05.05.2024

Taiwan Today

Gesellschaft

Gefiederte Freunde im Blick

01.09.2013
Schwarzgesichtige Löffelreiher (Platalea minor) in einem Schutzgebiet im südtaiwanischen Tainan. Taiwans Arbeit zum Schutz dieser Vogelart wurde im Juni dieses Jahres mit einem bedeutenden Preis von der in Großbritannien ansässigen Organisation Birdlife International gewürdigt. (Archivfoto)
Taiwans Vogelbeobachter haben es offenbar gut, denn zu unterschiedlichen Jahreszeiten kann man an diversen Orten im Gebirge und im Flachland, an Flüssen und am Meer verschiedene Arten gefiederter Besucher beobachten. Tatsächlich sichten einheimische Vogelbeobachter nicht nur gewöhnliche Arten wie Sperlinge, Weißaugen und Bülbüls, sondern auch seltenere Vögel. Im Mai dieses Jahres zum Beispiel eilten zahlreiche Vogelbeobachter zum Daan-Park in Taipeh und richteten ihre Kameras auf Fünffarbenvögel (Megalaima nuchalis), die Löcher in Baumstämme gegraben und dort ihre Nester gebaut hatten. Fünffarbenvögel, die ihren Namen ihrem farbenprächtigen Federkleid verdanken, sind nirgendwo sonst auf der Welt zu sehen.

Andere Vogel-Sensationen sind von erheblich größerer Dimension. Laut einer Studie über das Wanderungsverhalten von Raubvögeln, welche der Nationalpark Kenting von Anfang März bis Anfang Mai dieses Jahres durchführte, zogen 41 725 Froschsperber (Accipiter soloensis) — eine Rekordzahl — auf dem Weg nach Norden für den Sommer durch den Park an Taiwans Südspitze. Am Himmel über Kenting herrschte zur Zeit der Studie ein recht großes Gedränge, denn auch 17 499 Graugesicht-Bussarde waren im Rahmen ihrer Migration nach Norden unterwegs, außerdem noch weitere 11 andere Raubvogelarten.

Taiwans große Biovielfalt kann man an der Tatsache ablesen, dass es dort eine der höchsten Dichten von Vogelarten dieses Planeten gibt. Von den etwa 10 000 Vogelarten weltweit sind Gebiete unter der Verwaltung der Republik China Heimstatt oder Migration-Zwischenstation für 608 Arten, teilt das Vogelverzeichnungskomitee des Chinesischen Wildvogelverbandes (Chinese Wild Bird Federation, CWBF) mit. CWBF ist eine Nichtregierungsorganisation (Nongovernmental Organization, NGO), die in Taiwan auch unter dem Namen „Birdlife“ bekannt ist. Im März dieses Jahres veröffentlichte CWBF einen Entwurf für seine jährliche Taiwan-Vogelliste Checklist of the Birds of Taiwan. Der Verband, der 1988 gegründet wurde und dessen Zentrale sich in Taipeh befindet, besteht aus 20 Vogelbeobachtungs-Gruppen von der ganzen Insel und ist seit 1994 Mitglied der in Großbritannien ansässigen Organisation Birdlife International. „Weil Vogelbeobachtung in Taiwan das ganze Jahr über möglich ist, bietet sie den Menschen eine großartige Ermutigung, mehr auf die natürliche Umgebung zu achten“, betont CWBF-Präsident Kent Lin und fügt hinzu, die Hauptaufgaben seiner Gruppe umfassen das Durchführen von Forschung und Studien sowie Werben für Umweltschutz und Vogelbeobachtungsaktivitäten in der allgemeinen Öffentlichkeit.

„Das Vorkommen von Vögeln an einem Ort und die dortigen Vogelarten betrachtet man gewöhnlich als wesentliche Umwelt-Indikatoren“, doziert Lin. Wie in der Kenting-Studie ablesbar, herrscht in Taiwan an Vögeln sicherlich kein Mangel. Die CWBF-Liste erkennt 24 dieser Arten und 59 Unterarten als endemisch an. „Solch einmalige Arten sind das Ergebnis vom Verlauf der Evolution in einem abgeschlossenen, isolierten Land [wie der Insel Taiwan]“, erläutert David Ho, geschäftsführender Direktor der Wildvogelgesellschaft Taipeh (Wild Bird Society of Taipei, WBST). Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass aufgrund jüngster Fortschritte bei der Anwendung von Molekularbiologie für Vogel-Klassifizierung viele von Taiwans endemischen Unterarten in Zukunft als endemische Arten anerkannt werden, spekuliert Ho.

Vogelbeobachter besuchen das Qigu-Feuchtgebiet, ein wichtiger Überwinterungsort für den Schwarzgesichtigen Löffelreiher. (Archivfoto)

Hos Gruppe ist Mitglied im CWBF und organisiert seit 1999 jedes Jahr die Internationale Vogelbeobachtungsmesse Taipeh am 1996 eingerichteten Naturpark Guandu, einem 57 Hektar großen Feuchtgebiet am Zusammenfluss der Flüsse Keelung und Tamsui im Nordteil der Stadt. Wegen der Nähe zum Meer ist Guandu für Zugvögel während ihrer Reise durch Ostasien ein idealer Ruheplatz. Enten, Gänse und Reiher zählen zu den Vögeln, die häufig in Guandu zu sehen sind. Im Oktober dieses Jahres wird im Park eine bedeutende Veranstaltung stattfinden, bei der die 15. Vogelbeobachtungsmesse Taipeh mit der vierten jährlichen Asien-Vogelmesse zusammengelegt wird. Die Asien-Vogelmesse wurde erstmals 2010 auf den Philippinen ausgerichtet, fand 2011 in der südtaiwanischen Stadt Tainan statt und wurde im Jahr darauf in Thailand organisiert. „Es ist ein Unterfangen der Kategorie ,Vogel-Diplomatie‘ und ein gutes Beispiel für Taiwans Innovationsfähigkeit“, kommentiert Ho die Rückkehr der Asien-Vogelmesse und ihre Verknüpfung mit der einheimischen Veranstaltung.

Die unberührten Gebiete im Süden Taiwans üben bekanntermaßen eine große Anziehungskraft auf Vögel aus — und auf die enthusiastischen Menschen, die hinter ihnen herjagen. Das Qigu-Feuchtgebiet im Taijiang-Nationalpark (Stadt Tainan) zum Beispiel enthält das Schutzgebiet für den Schwarzgesichtigen Löffelreiher (Platalea minor), ein Fleckchen Erde zum Überwintern für etwa 60 Prozent der globalen Population der bedrohten Vogelart. In den letzten zwanzig Jahren trugen die vereinten Bemühungen des privaten und staatlichen Sektors in Taiwan dazu bei, die Population Schwarzgesichtiger Löffelreiher von unter 300 Exemplaren auf heute über 3000 zu steigern. Birdlife International würdigte die Arbeit des Taijiang-Nationalparks, des Forstamtes und der Stadtverwaltung Tainan zum Schutz der Vogelart im Juni dieses Jahres auf dem alle fünf Jahre stattfindenden Weltkongress der Organisation im kanadischen Ottawa mit einem Birdlife Conservation Achievement Award. Taiwans Engagement zur Rettung des Schwarzgesichtigen Löffelreihers war unter mehreren Vogelschutz-Initiativen in der ganzen Welt für diese prestigeträchtige Ehrung auserkoren worden.

Die Gründung des Taijiang-Nationalparks im Jahr 2009 und der zusätzliche Schutz, den man dort dem Qigu-Feuchtgebiet angedeihen lässt, belegen gemeinsam mit der Pflege anderer Naturreservate und Schutzgebiete, die in Taiwan eingerichtet wurden, das langfristige Engagement des Landes für Schutz von Vögeln und anderen wildlebenden Tierarten. Tatsächlich machen solche Gebiete annähernd 20 Prozent der Landfläche im Taiwangebiet aus. Schon in der Vergangenheit gab es Maßnahmen wie die Verkündung des Wildtier-Schutzgesetzes im Jahr 1989 und das 1991 verfügte Verbot für Holzfällen in geschützten Naturwäldern (in Baumschulen und Plantagen ist das Holzfällen weiterhin gestattet). Im Juni dieses Jahres verabschiedete der Legislativ-Yuan (立法院), also Taiwans Parlament, das Feuchtgebiet-Gesetz, in dem die Nutzung und Entwicklung anerkannter Feuchtgebiete geregelt wird.

„Taiwans Umweltgesetze und die Verschiebung des Augenmerks des Forstamtes von Holzgewinnung auf Umweltschutz haben das Interesse für Ökotourismus gesteigert“, freut sich Simon Liao, ehemaliger CWBF-Präsident. Anfang der neunziger Jahre war Liao bei der Gründung der Wildvogel-Gesellschaft Changhua in seiner zentraltaiwanischen Heimatstadt beteiligt. Damals begann er überdies damit, Vogelbeobachtungs-Aktivitäten an Changhuas Bagua-Berg für Schüler von der Grundschule bis zur Oberschule zu fördern. Die Graugesicht-Bussarde locken im März zahlreiche Zuschauer an, wenn sie von Kenting aus nordwärts ziehen, und Adlerbeobachtung ist mittlerweile jedes Jahr eine große Touristenattraktion im Landschaftsgebiet Tri-Mountain National Scenic Area, das den Bagua-Berg und die benachbarte Gegend umgibt.

Der Swinhoe-Blaufasan (Lophura swinhoii) kommt ausschließlich in Taiwan vor. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Wang Fu-yong)

Abgesehen von der Vielfalt von Vögeln fühlen sich Ökotouristen laut Liao durch andere Faktoren in Taiwan angezogen, etwa das bequeme öffentliche Verkehrsnetz und die Freundlichkeit der Einheimischen gegenüber ausländischen Besuchern. Diese Faktoren machten auch Eindruck auf Shaun Roebuck aus England, der 2010 an einer von Liao organisierten zweiwöchigen Vogelbeobachtungstour teilnahm. Roebuck besuchte unter anderem das Nationale Walderholungsgebiet Dasyueshan auf dem Gebiet der zentraltaiwanischen Stadt Taichung sowie eine nahe gelegene Zone, die man für den Schutz der farbenprächtigen Nymphenpitta (Pitta nympha) eingerichtet hatte. „Nachdem ich drei Wochen lang erfolglos auf Borneo nach dieser Art gesucht hatte, war es wirklich erstaunlich, hier zwei Vögel in zwei Stunden zu sehen“, schrieb Roebuck in einem Dankesbrief nach seiner Rückkehr nach England. „Taiwan ist ein wunderschönes Land mit gut erhaltenen Gebieten voller natürlicher Schönheit, wo eine Tierwelt lebt, wie man sie sonst nirgendwo auf diesem Planeten findet.“

Dank des 50 Kilometer langen Bergpfades, der durch Wälder von niedrigen und mittleren Höhenlagen bis ins Hochgebirge emporsteigt, lockt der Dasyueshan (zu Deutsch wörtlich „großer Schneeberg“) seit langem Vogelbeobachter aus dem In- und Ausland an. „Von Taiwans 24 endemischen Arten kann man 22 am Dasyueshan antreffen“, versichert Lin. „Die einzigen Ausnahmen sind die Formosa-Blauelster (Urocissa caerulea) und der Taiwan-Bülbül (Pycnonotus taivanus).“ Größere endemische Arten wie der Mikado-Fasan (Syrmaticus mikado) und der Swinhoe-Blaufasan (Lophura swinhoii) zählen zu den Arten, deren Anblick unter den Vogelbeobachtern am Dasyueshan am begehrtesten ist.

Umweltschutz-Kategorien

Das Wildtier-Schutzgesetz der Republik China führt drei Kategorien von Arten auf, die eines besonderen Schutzes bedürfen. 10 endemische Vogelarten oder Unterarten sind in der Kategorie „schutzbedürftig“ aufgeführt, der niedrigsten Stufe, 22 sind als „selten“ in der mittleren Stufe registriert, und nur die Gras-Schleiereule (Tyto longimembris pithecops), eine endemische Unterart, fällt in die höchste Schutzklasse „bedroht“. Gleichzeitig gelten Dutzende nicht-endemischer Arten als bedroht, selten oder schutzbedürftig, darunter Zugvögel wie Adler, die man jedes Jahr im Frühling und Herbst beim Überfliegen von Taiwan beobachten kann.

Im April dieses Jahres fand im Gebiet des Dasyueshan das dritte jährliche Internationale Vogelrennen statt, gemeinsam veranstaltet von CWBF und dem Dongshih-Waldbezirksbüro des Forstamtes im Osten der Stadt Taichung. Das Rennen lockte über 100 Teilnehmer aus dem In- und Ausland an, darunter Vogelfreunde aus Festlandchina, Frankreich und den Philippinen zwischen 8 und über 60 Jahre. Die Vogelbeobachter bildeten 33 Gruppen und wetteiferten darum, die höchste Zahl von Vogelarten in 24 Stunden zu verzeichnen. Beobachtungen konnten visuell und akustisch (durch die Vogel-Laute) vorgenommen werden. Es mag wohl kaum überraschen, dass eine Gruppe von WBST durch 99 Beobachtungen den Sieg davontrug, alle Gruppen zusammen notierten insgesamt 158 Beobachtungen, darunter von 21 endemischen Arten.

Ausländische Vogelfreunde unter der Führung von Simon Liao (Zweiter von links) am Dasyueshan. Die Aufschrift auf dem Straßenschild lautet: „Achtung Vögel, langsam gehen“ (Foto: Courtesy Simon Liao)

Neil Bowman, ein bekannter britischer Vogel-Fotograf, der für Zeitschriften wie National Geographic Magazine in den USA arbeitet, war bei der diesjährigen Veranstaltung am Dasyueshan als Beobachter während einer Taiwan-Pressereise dabei. Zwar war das Wetter trübe, doch Bowman war vom Enthusiasmus der Teilnehmer beeindruckt. „Ich fuhr die Bergstraße hin und her, beobachtete Vögel und machte Fotos, wo es eben ging“, schrieb er in einer Email-Antwort. „Auf meinen Wanderungen im Park begegnete ich vielen der Vogelbeobachter, die sich an dem Wettbewerb beteiligten — irgendwie lächelten sie alle und hatten Spaß, und alle wollten mir unbedingt die Vögel zeigen, die sie gefunden hatten.“ Dem Fotografen fiel überdies auf, dass viele Teilnehmer am Dasyueshan-Wettbewerb jünger waren als die Vogelfreunde, die man normalerweise bei ähnlichen Veranstaltungen in Großbritannien antrifft. „In Großbritannien wäre die Mehrzahl mittleren Alters oder älter, hier findet man dagegen ein viel größeres Spektrum von Altersgruppen“, schrieb er. „Das war so ermutigend zu sehen, dass so viele junge Leute und sogar Familien mitmachten. Schließlich hängt die Zukunft des Umweltschutzes von ihrer Generation ab.“

Laut Lin hat sich das Interesse für Vogelbeobachtung im Inland im Laufe der jüngsten Jahrzehnte entwickelt, gleichzeitig mit der Liberalisierung von Taiwans Gesellschaft und dem Aufkommen von Umweltbewusstsein. „Vor der Aufhebung des Kriegsrechts [im Juli 1987] war die Verwendung von Ferngläsern und Spektiven eingeschränkt“, enthüllt er. „Seit solche Geräte frei verfügbar sind und digitale Kameras eingeführt wurden, sind Vogelbeobachtung und Vogel-Fotografie viel beliebter geworden.“

Mit dem wachsenden Interesse für Vogelbeobachtung verbesserten sich auch die illustrierten Handbücher, welche Vogelbeobachter für die Identifizierung von Arten benutzen, fährt Ho fort und verweist auf die Zunahme handgemachter Zeichnungen bestimmter Arten. „Es gibt so viele Vogelarten in Taiwan, dass es schwierig ist, sie alle in ihren jugendlichen und erwachsenen Entwicklungsphasen zu fotografieren“, konzediert Ho und merkt an, die WBST habe eine Initiative gestartet, mehr auf ökologische Motive spezialisierte einheimische Maler dazu zu ermuntern, Vogel-Gemälde zu schaffen, und zu diesem Zweck werden ihre Arbeiten veröffentlicht.

Hilfe von NGOs

Taiwans Vögel und die Vogelbeobachter sind dank der Bemühungen von CWBF und der Mitgliedsorganisationen offenbar in guten Händen. Zusätzlich zum Sammeln und Analysieren von Daten zu Vogel-Populationen und Veröffentlichung der Ergebnisse arbeiten solche Gruppen mit Akademikern und Regierungsbehörden zusammen, um Lebensräume von Vögeln zu bewahren und umfassende Pläne für Ökosystemverwaltung aufzustellen. WBST zum Beispiel spielte eine zentrale Rolle bei der Gründung des Guandu-Naturparks und verwaltet das Reservat seit 2001, Taiwans erste NGO, die für eines der Schutzgebiete des Landes verantwortlich ist. CWBF wiederum begann im vergangenen Jahr damit, beim Betrieb des Mangroven-Ökozentrums am Tamsui-Fluss in New Taipei City mitzuwirken, wo sich Taiwans größter Standort von Mangroven-Bäumen mit einem wichtigen Lebensraum für Wasservögel befindet. Schließlich gibt es das Beispiel der Wildvogelgesellschaft Kaohsiung, einer CWBF-Mitgliedsorganisation in der südtaiwanischen Hafenmetropole. Nach den Worten von Lin Kun-hai, dem Generalsekretär der Gesellschaft, bemüht die Gruppierung sich darum, mehr Menschen mit den Freuden der Vogelbeobachtung bekannt zu machen, indem man die Praxis im heimischen Garten, in örtlichen Parks und Schulen fördert. „Zu sehen, dass die Menschen harmonisch mit Vögeln und der Naturwelt leben, ist der lohnendste Teil unserer Arbeit“, versichert er.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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