04.05.2024

Taiwan Today

Politik

Für einen nahtlosen Himmel

01.09.2013
Der Flughafen Taiwan Taoyuan. Im vergangenen Jahr leistete das Fluginformationsgebiet Taipeh fast 1,3 Millionen Navigationsdienste für Flüge mit insgesamt gut 45 Millionen Passagieren, darunter 35 Millionen internationale Reisende. (Foto: Chuang Kung-ju)
Es gibt Menschen, die gerne fliegen, und andere, die eine ausgeprägte Abneigung dagegen haben, doch beide würden der Feststellung zustimmen, dass der Ablauf einer Flugreise an sich recht einfach ist. Man bereitet die Reisedokumente vor, bucht den Flug und findet sich pünktlich am Flughafen ein. Nur wenige Reisende sehen über das Lächeln des Eincheck-Personals und die Begrüßung der Flugbegleiter hinaus auf die komplizierten Technologien und die Heerscharen professioneller Mitarbeiter, die erforderlich sind, damit das Flugzeug sicher den vorgesehenen Zielort erreicht.

Margaret Hong, Direktorin der Flugverkehrservice-Abteilung der Zivilluftfahrtverwaltung (Civil Aeronautics Administration, CAA), ist eine von diesen Fachleuten. Hong erläutert, dass jeder Teil der Erdatmosphäre zu einem bestimmten Fluginformationsgebiet (Flight Information Region, FIR) gehört, in dem eine zuständige Behörde dafür zu sorgen hat, Fluginformationen und Dienstleistungen zu liefern, darunter Luftfahrtkarten, Wetterinformationen, Telekommunikation, Untersuchung von Unfällen und vieles mehr. In der ganzen Welt gibt es über 300 FIRs, und die Dienste werden gemäß der Route des Fluges von einer FIR an die nächste weitergegeben.

Die Unterteilung von FIRs, für die damit befassten Behörden eine Angelegenheit administrativer Bequemlichkeit, wird von der 1944 gegründeten Internationalen Zivilluftfahrts-Organisation (International Civil Aviation Organization, ICAO) behandelt. Zwar untersteht die ICAO dem System der Vereinten Nationen (United Nations, UN), doch ist sie eine technische Behörde, die durch Festlegen von Standards und Bestimmungen Schutz, Effizienz und Betriebssicherheit bei ziviler Luftfahrt fördert. In den fast sieben Jahrzehnten ihrer Existenz hat die Behörde nicht weniger als 10 000 technische und betriebliche Normen erlassen, welche Millionen von Passagieren und Tausende von Frachtflügen rund um den Erdball betreffen. „Es gibt spezifische Normen sogar für die Sprache und Terminologien“, enthüllt Hong. „Nur wenn wirklich jede FIR die gleichen Standards und Bestimmungen befolgt, kann internationale Luftfahrt funktionieren.“

Die Republik China war einer der ursprünglichen Vertragsstaaten von ICAO und blieb bis zu ihrem Ausscheiden aus der UN im Oktober 1971 engagiertes Mitglied. Seitdem ist Taiwan von Beteiligung an ICAO-Diskussionen ausgeschlossen. Zwar verlor die Republik China ihren Sitz in der Organisation, doch Taiwan blieb für eine zentrale Verkehrs-Drehscheibe in der asiatisch-pazifischen Region verantwortlich, die FIR Taipeh mit einer Fläche von 180 000 Quadratseemeilen, die an die FIRs von Fukuoka (Japan), Manila (Philippinen), Hongkong und Shanghai (Festlandchina) grenzt. Im vergangenen Jahr leistete die FIR Taipeh fast 1,3 Millionen Navigationsdienste für Flüge mit insgesamt gut 45 Millionen Passagieren, darunter 35 Millionen internationale Reisende, welche in die Region hineinkamen, sie verließen oder durchreisten, teilt die CAA mit. Außerdem ist der Internationale Flughafen Taiwan-Taoyuan hinsichtlich Frachtvolumen einer der globalen Spitzenreiter.

Indirekte Informationen

CAA-Generaldirektorin Jean Shen (沈啟) betont, dass Taiwan sich nach Kräften bemüht, Dienste auf internationaler Ebene zu leisten, doch die Nichtbeteiligung an der ICAO verhindert, dass das Land über Neuerungen bei technischen und betrieblichen Standards oder über vertrauliche Informationen zu Flugverkehr auf dem Laufenden gehalten wird. Derzeit kann Taiwan solche Informationen nur durch indirekte Kanäle erlangen, etwa durch käuflichen Erwerb bei Informationsanbietern oder durch ausländische Beratungsdienste. „Oft erhalten wir die Informationen verspätet“, klagt Shen. „Infolgedessen bleibt uns weniger Zeit für Anpassungen, im schlimmsten Fall kann es vorkommen, dass es uns nicht gelingt, korrekt zu reagieren.“

Ein Beispiel dafür, wie das den Luftfahrtservice beeinträchtigen kann, war eine Schwierigkeit, die sich im vergangenen Jahr ergab, als die Luftroute B348 von Singapur nach Kuala Lumpur (Malaysia), Manila und weiter nach Taipeh neu klassifiziert wurde. Hong führt aus, dass mit der Modernisierung der Bord-Navigationssysteme wie GPS das Verkehrsaufkommen auf bestimmten Flugrouten erhöht werden kann. Damit dies geschieht, muss eine Flugroute von einer konventionellen B-Route zu einer regionalen Route mit dem Kennbuchstaben M aufgewertet werden. Die Namensänderung ist notwendig, damit die Route ausschließlich von entsprechend ausgerüsteten Flugzeugen benutzt wird.

Auf einer Konferenz in Bangkok im Oktober 2011 beschlossen die ICAO-Arbeitsgruppe für die Überprüfung der Südostasien-Routen und alle Anrainerstaaten von B348 (außer Taiwan), die Aufwertung durchzuführen, und gaben der Route die neue Bezeichnung M646. Da Taiwans Behörden bei der ICAO-Konferenz nicht dabei waren, war ihnen nicht bekannt, dass man sich auf die neue Bezeichnung geeinigt hatte und diese am 3. Mai 2012 gültig werden würde. Davon erfuhr man in Taiwan erst im April 2012 bei der jährlichen Konferenz der Koordinationsgruppe für die Ostasien-Flugverkehrverwaltung. Taiwan nahm sofort das Verfahren in Angriff, den Namen der Flugroute im gesamten Flugkontrollsystem des Landes zu ändern, doch die umfangreichen Prozeduren konnten erst am 23. August jenes Jahres abgeschlossen werden. Die Folge war, dass in der Zwischenzeit für mehrere Monate Taiwans automatisches Flugkontrollsystem keine Flugpläne von Maschinen, welche die M464-Route nahmen, entgegennehmen konnte, und die Fluglotsen mussten jeden Flug auf der Route mit ihrem großen Verkehrsaufkommen manuell betreuen. „Es gab eine Menge Extra-Arbeit und einige Sicherheitsbedenken“, geißelt Shen. „Der ganze Ärger hätte vermieden werden können, wenn wir direkten Zugang zur ICAO gehabt hätten.“

Ein weiteres Beispiel ist das Verbot der ICAO für Flugpassagiere, mehr als 100 Milliliter von Flüssigkeiten, Aerosolen oder Gels im Handgepäck mitzuführen. Das Verbot war im September 2006 beschlossen worden, und die ICAO-Mitglieder wurden im Monat darauf davon in Kenntnis gesetzt. Taiwan wurde über die Veränderung hingegen nicht informiert, und CAA-Mitarbeiter erfuhren erst im Dezember jenes Jahres davon, als sie eine Dienstreise nach Hongkong unternahmen, nur drei Monate vor dem vorgesehenen Umsetzungsdatum am 1. März 2007.

Der Nord-Flugverkehrspark am internationalen Flughafen Taiwan Taoyuan verwendet seit 2011 das moderne CNS/ATM-Flugverkehrkontrollsystem. (Foto: Courtesy CAA)

Wie es so oft der Fall ist, wenn man Informationen über indirekte Kanäle erhält, war die Nachricht über die Veränderung nicht nur verspätet, sondern auch unvollständig. Auf Grundlage der verfügbaren Informationen nahm die CAA an, dass alle Behälter mit einem Fassungsvolumen von über 100 Millilitern im Handgepäck verboten seien, egal, ob sich Flüssigkeit darin befand oder nicht. Das Missverständnis sorgte am ersten Tag der Umsetzung für Chaos an den Flughäfen, da viele taiwanische Reisende eine nachfüllbare Thermosflasche mit sich führen. Bis die CAA die Direktive klären konnte, hatte man von vielen Passagieren verlangt, ihre Thermosflaschen aufzugeben, bevor man sie ins Flugzeug steigen ließ.

Shen merkt an, dass ICAO-Beschlüsse nach ausgiebigen Diskussionen auf Mitgliederkonferenzen gefasst werden, und die darauf folgenden öffentlichen Bekanntmachungen sind oft lediglich eine einfache Zusammenfassung der erzielten Einigung. „Viel von den Einzelheiten und Vorgaben kann man nur durch Teilnahme an den Diskussionen oder durch Sitzungsprotokolle erfahren, doch Zugang zu beiden ist uns verwehrt“, enthüllt sie.

Zweifellos könnte Taiwan bessere Beiträge zur regionalen und globalen Flugsicherheit leisten, wenn dem Land sinnvolle Beteiligung an der ICAO erlaubt würde. Außerdem kann Taiwan eine Rolle dabei spielen, moderne Luftverkehrstechnologien zu unterstützen, weil man hier in einigen technischen Bereichen vielen ICAO-Mitgliedern voraus ist. Ein Beispiel ist das System CNS/ATM (Englisch: communications, navigation and surveillance air traffic management, zu Deutsch: Kommunikations-, Navigations- und Überwachungsdienste/Flugverkehrsmanagement), das die FIR Taipeh im Jahr 2011 als erstes asiatisches Land in Dienst stellte. Shen erläutert, dass das CNS/ATM-System, das komplizierte und miteinander zusammenhängende Technologiebereiche umfasst, die sich zum großen Teil auf Satelliten stützen, Ende der achtziger Jahre vom ICAO-Sonderkomitee für zukünftige Luft-Navigationssysteme mit dem Ziel vorgeschlagen wurde, ein nahtloses, global koordiniertes System von Luftverkehr-Navigationsdiensten zu entwickeln, mit dem man den weltweit wachsenden Bedarf für Flugreisen bewältigen könnte. Zwar konnte Taiwan die erhöhte Effizienz des Systems nutzen, doch hatten nur wenige Länder wegen vielfältiger technischer Probleme einen solchen Erfolg. „Auch wir hatten mit Problemen zu kämpfen, und wir sind gern bereit, unsere Erfahrungen bei Entwicklung und Betrieb des Systems zu teilen“, versichert Shen. „Sinnvolle Beteiligung in der ICAO würde uns fraglos eine Gelegenheit geben, diesen Beitrag zu leisten.“

Echte Probleme

Andererseits hat Taiwans Nichtbeteiligung an der ICAO Auswirkungen im wirklichen Leben, nicht nur für die Taiwaner, sondern für das globale Verkehrsnetz. Viele Länder erkennen an, dass eine Lücke im globalen Luftverkehrsnetz entstanden ist, welche die Sicherheit und Bequemlichkeit für Flugpassagiere aus der ganzen Welt in Mitleidenschaft ziehen könnte, weil man Taiwan von direkter Kommunikation mit der ICAO abhält.

Die Taiwan-Freundschaftsgruppe im Europäischen Parlament hat zum Beispiel einen an den ICAO-Chef adressierten Brief formuliert, in dem die Organisation ersucht wird, Taiwan als Beobachter zuzulassen. In dem Schreiben heißt es, Taiwans Zivilluftfahrtsbehörden trügen die volle Verantwortung für die Verwaltung von FIR Taipeh, einen der belebtesten Luftverkehrs-Knotenpunkte in Asien. Die Unterzeichneten machten geltend, die ICAO könne es sich nicht leisten, Taiwan von Beteiligung an ihren Aktivitäten auszuschließen, wenn das Luftfahrtgremium die höchsten Standards von Flugverkehrssicherheit in der ganzen Welt gewährleisten wolle. Nach Auskunft des Außenministeriums der Republik China hatten bis zum 16. Juli dieses Jahres 83 Mitglieder, welche 20 Länder repräsentieren, die Petition unterzeichnet, und man erwartet, dass sich bis zur Sitzung der ICAO-Versammlung vom 24. September bis 4. Oktober noch mehr Mitglieder der Kampagne anschließen.

Auch die Vereinigten Staaten haben ihre Unterstützung signalisiert. Im Juni verabschiedeten das US-Repräsentantenhaus und der Senat einen Gesetzentwurf (H. R. 1151), welcher sich für Taiwans ICAO-Gesuch einsetzt. Laut Ed Royce, dem Vorsitzenden des Komitees für Auswärtige Angelegenheiten im Repräsentantenhaus, hat sich seit Taiwans Aufnahme ins Visabefreiungsprogramm der USA im vergangenen Jahr der Flugverkehr zwischen Taiwan und den USA erheblich verstärkt. Infolgedessen ist es nach seinen Worten wichtiger als je zuvor, Taiwan zu helfen, Zugang zur ICAO zu erlangen. Nach Ansicht von Robert Menendez, dem Vorsitzenden des Senatskomitees für Außenbeziehungen und Initiator der Senats-Resolution, stellt das Gesetz für Taiwans Streben nach ICAO-Beteiligung einen Schritt nach vorn dar. Taiwan könnte in der ICAO große Beiträge leisten, und Taipehs Antrag auf Beteiligung in der Organisation sollte nicht abgelehnt werden, so Menendez.

Im Juli erlangte H. R. 1151 durch die Unterschrift von US-Präsident Barack H. Obama Gesetzeskraft, und Obama kündigte die volle Unterstützung der US-Regierung für Taiwans Beteiligung in der ICAO an.

Jede Woche gibt es 150 planmäßige Linienflüge von Taiwan nach Europa und umgekehrt, 400 USA-Flüge in beide Richtungen, 660 von und nach Japan und mehr als 1200 über die Taiwanstraße. Das Land ist über 181 Passagier-Flugrouten und 86 Fracht-Luftrouten mit 117 Städten rund um den Erdball verbunden.

Sinnvolle Beteiligung an der ICAO würde Taiwan die Möglichkeit geben, mit der Welt-Luftfahrtgemeinschaft zusammenzuarbeiten, zur sicheren und geordneten Entwicklung der internationalen Zivilluftfahrt beizutragen und dabei zu helfen, einen wahrhaft nahtlosen Himmel zu schaffen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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