05.05.2024

Taiwan Today

Politik

Ein Fahrplan für die Zukunft

01.01.2013
Taiwans Hauptstadt Taipeh ist seit 1967 regierungsunmittelbare Stadt und nach Ansicht von Vize-Innenminister Chien Tai-lang bislang die einzige Weltstadt auf der Insel. (Foto: Chang Su-ching)
Eine vereinigte Verwaltung kann dazu beitragen, eine klare Identität für eine Region aufzubauen. In der Vergangenheit zum Beispiel galt die Stadt Taipeh als Herz von Nordtaiwan, wogegen der umliegende Landkreis Taipeh nur eine Nebenrolle spielte, weiß Eric Chu (朱立倫), Bürgermeister von New Taipei City, also der neuen regierungsunmittelbaren Stadt (直轄市), die im Dezember 2010 durch Aufwertung des Landkreises Taipeh geschaffen wurde. Der zweitrangige Status lag laut Chu zum Teil daran, dass jede Gemeinde im Landkreis Taipeh einen eigenen Entwicklungsplan hatte. „Nun gibt es eine großartige Chance, ein Gesamtbild für die Stadt zu schaffen, doch wir müssen auch auf die einzigartigen Merkmale und Bedürfnisse jedes Bezirks achten“, sinniert Chu.

Die ersten Stimmen, die zu einer Neugestaltung von Taiwans Verwaltungsgrenzen rieten, ließen sich in den neunziger Jahren vernehmen, und im erfolgreichen Wahlprogramm von Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) zur Präsidentschaftswahl 2008 spielte die Angelegenheit eine nicht geringe Rolle. Zuvor gab es lediglich zwei regierungsunmittelbare Städte, Taipeh und Kaohsiung, sowie 18 Landkreise und 5 Städte auf Kreisebene. Im April 2009, weniger als ein Jahr nach Präsident Mas Amtsantritt, verabschiedete der Legislativ-Yuan der Republik China (立法院), also Taiwans Parlament, Änderungen am Lokalverwaltungsgesetz, die es Städten und Landkreisen, die gewisse Kriterien bei Bevölkerungszahl und Urbanisierungsgrad erfüllten, erlaubten, durch Aufwertung oder Fusion den Status einer regierungsunmittelbaren Stadt anzustreben. Nach den Gesetzesänderungen legten elf Städte und Kreise, allesamt im bevölkerungsreichen Westteil der Insel gelegen, insgesamt sieben Gesuche vor, regierungsunmittelbare Städte zu werden. Schließlich gab die Zentralregierung vier Gesuchen statt und genehmigte die Fusionen von der Stadt Taichung mit dem Landkreis Taichung, von der Stadt Tainan mit dem Landkreis Tainan, und von der Stadt Kaohsiung mit dem Landkreis Kaohsiung, sowie die Aufwertung des Landkreises Taipeh zur regierungsunmittelbaren Stadt New Taipei City. Diese administrativen Veränderungen traten am 25. Dezember 2010 in Kraft.

Die Aufwertungen der Landkreise Taoyuan und Changhua wurden dagegen abgelehnt, und die Fusion der Landkreise Yunlin und Chiayi miteinander wurde gleichfalls nicht gestattet. Immerhin gewann das Streben des Landkreises Taoyuan an Schwung, und inzwischen wurde beschlossen, seinen Status bis Ende 2014 zu ändern. Momentan gibt es in Taiwan also fünf regierungsunmittelbare Städte, 14 Landkreise und 3 Städte auf Kreisebene. Die Großen Fünf machen etwa ein Viertel von Taiwans Landfläche aus, und 60 Prozent von Taiwans Einwohnern leben dort.

Zwei Jahre nach Neugestaltung der administrativen Landkarte werden nun die Vorteile der Veränderungen erkennbar. In New Taipei City haben die Veränderungen den Durchschnittsbürgern praktischen Nutzen beschert wie einen einmaligen Geburten-Zuschuss in Höhe von 20 000 NT$ (526 Euro), den die Stadtverwaltung seit April 2011 für jedes seit Beginn des Kalenderjahres im Verwaltungsbereich neu geborene Kind zahlt. Dies gilt für alle gemeldeten Einwohner von New Taipei City gleichermaßen und entspricht zudem der Gebärprämie in Taipeh — unter dem alten System betrugen die Zahlungen im Landkreis Taipeh je nach Gemeinde zwischen 1000 NT$ (26 Euro) und 20 000 NT$.

Im Januar dieses Jahres teilte das Intelligent Community Forum, eine Denkfabrik in New York, mit, Taichung stehe auf der Liste der Top Seven Intelligent Communities (sieben beste intelligente Gemeinden), die einzige nicht-westliche Stadt auf der Liste von 2012. Ein Hauptgrund für die Ehrung war laut Taichungs Bürgermeister Jason Hu (胡志強) die Integration der Verwaltungsarbeit von Stadt und Landkreis, welche für Bürger und Gewerbe hochgradig effiziente Verwaltungsdienstleistungen zur Folge hatte.

Weitere gute Nachrichten für Taichung gab es Mitte September, als Bürgermeister Hu bekannt gab, die regierungsunmittelbare Stadt habe vom Internationalen Verband des Erwerbsgartenbaus (Association Internationale des Producteurs de l’Horticulture, AIPH) die Genehmigung erhalten, ab November 2018 eine internationale Gartenschau zu veranstalten. Die Gartenschau soll im ländlichen Distrikt Houli stattfinden, wo üppige Landressourcen zur Verfügung stehen.

Ende Juli vergangenen Jahres kam auch die Stadt Tainan ihrem Ziel, auf der Weltbühne zu glänzen, einen Schritt näher. Die Liga historischer Städte, 1994 in der japanischen Stadt Kyoto gegründet, gab bekannt, dass man 2012 Tainan gemeinsam mit den Städten Kutaisi (Georgien) und Hebron (Palästina) Mitgliedschaft in der Organisation gewähre. Mit ihrem reichen Kulturerbe wurde Taiwans älteste Stadt als erster Ort der Insel Mitglied in dieser erlesenen Gruppe mit 94 anderen historischen Städten. „Diese Ehre, die uns zuteil wurde, hat viel der Fusion von Stadt und Landkreis Tainan zu verdanken, wodurch die daraus entstandene vergrößerte Stadt ein mächtiger Kandidat für Aufnahme in die Organisation wurde“, prahlt Tainans Bürgermeister William Lai (賴清德).

Das Rathaus von Taichung. Die neue regierungsunmittelbare Stadt in Zentraltaiwan gelangte 2012 auf die Liste der sieben intelligentesten Gemeinden der Welt. (Foto: Courtesy Taichung City Government)

Messlatte des Erfolges

Vor über zehn Jahren versuchte die damals noch kleinere Stadt Tainan vergeblich, in die Liga historischer Städte aufgenommen zu werden, doch erst als man mit der Vereinigung von Stadt und Landkreis alle kulturellen Schätze der beiden Gebiete in einem Verwaltungsbezirk zusammengefasst hatte, wurde das Streben von Erfolg gekrönt. Auch im gewerblichen Bereich der Stadt spielt Größe eine Rolle, denn die Stadtverwaltung vernetzt über zehn Gewerbeparks im Großraum Tainan, um damit in Zukunft einen stärkeren Ballungseffekt zu erzeugen.

Erhöhte Effizienz ist ein zusätzliches Ergebnis der Verwaltungsgrenzen-Reform, und sie lässt sich an der Ressourcenverteilung in den Bezirken einer regierungsunmittelbaren Stadt ablesen, enthüllt Hsu Jen-hui, Professor für öffentliche Politik und Verwaltung an der Shih Hsin University in Taipeh. In den früheren Landkreisen Taipeh, Kaohsiung, Taichung und Tainan wurden die Gemeindechefs in städtischen und ländlichen Gebieten per direkter Wahl ermittelt. Diese Führungspersönlichkeiten agierten oft unabhängig, was zu einem nachlässigen Umgang mit Ressourcen führte, so Hsu. Manche Gemeindeverwaltungen weigerten sich etwa, ihre Straßenreinigungsfahrzeuge mit Nachbarorten zu teilen, oder jede Gemeinde wollte ein eigenes Gemeindezentrum bauen, obwohl eines für alle Bewohner einer Region genügt hätte. Nach der Fusion erhielten die Gemeinden den Status von Stadtbezirken, und ihre Leiter werden vom Bürgermeister ernannt — nach Hsus Ansicht sollte dies solcher Verschwendung ein Ende bereiten.

Die Durchschnittsbürger in den neuen administrativen Regionen nehmen die größeren Veränderungen durch die Reform verständlicherweise als wenig mehr als kleine Abwandlungen ihrer Adresse wahr. „Die Verwaltungen der regierungsunmittelbaren Städte haben jedoch begonnen, im Einklang mit ihrem neuen Status Pläne für die Zukunftsentwicklung zu schmieden“, verrät Kao Shyh-nan, Direktor der Abteilung für regionale Angelegenheiten unter der Kommission für Forschung, Entwicklung und Bewertung (Research, Development and Evaluation Commission, RDEC), einer Behörde in Ministeriumsrang. Beispiel öffentliche Verkehrsnetze: „Kaohsiung ist von der Fläche und Einwohnerzahl her heute sehr groß“, bemerkt Kaohsiungs Bürgermeisterin Chen Chu (陳菊). „Nichts anderes als ein gutes Netz öffentlicher Verkehrsmittel kann die Menschen im gesamten Großraum Kaohsiung miteinander verbinden, damit sie sich mit der Stadt identifizieren. Nur mit einem solchen System können wir gewerbliche Sektoren in der Stadt vernetzen und Synergie unter ihnen erzeugen.“ Die Stadt Kaohsiung hat damit angefangen, das Verkehrsnetz für die sich ausdehnende Stadt mit sechs Knotenpunkten quer über die Gebiete der früheren Stadt- und Landkreiszonen von Kaohsiung zu integrieren und zu vergrößern.

Entsprechend plant die Stadtverwaltung Tainan ein integriertes öffentliches Omnibusnetz über die gesamte Fläche der früheren Stadt- und Landkreiszonen. Die früheren Bussysteme liefen unabhängig voneinander und nur in bestimmten Regionen. Die Stadtverwaltung Taichung verbessert ebenfalls ihren Busservice, womit die Kluft zwischen Stadt und Land in der regierungsunmittelbaren Stadt verringert werden soll. Bis Juli vergangenen Jahres hatte Taichung 118 städtische Busrouten durch die ganze Region koordiniert, ein Dutzend mehr als die im Jahr 2010 separat betriebenen Dienste in Stadt und Landkreis Taichung.

Die Reformen zur Neugestaltung der Verwaltungsgrenzen führten aber auch zu Kontroversen. „Taiwan verfolgt die Methode von oben nach unten, wobei die Zentralregierung durch den schwierigen Ablauf der Konsensführung dirigiert“, moniert Kao. Ein Problem dabei ist, dass die neuen Verwaltungen länger als erwartet dafür brauchten, dafür zu sorgen, örtliche Vorschriften in allen Bezirken der früheren Stadt- und Landkreisgebiete anzugleichen, was Spannungen verursachte. Die Zentralregierung forderte die fraglichen Regionen auf, die Aufgabe bis Ende 2012 zu vollenden, doch weil laut Kao bis Ende August vergangenen Jahres nur 63 Prozent aller solcher Vorschriften angepasst oder verfügt worden waren, ist dieses Ziel vermutlich verfehlt worden. Anzunehmen, dass das Phänomen „eine Stadt, zwei Systeme“ in Taiwan noch eine Zeitlang bestehen bleiben wird, bis die Veränderungen abgeschlossen sind.

Nach Kaos Worten bemüht man sich bei Anpassungen von Verwaltungsgrenzen im Ausland oft darum, solche Spannungen zu vermindern, indem man vorab mit Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen, die vereinigt werden sollen, anfängt, um den Weg für die Aufhebung administrativer Grenzen zu bereiten. Es existieren Foren, wo Taiwans Lokalverwaltungen miteinander kommunizieren und kooperieren, etwa die Regionalallianzen in Nordtaiwan und in Südtaiwan, die 1999 bzw. 2005 eingerichtet wurden. Kao von der RDEC meint allerdings, keine von beiden habe sich als besonders effizient erwiesen, wesentliche Zusammenarbeit zwischen den Stadt- und Landkreisverwaltungen in den beiden Regionen in Gang zu setzen. Wenn Lokalverwaltungen es vermocht hätten, einen Weg zu finden, im Vorfeld miteinander zu arbeiten, dann wäre die von der Zentralregierung verfügte Reform mit weniger Schwierigkeiten über die Bühne gegangen, spekuliert er.

Geld spielt eine Rolle

Finanzierung ist ein anderer Stein des Anstoßes. Lokalverwaltungen beziehen ihr Geld hauptsächlich aus drei Quellen: Steuern, die von der Zentralregierung eingetrieben wurden, Steuern, die lokal erhoben und von der Lokalverwaltung behalten wurden, und der Steuer-Umverteilungsfonds, ein Mechanismus der Zentralregierung, der von Lokalverwaltungen eingenommenes Geld umfasst.

Von den regierungsunmittelbaren Städten haben sich vier der Stadtverwaltungen beklagt, ihre Finanzen würden nicht ausreichen, mehr Dienstleistungen, für die sie nun verantwortlich wären, zu bieten. (Die Dienstleistungen der Stadt Taipeh blieben unverändert.)

Fort Provintia in Tainan. Ein Hauptgrund, warum Tainan in die Liga historischer Städte aufgenommen wurde, war die höhere Zahl historischer Stätten nach der Fusion von Stadt und Landkreis Tainan. (Foto: Chang Su-ching)

Nach Ansicht von Kritikern sind die Finanznöte zumindest teilweise auf den unvollständigen gesetzlichen Rahmen für die regierungsunmittelbaren Städte zurückzuführen. „Das Zonen-Neueinteilungsprojekt wurde zu hastig ausgeführt, und die Überarbeitungen einschlägiger Gesetze sind unvollendet“, brandmarkt Kaohsiungs Bürgermeisterin Chen und bezieht sich mit ihrer Äußerung auf zwei Vorschläge für Änderungen am Gesetz über die Zuteilung von Staatseinkünften und –ausgaben und am Gesetz über Staatsschulden, die noch vom Parlament gebilligt werden müssen.

Die Überarbeitung des Gesetzes über die Zuteilung von Staatseinkünften und –ausgaben macht die Hauptstrategie dafür aus, größere finanzielle Unterstützung für die Lokalverwaltungen zu erzielen. Zum Beispiel fließen derzeit 40 Prozent der Unternehmenssteuer (abzüglich Finanzen für Taiwans Einheits-Kassenbonlotterie) in den Steuer-Umverteilungsfonds ein. Gemäß der neuen Vorschläge sollen 100 Prozent der Unternehmenssteuer (abzüglich Finanzen für die Lotterie) unter den Lokalverwaltungen verteilt werden. Die Gesetzesänderungen würden es außerdem ermöglichen, dass die Lokalverwaltungen alle Einkünfte aus der Grundstück-Wertzuwachssteuer behalten könnten. Zur Zeit führen die Landkreise und Städte auf Kreisebene 20 Prozent ihrer Grundstück-Wertzuwachssteuern an den Steuer-Umverteilungsfonds ab.

Insgesamt würde diese „fiskale Dezentralisierung“, wie Hsu es nennt, das Verhältnis der Steuereinnahmen, die von der Zentralregierung und den Lokalverwaltungen kontrolliert werden, von derzeit 70-30 auf 60-40 abändern. Auf der Grundlage der jüngsten Zahlen könnten Lokalverwaltungen in ganz Taiwan insgesamt mit bis zu 100 Milliarden NT$ (2,63 Milliarden Euro) an zusätzlichem Budget rechnen, wenn die vom Finanzministerium angeregten Änderungen gebilligt werden.

Um die finanzielle Kluft zwischen regierungsunmittelbaren Städten und anderen Städten oder Kreisen zu verringern, sehen die vorgeschlagenen Änderungen überdies vor, dass 85 Prozent des Steuer-Umverteilungsfonds dazu benutzt werden sollen, die Haushaltsdefizite von Lokalverwaltungen zu decken, dabei nicht verbrauchte Gelder sollen sie sich für Verbesserungen an der Infrastruktur teilen. Die restlichen 15 Prozent aus dem Steuer-Umverteilungsfonds sollen je nach ihren Bemühungen, ihre eigenen Finanzen zu verbessern, zugewiesen werden.

Neubetrachtung der Staatsschulden

Die Lokalverwaltungen hoffen zudem auf Neufassungen am Gesetz über Staatsschulden, damit sie mehr Spielraum zur Erhöhung von Schulden und dadurch größere Flexibilität bei der Verwendung von Finanzen erhalten. Momentan dürfen Taiwans gesamte Staatsschulden in über einem Jahr nicht mehr als 48 Prozent des durchschnittlichen Bruttosozialprodukts (BSP) der letzten drei Jahre betragen. Das Gesetz legt so eine Schulden-Obergrenze für alle Regierungsebenen fest. Hsu von der Shih Hsin University mahnt, dass die Regierung sich der Angelegenheit aber mit großer Vorsicht annehmen sollte, „vor allem angesichts der europäischen Schuldenkrise“, die zum Teil auf die lockeren Kreditkriterien zurückzuführen ist, die zu Darlehensaufnahme mit hohem Risiko verleiteten.

Änderungen an den zwei Gesetzen wurden dem Parlament erstmals im Januar 2010 zur Beratung vorgelegt. Seitdem werden die vorgeschlagenen Änderungen am Staatsschuldengesetz überarbeitet. Dem Gesetz über die Zuteilung von Staatseinkünften und –ausgaben wurde zu Beginn der parlamentarischen Sitzungsperiode im September vergangenen Jahres hohe Priorität beigemessen.

Im Jahr 2011 erhielten die fünf regierungsunmittelbaren Städte 224 Milliarden NT$ (5,89 Milliarden Euro) von der Zentralregierung. Das waren 38 Milliarden NT$ (1 Milliarde Euro) mehr als die gesamten Zahlungen des Jahres 2010 an die entsprechenden Städte und Landkreise vor der Verwaltungsreform. Das Ziel der zusätzlichen Zuwendungen war, das Ausmaß der Engpässe, die man in den neuen regierungsunmittelbaren Städten wegen der noch nicht erfolgten Änderungen an den beiden Finanzgesetzen erleiden musste, zu schmälern.

Kaohsiungs Stadtverwaltung arbeitet nun an einem umfassenden Verkehrsnetz, auch damit sich die Bürger leichter mit der neuen administrativen Region identifizieren können. (Foto: Courtesy Kaohsiung City Government)

Eine damit zusammenhängende Maßnahme ist ein vorgeschlagenes Gesetz, mit dem man in regierungsunmittelbaren Städten die Grenzen der Bezirke und in anderen Gebieten die Gemeindegrenzen neu ziehen könnte, und der Gesetzentwurf wurde gleichfalls ab September vergangenen Jahres im Legislativ-Yuan erörtert. Dieses angeregte Gesetz über die administrative Gliederung gilt als wichtiges Mittel, durch das man Ressourcen gerechter und gemäß den wirklichen Bedürfnissen an die Bürger verteilen könnte. Derzeit gibt es hinsichtlich Bevölkerung und wirtschaftlicher Stärke große Unterschiede zwischen den Bezirken, doch verwaltungstechnisch haben sie alle den gleichen Rang. Das Gleiche gilt für die Gemeinden in den übrigen Landkreisen und Städten auf Kreisebene.

Zwei Zuständigkeiten sind bislang noch nicht auf die vier neuen regierungsunmittelbaren Städte übertragen worden. Die eine Zuständigkeit ist die Zuweisung von Inspektionen in Arbeitnehmerfragen, wie sie in der Stadt Taipeh und auf dem alten Stadtgebiet von Kaohsiung üblich sind und welche die regierungsunmittelbaren Städte gern selbst übernehmen würden. Der Rat für Arbeitnehmerfragen (Council of Labor Affairs, CLA), eine Behörde in Ministeriumsrang, würde diese Aufgabe lieber gemeinsam behandeln, indem man den Verwaltungen der neuen regierungsunmittelbaren Städte erlaubt, allgemeine Einschätzungen durchzuführen, während der CLA die Kompetenz in Bereichen behält, die besonderes Fachwissen erfordern, etwa Gesundheits- und Sicherheitsinspektionen.

Die andere fragliche Zuständigkeit ist der Betrieb der Oberschulen in den vier neuen regierungsunmittelbaren Städten. Auch hier verhält es sich so, dass Taipeh sich um diese Aufgabe kümmert, Kaohsiung tut dies auf seinem alten Stadtgebiet. Die vergrößerte Stadt Kaohsiung sowie die neuen regierungsunmittelbaren Städte New Taipei City, Taichung und Tainan weigern sich dagegen, diese Aufgabe auf sich zu nehmen, weil damit schwere finanzielle Belastungen einhergehen. „Ich rebelliere nicht gegen die Zentralregierung, doch die finanzielle Unterstützung von dort reicht nicht für den Betrag, den man tatsächlich braucht, um eine qualitativ hochwertige Bildung zu gewährleisten“, kommentiert Lai den Oberschulplan. Nach den Worten von Tainans Bürgermeister gibt es in seiner Stadt 23 Oberschulen, für die im Jahr 2010 insgesamt 5,3 Milliarden NT$ (139 Millionen Euro) ausgegeben wurden. Die Zentralregierung hat der Stadtverwaltung weniger als 70 Prozent dieser Summe versprochen, um die Verantwortung für die Schulen zu schultern, bemängelt er.

Das beste draus machen

Zwar ist die gegenwärtige Lage schwierig, doch möchte Lai die Reformen unterm Strich eher positiv bewerten. „Wir werfen wegen finanzieller Beschränkungen nicht gleich die Flinte ins Korn“, beschwichtigt er. „Wir werden aus unseren begrenzten Mitteln das beste machen.“ Zu diesem Zweck wuchs der Druck auf die Verwaltungen, die Ausgaben zu vermindern, was sich ablesen lässt an den Beschlüssen der Stadt Tainan, zum Beispiel das Feuerwerk zum Jahresende abzusagen oder Ausgaben für Pressekonferenzen zu kürzen. Gleichzeitig besserte sich die Finanzlage der Zentralregierung durch die Einführung einer neuen Steuer im Juni 2011 auf Wohnstätten, die in einem kurzen Zeitraum nach dem Erwerb weiterverkauft werden, oder für den Kauf von Luxusgütern wie teuren Automobilen. Das Finanzministerium verfügte ab Januar dieses Jahres eine Wertpapier-Gewinnsteuer, und es wird eine Energiesteuer für Gewerbe erwogen. Überdies plant die Zentralregierung, von ihren 164 000 Staatsdienst-Stellen bis 2015 durch Nichtbesetzung offener Stellen 4000 Stellen abzubauen, um auf diese Weise ihren Betrieb zu straffen und umzustrukturieren.

„Das ist ein guter Anfang, aber Taiwan muss mehr tun“, urteilt Hsu. Lange Zeit versuchten Taiwans Politiker, Wahlen zu gewinnen, indem sie einerseits in bestimmten Gebieten für Steuersenkungen eintraten und andererseits Sozialleistungen erhöhten, merkt er an. Infolgedessen hat sich die Finanzlage des Staates verschlechtert. Der Gelehrte findet, es sei an der Zeit, harte Beschlüsse zu fassen, auch wenn sie politisch unpopulär sein sollten. „Man muss tun, was getan werden muss, besonders wenn es darum geht, dass die Reichen ihren Beitrag leisten“, fordert er.

Bis dato warten auf Taiwan bei dem Bemühen, Ressourcen neu zu verteilen, noch erhebliche Herausforderungen, doch trotz aller Kontroversen bleiben positive Erwartungen. Umfragen durch die Stadtverwaltung Tainan in den Jahren 2011 und 2012 ergaben, dass über 60 Prozent der Befragten große Hoffnungen für die Entwicklung des Großraums Tainan nach der Neugliederung der Verwaltungszonen des Jahres 2010 zum Ausdruck brachten. „Ich stehe unter großem Druck, ihre Erwartungen zu erfüllen“, bekennt Lai.

Der stellvertretende Innenminister Chien Tai-lang (簡太郎) erachtet die Anstrengungen zur Anpassung der Verwaltungsgrenzen als notwendig für Taiwans Entwicklung. „Die Wettbewerbsfähigkeit von Städten ist im Prinzip gleichbedeutend mit der nationalen Wettbewerbsfähigkeit“, definiert er. „Die Stärke einer Stadt kommt von ihrer Größe und ihrer Fähigkeit, sich durch Abbau von Verwaltungsgrenzen auszudehnen, was Teil eines globalen Trends ist.“ Chien macht auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam, Taiwans Städte zu modernisieren, damit sie mit traditionellen mächtigen Metropolen wie Tokyo und in jüngster Zeit Shanghai mithalten können. Taipeh, seit 45 Jahren regierungsunmittelbare Stadt, sei momentan die einzige Stadt in Taiwan, die als Weltstadt gelten könne, da allen anderen nach seiner Beobachtung bisher noch globale Wettbewerbsfähigkeit fehlt. Man darf indes damit rechnen, dass sich dies ändern wird, da die Reformanstrengungen gerade erst begonnen haben. Chien: „Wir hoffen, dass am Ende diese regierungsunmittelbaren Städte an Stärke gewinnen und zu regionalen Kernzentren in Taiwan werden, welche die Kooperation mit benachbarten Stadt- und Landkreisverwaltungen erleichtern, was wiederum die allgemeine Stärke von Taiwan steigern kann.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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