04.05.2024

Taiwan Today

Gesellschaft

Pracht unter dem Meer

01.03.2014
Ein Fischschwarm in einem versunkenen Bauwerk unweit der Grünen Insel, wo das ganze Jahr über gute Bedingungen für Sporttauchen herrschen. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Water World Diving Center)
Sporttauchen zu lernen kann eine Erfahrung sein, die einem die Augen aufgehen lässt und den Geist erweitert. „Früher hatte ich extreme Angst davor, ins Wasser zu gehen“, bekennt Will Chen, ein Banken-Rechnungsprüfer in Taipeh, der sich im Herbst vergangenen Jahres zu einem Sporttauchen-Kurs anmeldete. „Doch als ich voriges Jahr 50 wurde, dachte ich, es sei an der Zeit, meine Furcht zu besiegen und mir die Schönheit des Meeres von Taiwan anzuschauen.“ Zuvor konnte Chen lediglich zuhören, wenn seine Frau, eine Amateurtaucherin, die unterseeischen Wunder beschrieb, die man nahe der Grünen Insel (綠島), die ungefähr 30 Kilometer vor der Küste des südosttaiwanischen Landkreises Taitung liegt, erfahren konnte, doch nun kann er sie selbst entdecken. Die Wasserscheu seiner Kindheit ist größtenteils vergangen, seit er mit dem Tauchen begann, auch wenn er ab und an noch gegen Angstzustände ankämpfen muss.

Auf der Hauptinsel Taiwan findet man die besten Tauchstätten an der Nordostküste und vor der Südspitze am Nationalpark Kenting (墾丁). Eine der bekanntesten Stellen an der Nordostküste ist Longdong (龍洞), nahe genug an der bevölkerungsreichen Stadt Taipeh und ein guter Platz für Sporttauchen-Training in offenen Gewässern, auch wenn das Wasser gelegentlich trübe ist. Dank der guten Sicht und des reichen Meereslebens in den Gewässern um die Grüne Insel und die Orchideeninsel (蘭嶼), gleichfalls vor dem Landkreis Taitung, sind die beiden Eilande Taiwans beste Tauchstellen. Andere Tauchstätten findet man im südlichen Bereich der Inselgruppe Penghu (澎湖), allerdings wird Penghu von weniger Tauchfreunden besucht, weil der Archipel vergleichsweise abgelegen ist — bis zur Küste Südwesttaiwans sind es gut 45 Kilometer.

Gleichzeitig haben andere Tauchschauplätze steigenden Zulauf. „Ein immer beliebteres Ziel für Taucher ist Xiaoliuqiu (小琉球), wo man leichter auf Seeschildkröten treffen kann“, wirbt Simon Chang, ein erfahrener Taucher, Lehrer und Händler von Sporttaucher-Bedarf, für das winzige Inselchen, das mit einer 30-minütigen Bootsfahrt vom südwesttaiwanischen Landkreis Pingtung aus zu erreichen ist.

Ein Feuerfisch in den Gewässern um Penghu, gut 45 Kilometer vor Taiwans Westküste. (Foto: Courtesy Su Yeng)

Die begeisterte Sporttaucherin Jessie Lin aus Taipeh geht ihrem Hobby jedes Wochenende im Sommer nach, die beste Zeit für Tauchen vor Nordtaiwan. „Jedes Mal, wenn ich tauche, werde ich mit unterschiedlichen Erfahrungen und Ansichten unter Wasser belohnt“, schwärmt sie. Laut Lins Tauchlehrer Kevin Wang, der in Longdong und auf der Grünen Insel unterrichtet, läuft die Tauchsaison im Norden von Mai bis September, in Kenting und den beiden Inseln vor dem Landkreis Taitung sind die Bedingungen hingegen das ganze Jahr über gut. „Der starke Nordost-Monsun im Norden, der im Spätherbst einsetzt, kann für gefährliche Verhältnisse in Ufernähe sorgen“, warnt er. „Und die Wassertemperaturen können in der Region von Herbst bis Frühling unangenehm niedrig sein.“

Tauchen ist in Taiwan immer beliebter geworden, doch der Sport hatte im Laufe der Zeit mit mehreren kulturellen und bürokratischen Hürden zu kämpfen. Zwar ist das Land vom Ozean umgeben, aber die Angst davor, ins offene Wasser zu springen, ist recht verbreitet, enthüllt Lo Wun-der, Gründer des Inner Space Dive Center in Taipeh und erfahrener Sporttauchen-Lehrer von Chen und vielen anderen Schülern. „Taiwans Eltern können übertrieben beschützerisch sein“, charakterisiert er. „Viele sagen ihren Kindern, sich von Meeresufergebieten fernzuhalten, weil sie wegen der Gefahr des Ertrinkens besorgt sind.“

Das von 1949 bis 1987 geltende Kriegsrecht spielte eine Rolle dabei, die Entwicklung von Freizeitaktivitäten und Sport im und nahe dem Wasser zu behindern. Unterm Kriegsrecht waren weite Abschnitte von Taiwans Uferlinie für die Öffentlichkeit offiziell gesperrt, die einzigen Ausnahmen waren bestimmte Strände, die für Schwimmer geöffnet waren. Die Realität war wieder etwas anders, erinnert sich der 63-jährige Su Yeng, der Mitte der sechziger Jahre mit dem Tauchen begann. Sporttauchen-Enthusiasten spielten damals häufig Katz und Maus mit den Soldaten, welche Taiwans Küsten bewachten. „Manchmal feuerten sie Warnschüsse in die Luft, um uns zu vertreiben“, erzählt er. „Manchmal schauten sie bei solchem ,illegalen Treiben‘ einfach weg, wenn sie merkten, dass wir nur zum Vergnügen tauchten.“

In der Umgebung von Xiaoliuqiu, einer winzigen Insel vor Taiwans Südwestküste, ist Sporttauchen in den jüngsten Jahren immer beliebter geworden. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Water World Diving Center)

Taucher der ersten Generation

Freizeittauchen kam in Taiwan Mitte der sechziger Jahre auf, eingeführt durch einen ausgewanderten deutschen Autohändler, der Su die Techniken des Sports beibrachte, als Su gerade mal 14 Jahre alt war. Hochgradig motiviert, den Sport zu fördern, gründete der deutsche Tauchenthusiast 1967 Taiwans ersten Sporttauchen-Klub in Taipeh. Seine Schüler wurden anschließend die erste Generation taiwanischer Sporttaucher, manche von ihnen wie Su wurden selbst Tauchlehrer von Beruf. Heute unterrichtet Su an der Abteilung für Meeressport und Erholung der National Penghu University of Science and Technology.

„Nach Ende des Kriegsrechts konnten Taucher endlich ihren Sport ausüben, ohne belästigt zu werden“, sagt Su und fügt hinzu, dass Bootstauchen, während des Kriegsrechts streng verboten, immer beliebter wurde. Boote, durch die Taucher viel weiter vom Ufer entfernt die Unterseewelt erkunden können, sind in Gebieten wie bei Kenting, wo die Unterwasserlandschaft immer besser wird, je weiter man sich um Ufer entfernt, besonders wichtig.

Die Aufhebung des Kriegsrechts machte zudem den Weg frei für die Gründung privater Klubs und Organisationen. Das war laut Su für die Entwicklung des Sports bedeutsam, weil so Sporttauchen-Verbände ins Leben gerufen werden konnten, die reguläre Unterweisung anboten. Der Tauchverband Chinese Taipei Diving Association, Taiwans größter Förderer dieser Sportart, entstand 1989, nur zwei Jahre nach Ende des Kriegsrechts.

Longdongs farbenprächtige Unterwasserwelt. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Water World Diving Center)

Ungefähr zur gleichen Zeit begannen internationale Organisationen, die Zertifikate für Taucher und Tauchlehrer ausstellen, in Taiwan Fuß zu fassen. 1988 hielt der Nationalverband für Unterwasserlehrer (National Association of Underwater Instructors, NAUI), eine 1959 gegründete Gruppe mit Sitz in den USA, seine ersten Schulungskurse für Tauchlehrer in Taiwan ab. Dass Su bei diesen Kursen einer der sechs Ausbilder — und der einzige Lehrer aus Taiwan — war, stellte keine Überraschung dar. Der Profiverband für Tauchlehrer (Professional Association of Diving Instructors, PADI), 1966 in den USA gegründet und heute weltweit die größte Organisation dieser Art, nahm 1990 die Ausbildung von Tauchern in Taiwan auf.

1980 gab es in Taiwan 17 Sporttauchen-Klubs, und gut 5000 Menschen hatten den Sport ausprobiert. Bis 1988 stieg die Zahl der Klubs auf 46, und über 30 000 Personen hatten Taucherfahrungen gesammelt. Heute gibt es mehr als 100 Klubs, und über 300 000 Menschen in Taiwan sind in Sporttauchen unterwiesen worden, auch wenn die Zahl derer, die regelmäßig die Unterwasserwelt erkunden, um die 10 000 betragen dürfte, kalkuliert Chang, der Tauchen an der Abteilung für Meeresfreizeit und Tourismus des Taipei College of Maritime Technology lehrt.

Die Grundlagen vermitteln

In vielen Ländern sind mehr Ausbilder und Taucher von PADI als von NAUI zertifiziert, deswegen ist es keine Überraschung, dass die Tauchszene in Taiwan von PADI dominiert ist, auch wenn es laut Lo nicht ungewöhnlich ist, Taucher zu treffen, die von NAUI oder anderen internationalen Verbänden ausgebildet wurden. Alle internationalen Systeme vermitteln die Grundlagen des Sporttauchens auf ziemlich die gleiche Weise, trotz Unterschieden in mancherlei Hinsicht. PADI-Lehrer zum Beispiel halten sich an eine Serie von ausgereiftem Lehrmaterial und Kursen, wogegen NAUI den Lehrern gestattet, so zu unterrichten, wie sie es für richtig halten. PADI schickt eigene Prüfer um die Welt, um die Zertifizierungstests für angehende einheimische Lehrkräfte durchzuführen, NAUI ermächtigt erfahrene Lehrer wie Su, diese Aufgabe zu erledigen.

Abgetaucht: Die erfahrene Sporttaucherin Jessie Lin unter dem Meeresspiegel vor der Grünen Insel. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Water World Diving Center)

Wer heute den Sport ausprobieren möchte, findet problemlos Kurse dafür, denn allein die Zahl der von PADI zertifizierten Ausbilder in Taiwan geht in die Hunderte, Tendenz steigend, selbst wenn nicht jeder Taucher mit Lehrberechtigung auch unterrichtet. „Manche legen die Ausbilderprüfung nur deswegen ab, um sich die eigenen Fertigkeiten als herausragender Sporttaucher zu beweisen, andere unterziehen sich der Prüfung, weil sie durch die Vorbereitung darauf mehr Sicherheit als Taucher gewinnen“, beschreibt Chang, ein von NAUI zertifizierter Ausbilder.

Los Tauchzentrum ist eine bedeutende PADI-Anlaufstelle, die Anfängerkurse für etwa 12 000 NT$ (292 Euro) anbietet. Kursteilnehmer erhalten zunächst ein paar Stunden grundlegende Unterweisung in den Unterrichtsräumen des Zentrums, danach geht es zum Nangang-Sportzentrum in Taipeh, wo man in einem 5 Meter tiefen Schwimmbecken einen ersten Eindruck davon erhält, wie es ist, unter Wasser zu atmen. „Gute Schwimmer lernen nicht unbedingt schneller als andere“, bemerkt Lo, der auf jahrelange Erfahrung als Tauchlehrer zurückblicken kann. „Es kommt darauf an zu lernen, mit dem Drucklufttauchgerät normal zu atmen. Wenn man das nicht schafft, kann es passieren, dass man die Luft in der Pressluftflasche zu schnell aufbraucht.“

Nach dem Unterricht im Schwimmbecken unternehmen die Kursteilnehmer zwei Ausflüge zu bestimmten Stellen an Taiwans Nordküste, etwa Longdong, für kontrollierte Tauchgänge in offenen Gewässern. Bei der ersten Unterrichtseinheit im Freien erlauben die Ausbilder ihren Schülern den Abstieg zu einer Maximaltiefe von 12 Metern, beim zweiten Tauchgang dürfen sie bis zu 18 Meter tief tauchen.

Lo ermuntert frisch zertifizierte Taucher, Fortgeschrittenenkurse zu belegen, um ihre Freude an dem Sport zu erhöhen. Chen stimmt ihm zu und meint, dass er durch die Anfängerkurse, die er belegte, eine Einführung in den Tauchsport erlangte, doch er braucht noch mehr Übung, um dafür zu sorgen, die erforderlichen Fertigkeiten gründlich zu lernen. Fortgeschrittenenkurse enthalten in der Regel drei Exkursionen in offene Gewässer mit zwei Halbtag-Kurseinheiten bei Tageslicht und einer Kurseinheit bei Nacht.

Bin Baden: Ein Taucher betrachtet Korallen vor Penghu. Das zunehmende Umweltbewusstsein hat zur Folge, dass die meisten heutigen Sporttaucher sich damit begnügen, Taiwans Meeresleben nur anzuschauen. (Foto: Courtesy Su Yeng)

Passionierte Taucher wie Lin, die ihren ersten Tauchkurs vor 10 Jahren absolvierte, entscheiden sich häufig für noch fortgeschritteneres Training. „Ich habe einen Nitrox-Tauchkurs besucht, damit ich tiefer gehen und länger im Wasser bleiben kann“, sagt sie und fügt hinzu, dank dieser Ausbildung könne sie Wasser mehr als 30 Meter tief erkunden. Im Sommer vergangenen Jahres beschloss Lin, dass die Zeit für die Teilnahme an einem Rettungstaucherkurs gekommen sei. „Je länger man sich mit dem Sport befasst, desto mehr lernt man über die Gefahren, und desto vorsichtiger wird man, wenn man ins Wasser springt“, begründet sie. Durch das Rettungstraining ist sie besser darauf vorbereitet, mit Notfällen umzugehen und anderen Tauchern zu helfen.

Sporttauchen macht Spaß, ist aber mit Risiken wie Dekompressionskrankheit, Ertrinken und anderen verbunden. „Leute, die kein Zertifikat haben, nehme ich nicht zu Tauchstätten mit“, verkündet Wang. „Schließlich steht Sicherheit an erster Stelle.“ Wang besteht stets darauf, dass seine Kunden eine Haftungsablehnung unterzeichnen, in der sie erklären, sich der potenziellen Gefahren des Sports bewusst zu sein.

Verbriefte Sicherheit

Als Reaktion auf das wachsende Interesse an Wassersport in Taiwan verabschiedete die Regierung im Jahr 2004 die Bestimmungen über Wasser-Freizeitaktivitäten, in denen Sporttauchen und andere Aktivitäten von Wassermotorrädern (Jet-Ski) bis Rafting geregelt werden. Die einschlägigsten Klauseln der Bestimmungen für Taucher betreffen Sicherheit und Umweltschutz. Im Hinblick auf Sicherheit schreiben die Bestimmungen vor, dass alle Taucher in offenen Gewässern ein Zertifikat einer qualifizierten Organisation besitzen und von einer Person begleitet werden müssen, die mit der ausgesuchten Tauchstätte vertraut ist. Neben zahlreichen weiteren Regelungen müssen Tauchunternehmer für zertifizierte Ausbilder sorgen, welche die Kunden bei Tauchsport-Aktivitäten begleiten.

Mensch und Fisch in Gewässern vor Longdong an Taiwans Nordostküste. Longdong ist wegen seiner Nähe zu Taipeh eine der meistbesuchten Tauchstellen in Taiwan. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Water World Diving Center)

Die Umweltschutzmaßnahmen umfassen Verbote für Harpunen, das Schießen von Fischen oder Fangen von Meerestieren. „Früher haben viele Sporttaucher zum Vergnügen Fische mit Harpunen gejagt, heute sieht man das kaum noch“, berichtet Su. Das geht zum Teil auf die Bestimmungen von 2004 zurück, doch zunehmendes Umweltbewusstsein hat nach seinen Worten ebenfalls eine Rolle gespielt. Wenn Su heutzutage Leute zum Tauchen mitnimmt, mahnt er sie, Tiere in freier Wildbahn wie Fische und Schildkröten in Ruhe zu lassen. „Wir tauchen, um ihre Schönheit zu bewundern, nicht um sie zu verscheuchen“, teilt er mit. „Schließlich ist es das, was Tauchen zu einer nachhaltigen Freizeitaktivität macht, nicht wahr?“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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