29.04.2024

Taiwan Today

Politik

Ein großer Schritt in die richtige Richtung

01.05.2013
Taiwanische Fischer, vor allem jene mit Heimathafen Keelung, New Taipei City oder Yilan, hatten im April dieses Jahres Grund zum Feiern, als ein neues Abkommen mit Japan bekannt gegeben wurde, gemäß dem sie in einem Gebiet, das sie seit langem als traditionelles Fischereigebiet betrachten, ihrem Gewerbe nachgehen können, ohne Einmischung von Japan befürchten zu müssen. Seit Jahren sind taiwanische Fischerboote in den Gewässern um die Diaoyutai-Inseln (釣魚台列嶼) aktiv, eine Gruppe von fünf unbewohnten Eilanden vulkanischen Ursprungs und drei Felsformationen ungefähr 102 Seemeilen nordöstlich von Keelung im Ostchinesischen Meer. Die Regierung der Republik China beansprucht die Diaoyutai-Inseln seit langem als untrennbaren Bestandteil ihres Hoheitsgebietes, doch taiwanische Fischer, die dort auf Fang gehen, wurden immer wieder von Schiffen der japanischen Küstenwache bedrängt, weil die Ausschließlichen Wirtschaftszonen (Exclusive Economic Zone, EEZ) der Republik China, Japans und Festlandchinas sich an den Diaoyutais überschneiden.

Die Rechte der taiwanischen Fischer, unbehindert an den Diaoyutais — oder „Senkaku-Inseln“ (尖閣諸島), wie sie in Japan genannt werden — arbeiten zu können, wurden aber geschützt, als Taiwans Verband für ostasiatische Beziehungen (Association of East Asian Relations, AEAR) und Japans Austauschverband (Interchange Association) am 10. April in Taipeh ein Fischereiabkommen über das Gebiet unterzeichneten. „Die neue Abmachung soll den Fischern helfen, vor der Nordostküste pro Jahr 1,5 Milliarden NT$ (38,46 Millionen Euro) extra erwirtschaften zu können“, erklärt Chen Chun-sheng, Vorstandsvorsitzender des Fischereiverbandes Suao in Yilan. Zur Zeit erzeugen Fischer in dem Gebiet jährliche Einkünfte in Höhe von etwa 3 Milliarden NT$ (76,9 Millionen Euro), gibt Chen bekannt.

Im Rahmen des Abkommens haben Fischerboote unter der Flagge der Republik China das Recht, sich in einem großen Areal zu betätigen, das sich von Japans Yaeyama-Inseln und den Miyako-Inseln östlich von Taiwan bis zum 27. nördlichen Breitengrad erstreckt. Die Zone, auf die man sich geeinigt hat, bedeckt eine Fläche von etwa 21 575 Quadratseemeilen und erfasst drei Gebiete mit insgesamt 1400 Quadratseemeilen, die sich zuvor außerhalb der Region befanden, wo die Küstenwachenverwaltung der Republik China (Coast Guard Administration, CGA) Patrouillen durchführt. Der Vertrag sieht zudem die Einrichtung eines Fischereikomitees zwischen der Republik China und Japan mit zwei Vertretern aus jedem Land vor, welche Fragen wie Umweltschutz und bilaterale Fischereikooperation erörtern. Das Komitee soll einmal im Jahr zusammenkommen und abwechselnd in Taipeh und Tokyo tagen.

Es war ein hart erkämpftes Abkommen, denn Taiwan und Japan verhandeln seit 1996 über Fischereirechte in dem Gebiet. Bis Februar 2009 hielten die beiden Seiten 16 formelle Fischereikonferenzen und zahlreiche Vorbereitungstreffen ab, danach fanden bis zu einem Vorbereitungstreffen im November vergangenen Jahres keine Gespräche mehr statt. Im März dieses Jahres ebneten mehrere vorbereitende Diskussionen den Weg für die 17. formelle Konferenz im April in Taipeh, wo eine Übereinkunft erzielt und das Fischereiabkommen unterschrieben wurde.

Liao Liou-yi (rechts), bis Anfang Mai Vorsitzender von Taiwans Verband für ostasiatische Beziehungen (AEAR), und Mitsuo Ohashi von Japans Austauschverband, beim Händedruck nach der Unterzeichnung des historischen Fischereiabkommens am 10. April in Taipeh. (Foto: Central News Agency)

Das Abkommen steht im Einklang mit der Friedensinitiative Ostchinesisches Meer (East China Sea Peace Initiative, ECSPI), die Ma Ying-jeou (馬英九), Staatspräsident der Republik China, am 5. August 2012 angekündigt hatte. Ma stellte ECSPI bei der Eröffnungszeremonie für eine Ausstellung anlässlich des 60. Jahrestages der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan vor. Die Initiative soll eine praktikable Lösung für die Spannungen bieten, welche seit über vier Jahrzehnten im Zusammenhang mit den Diaoyutais bestehen. Diese Spannungen waren im April vergangenen Jahres erneut zum Vorschein gekommen, als Shintaro Ishihara (石原慎太郎), ehemaliger Gouverneur von Tokyo, die Einrichtung eines privaten Fonds vorschlug, um mehrere der Inseln, die nach Japans Sichtweise einer japanischen Familie gehörten, käuflich zu erwerben. Die Republik China und Festlandchina äußerten wegen der Souveränitäts-Implikationen sofort heftigen Protest gegen Ishiharas Pläne. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, regte Ma die Friedensinitiative an, die alle Beteiligten dazu aufruft, Selbstkontrolle zu üben, Kontroversen über Souveränität hintanzustellen, Dialog zu führen und bei der Entwicklung der Naturschätze der Region zusammenzuarbeiten.

„Die Friedensinitiative Ostchinesisches Meer beruht auf den Prinzipien Frieden, Vernunft, Gegenseitigkeit und Symbiose“, definiert Huang Kwei-bo, Direktor des Internationalen Magisterprogramms für internationale Studien an der National Chengchi University (NCCU) in Taipeh. „Ihr Geist sollte im In- und Ausland weit verbreitet werden, um mehr Unterstützung zu gewinnen.“

Eingehend auf Souveränitätsfragen nimmt das jüngste Fischereiabkommen die Gewässer im Umkreis von 12 Seemeilen um die Diaoyutai-Inseln ausdrücklich aus. Das Abkommen enthält außerdem eine Ausschlussklausel, laut der die Bestimmungen im Abkommen die Standpunkte beider Parteien hinsichtlich Seerechtsfragen nicht einschränken.

„Das Abkommen, das wir vor sechs Tagen unterzeichnet haben, führt tatsächlich vor, wie wir wirklich mit einer Krisensituation umgehen können, um eine Einigung zu erzielen, ohne dass eine Seite die eigenen Gebietsansprüche zu Wasser und zu Lande opfern müsste“, unterstrich Präsident Ma am 16. April dieses Jahres während einer Videokonferenz, die das Zentrum für Demokratie, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit (Center on Democracy, Development and the Rule of Law, CDDRL) in der Stanford University (Kalifornien, USA) organisiert hatte und bei der die ehemalige US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice den Vorsitz führte. Mas Bemerkung kam als Antwort auf eine Frage von Gary Roughead, amerikanischer Marine-Admiral und ehemaliger Chief of Naval Operations, über die Lage im Ostchinesischen Meer. „Mit anderen Worten, ich glaube immer, dass nationale Souveränität zwar untrennbar ist, Naturschätze dagegen geteilt werden können“, ergänzte Ma.

Staatsbürger der Republik China steuern ein Wasserfahrzeug (im Vordergrund) in Richtung der Diaoyutai-Inseln, um ihre Entschlossenheit zum Schutz der Souveränitätsansprüche ihres Staates über das Gebiet zum Ausdruck zu bringen. Die Gegend gilt seit langem als traditionelles Fischereigebiet für taiwanische Fischer. (Foto: Central News Agency)

Nach den Worten von Song Yann-huei, Wissenschaftler am Institut für Europa- und Amerikastudien der Academia Sinica, Taiwans renommiertester Forschungsinstitution, steht das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan im Einklang mit internationalen Normen wie denen in der Charta der Vereinten Nationen. Song verweist auf Artikel 33 der Charta, in dem es heißt: „Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl.“ Song erwähnt überdies das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS), in dem die Staaten aufgerufen werden, alle erdenklichen Anstrengungen zu unternehmen, pragmatische und provisorische Arrangements auf der Grundlage von gegenseitigem Verständnis und Kooperation zu treffen, bevor eine Übereinkunft über den Grenzverlauf von EEZs getroffen wurde.

Am 17. April dieses Jahres nahm Song an der internationalen Konferenz über die Frage der Diaoyutai-Inseln in der Fu Jen Catholic University in Hsinchuang (New Taipei City) teil, gleichfalls vertreten war Chang Meng-jen, Direktor der Abteilung für italienische Sprache und Literatur der Lehranstalt. Während Song auf der Konferenz über internationales Recht referierte, regte Chang an, dass Taiwan, Japan und Festlandchina ihre Differenzen über die Diaoyutais beilegen, indem sie einen Blick auf das ermutigende Beispiel von Nordsee-Anrainerstaaten werfen. Laut Chang waren in den sechziger und siebziger Jahren die Spannungen zwischen Großbritannien und Norwegen über den Grenzverlauf im Kontinentalschelf der Nordsee, wo es reiche Erdöl- und Erdgasvorkommen gibt, recht hoch, außerdem gab es diesbezüglich Verstimmungen zwischen Dänemark, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland. „Alle Streitigkeiten wurden jedoch ohne Gewaltanwendung beigelegt“, unterstreicht Chang. „Kooperative Modelle für die Erschließung von Naturschätzen in der Nordsee kamen durch Verhandlungen zwischen diesen Ländern zustande.“ Chang fügt hinzu, dass die ECSPI und das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan gute Ausgangspunkte sind, um ein ähnliches Ergebnis zu erreichen.

Das Nordsee-Beispiel sprach Präsident Ma während seiner einleitenden Bemerkungen auf der Fu Jen-Konferenz an. Im Anschluss enthüllte er ein zweiphasiges Verfahren für Stabilität im Ostchinesischen Meer und rief dazu Taiwan, Japan und Festlandchina auf, zunächst bilaterale Gespräche zu führen, bevor man zu trilateralen Beratungen überginge. Das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan sei ein Beispiel für bilaterale Verhandlungen der ersten Phase, ebenso wie das Abkommen zwischen Japan und Festlandchina über Erdgas- und Öl-Erkundung aus dem Jahr 2008 oder der Fischereipakt des Jahres 2000, sagte Ma. Zur Zeit laufen zwischen Taiwan und Festlandchina keine Gespräche über das Ostchinesische Meer, doch beide Seiten haben nach seinen Worten seit 2010 an gemeinsamen Seerettungsunternehmen in der Taiwanstraße teilgenommen, und das Staatsoberhaupt setzte hinzu, solche gemeinsamen Bemühungen legten ein Fundament für zukünftige Zusammenarbeit und Verhandlungen.

Vor gerade mal einem Jahrzehnt hätte kaum jemand sich die aktuelle Annäherung zwischen Taiwan und Festlandchina vorstellen können. Im Laufe der Zeit wäre es möglich, dass Taiwan, Japan und Festlandchina dank ECSPI bei den Diaoyutais ähnliche Fortschritte machen könnten. „Wie Sie sehen, achten wir sehr darauf, die Rolle des Friedensförderers wahrzunehmen, deswegen vermindern wir die Spannungen zwischen Festlandchina und Taiwan, und außerdem versuchen wir, die Spannungen zwischen Taiwan und Japan bei Fischereifragen zu verringern“, versicherte Ma in seiner Antwort auf Rougheads Frage bei der Videokonferenz. „Uns ist klar, dass noch ein langer Weg vor uns liegt, aber zumindest haben wir einen sehr guten Anfang gemacht.“

(Deutsch von Tilman Aretz)


US-Sicherheitsexperte Alan Romberg zu den Diaoyutais

Alan D. Romberg ist Direktor des Ostasienprogramms am Henry L. Stimson Center, einer überparteilichen gemeinnützigen Denkfabrik in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington. Nach seiner Teilnahme an der internationalen Konferenz über die Frage der Diaoyutai-Inseln in der Fu Jen Catholic University am 17. April dieses Jahres legte Romberg im Gespräch mit der englischsprachigen Monatszeitschrift Taiwan Review seine Ansichten über Präsident Mas Friedensinitiative und das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan dar.

Taiwan Review (TR): Haben die Friedensinitiative Ostchinesisches Meer oder das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan in akademischen oder politischen Kreisen der USA nennenswerte Bekanntheit erlangt, oder wurden sie dort ausgiebig diskutiert? Wie reagieren amerikanische Akademiker oder Politiker generell darauf?

Romberg: Jenen Amerikanern, die ostasiatische Angelegenheiten verfolgen, sind sowohl die Friedensinitiative Ostchinesisches Meer (ECSPI) als auch das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan sehr wohl bekannt. Ich denke, dass das Fischereiabkommen besonders begrüßt wurde, weil es nicht nur die Verbindungen zwischen der taiwanischen und der japanischen Volkswirtschaft vertieft, sondern auch einen echten Beitrag zum Frieden in der Region leistet. Es ist meiner Ansicht nach in der Tat ein klares Beispiel für die Anwendung der ECSPI-Prinzipien. Natürlich wird die Umsetzung entscheidend sein. Man darf den Regierungen von Taiwan und Japan jedoch zu dieser wesentlichen Leistung gratulieren.

TR: Präsident Ma Ying-jeou regte einen trilateralen Dialog zwischen Taiwan, Festlandchina und Japan über die Frage der Diaoyutai-Inseln und des Ostchinesischen Meeres an. In naher Zukunft wird das überwiegend für unwahrscheinlich gehalten, aber sind Sie optimistisch, dass das auf mittlere oder lange Sicht geschieht?

Romberg: Ich bin nicht sonderlich optimistisch, dass eine wie auch immer geartete Gesprächskonfiguration, welche den Souveränitätskonflikt um die Diaoyutais direkt behandelt, durchführbar sein wird. Wie bei jedem anderen Souveränitätsstreit auch sind die bestehenden Ansprüche kaum miteinander zu vereinen. Diese Beurteilung schließt die Tatsache mit ein, dass ich keine Aussichten erkennen kann, den Streit an einen internationalen Rechts- oder Schlichtungsablauf zu übertragen, der aus dem Patt herausführen könnte.

Ich finde, die von Präsident Ma vorgebrachte Idee im Hinblick auf gemeinsame Ausbeutung von Naturschätzen ist prinzipiell vernünftig, doch wir haben bereits die Schwierigkeiten zwischen Festlandchina und Japan bei der Umsetzung von vergangenen Abkommen über Teilen von Ressourcen gesehen. So wird das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan, wenn es mit Erfolg umgesetzt werden kann, zwar als bewunderungswürdiges Modell hervorstechen, aber ich bin nicht sicher, ob es Gelegenheiten geben wird, so etwas zu wiederholen.

Gleichzeitig hätten wir alle gern, dass Japan und die Volksrepublik China bei ihren Beziehungen in der Frage der Diaoyutais/Senkakus eine Art von Gleichgewicht wiederherstellten, das den Dingen erneut ein friedliches und stabiles Fundament verleihen würde und es ihren äußerst wichtigen allgemeinen Beziehungen gestattete, auf einen positiveren Kurs zurückzukehren.

TR: Festlandchina ist über das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan offensichtlich nicht glücklich. Zu welchem Grad wird Ihrer Einschätzung nach das Abkommen Auswirkungen auf die Beziehungen über die Taiwanstraße haben?

Romberg: Ich glaube nicht, dass das Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan große Auswirkungen auf die Beziehungen über die Taiwanstraße haben wird, wenn überhaupt. Beijing hat sich in dieser Sache zweifellos entweder kooperative oder zumindest parallele Anstrengungen von Festlandchina und Taiwan gewünscht, doch Präsident Ma hatte von Anfang an klargemacht, dass in seinen Augen ein gemeinsames Vorgehen mit Beijing nicht in Taiwans Interesse wäre. So wie ich Beijings Reaktion nach Abschluss des Abkommens deute, waren die Bedenken der chinesischen Kommunisten eher auf Japan in Form einer Warnung gerichtet, nicht die Verpflichtungen Japans zu „ein China“ zu verletzen, und betrafen nicht so sehr Taiwan für den Abschluss eines Abkommens, das unzweifelhaft den Interessen von Taiwans Fischern zugute käme. Zu dieser Einstellung kommt, glaube ich, noch hinzu, dass Beijing offenbar eines zur Kenntnis genommen hat — Taipeh hat unmissverständlich erklärt, dass das Abkommen in keiner Weise Taiwans Souveränitätsanspruch über die Inseln einschänkt. Das hat vermutlich die Hauptsorge Festlandchinas darüber gelindert, was die Regierung von Ma Ying-jeou tun könnte.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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