03.05.2024

Taiwan Today

Politik

Frieden in Ostasien fördern

01.07.2014
Ma Ying-jeou, Staatspräsident der Republik China, gab bei einem internationalen Forum in Taipeh im Februar dieses Jahres die Erklärung zur Luftraumsicherheit im Ostchinesischen Meer ab. (Foto: Chang Su-ching)
Im November vergangenen Jahres überraschte Festlandchina die internationale Gemeinschaft mit der Bekanntmachung, man habe im Ostchinesischen Meer eine Luftverteidigungs-Identifikationszone (Air Defense Identification Zone, ADIZ) eingerichtet. ADIZs reichen in der Regel über die Grenzen eines Landes hinaus, damit genug Zeit bleibt, unbefugte Flugzeuge zu entdecken und zu identifizieren. Zivilmaschinen, welche die ADIZ eines Landes durchqueren und dabei beabsichtigen, in den Luftraum des fraglichen Landes einzudringen, sind verpflichtet, Flugpläne einzureichen und Kommunikation mit den dortigen Fluglotsen aufrechtzuerhalten.

Seit die USA im Jahr 1950 die erste ADIZ der Welt einrichteten, sind über 20 Länder diesem Beispiel gefolgt. Die Maßnahme Festlandchinas sorgte indes für beträchtliche Unruhe, weil die neue ADIZ sich mit denen überschneidet, die zuvor von der Republik China, Japan und Südkorea eingerichtet worden waren. Befürchtungen in der Region erhöhten sich außerdem, da Festlandchinas ADIZ die Diaoyutai-Inseln (釣魚臺列嶼) erfasst, die nach unumstößlicher Überzeugung der Regierung in Taipeh zum Territorium der Republik China gehören, allerdings auch von Japan und Festlandchina beansprucht werden.

Taiwan strebt seit langem danach, in der asiatisch-pazifischen Region als stabilisierende Kraft für Frieden und Sicherheit zu wirken. Am 26. Februar dieses Jahres gab Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) als Reaktion auf die Spannungen wegen der einander widersprechenden ADIZ-Ansprüche im Ostchinesischen Meer die Erklärung zur Luftraumsicherheit im Ostchinesischen Meer ab. Ma äußerte sich auf der Internationalen Konferenz für Frieden und Sicherheit in Ostasien, einem vom Außenministerium der Republik China und dem College of International Affairs der National Chengchi University (NCCU) in Taipeh organisierten Forum, das im Hotel Grand Hyatt Taipei stattfand. Zu den Teilnehmern zählten Akademiker und Experten aus Taiwan sowie aus Australien, Großbritannien, Indonesien, Japan, Neuseeland, den Philippinen, Singapur, Südkorea, Thailand und den USA.

In seiner Erklärung legte Ma drei Hauptprinzipien dar, welche die Luftraumsicherheit und Luftfahrtfreiheit in der Region gewährleisten sollen. Die Prinzipien zielen darauf ab, „nachhaltigen Frieden und dauerhafte Zusammenarbeit im Ostchinesischen Meer zu fördern und die regionale Stabilität und Konjunktur zu verbessern“, betonte Ma. Das erste Prinzip folgt dem Geist der Friedensinitiative Ostchinesisches Meer (East China Sea Peace Initiative, ECSPI), die Ma im August 2012 anregte und die alle Parteien mit Interessen in der Region unter anderem dazu aufruft, von antagonistischem Handeln abzusehen, Kontroversen beiseitezustellen und Dialog aufrechtzuerhalten, das Völkerrecht einzuhalten und Streitigkeiten auf friedlichem Wege beizulegen.

Ma zweites Prinzip vertritt den Grundsatz, dass bilaterale Gespräche zwischen Ländern mit einander überschneidenden ADIZs im Ostchinesischen Meer die beste Methode seien, Streitigkeiten beizulegen, und es mahnt dazu, solche Diskussionen so bald wie möglich aufzunehmen. Falls nötig, sollten die Beteiligten provisorische Vorkehrungen treffen, um Fehleinschätzungen zu vermeiden und Bedrohungen für Luftfahrtfreiheit und –sicherheit zu vermindern. Das dritte Prinzip drängt auf Verhandlungen, die zu einem Verhaltenskodex Ostchinesisches Meer über Vorgänge in der Luft und zu Wasser sowie zu einem Mechanismus für regionalen multilateralen Dialog führen sollen.

Das Staatsoberhaupt rief alle Beteiligten dazu auf, auf der Grundlage von gemeinsamem Vertrauen und Gegenseitigkeit Verhandlungen zu führen, um der heftigen regionalen Rivalität, die bis in die Zeit des Kalten Krieges zurückreicht, ein Ende zu bereiten. Ma verwies auf frühere Beispiele für friedliche Lösungen ähnlicher Zwistigkeiten, etwa die Beilegung von einander widersprechenden Gebietsansprüchen in der Nordsee Ende der sechziger Jahre und die Normalisierung der Beziehungen über die Taiwanstraße. Letztere habe seit seinem Amtsantritt im Mai 2008 einen früheren internationalen Krisenherd in ein „Symbol für Frieden und Wohlstand“ verwandelt, behauptete er.

Unter anderen Indikatoren für verbesserte Beziehungen zwischen Taiwan und Festlandchina erwähnte der Präsident die große Zunahme planmäßiger Linienflüge über die Taiwanstraße sowie von festlandchinesischen Touristen und Studierenden in Taiwan. Überdies haben beide Seiten im Laufe der vergangenen fünf Jahre 21 Abkommen besiegelt, die einen weiten Themenbereich abdecken, in den jüngsten Verträgen dieser Art ging es um Teilen von Daten und Forschung bei Meteorologie und Seismologie. Die beiden Abkommen wurden am 27. Februar dieses Jahres in Taipeh unterzeichnet.

Nur zwei Wochen zuvor hatte ein offizielles Treffen zwischen Wang Yu-chi (王郁琦), dem Minister des Rates für Festlandangelegenheiten (Mainland Affairs Council, MAC) der Republik China, und seinem festlandchinesischen Kollegen Zhang Zhijun (張志軍), Minister des Büros für Taiwanangelegenheiten (Taiwan Affairs Office, TAO), in der festlandchinesischen Stadt Nanjing stattgefunden. Es war die erste Begegnung zwischen hochrangigen Regierungsvertretern beider Seiten in über sechzig Jahren. Wang und Zhang „redeten einander mit ihren offiziellen Amtstiteln an“, sagte Ma und fügte hinzu, die Begegnung sei ein Meilenstein in der Geschichte des Austausches über die Taiwanstraße und zeige die Entschlossenheit der Regierung der Republik China, Frieden in der Region zu bewahren. Vom 25. bis 28. Juni war Zhang Zhijun zum Gegenbesuch in Taiwan.

John Hamre, ehemaliger Vize-Verteidigungsminister der USA und derzeitiger Präsident des Zentrums für strategische und internationale Studien (Center for Strategic and International Studies, CSIS) in Washington, begrüßte die Prinzipien für Luftraumsicherheit, die Präsident Ma in seiner Ansprache beim Forum in Taipeh vorgestellt hatte. Die Vereinigten Staaten strebten danach, Stabilität in der asiatisch-pazifischen Region zu fördern, versicherte Hamre und vertrat die Auffassung, dass territoriale Streitigkeiten durch diplomatische Mittel beigelegt werden sollten. Dieser Standpunkt entspricht auch der Position der Republik China, wie sie in der ECSPI dargelegt ist.

ECSPIs Schwerpunkt auf Diplomatie machte den Weg frei für mehrere regionale Durchbrüche. Im April vergangenen Jahres zum Beispiel unterzeichneten Taiwan und Japan ein bahnbrechendes Fischereiabkommen, fast zwei Jahrzehnte nach Beginn der Gespräche darüber. Weil sich die Fischereigründe der beiden Länder überschneiden, legt das Vertragswerk ein Gebiet von etwa 23 000 Quadratseemeilen fest, darunter Gewässer nahe den Diaoyutais, wo taiwanische Fischerboote sich unbehelligt betätigen dürfen. Präsident Ma verwies bei dem Forum in Taipeh darauf, dass Taiwan und Japan die Frage der Souveränität beiseitestellten, um sich bei der jüngsten Verhandlungsrunde auf das Teilen von Naturschätzen zu konzentrieren. Das Ergebnis war der erfolgreiche Abschluss des Fischereiabkommens, das jahrzehntelangen Streitereien in der Gegend ein Ende bereitet.

Auf dem Forum machte der Präsident auf einen Vorfall im Mai 2013 aufmerksam, bei dem ein Schiff der philippinischen Küstenwache das Feuer auf das taiwanische Fischerboot Guang Da Xing Nr. 28 eröffnet hatte, wodurch ein Fischer zu Tode kam. Die Besatzung des philippinischen Patrouillenbootes hatte irrtümlich angenommen, Guang Da Xing Nr. 28 sei in die Hoheitsgewässer ihres Landes eingedrungen. In den Wochen danach waren die Beziehungen zwischen den Regierungen beider Länder angespannt, doch im August des gleichen Jahres wurde der Konflikt friedlich beigelegt, als die Philippinen sich offiziell entschuldigten und beide Seiten einen Konsens erzielten über Fragen wie Gewaltverzicht bei der Umsetzung von Gesetzen und schnelle Freigabe beschlagnahmter Fischerboote und festgenommener Besatzungsmitglieder. Als die Philippinen im November 2013 von einem verheerenden Taifun überrollt wurden, stellte Taiwan ohne Verzug Hilfsgelder bereit und schickte umgehend mit Militärflugzeugen und Schiffen Hilfsgüter los. „Dies sind die konkreten Ergebnisse, dass die Regierung der Republik China unerschütterlich an der ECSPI festhält und ihr Prinzip, Lösungen für Streitigkeiten durch friedliche Verhandlungen zu suchen, aufrechterhält“, unterstrich Ma.

Die Küstenwache der Republik China und die Streitkräfte des Landes führen Patrouillen in den Gewässern nördlich von Taiwan durch, um die Sicherheit von Fischerbooten des Landes zu gewährleisten und die Territorialrechte zu schützen. (Foto: Central News Agency)

Positive Resonanz

Die internationale Gemeinschaft reagierte positiv auf die ECSPI. Referenten beim Forum in Taipeh verwiesen etwa auf Äußerungen von Daniel R. Russel, Assistenzsekretär im State Department für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten, am 5. Februar dieses Jahres vor dem Asien-Pazifik-Subkomitee für Auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, in denen Russel ECSPI anerkannte, weil die Initiative mit wichtigen Elementen der US-Politik übereinstimmte wie Eintreten für Respekt vor dem Völkerrecht und Lösung von Streitigkeiten durch Dialog und friedliche Mittel.

Taeho Kim, Professor in der Abteilung für internationale Studien der Hallym University of Graduate Studies im südkoreanischen Seoul, ließ sich vernehmen, die Initiative biete wohl „die einzigen brauchbaren Richtlinien“ für die Lösung heikler Territorialfragen und Souveränitätsstreitigkeiten. Kim, der auch als Direktor des Zentrums für zeitgenössische Chinastudien im Hallym Institute of Advanced International Studies fungiert, nannte Taiwans Fischereiabkommen mit Japan im Jahr 2013 als Beispiel für den erfolgreichen Ansatz der Initiative, Souveränitätsfragen beiseitezustellen, um sich auf die Entwicklung und den Schutz von Naturschätzen zu konzentrieren.

Eine gemeinsame Sorge der Referenten bei dem Forum war die Zunahme nationalistischer Politik in Ostasien. Todd Hall, Dozent in der Abteilung für Politologie und internationale Beziehungen der Oxford-Universität in Großbritannien, verglich die aktuelle Lage in der Region vorsichtig mit der Situation in Europa vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Der Akademiker wies darauf hin, dass der Nationalismus heute bei den Spannungen in Ostasien eine wesentliche Rolle spielt, so wie in Europa 1914, und bemerkte, die festlandchinesische Regierung stütze sich auf nationale Regungen, um im Inland Unterstützung für die eigene Politik zu gewinnen. Entsprechend beobachtete Connie Rahakundini Bakrie, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Verteidigungs- und Sicherheitsstudien in Jakarta (Indonesien), Beijing nutze verbreitete antijapanische Ressentiments in Festlandchina, um Unterstützung für ihre ADIZ im Ostchinesischen Meer aufzubauen. Andere Faktoren hinter der Einrichtung der Zone seien ein Wunsch nach Legitimität in Festlandchinas neuer Führung und die Notwendigkeit, auf die US-amerikanische Politik für ein neues Gleichgewicht in Asien zu reagieren, fuhr sie fort. Rahakundini meinte überdies, sie sehe wenig Chancen für Festlandchina, eine zusätzliche ADIZ im Südchinesischen Meer einzurichten, weil ein solcher Schritt wahrscheinlich eine energische Antwort der USA hervorrufen würde, die entschlossen seien, ihre Bewegungsfreiheit in der Region aufrechtzuerhalten.

Bei einem Treffen mit Referenten des Forums im Präsidialamt in Taipeh machte Präsident Ma darauf aufmerksam, dass eine ADIZ nicht mit Staatsgrenzen identisch sei, weil man eine ADIZ zum Zweck der Frühwarnung und –erkennung einrichte und diese Zonen noch nicht klar vom Völkerrecht geregelt werden. Das Staatsoberhaupt ermahnte Parteien mit einander überschneidenden ADIZ im Ostchinesischen Meer, im Rahmen internationaler Luft- und Seefahrtsbestimmungen zu verhandeln und dabei zu versuchen, Streitigkeiten pragmatisch beizulegen. Ma rief auch zu „drei Runden bilateraler Gespräche“ zwischen Taiwan, Festlandchina und Japan auf und erklärte, solche Verhandlungen würden Konflikte vermindern und dazu ermuntern, Naturschätze in der Region zu teilen.

Kommentatoren auf dem Forum meinten, zwar könne es schwierig sein, Mas Anregungen in die Tat umzusetzen, doch sie könnten dazu beitragen, eine Grundlage für breitere regionale Kooperation zu legen. Tatsächlich analysierte Christopher Hughes, Dozent für internationale Beziehungen an der London School of Economics and Political Science, angesichts der politischen Dynamik von Zwisten im Ostchinesischen Meer bedeute Taiwans pluralistische Demokratie, dass das Land eine einzigartige und konstruktive Rolle dabei zu spielen habe, mit einem der am heftigsten umstrittenen Gebiete der Welt umzugehen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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