29.04.2024

Taiwan Today

Politik

Ein strahlendes neues Kapitel

01.05.2014
Am 9. April dieses Jahres nahm Ma Ying-jeou, Staatspräsident der Republik China, an einer Videokonferenz mit dem Zentrum für strategische und internationale Studien (CSIS) in Washington teil. (Foto: Courtesy Präsidialamt)
Der 10. April ist ein wichtiges Datum bei den Beziehungen Taiwans mit den USA und Japan. An jenem Tag im Jahr 1979 unterzeichnete US-Präsident Jimmy Carter den Taiwan Relations Act (TRA), ein Gesetz, das eine wesentliche Rolle dabei spielte, das Verhältnis zwischen Taiwan und den USA beim Fehlen offizieller diplomatischer Beziehungen beizubehalten und zu verbessern. Die Unterzeichnung eines Fischereiabkommens zwischen Taiwan und Japan am 10. April vergangenen Jahres wiederum hat die Beziehungen mit einem der wichtigsten Partner Taiwans in der Region gefestigt. Am 9. April dieses Jahres unterstrich Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) in einer Videokonferenz, die zwischen seinem Amtssitz in Taipeh und dem Zentrum für strategische und internationale Studien (Center for Strategic and International Studies, CSIS) in der amerikanischen Hauptstadt Washington geschaltet wurde, die Bedeutung der beiden Abkommen. An der Videokonferenz nahmen außerdem der amerikanische Kongress-Abgeordnete Mario Diaz-Balart teil, einer der Vorsitzenden der Taiwan-Gruppe im US-Kongress, daneben John Hamre, ehemaliger Vize-Verteidigungsminister der USA und derzeitiger CSIS-Präsident, Christopher K. Johnson, Moderator und CSIS-Berater, und Paul Wolfowitz, ehemaliger Präsident der Weltbank und zur Zeit Vorsitzender des Wirtschaftsrates USA-Taiwan.

Ma erklärte, es freue ihn zu erfahren, dass das US-Repräsentantenhaus am 7. April dieses Jahres ein Gesetz verabschiedet habe, das die Verpflichtung der USA gegenüber TRA aufs Neue bekräftige. TRA sei „ein wesentliches Gesetz und ein Meilenstein, der das Fundament für ein robustes Verhältnis zwischen der Republik China und den USA gelegt habe“, versicherte Ma und fuhr fort: „Mit einer soliden Unterstützung im US-Kongress über die Parteigrenzen hinweg haben unsere beiden Länder starke Verbindungen bei Politik, Sicherheit, Wirtschaft und Kultur aufrechterhalten, welche dazu beitrugen, Frieden und Stabilität in Ostasien zu sichern und zu verbessern.“

Das Staatsoberhaupt erkannte an, dass TRA für die taiwanisch-amerikanische Zusammenarbeit eine stabile Basis biete. Im April dieses Jahres ging in Washington die achte Verhandlungsrunde zwischen beiden Seiten unter dem Handels- und Investitions-Rahmenabkommen (Trade and Investment Framework Agreement, TIFA) über die Bühne. Die Gespräche fanden unter der Führung von Cho Shih-chao (卓士昭), Vize-Wirtschaftsminister der Republik China, und der kommissarischen Vize-Handelsrepräsentantin der USA Wendy Cutler statt. Die erörterten Themen umfassten einen weiten Bereich von landwirtschaftlichen Handelsfragen, Klarstellung von Investitionskriterien, Durchsetzung von Urheberrechten und Etikettierungsvorschriften. Vertreter der Republik China und der USA besprachen überdies Zusammenarbeit bei Initiativen zu asiatisch-pazifischer Wirtschaftskooperation und laufenden Bemühungen bei Abkommen der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO).

Präsident Ma verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass die TIFA-Gespräche in naher Zukunft zu Verhandlungen über ein bilaterales Investitionsabkommen (Bilateral Investment Agreement, BIA) führen würden. „Ein BIA könnte den Anfang einer robusteren und umfassenderen Wirtschaftsbeziehung zwischen unseren beiden Ländern darstellen“, warb er in der Videokonferenz.

Im vergangenen Jahr erreichte der bilaterale Warenhandel zwischen den beiden Ländern 57,7 Milliarden US$, und die USA sind seit den fünfziger Jahren der wichtigste Ursprungsort für direkte Auslandsinvestitionen in Taiwan. Diaz-Balart bemerkte bei der Videokonferenz, die Dynamik der taiwanischen Wirtschaft habe ihn immer fasziniert, und er fügte hinzu, eine solche Vitalität sei wirtschaftlich mehr wert als natürliche Ressourcen wie Gold oder Öl. „Es sind die brillanten, fleißigen Unternehmer, die ein für die ganze Welt sichtbares leuchtendes Beispiel der Demokratie und Freiheit geschaffen haben“, lobte der Kongressabgeordnete, der zudem Ma für seine „unerschütterliche Führung“ pries und ihn einen „vertrauenswürdigen, verlässlichen Freund“ der USA nannte.

Während der Videokonferenz sagte Präsident Ma, er erwarte „den Anbruch eines strahlenden neuen Kapitels in der taiwanisch-amerikanischen Partnerschaft“, und er rief die USA dazu auf, Taiwans Anstrengungen zur Aufnahme in die Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP) und die Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP) zu unterstützen. Mitgliedschaft in diesen beiden regionalen Handelsblöcken zu gewinnen habe „für seine Regierung hohe Priorität“, betonte Ma. Im vergangenen Jahr belief sich das Volumen von Taiwans Handel mit den 12 Ländern, die an den TPP-Verhandlungen beteiligt sind, auf annähernd 200 Milliarden US$, der Handel mit den 16 RCEP-Ländern umfasste gar 325 Milliarden US$.

Eine Aufnahme vom September 2012, auf der ein Schiff der Küstenwache der Republik China nahe den Diaoyutai-Inseln ein taiwanisches Fischerboot beschützt. (Foto: Central News Agency)

Das Staatsoberhaupt führte aus, eine TPP-Mitgliedschaft werde nicht nur Taiwan nutzen, „sondern auch dazu beitragen, die wirtschaftliche Präsenz der USA in der asiatisch-pazifischen Region zu stärken“. Rückblickend auf jüngste Äußerungen von Daniel R. Russel, Assistenzsekretär im State Department, und seinem Stellvertreter Kin Moy bei Anhörungen im US-Kongress stellte Ma fest, beide hätten erklärt, die USA würden Taiwans Interesse an TPP begrüßen.

Russels Aussage am 5. Februar dieses Jahres vor dem Asien-Pazifik-Subkomitee für Auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses erkannte die Bemühungen der Republik China an, die Rolle des regionalen Friedensstifters auszufüllen. Während der Anhörung sagte Russel, dass die Prinzipien der Friedensinitiative Ostchinesisches Meer (East China Sea Peace Initiative, ECSPI), die Ma im August 2012 angeregt hätte, „der Strategie und den Bemühungen der USA sehr nahe“ seien, namentlich in puncto Respekt vor Völkerrecht und friedlicher Beilegung von Disputen.

Ein Schlüsselprinzip von ECSPI lautet, dass Souveränität zwar nicht eingeschränkt werden kann, Naturschätze dagegen geteilt werden können. Ma verwies auf das Fischereiabkommen mit Japan von 2013 als Beispiel für die Anwendung dieses Prinzips. „In den jüngsten Jahren ist die Gefahr der Konfrontation wegen der Diaoyutai-Inseln (釣魚臺列嶼) erheblich gewachsen“, argumentierte Ma. „Deswegen habe ich die Friedensinitiative Ostchinesisches Meer vorgeschlagen. Ich wollte vorführen, dass ein unterschiedlicher Weg und ein hilfreicherer Ausgang möglich sind.“

Taiwanische Fischerboote sind seit langem in den Gewässern um die Diaoyutai-Inseln aktiv; die unbewohnte Inselgruppe liegt rund 100 Seemeilen nordöstlich von Taiwan. Die Republik China beharrt fest darauf, dass die Inseln untrennbarer Bestandteil des Hoheitsgebiet des Landes sind, doch Japan und Festlandchina erheben ähnliche Ansprüche. Der Präsident machte darauf aufmerksam, dass Taiwans Abkommen mit Japan es Fischerbooten aus beiden Ländern zum ersten Mal seit 40 Jahren erlaube, sich in umstrittenen Gewässern mit einer Fläche zwei Mal so groß wie Taiwan unweit der Diaoyutais zu betätigen.

Das bahnbrechende Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan wurde unter Dach und Fach gebracht, fast zwei Jahrzehnte nachdem die Gespräche Mitte der neunziger Jahre begonnen hatten. Lin Hsien-sen, Dozent an der Abteilung für Ostasienstudien der Pädagogischen Hochschule Taiwan (National Taiwan Normal University, NTNU) in Taipeh, weist darauf hin, dass es das erste Abkommen war, das Taiwan mit einem Nachbarland über sich überlappende Ausschließliche Wirtschaftszonen (Exclusive Economic Zone, EEZ) im Einklang mit dem 1994 in Kraft getretenen Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS) unterzeichnete. „Das Fischereiabkommen mit Japan entschärft eine mögliche Zeitbombe, welche das Verhältnis zwischen Taiwan und Japan jederzeit hätte destabilisieren können“, enthüllt Lin. „Außerdem bietet es ein Modell für Lösung von Zwistigkeiten im Ostchinesischen Meer.“

Das Fischereiabkommen ist einer von mehreren Durchbrüchen, die Taiwan und Japan in den jüngsten Jahren erzielt haben. 2011 unterzeichneten beide Seiten ein Investitionsabkommen, eine wichtige Entwicklung, wenn man bedenkt, dass Japan für Taiwan der zweitgrößte Handelspartner ist und Taiwan für Japan der fünftgrößte. Außerdem erreichten beide Länder nach mehr als zehn Jahren vorbereitender Gespräche eine Übereinkunft, durch die Hunderte antike chinesische Kunstgegenstände aus Taipehs Nationalem Palastmuseum in Japan ausgestellt werden können. Nach Lins Worten haben solche Vorgänge beträchtliche politische Bedeutung und erweitern die gegenseitigen unterstützenden Bindungen zwischen den beiden Ländern.

Im Januar dieses Jahres fand in Taipeh eine Folgekonferenz zum taiwanisch-japanischen Fischereiabkommen statt. (Foto: Central News Agency)

Im Hinblick auf Taiwans Verhältnis mit Festlandchina gilt die Aufrechterhaltung und Förderung des Friedens in der Taiwanstraße als eine der eindrucksvollsten Leistungen von Ma Ying-jeous Administration, welche der politischen Richtlinie „keine Wiedervereinigung, keine Unabhängigkeit und keine Gewaltanwendung“ folgt.

„Dank der Bemühungen beider Seiten sind die Beziehungen über die Taiwanstraße derzeit besser als in den sechs Jahrzehnten zuvor“, verkündete Ma in der Videokonferenz. „Bislang haben zehn bilaterale Gesprächsrunden stattgefunden, auf denen insgesamt 21 Abkommen unterzeichnet wurden, und für die Zukunft ist die Einrichtung von Repräsentativbüros geplant.“ Ma stellte fest, dass die friedlichen und stabilen Beziehungen über die Taiwanstraße von Russel gelobt worden waren — vor dem Komitee für Auswärtige Beziehungen des US-Senats hatte Russel unlängst ausgesagt, „wir [in den USA] begrüßen und loben den außerordentlichen Fortschritt, der sich unter der Ma-Administration in den Beziehungen über die Taiwanstraße vollzogen hat, ganz ungemein.“

Attraktiver Standort

Während der Videokonferenz pries Wolfowitz Ma dafür, „die Beziehungen über die Taiwanstraße in einer Weise umgewandelt zu haben, die nicht nur für Taiwan und Festlandchina, sondern auch für die USA positiv“ sei. Wolfowitz stellte fest, durch die enger werdenden Wirtschaftsbeziehungen über die Taiwanstraße könnte Taiwan ein weitaus attraktiverer Standort für US-amerikanische Firmen werden. „Wir arbeiten sehr hart daran, mehr amerikanische Firmen nach Taiwan zu locken“, sagte er. „Was Sie bei den Beziehungen über die Taiwanstraße geleistet haben, ist in dieser Hinsicht hilfreich.“

Wolfowitz fuhr zudem fort, die jüngsten Proteste in Taiwan wegen der Überprüfung des Dienstleistungshandelsabkommens über die Taiwanstraße (das im Juni 2013 unterzeichnet worden war) im Legislativ-Yuan (立法院) — also Taiwans Parlament — hätten ihn verblüfft. „Das ist aus Gründen, die mich offen gestanden überraschten, umstritten geworden, weil ich das sehr starke Gefühl habe, dass mehr Offenheit Taiwans zu Handel für Taiwans Zukunft und die Demokratie des Landes von entscheidender Bedeutung ist“, führte er aus. „Ich spüre jedoch, dass es Menschen in Taiwan gibt, die irgendwie besorgt sind, all das werde Taiwan zu sehr Festlandchina in die Arme treiben.“

Ma antwortete darauf, die Auswirkungen des Dienstleistungsabkommens auf Taiwans Gesellschaft würden berücksichtigt. Die Regierung bemühe sich außerdem, Handelsbeziehungen mit anderen Ländern zu entwickeln, etwa den Mitgliedsländern des Verbandes Südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN). Es gehe darum, „unsere Export-Zielländer zu diversifizieren und den Menschen klarzumachen, dass wir dabei nicht alles auf nur eine Karte setzen“, beschwichtigte der Präsident.

Marktliberalisierung wird für Taiwan notwendig sein, um den Handel in der Region zu verstärken oder um Mitgliedschaft in RCEP und TPP zu gewinnen. Ma sagte, der beste Weg für Taiwan, Entschlossenheit zur Öffnung von Märkten unter Beweis zu stellen, sei die Unterzeichnung von Handelsabkommen mit Taiwans größtem Handelspartner, nämlich Festlandchina, sowie mit Japan und anderen Ländern. „Für eine kleine aber offene Volkswirtschaft wie Taiwan ist dies wahrscheinlich der einzige Weg, dass wir es tun könnten und sollten“, schloss Ma.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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