkreis stattfand. (Foto: Courtesy Taitung County Government)

In den jüngsten Jahren waren indes bei der Verbesserung der Verkehrssituation in Osttaiwan einige Fortschritte zu verzeichnen, 2011 zum Beispiel startete das Verkehrsministerium ein Projekt zur Verbesserung der 118 Kilometer langen Suhua-Schnellstraße zwischen der Gemeinde Suao im nordosttaiwanischen Landkreis Yilan und der Stadt Hualien. Wegen Erdbeben und starken Taifunen an der Ostküste sind die Abschnitte der Schnellstraße an steilen Hängen anfällig für Erdrutsche und Bodenabsenkungen. Das neue Projekt konzentriert sich deswegen auf den Bau von Brücken und Tunnels, die den Verkehr von solchen Gefahrenzonen fortlenken. Das Projekt soll 2017 abgeschlossen sein, und man erwartet, dass es die Sicherheit für die Fahrer erhöht und die Fahrtzeit zwischen Suao und Hualien von zweieinhalb Stunden auf eineinhalb Stunden verringert.

Außerdem wurden mehrere Projekte in Angriff genommen, um Abschnitte der vorhandenen Eisenbahnstrecken zu modernisieren und Pendlerlinien einzurichten, die Stadtgebiete und außerhalb gelegene Zonen miteinander verbinden. Der Bau und die Elektrifizierung von 155 Kilometern zweigleisiger Eisenbahn zwischen Hualien und Taitung begann 2008 und soll Ende dieses Jahres vollendet sein. Ein weiteres Projekt zur Elektrifizierung der Strecke zwischen Taitung und der Gemeinde Chaozhou (Landkreis Pingtung) an Taiwans Südspitze soll 2014 in Gang kommen. Man rechnet damit, dass die modernisierte Strecke 2017 in Betrieb genommen wird und Taitungs Fremdenverkehrsgewerbe weiteren Schub geben wird, kalkuliert Huang.

Schnellere Züge

Gleichzeitig nahm die Eisenbahnverwaltung Taiwan (Taiwan Railway Administration, TRA) im Februar dieses Jahres einen neuen Express-Service zur Ostküste auf. Die Züge wurden in Japan gebaut und neigen sich in den Kurven, wodurch sie schneller fahren können, wenn auch lange nicht so schnell wie die Hochgeschwindigkeitszüge an der Westküste. Nach einer öffentlichen Abstimmung taufte man die neuen Züge „Puyuma“ nach einer Ureinwohner-Volksgruppe, die an der Ostküste lebt. Heute sind 16 Puyuma-Waggons auf der Route zwischen Taipeh und Hualien unterwegs, im Laufe dieses Jahres sollen weitere 120 Waggons ausgeliefert werden. Die Puyuma-Züge erweitern den Service des Taroko-Express, der seit 2007 fährt und ebenfalls mit Neige-Waggons japanischer Bauart ausgestattet ist. Während konventionelle Passagierzüge von Taipeh nach Hualien über drei Stunden brauchen, können die Neigezüge fast eine Stunde einsparen. Nach Taitung weiterreisende Passagiere dürfen sich auf kürzere Fahrtzeiten freuen, wenn Anfang 2014 der Puyuma-Service zu jener Stadt ausgedehnt wird. Man erwartet, dass die Eisenbahnkapazität von Taipeh nach Hualien um 23 Prozent zunehmen wird, zwischen Hualien und Taitung gar um 100 Prozent, sobald alle Puyuma-Züge in Betrieb sind.

Hualien und Taitung beteiligen sich nicht nur an Programmen, hinter denen die Zentralregierung steht, sondern haben auch eigene Initiativen in Gang gebracht, um örtliche Probleme anzupacken. Im Laufe der jüngsten drei Jahre hat Fu sich darauf konzentriert, Hualiens Bildung und Gesundheitsfürsorge zu verbessern. Zu den in jenem Zeitraum umgesetzten Bildungsmaßnahmen gehören die Abschaffung von Schulgeld und sonstigen Gebühren für Grund- und Mittelschüler sowie kostenlose Schul-Mittagessen. Im Bereich Gesundheitsfürsorge startete der Landkreis Programme zur Tuberkulose-Verhütung und Kontrolle, und Bürger über 55 Jahre können sich nun gebührenfreien Gesundheits-Checks unterziehen.

Bei Wirtschaftsentwicklung in Hualien genießt die Förderung von biologischer Landwirtschaft, Tiefsee-Meeresprodukten und Fremdenverkehr Priorität. Diese Branchen hatte man ausgewählt, um das vergleichsweise unberührte Land und Wasser des Landkreises zu nutzen, und zu den Touristenattraktionen gehören eine wunderschöne Küstenlinie, heiße Mineralquellen, Ureinwohnerkultur, Berggebiete, Musik- und Tanzfeste sowie der Taroko-Nationalpark, der mit seiner spektakulären Schlucht-Landschaft auf der ganzen Welt berühmt geworden ist.

Die Kreisverwaltung begann 2011 damit, die Entwicklung eines neuen Nebenzweiges des Fremdenverkehrsgewerbes zu erleichtern, als Fus Verwaltungsteam dabei half, örtliche Reiseveranstalter und medizinische Institutionen zusammenzubringen, um den Verband für internationalen Medizin-Tourismus Hualien zu gründen. Der Verband dient als Allround-Anlaufstelle, die Informationen über medizinische Dienstleistungen der Gegend bietet und Anträge interessierter Besucher bearbeitet. „Wir kümmern uns vor allem um ästhetische Medizin, Gesundheitsprüfung, Reha und Wellness-Pflege“, zählt Fu auf. „Wir sind zuversichtlich, dass die hochwertigen medizinischen Dienstleistungen des Landkreises und das angenehme Umfeld zur Entwicklung eines starken Medizintourismus-Gewerbes führen werden.“ 2011 und 2012 versorgte Hualien gut 18 000 Medizintouristen und erwartet, dass die Zahl in Zukunft steigen wird, da mehr Besucher vom chinesischen Festland nach Taiwan reisen.

Nach Huangs Worten stellen die Wirtschaftsentwicklungsbemühungen der Kreisverwaltung Taitung bis dato die Förderung des Freizeittourismus in den Mittelpunkt, wobei Veranstaltungen für Radfahrer, Taucher, Läufer, Surfer und Heißluftballonfahrer genutzt werden können. Die Internationale Ballon-Fiesta Taiwan im Sommer 2012 zum Beispiel lockte gut 880 000 Touristen an und schuf einen ökonomischen Wert von 1,3 Milliarden NT$ (33 Millionen Euro).

Kooperative Bemühungen

Auf lange Sicht sind die meisten Experten der Ansicht, dass mehr wirtschaftliche Entwicklung der einzige Weg sei, den Lebensstandard in Osttaiwan zu verbessern. Wang Hong-jin ist ein Professor an der Abteilung für Staatsverwaltung der National Dong Hwa University in Hualien und Mitglied der Arbeitsgruppe, die Ideen für den strategischen Entwicklungsplan beisteuern soll. Nach Wangs Ansicht ist das größte Problem der Gegend der Mangel an Arbeitsplätzen, denn in Hualien und Taitung sind nur vergleichsweise wenige kleine und mittlere Unternehmen aktiv. Der beste Weg zur Entwicklung der örtlichen Wirtschaft sei, Wirtschafts- und Gemeindeorganisationen zu fördern, welche Leuten, die kooperativ arbeiten, gehören und von ihnen gemanagt werden, um gegenseitige Vorteile zu erzeugen, rät Wang und fügt hinzu, es könnten unterschiedliche Typen kooperativer Unternehmen gegründet werden, welche die landwirtschaftlichen Ressourcen, vielfältige Kultur, ländliche Szenerie und traditionelles Kunsthandwerk im Osten Taiwans ausnutzen. Im Bereich der Landwirtschaft zum Beispiel, dem Rückgrat der regionalen Wirtschaft, regt Wang an, den Schwerpunkt auf Kooperative auszuweiten, die landwirtschaftliche Produkte verarbeiten und gewerblichen Landwirtschafts-Tourismus betreiben. Eine solche Ausdehnung würde die Produktivität des landwirtschaftlichen Sektors wesentlich erhöhen, Einkommen steigern und Jobs für Landbewohner schaffen, so Wang.

Ein Naturgebiet in Privatbesitz in der Gemeinde Shoufeng, Landkreis Hualien. (Foto: Courtesy Hualien County Government)

Wangs Vorschlag für die Einrichtung und Entwicklung kooperativer Firmen und Netzwerke wurde unlängst vom CEPD gebilligt und erhielt ein erstes Darlehen. Das Team des Professors wird Einzelpersonen und Gruppen, die solche Unternehmen gründen, Schulung, Ausbildung und technischen Beistand zukommen lassen. „Arbeits-Kooperativen sind ein wirkungsvolles Unterstützungsmodell für Geschäftsgründung, das nachhaltige Jobs erzeugen und aufrechterhalten kann“, wirbt er. „Unser Ziel ist, die Anwohner der Region in die Lage zu versetzen, ihre eigenen Firmen zu gründen und zu verwalten und die Gewinne gleichberechtigt zu teilen. Auf diese Weise können sie der Armut entkommen und lebendige ländliche Gemeinden aufbauen.“

Probleme infolge des langsamen Entwicklungstempos an der Ostküste sind in den historisch benachteiligten Ureinwohnergemeinden der Gegend besonders akut. Etwa 35 Prozent von Taitungs Bevölkerung bestehen aus Ureinwohnern, der höchste Anteil aller taiwanischen Landkreise, an zweiter Stelle rangiert Hualien mit 27 Prozent.

Wie bei vielen Kindern von Ureinwohnerfamilien in Taitung war ein Teil von Lin Xiu-huis Kindheit dadurch geprägt, dass die Familie häufig von einer nordtaiwanischen Stadt in die nächste zog, weil der Arbeitsplätzemangel an der Ostküste ihren dem Paiwan-Stamm angehörenden Vater dazu zwang, in anderen Teilen des Landes nach Arbeit zu suchen. Lins Vater hatte, als er älter wurde, mit Schwierigkeiten zu kämpfen wie sporadische Beschäftigung, niedrige Bezahlung und Alkoholismus, und er starb, als sie 20 Jahre alt war. „Der Tod meines Vaters brachte mich dazu, darüber nachzudenken, was ich tun wolle, und über meine ethnische Identität — wer ich bin und wo ich herkomme“, rekapituliert Lin. „Als ich noch zur Schule ging, versuchte ich meine Ethnizität zu verbergen, weil ich Diskriminierung gegen Ureinwohner erlebte. Doch als mein Vater starb, fühlte ich den Drang, mehr über meine eigene Kultur zu lernen und etwas für meine Stammesangehörigen zu tun.“

Lin, heute 42 Jahre alt und Produktdesignerin, kehrte als 28-Jährige nach Taitung zurück und studierte Kultur, Geschichte und Traditionen der Paiwan, daneben engagierte sie sich in Projekten zur Stärkung von Gemeinden. 2004 gründete sie einen Workshop, in dem örtliche Frauen die Fertigkeiten lernen können, die man für die Herstellung traditioneller kunsthandwerklicher Gegenstände wie Glasperlenschmuck und Stickereien braucht.

„Etwa 14 Jahre sind vergangen, seit ich nach Taitung zurückkehrte, und ich habe bei den Lebensbedingungen vor Ort Verbesserungen beobachtet“, meldet Lin. „Arbeitsplätze sind aber immer noch knapp. Ich hege die Hoffnung, dass die Regierung mehr Ressourcen bereitstellen kann, um uns zu helfen, Geschäfte auf der Grundlage unserer kulturellen Merkmale zu entwickeln, damit die Menschen hier Beschäftigung finden und ein stabiles Leben führen können.“

Kulturelle Schätze

Lee Ji-shun, der gegenwärtig das Gästehaus „Über die Regenbogenbrücke“ im Landkreis Hualien betreibt, ist Angehöriger des Truku-Stammes. Nach den Worten des pensionierten Oberschulrektors stellt Hualiens große Ureinwohnerpopulation, die sich überwiegend aus Mitgliedern der Gruppen Amis, Bunun, Kavalan, Sakizaya und Truku zusammensetzt, eines des typischsten Merkmale von Hualien dar. „Die Regierung sollte größere Anstrengungen unternehmen, die Ureinwohnerkulturen in Hualien und Taitung zu bewahren und zu fördern“, empfiehlt Lee. „Diese kulturellen Schätze können einzigartige Verkaufsartikel werden, nicht nur für die Region, sondern für das ganze Land. Mit der Förderung der Ureinwohnerkultur könnte man enormen wirtschaftlichen Nutzen schaffen, einschließlich Arbeitsplätze.“

Ein gangbarer Weg zur Stärkung der Ureinwohnerkultur wäre die Einrichtung von Schulen, welche dem Ureinwohnernachwuchs im Unterricht wichtige traditionelle Sitten, Gebräuche und Fertigkeiten vermitteln, regt Lee an. Solche Schulen könnten wiederum den kulturellen Hintergrund in einen wirtschaftlichen Vorteil verwandeln, indem berufsorientierte Kurse wie über Gastronomie und Fremdenverkehr, Informations- und Kommunikationstechnologie, Marketing und darstellende Kunst angeboten würden. „Das reguläre Bildungssystem kann ein optimales Lernumfeld für junge Ureinwohner aufbauen, so dass sie die Kenntnisse und Fertigkeiten erlangen, die sie brauchen, um ihre Kultur zu fördern und einen Lebensunterhalt zu verdienen“, meint Lee. „Ich glaube, dass diese begabten Jugendlichen eine starke Kraft werden könnten, welche langfristig die lokale Gemeindeentwicklung vorantreibt.“ Lee schätzt sich glücklich, zu den vergleichsweise wenigen Angehörigen seines Stammes zu zählen, welche lohnende Arbeit in der etablierten Wirtschaft fanden, und er würde sich freuen, wenn auch andere die gleiche Gelegenheit erhielten. „Es ist toll, dass die Regierung der Entwicklung von Osttaiwan größere Aufmerksamkeit schenkt, indem sie mehr finanzielle und technische Unterstützung bereitstellt“, lobt er. „Nun, wo diese Beistandsprojekte laufen, bin ich zuversichtlich, dass mehr Stammesangehörige aus der Gegend in Hualien werden bleiben können, eine Stelle finden und ein gutes Leben führen.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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