03.05.2024

Taiwan Today

Gesellschaft

Blick von Taiwan nach Lambaréné

01.01.2014
Dr. Chiang Ming-zer, Chefarzt für Neurochirurgie und Professor am Taichung Veterans General Hospital, leitete 2011 Taiwans medizinische Mission in São Tomé & Príncipe. (Foto: Courtesy Dr. Chiang Ming-zer)
In den sechziger und siebziger Jahren brachte die taiwanische Zeitschrift New Trend Library zahlreiche Werke über Albert Schweitzer heraus. Damals ging ich in Hualien, einem osttaiwanischen Städtchen am Rande des Pazifiks, zur Oberschule. In dieser Zeit des jugendlichen Idealismus machten Schweitzers Appell zum Respekt vor dem Leben und sein ärztliches Wirken in Afrika einen tiefen Eindruck auf mich.

Im Juni 2010 reiste Huang Jong-tsun (黃榮村), der Rektor der China Medical University im zentraltaiwanischen Taichung, mit einer Gruppe in die afrikanische Republik Gabun und besuchte das Albert Schweitzer Hospital in Lambaréné. Nach seiner Rückkehr nach Taiwan veröffentlichte Huang in einer medizinischen Zeitschrift einen Artikel mit dem Titel „Mein persönliches Lambaréné“. Zum ersten Mal sah ich Farbfotos von dem Hospital in Lambaréné, von Schweitzers Familiengrab und dem Ogooué-Fluss, was in meiner Vorstellung Erinnerungen erweckte an alte Geschichten von Afrika, und es rief auch wieder meinen Traum aus der Schülerzeit in Hualien ins Gedächtnis. Im Februar 2011 wurde ich Leiter von Taiwans medizinischer Mission in São Tomé & Príncipe, der Inselrepublik ca. 235 Kilometer vor Gabuns Küste, und so begab es sich, dass ich nach Westafrika fahren konnte, um die Erinnerungen an diesen historischen Abschnitt zu untersuchen.

Schweitzer in Afrika

Am 15. April 1913 war der 38-jährige frisch verheiratete Arzt Albert Schweitzer mit seiner Frau Helene Bresslau (1879-1957) in Lambaréné angekommen, um dort als Arzt zu wirken. Er richtete eine schlichte Krankenanstalt ein und begann mit der Behandlung von Patienten. Nach seinem Tod im Jahre 1965 wurde Albert Schweitzer in Lambaréné bestattet, davor hatte er insgesamt 14 Mal Westafrika besucht.

Der Nachwelt hinterließ Schweitzer seine Philosophie und seine theoretischen Gedanken. Zentral dabei waren der Respekt vor dem Leben und sein Aufruf, bei aktivem medizinischen Wirken den Sinn des Lebens zu entdecken, außerdem ging es ihm darum, im Rahmen der evangelischen Lehre als Arzt und Missionar tätig zu sein, um zur Bildung der Afrikaner beizutragen und es ihnen zu ermöglichen, Menschen mit christlicher Nächstenliebe zu werden. Er betonte, im Herzen jedes Menschen könne es ein eigenes Lambaréné geben. Wenn man Schweitzers Aufruf folgt, kann man entschlossen das zivilisierte Leben aufgeben und in ein harsches Umfeld eintauchen, um die Bedingungen dort zu verbessern und den afrikanischen Ärzten zu helfen. Im Jahr 1953 erhielt Schweitzer den Friedensnobelpreis für das Jahr 1952, und in seiner Ansprache bei der Nobelpreiszeremonie im Jahr darauf mahnte er die Menschheit zu Frieden sowie zur Abschaffung von Krieg und Atomwaffen.

Dr. Chiang Ming-zer mit Teilnehmern der von der China Medical University veranstalteten pädagogischen Reise „Auf den Weg von Albert Schweitzer zurückkehren“ in São Tomé & Príncipe. (Foto: Courtesy Dr. Chiang Ming-zer)

Auf den Spuren des Humanisten

Nachdem ich im Februar 2011 mit der Leitung von Taiwans medizinischer Mission in São Tomé & Príncipe betraut worden war, besuchte ich vor der Abreise nach Afrika Rektor Huang von der China Medical University und versprach ihm, dabei zu helfen, die nach historischen Gesichtspunkten gewählte Reiseroute für seinen zweiten Besuch festzulegen. Bald darauf traf ich in Afrika ein, und häufig blickte ich von São Tomé aufs Meer hinaus in Richtung Gabun auf dem afrikanischen Festland. Dort befand sich das Hospital, das Albert Schweitzer gegründet und aufgebaut hatte.

Im September 2011 half ich dabei, den Afrika-Geschichtsunterricht für taiwanische Schülergruppen, die zu Besuch kamen, zu arrangieren. Chen Chung (陳忠), der damalige Botschafter der Republik China in São Tomé & Príncipe, empfing Lehrkräfte und Studierende von der China Medical University, und für die dreitägige Kurzreise mit der Bezeichnung „Auf den Weg von Albert Schweitzer zurückkehren“ wurden zwei abendliche Kurse arrangiert. Am ersten Abend wurden die Beiträge der großen Entdeckungen bei maritimer Geographie durch Portugal besprochen, am zweiten Abend wurde die Geschichte des britischen Humanisten William Wilberforce (1759-1833) hinsichtlich der Befreiung der afrikanischen Sklaven im 17. Jahrhundert erörtert. Das Hotel lag an der Bucht nach Gabun, und als am Abend der Abreise der volle Mond am Himmel stand, konnte man das wirklich eine Mondnacht mit Blick auf Lambaréné nennen.

Über die Größe kontemplieren

Manchmal muss man die Geschichte betrachten, um die Größe der menschlichen Natur in der Vergangenheit erkennen zu können. Es kommt auch vor, dass man zuerst über ein Fleckchen Erde, wie man es in Erinnerung hat, und eine Geschichte, wie man sie selbst erfahren hat, nachsinnen muss. Indem man die Geschichte der menschlichen Zivilisation verfolgt, kann man ihre Größe weiterführen.

Eine Sonder-Gedenkausstellung „100 Jahre medizinisches Wirken von Albert Schweitzer in Afrika“ im Frühjahr 2013 in Taichung. (Foto: Courtesy Dr. Huang Yi-tsun)

Geografisch gesehen befindet sich Afrika für Taiwan auf der anderen Seite des Erdballs. Wenn das Gesundheitsministerium der Republik China (Department of Health, DOH) — im Juli 2013 aufgewertet zum Ministerium für Gesundheit und Soziales (Ministry of Health and Welfare, MOHW) — nicht Taiwans humanitäre Hilfe im medizinischen Bereich neu gestartet hätte, dann wäre der schwarze Kontinent ein Stück Wildnis, das Taiwaner nur schwer erreichen könnten. Die Reise mit dem Motto „Auf den Weg von Albert Schweitzer zurückkehren“ der von Rektor Huang geleiteten Delegation zum Albert Schweitzer Hospital in Gabun im Juni 2010 war der erste Besuch von der medizinischen Universität in Gabun und führte zunächst zum französischen Ort Kaysersberg an der deutschen Grenze, wo die Teilnehmer etwas über die Geburt, das Heranwachsen und die Ausbildung Schweitzers an der Universität Straßburg erfuhren, außerdem besuchten sie das örtliche Albert Schweitzer-Museum. Anschließend ging es nach Westafrika, wo man das von Albert Schweitzer gegründete Hospital erkundete.

Durch die 2011 und 2012 insgesamt drei Mal durchgeführte pädagogische Reise „Auf den Weg von Albert Schweitzer zurückkehren“ nach Europa und Afrika kann nicht nur Taiwans medizinische Welt beim Betrachten der Geschichte noch mehr an der Verantwortung bei humanitärer Hilfe teilhaben, sondern die Reise entzündete zudem einen neuen Abschnitt der sich fortsetzenden Geschichte von Taiwans humanitärer medizinischer Tätigkeit in Afrika.

Im Oktober vergangenen Jahres gab Albert Schweitzers Enkelin, die Pianistin Christiane Engel (geb. 1942), im Rahmen der Gedenkveranstaltungen in Taiwan ein Konzert in Taipeh. (Foto mit freundlicher Genehmigung der China Medical University)

Veranstaltungen zum Gedenken

Das Jahr 2013 markierte das 100-jährige Jubiläum des medizinischen Wirkens von Dr. Albert Schweitzer in Afrika. In der China Medical University in Taichung wurde zu diesem Anlass eine Reihe von Gedenkveranstaltungen durchgeführt, damit Taiwans medizinische Welt an dieser historischen Reise von Taiwan nach Lambaréné in Afrika teilhaben kann.

• Sonder-Gedenkausstellung 100 Jahre medizinisches Wirken von Albert Schweitzer in Afrika—18. Februar bis 12. April 2013.

• Akademisches Symposium zum Gedenken an 100 Jahre medizinisches Wirken von Albert Schweitzer in Afrika—21. März 2013.

• Konzert zum Gedenken an 100 Jahre medizinisches Wirken von Albert Schweitzer in Afrika—24. Oktober 2013: Darbietung mit Werken von Mozart, Bach und v. Weber durch Albert Schweitzers Enkelin Christiane Engel (geb. 1942) in Begleitung des Orchesters der China Medical University.

(Deutsch von Tilman Aretz)
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Dr. Chiang Ming-zer (江明哲) ist Chefarzt für Neurochirurgie und Professor am Taichung Veterans General Hospital. Im Jahr 2011 leitete er Taiwans medizinische Mission in São Tomé & Príncipe.

Copyright © 2014 Dr. Chiang Ming-zer

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