19.05.2024

Taiwan Today

Wirtschaft

Eine günstige Gelegenheit

01.09.2014
Im Januar dieses Jahres besichtigte Staatspräsident Ma Ying-jeou (links) den Landwirtschaftlichen Biotechnologiepark Pingtung (PABP). (Foto: Chang Su-ching)
Am 6. März dieses Jahres bescherte Taiwans Trachten nach Wirtschaftsliberalisierung Taiwans Finanzsektor großen Nutzen. An jenem Tag erteilte die Regierung der Republik China zwölf Wertpapierfirmen in Taiwan Genehmigungen, über ihre Offshore-Wertpapierabteilungen (Offshore Securities Unit, OSU) neuartige internationale Geschäfte durchzuführen. Eine OSU ist ein in Taiwan eingerichtetes unabhängiges Konto für internationale Wertpapiergeschäfte wie Makler-, Assekuranz- und Eigentumshandel, und der OSU-Meilenstein ist Teil des Drängens der Regierung, einen Plan für Freiwirtschafts-Pilotzonen (Free Economic Pilot Zone, FEPZ) umzusetzen. Nach Auskunft der Finanzaufsichtkommission (Financial Supervisory Commission, FSC), die Taiwans Finanzinstitutionen beaufsichtigt, wird der Sektor in diesem Jahr wegen der Deregulierung des Wertpapiergeschäftssektors ungefähr 20 000 zusätzliche Arbeitskräfte brauchen.

„Meine Freunde in Hongkong und Singapur waren recht verwundert über Taiwans konservative Beschränkungen des Finanzsektors, welche den Abfluss von Kapital und talentiertem Personal aus Taiwan in diese globalen Finanzzentren verursachten“, kolportiert Lin Chien-fu, Professor in der Wirtschaftsabteilung der National Taiwan University (NTU) in Taipeh. Geld floss ins Ausland, weil in Hongkong und Singapur verschiedene Finanzprodukte angeboten werden, führt Lin aus, danach folgten Taiwans Fachleute, um Taiwanern, die an Vermögensverwaltungs-Dienstleistungen interessiert waren, solche Produkte zu bieten. Im Dezember 2013 wurde eine weitere Maßnahme verabschiedet, welche es den Offshore-Bankabteilungen von Finanzinstitutionen gestattet, eine Negativlisten-Methode zu verfolgen, um die Bandbreite von verfügbaren Finanzprodukten zu erweitern. Die Negativlisten-Methode beschreibt ausschließlich jene Dienstleistungen oder Sektoren, welche von Liberalisierung ausgeschlossen sind, und jeder Posten, der nicht auf der Liste steht, wird liberalisiert. Nun, wo Taiwans Finanzsektor sich in Richtung Liberalisierung bewegt, könnten sowohl Kapital als auch talentiertes Personal zurückkehren, und laut staatlichen Schätzungen wird erwartet, dass die Bank- und Wertpapiersektoren des Landes innerhalb von fünf Jahren zusätzliche 30 Milliarden NT$ (750 Millionen Euro) bzw. 40 Milliarden NT$ (1 Milliarde Euro) erzeugen werden.

FEPZs arbeiten sozusagen innerhalb der Landesgrenzen, aber außerhalb der Zollhoheit des Landes. Den Plan hatte Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) als Wahlversprechen vorgeschlagen, als er sich 2012 um eine zweite Amtszeit bewarb, und die erste Phase des FEPZ-Plans begann offiziell im August 2013. Bislang konzentriert der Plan sich auf Liberalisierung in fünf Sektoren: intelligente Logistik, Finanzdienstleistungen, internationale Gesundheitsfürsorge, Innovation von Bildung sowie hochwertige Landwirtschaft. In Zukunft könnten weitere Sektoren hinzugefügt werden. Die Ziele der Liberalisierung sind eine Steigerung des inländischen Produktionswertes, von Spitzenjobs und privaten Investitionen. Die erste Phase des Projekts begann mit der Bekanntgabe administrativer Bestimmungen, welche nicht vom Legislativ-Yuan (立法院), also dem Parlament der Republik China in Taipeh, genehmigt werden müssen. Entsprechend brauchen die Bestimmungen, welche Wertpapierfirmen die Einrichtung von OSUs erlauben, ebenfalls keine parlamentarische Zustimmung.

Für die zweite Phase des Plans muss dagegen das Sondergesetz für Freiwirtschafts-Pilotzonen von der Volksvertretung gebilligt werden. Im Einklang mit entsprechenden Regierungsbestimmungen wird erwartet, dass das Gesetz die Aufenthaltsbeschränkungen für ausländische Büroarbeiter lockert. Das Gesetz mit seinen 73 Paragrafen war zunächst vom Rat für Wirtschaftsplanung und Entwicklung (Council for Economic Planning and Development, CEPD), der im Januar dieses Jahres mit der Kommission für Forschung, Entwicklung und Bewertung (Research, Development and Evaluation Commission, RDEC) zum Nationalen Entwicklungsrat (National Development Council, NDC) fusioniert worden war, entworfen worden.

Das Gesetz bietet überdies neue Steueranreize. Unter den geltenden FEPZ-Bestimmungen sind Rohmaterialien und Güter für Landwirtschaft und Industrie, welche in die Zonen eingeführt werden, von allen Steuern und Zöllen befreit.

Gemäß dem Gesetz dürfen ausländische Buchhalter, Architekten und Anwälte Firmen gründen oder in Firmen investieren, welche professionelle Dienstleistungen in einer FEPZ anbieten. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes wird beim Gehalt eines ausländischen Arbeitnehmers in den ersten drei Jahren des Arbeitsverhältnisses für die Einkommenssteuererklärung nur die Hälfte des tatsächlichen Gehalts gezählt, was es Firmen erleichtern soll, ausländische Fachleute einzustellen, so dass sie ihr Dienstpersonal verbessern können. Der Anstieg der Zahl ausländischer Fachleute fördert zudem Gelegenheiten für einheimische Arbeitnehmer, sich mit ihnen auszutauschen.

Freiwirtschaftszonen sind in Taiwan kein neues Konzept, man befasste sich erstmals damit, als Mitte der neunziger Jahre ein Projekt namens Regionales Betriebszentrum Asien-Pazifik (Asia-Pacific Regional Operation Center, APROC) geplant wurde. Die Deregulierungsmaßnahmen des Projekts zielten darauf ab, Taiwan in eine Wirtschafts-Drehscheibe mit sechs Sektoren umzuwandeln, unter ihnen Finanzen, Versand und andere. Im Jahr 2003 begann die Regierung mit der Einrichtung von Freihandelszonen in den wichtigsten Häfen des Landes und am internationalen Flughafen Taiwan-Taoyuan, in Übereinstimmung mit dem Gesetz über Aufbau und Verwaltung von Freihandelszonen, welches der Legislativ-Yuan im Juli jenes Jahres verabschiedet hatte. Vor dem Amtsantritt von Präsident Ma im Mai 2008 war die Wirksamkeit dieser Projekte jedoch durch konservative Politik hinsichtlich Verkehrsverbindungen über die Taiwanstraße und Taiwans Verhältnis mit Festlandchina insgesamt gedämpft. Das 2008 frisch gewählte Staatsoberhaupt drängte dann dynamisch darauf, die Kommunikationsbeschränkungen mit Festlandchina — der größten Volkswirtschaft in der Region — zu lockern.

Die Resultate sind deutlich erkennbar in den Zahlen vom Ministerium für Verkehr und Kommunikation (Ministry of Transportation and Communications, MOTC), welches den Betrieb dieser Freihandelszonen beaufsichtigt. Ein Beispiel ist die FEPZ unweit des internationalen Flughafens Taiwan-Taoyuan im Norden der Insel. Betrieben wird sie von der Farglory Free Trade Zone Co. gemäß einem seit 2003 laufenden 50-jährigen Vertrag mit BOT-Modell (engl. „Build-Operate-Transfer“, zu Deutsch: Bauen, betreiben, übertragen). Im Jahr 2007 erreichte das Handelsvolumen dort 38,7 Milliarden NT$ (967,5 Millionen Euro), im vergangenen Jahr waren es bereits 167,1 Milliarden NT$ (4,17 Milliarden Euro).

Der FEPZ-Plan ist sowohl wegen seiner Entwicklungsgeschichte als auch wegen seines zweigleisigen Umsetzungs-Mechanismus einzigartig. Das erste Gleis umfasst klar umrissene Gebiete, nämlich die an den sechs wichtigen Seehäfen des Landes und das am internationalen Flughafen Taiwan-Taoyuan, also größtenteils wie im Freihandelszonenprojekt von 2003, plus den Landwirtschaftlichen Biotechnologiepark Pingtung (Pingtung Agricultural Biotechnology Park, PABP) in Südtaiwan. Beim zweiten Gleis geht es um vorgesehene Testpunkte für Projekte, die innerhalb der Gebiete des ersten Gleises nicht umsetzbar sind. Zum Beispiel könnte eine OSU eher ein Testpunkt in einer urbanen Gegend sein als an einem entlegenen Ort unweit eines Hafens. Das trifft auch auf eine Misch-Universität zu, die von einer einheimischen Lehranstalt und einer ausländischen Partnereinrichtung gemeinsam finanziert wird, auch wenn eine solche Hochschule in Taiwan nur nach Verabschiedung des Sondergesetzes den Betrieb wird aufnehmen können.

Ausgelagerte Fabrikation

Ein weiteres Merkmal des Plans ist das Modell „vor Ort einkaufen, außerhalb produzieren“, wobei die Firmen, die in den Pilotzonen aktiv sind, den Wert der Exportgüter steigern, indem sie Hersteller von außen mit dem Einbau von Schlüsselkomponenten oder der Bearbeitung von importiertem Rohmaterial beauftragen. „Der wirtschaftliche Nutzen des FEPZ-Plans ist vergleichsweise begrenzt, wenn man die Wertsteigerungsarbeit auf die Pilotzonen beschränkt“, warnt NDC-Vizeminister Chen Chien-liang (陳建良). „Der Plan kann nur dann wesentlichen Einfluss haben, wenn Hersteller von außerhalb einbezogen werden.“ Die Zollverwaltung der Republik China arbeitet am Aufbau eines raffinierten Elektroniksystems, vermerkt Chen, um Güter, die in die Pilotzonen hineinkommen und von dort hinausgehen, zu verfolgen. Damit sollen Schmuggel und andere Probleme verhütet werden, die durch die Praxis des „vor Ort einkaufen, außerhalb produzieren“ entstehen könnten.

Der FEPZ-Plan konzentriert sich nicht ausschließlich auf Fertigung. Stattdessen wird auch mehr Augenmerk auf das Dienstleistungsgewerbe gelegt, und man betont institutionelle Reformen und Deregulierung, um den grenzüberschreitenden Fluss von Finanzen, talentiertem Personal und Gütern zu erleichtern. Außerdem braucht man dazu keine großen Landflächen oder viel Geld zum Aufbau von Infrastruktur. Wenn es um Landnutzung geht, wird die Regierung nach Auskunft von NDC-Minister Kuan Chung-ming (管中閔) nach Landressourcen Ausschau halten, die bereits entwickelt wurden, etwa solche in bestehenden Gewerbeparks. Dies begünstigt die Umsetzung des Plans, denn der Ablauf von Landenteignung und Umweltgutachten kann recht zeitraubend sein.

Bis dato hat das Hinarbeiten auf FEPZs Ergebnisse gezeitigt wie zusätzliche Einkünfte aus neu eröffneten internationalen Bank- und Wertpapiergeschäften. Zwischen August 2013 und April 2014 investierten sieben Firmen insgesamt 47 Millionen NT$ (1,17 Millionen Euro) in Logistik. Der PABP, der die Entwicklung von hochwertiger Landwirtschaft zur Aufgabe hat, verzeichnete im gleichen Zeitraum Investitionen in Höhe von 2 Milliarden NT$ (50 Millionen Euro) von 13 Firmen, darunter Lohmann Animal Health GmbH und Co.KG, der viertgrößte Anbieter von Geflügel-Impfstoffen der Welt. Laut Chen zog der PABP in der ersten Phase des FEPZ-Plans mehr Investitionen an als sonstige vergleichbare Einrichtungen in Taiwan.

Paul Chen von der Farglory Free Trade Zone Co. erläuterte im April dieses Jahres einer Korrespondenten-Gruppe die Freiwirtschafts-Pilotzone am internationalen Flughafen Taiwan Taoyuan. (Foto: Jimmy Lin)

Diese Ergebnisse sind jedoch quasi nur die Vorspeise, das Hauptgericht kommt auf den Tisch, sobald die zweite Phase des Plans anbricht. Dazu zählen Straffungsverfahren für Landerwerb und Baugenehmigungen, Zollabfertigung und Gewerbeanmeldung. Man hofft, dass solche Deregulierungen für Unternehmen einen echten Investitionsanreiz darstellen werden. Sobald das Sondergesetz in Kraft tritt, werden Lokalverwaltungen außerdem bei der Zentralregierung die Einrichtung von Pilotzonen in ihrem jeweiligen Verwaltungsbereich beantragen können, mit der Erwartung, dass sich dort lokale Ressourcen und klar umrissene Gewerbe entwickeln. Laut NDC haben mindestens acht Lokalverwaltungen ein starkes Interess am FEPZ-Plan bekundet.

Wu Ming-yen, Generaldirektor des Nichtstaatlichen Krankenhaus- und Arztpraxenverbandes Taiwan, gehört zu jenen, die sich viel von den FEPZs versprechen. „Taiwan muss bei internationalen Gesundheitsdienstleistungen aufholen, denn der Wettbewerb auf dem Weltmarkt wird da immer härter“, rät er. Wenn der als Zahnarzt ausgebildete Wu über die heftige Konkurrenz spricht, mit der Taiwan beim Kampf um internationale Kunden konfrontiert ist, verweist er häufig auf Connexion, ein neu eröffnetes medizinisches Zentrum in Singapur, zu dem das hochmoderne Farrer Park Medical Centre, das Farrer Park Hospital, das One Farrer Hotel & Spa und das Owen Link-Einkaufszentrum gehören. Der funkelnagelneue Hochhauskomplex ist nur eines der jüngeren Beispiele für die Anstrengungen des Stadtstaats, durch die Verbindung von Tourismus und medizinischen Dienstleistungen internationale Kunden zu gewinnen. Im Kontrast dazu ist Taiwans internationaler Gesundheitssektor vergleichsweise klein, obwohl das Land begonnen hat, sich in diese Richtung zu bewegen, und einige wenige Krankenhäuser, die dabei mitmachen, wandeln einen Teil ihrer Räumlichkeiten um, so dass sie diesen neuen Service anbieten können.

Es wird erwartet, dass das Sondergesetz den Umfang internationaler Gesundheits-Dienstleistungen in Taiwan verbessert. Ausländische Spezialistengruppen und inländische Institutionen für Gesundheitsfürsorge werden dadurch ermuntert, gemeinsam internationale medizinische Institutionen einzurichten, in welchen es zum Beispiel ausländischen Staatsbürgern erlaubt wäre, den Posten des Vorstandsvorsitzenden zu bekleiden, was momentan gemäß dem Gesetz über medizinische Pflege verboten ist. Mindestens zwei größere Krankenhäuser, nämlich in Taichung und Taoyuan, brennen darauf, solche Partnerschaften aufzubauen.

Im Zeitalter der Liberalisierung besitzt Taiwan überdies das Potenzial, ein Regionalzentrum für höhere Bildung zu werden. Nach Auskunft von Chiang Wei-ling (蔣偉寧), bis Ende Juli dieses Jahres Bildungsminister der Republik China, haben mindestens sieben angesehene Universitäten rund um den Erdball, unter ihnen die Cornell University, die Kyoto University und die Hong Kong University of Science and Technology, Interesse bekundet, im Rahmen des FEPZ-Plans mit inländischen Lehranstalten zu kooperieren. „Weil inländische Colleges und Unis bei Bereichen wie Beschäftigung von Lehrern keine Beschränkungen haben, gibt es verständlicherweise in ausländischen Schulen die Motivation, nach Taiwan zu kommen“, begründet Jan Fang-guan, Direktor der Abteilung für gewerbliche Entwicklung im NDC.

Anschluss an die Welt

Im Logistiksektor freut sich zudem die Farglory Free Trade Zone Co. auf vermehrte geschäftliche Aktivität, wenn das FEPZ-Projekt solider wird. „Der FEPZ-Plan wird Taiwan und seine Unternehmen noch enger mit der Welt verbinden und gleichzeitig Investitionen von wichtigen internationalen Firmen anlocken“, prophezeit Paul Chen, Assistenz-Vizepräsident der Geschäftsverwaltungs-Planungsabteilung von Farglory. Heute befindet sich Taiwans einzige FEPZ für Luftfrachtlogistik auf einer 45 Hektar großen Landparzelle, wo Flächen in Farglory-Gebäuden an Firmen geleast werden wie DHL International und den japanischen Logistikbetreiber Kintetsu World Express Inc. Die Pilotzone liegt am Brennpunkt eines bedeutenden Stadtentwicklungsplanes namens Taoyuan Aerotropolis, und in Zukunft könnte sie sich in anliegende Gebiete ausdehnen, denn mehr Firmen prüfen die Möglichkeit, von den im FEPZ-Plan gebotenen Anreizen zu profitieren.

Paul Chen macht indes darauf aufmerksam, dass potenzielle Investoren eine „Abwarten und Tee trinken“-Haltung einnehmen könnten, andere mögen ein gewisses Misstrauen hegen, viel Geld in die Freiwirtschafts-Pilotzonen zu stecken, vor allem weil das Sondergesetz im Legislativ-Yuan auf Widerstand stieß. Der Entwurf des Sondergesetzes war im Dezember 2013 vom Exekutiv-Yuan (行政院), also dem Regierungskabinett oder Ministerrat der Republik China, gebilligt worden, und im März dieses Jahres wurde der Entwurf erstmals dem Parlament zur Beratung vorgelegt. Diese Beratungen gehen allerdings nur im Schneckentempo voran.

Der Seehafen von Kaohsiung ist einer von sechs taiwanischen Seehäfen, die im FEPZ-Plan enthalten sind, und man hofft, dass der Hafen seinen Einfluss durch das Modell „vor Ort einkaufen, außerhalb produzieren“ steigern kann. (Foto: Chang Su-ching)

Der Widerstand in der Volksvertretung spiegelt manche Sorgen in der Öffentlichkeit über negative Auswirkungen der FEPZs wider. Eines der genannten Probleme betrifft beispielsweise die Zuteilung von Ressourcen. Manche befürchten laut Wu, dass Taiwans Ärzte und Krankenpfleger wegen der verlockenderen finanziellen Anreize lieber in internationalen Gesundheitsparks arbeiten möchten und dies für einheimische Patienten einen Personalmangel bei medizinischen Arbeitskräften nach sich ziehen könnte. Die Regierung plant momentan jedoch nur die Einrichtung von zwei solcher Parks mit je 200 Betten, wie Kuan der Öffentlichkeit einmal während einer Echtzeit-Kommunikation online erläuterte, um Missverständnisse auszuräumen und Befürchtungen über FEPZs zu zerstreuen. Die Zahl der Betten, höchstens 400, ergibt einen Bedarf an etwa 200 Ärzten, ein kleiner Anteil von den über 43 000 Ärzten in Taiwan. „Und es wird Klauseln geben, welche die zulässige Dauer für das Beschäftigungsverhältnis eines einheimischen Arztes in Gesundheitsparks beschränken“, ergänzt Wu und fährt fort, wenn in Taiwan keine internationalen Gesundheitsfürsorge-Dienstleistungen entwickelt würden, wäre es wahrscheinlich, dass mehr Ärzte Taiwan verlassen werden, um ähnliche Gelegenheiten an Orten wie Singapur und Festlandchina zu suchen.

Eine weitere Sorge ist die Lockerung von Beschränkungen für Menschen, Kapital und Güter vom chinesischen Festland. Die Politik über Festlandchinas Beteiligung im FEPZ-Plan unterliegt jedoch vielen Bestimmungen. So ist es zum Beispiel Festlandchinesen nicht erlaubt, in Firmen zu investieren, die mit Taiwans nationaler Sicherheit zu tun haben. Des Weiteren dürfen in den FEPZs hergestellte Produkte, die der Kontrolle unterliegende landwirtschaftliche Güter enthalten wie Erdnüsse aus Festlandchina, nicht auf den Inlandsmarkt kommen. Außerdem dürfen Mediziner aus Festlandchina, Hongkong und Macau nicht in den FEPZs arbeiten, Angehörigen dieser Berufsgruppen von anderswo ist das dagegen gestattet.

Trotz all dieser Befürchtungen meint Chen Chien-liang, es lohne sich, den Plan zu verfolgen, denn er könne Taiwan dabei helfen, zu verhindern, auf der Bühne des Welthandels an den Rand gedrängt zu werden, und er ebne den Weg für die langfristige Entwicklung des Landes. Tatsächlich will man mit der Umsetzung des Plans zwei Ziele für Taiwan erreichen — zum einen mehr Schwung für das Wirtschaftswachstum des Landes und zum anderen für die Welt ein Zeichen setzen, dass Taiwan entschlossen ist und es ernst damit meint, sich dem globalen Trend zu Liberalisierung anzuschließen. Gegenwärtig unternimmt die Regierung Anstrengungen, an Verhandlungen über zwei regionale Freihandelsblöcke teilzunehmen, nämlich die Transpazifische Partnerschaft (Trans-Pacific Partnership, TPP) und die Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP). RCEP besteht aus Mitgliedstaaten des Verbandes südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN) und dessen Partnern mit Freihandelsabkommen (Free Trade Agreement, FTA). Beide Blöcke sind für Taiwan von großer Bedeutung, weil Taiwan mit vielen der Beteiligten in beiden Handelsgruppen enge Wirtschaftsbeziehungen unterhält. Man erwartet, dass die Einrichtung von FEPZs die Liberalisierung von Taiwans Wirtschaft beschleunigen wird, was wiederum hilfreich bei den Bemühungen des Landes ist, Zugang zu RCEP und TPP zu erlangen.

Gerade beim Wettbewerb gegen Südkorea, das von vielen als Taiwans Haupt-Handelsrivale betrachtet wird, wäre ein liberalisierteres Umfeld für Taiwan nützlich. Bislang hat Taiwan außer mit Festlandchina Wirtschaftsverträge mit sieben Ländern unterzeichnet. Bis Mai dieses Jahres stammten von jeden 100 US$, welche Taiwan im Außenhandel mit allen Handelspartnern erwirtschaftete, 9,65 US$ aus Handelsware, die von FTAs abgedeckt ist — vor der Unterzeichnung ähnlicher Abkommen mit Festlandchina, Neuseeland und Singapur vor 2008 waren es lediglich 0,14 US$ gewesen. Die aktuelle Zahl liegt immer noch deutlich unter den 36,1 US$ von Südkorea, das 10 Verträge mit 48 Ländern besiegelte.

Angesichts des heftigen Wettbewerbs und des Trends in Richtung regionaler Wirtschaftsintegration muss Taiwan wesentliche Durchbrüche erzielen. „Taiwans Wirtschaftsentwicklung stagniert“, analysiert Wang Chien-chuan, stellvertretender Direktor des Chunghua-Instituts für Wirtschaftsforschung (Chung-Hua Institution for Economic Research, CIER). „Warum sollen wir dann nicht ein kleines Fenster aufmachen, durch das wir mit der Außenwelt in Verbindung treten können? Die Situation könnte sich dann verbessern, und danach können wir das im größeren Maßstab fortsetzen. Wir wollen nur ein kleines Fenster öffnen.“

In der Tat ist der FEPZ-Plan, der ab dem Zeitpunkt der Umsetzung für eine Periode von 10 Jahren in Kraft bleiben wird, letztendlich nur ein Pilotprojekt. Durch ihn kann Taiwan in kleinem Umfang mit Deregulierungsmaßnahmen und neuen Geschäftsmodellen experimentieren und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf Taiwans Wirtschaft und Gesellschaft studieren, bevor man Anpassungen vornimmt und sich dann voranbewegt. Wang: „Dieses kleine Fenster könnte für Taiwan viel bedeuten.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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