07.05.2024

Taiwan Today

Gesellschaft

Wohnung als Stadtlandschaft

01.07.2014
Der taiwanische Architekt Jimenez Lai (Zweiter von links) und Huang Tsai-lang (Zweiter von rechts), Direktor des National Taiwan Museum of Fine Arts (NTMoFA) in Taichung, mit internationalen Gästen aus Spanien und Großbritannien in Venedig. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Blue Dragon Art Company)
Alle zwei Jahre trifft sich alles, was in der Welt der Architektur Rang und Namen hat, auf der Biennale in Venedig. Für einige Tage im Juni, rund um die Eröffnung herum, war die Stadt fest in der Hand der Planer, und an jeder Ecke traf man weltberühmte Architekten. Entlang des Weges vom „Giardini“ genannten Stadtpark an der Südspitze Venedigs zum berühmten Markusplatz liegt der „Palazzo delle Prigione“: Der Gefängnis-Palast aus dem 16. Jahrhundert ist mit dem benachbarten Dogenpalast über die berühmte Seufzerbrücke verbunden. Diesen strategisch günstig gelegenen Palast nutzt Taiwan auch für seine achte Teilnahme an der Architektur-Biennale — fast jeder Venedig-Besucher kommt praktisch zwangsweise an Taiwans „Pavillon“ vorbei.

Dieses Jahr hat Taiwan seinen Ausstellungs-Beitrag unter das Motto „Township of Domestic Parts“ (Gemeinde häuslicher Teile) gestellt. Diese Konzept-Idee stammt von Jimenez Lai (賴彥吉), dem Kurator des Beitrags, der im Alter von zwölf Jahren Taiwan in Richtung Nordamerika verlassen hatte und heute an der University of Illinois in Chicago Architektur unterrichtet. Lai hat in den altehrwürdigen, steinernen Sälen neun knallbunte Mini-Architekturen aufstellen lassen, die jeweils eine Funktion eines Wohnhauses darstellen: Es gibt einen Schlafraum, ein Studierzimmer, eine Küche, einen Balkon, einen Ahnenschrein und sogar eine Toilette. Als „Haus im Haus“ konzipiert, stellen diese Installationen die Bestandteile jedes Wohn-Interieurs in Taiwan dar.

Das übergeordnete Thema der Biennale 2014 war von dem niederländischen Architekten Rem Koolhaas (dessen „Center of Performing Arts“ in Taipeh gerade im Bau ist) vorgegeben worden und heißt „Elements“. Lais Beitrag für Taiwan nahm diese Vorgabe zum Ausgangspunkt seiner heiteren, bewusst infantil wirkenden Mini-Architekturen. Die gewählte „Perspektive der Häuslichkeit“ (Lai) setzt dabei einen interessanten Akzent: Die Ansammlung der neun kleinen Häuser ist im Inneren des Palazzo delle Prigioni verstreut angeordnet und lädt die Besucher zur Erkundung ein.

Die Anregung für das „House for Social Eating“ kam von taiwanischen Festessen unter freiem Himmel, wobei mehrere kreisrunde Speisetische nebeneinander aufgestellt werden. Solche Bankette sind in Taiwan heute noch zu Hochzeiten üblich, häufig wird für den Anlass ein Zelt aufgebaut, in dem die Gäste bewirtet werden. Interessanterweise umfassen die runden Tische im Gegensatz zu rechteckigen Speisetischen keine hierarchische Sitzordnung. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Blue Dragon Art Company)

Ausgewählt wurde Lai für seine Aufgabe, Taiwan auf der wichtigsten Architekturveranstaltung der Welt zu repräsentieren, von einer Jury des National Taiwan Museum of Fine Arts (NTMoFA) in der zentraltaiwanischen Stadt Taichung, in der Lai 1979 zur Welt gekommen war. Organisiert wurde die Schau von der Kunstvermittlung „Blue Dragon Art Company“ aus Taipeh und gefördert von einem großen privatwirtschaftlichen Sponsoren aus Taiwan.

Lai gilt derzeit als Wunderkind der amerikanisch-taiwanischen Architekturszene — seine Manifest „Citizens of No Place“ (Bürger keines Ortes) wurde von der angesehenen Graham-Stiftung in Chicago gefördert, und seine Installation „White Elephant“, eine Kritik an der Leere in Architekturtheorien, wurde in die Sammlung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York aufgenommen. Lai hat selbst zuvor bei Rem Koolhaas in Rotterdam gearbeitet, 2012 gewann er den Architectural League-Preis für junge Architekten und den „Debut-Award“ der Lissabon-Triennale.

Die neun kleinen Häuser im Palazzo in Venedig, denen betont einfache Geometrien zugrundeliegen, wurden aus Holz und Stahl in Taiwan vorgefertigt, auf dem Wasserweg angeliefert und im Palazzo zusammengefügt. Sie bilden einen „inneren Urbanismus“ (Lai), der auch das Wachstum Taiwans inmitten seines dicht besiedelten Umfelds illustrieren soll. Die Puppenhäuser erinnern an die architektonischen Konzepte der achtziger Jahre — Robert Venturi, Aldo Rossi und John Hejduks Werke haben Lai inspiriert. Zu klein für eine Architektur und zu groß für ein Möbelstück, nennt Lai seine neun kleinen Häuser einfach „Super-Möbel“. Im Zentrum des Raumes steht ein großes Hausgerüst mit einem runden Tisch darin, wie man ihn von Banketten in Taiwan kennt.

Ein wichtiger, wenn auch vergleichsweise unscheinbarer Teil der Ausstellung ist ein Video, das Lai hat anfertigen lassen. Darin kommen viele wichtige Köpfe der Architekturszene in Taiwan zu Wort und sprechen über den Import und Export von gestalterischen Ideen auf der Ilha Formosa: In den letzten Jahren hat sich Taiwan als sehr importfreudige Architekturnation erwiesen, und speziell Architekten aus Japan und den USA haben fast alle großen Architekturwettbewerbe in Taiwan gewonnen. Umgekehrt sind auch viele taiwanische Architekten (meist in der Hochschullehre) in der neuen Welt sehr erfolgreich geworden.

Das „House of Alchemy“ weckt bei Taiwanern Erinnerungen an traditionelle taiwanische Küchen, die als soziales Bindeglied fungieren, wo man Zutaten mischt und sich mit anderen Menschen austauscht. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Blue Dragon Art Company)

Wenn Ende November die Ausstellung in Venedig wieder abgebaut wird, ist die architektonische Karawane der Welt schon lange weitergezogen. Jimenez Lai verspricht jedoch, dass seine Schau auch in Taiwan für das allgemeine Publikum noch einmal aufgebaut wird. Denn was mühsam in Einzelteile zerlegt in kleinen Booten in die Lagunenstadt gebracht werden musste, lässt sich genauso gut auch wieder von hier verschiffen und im „Mutterland“ zeigen.

Bis 23. November 2014. 10–18 Uhr (Montags geschlossen)
Palazzo delle Prigioni, Castello 4209, San Marco, 30122 Venedig, Italien
Informationen unter NTMoFA (www.ntmofa.gov.tw)
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Ulf Meyer (geb. 1970) studierte Architektur in Berlin und Chicago. 2008-2011 Lehrtätigkeit in den USA. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Asiens zeitgenössischer Architektur im In- und Ausland. Zur Zeit lebt und arbeitet er in Berlin.

Copyright © 2014 Ulf Meyer

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