29.04.2024

Taiwan Today

Politik

Ein Versprechen für die Zukunft

01.09.2013
Das ANZTEC-Handelsabkommen wurde am 10. Juli von Taiwans Repräsentanten in Neuseeland Elliot Chang (links) und Stephen Payton, dem Direktor der neuseeländischen Industrie- und Handelskammer in Taipeh, in Wellington unterzeichnet. (Foto: Central News Agency)
Am 10. Juli dieses Jahres unternahm Taiwan einen wichtigen Schritt in Richtung auf das Ziel hin, an der regionalen Wirtschaftsintegration teilzuhaben, als in Wellington ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Neuseeland unterzeichnet wurde. Das „Abkommen zwischen Neuseeland und dem separaten Zollgebiet von Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu über wirtschaftliche Zusammenarbeit“ (Agreement between New Zealand and the Separate Customs Territory of Taiwan, Penghu, Kinmen and Matsu on Economic Cooperation, ANZTEC), wie es offiziell genannt wird, wurde im Einklang mit den Bestimmungen der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO), in der beide Länder Mitglied sind, unter Dach und Fach gebracht. Von größerer Bedeutung ist, dass ANZTEC das erste Abkommen dieser Art ist, das Taiwan mit einem Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development, OECD) unterzeichnet hat. Zuvor hatte Taiwan Freihandelsabkommen mit fünf diplomatischen Verbündeten in Lateinamerika geschlossen, die im vergangenen Jahr zusammen ein Handelsvolumen von 1 Milliarde US$ mit Taiwan ausmachten. Ebenfalls 2012 erreichte der bilaterale Handel zwischen Taiwan und Neuseeland ungefähr 1,21 Milliarden US$.

In einer Stellungnahme unmittelbar nach der Unterzeichnung von ANZTEC lobte das Außenministerium der Republik China das Abkommen, das „ein neues Kapitel bei den Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern eröffne“. Das Wirtschaftsministerium der Republik China veröffentlichte eine Erklärung, welche ANZTEC als Beispiel für Taiwans Engagement bei Handelsliberalisierung pries. Weiter hieß es in der Erklärung des Wirtschaftsministeriums, das Abkommen fördere Taiwans laufende Anstrengungen, sich an mehr regionalen Abkommen zu Wirtschaftskooperation zu beteiligen. Neuseeländische Regierungsvertreter waren nicht minder enthusiastisch, Handelsminister Tim Groser begrüßte das neue Abkommen mit den Worten, es werde „Neuseelands Wachstumsaussichten durch erheblich verbesserte Verbindungen mit einer maßgeblichen asiatischen Volkswirtschaft vergrößern“.

Die Verhandlungen für ANZTEC waren im Mai vergangenen Jahres begonnen worden, kurz nachdem Taiwan und Neuseeland sich im März des gleichen Jahres darauf geeinigt hatten, die Strategische Kooperation bei gemeinsamen Investitionen in Risikokapitalfonds aufzubauen. Der Fonds, der durch Bereitstellung von 80 Millionen US$ durch Taiwans Nationalen Entwicklungsfonds (National Development Fund, NDF) und weitere 80 Millionen US$ von New Zealand Venture Investment Fund Ltd. geschaffen wurde, ist seit Oktober 2012 aktiv und soll Investitionen in stark wachsende Unternehmen in beiden Ländern fördern. Nachdem die Einigung für die Einrichtung des Risikokapitalfonds bekannt gegeben worden war, prophezeite Kao Shien-quey (高仙桂), Generalsekretärin des Rates für Wirtschaftsplanung und Entwicklung (Council for Economic Planning and Development, CEPD), einer Behörde in Ministeriumsrang, die Abmachung werde weitere Zusammenarbeit nach sich ziehen. „Wir rechnen damit, dass sie auch das bilaterale Verhältnis in vielen anderen Bereichen voranbringen wird“, versicherte sie. Das erwies sich als zutreffend, als zwei Monate später die Verhandlungen für ANZTEC in Angriff genommen wurden.

ANZTEC soll Anfang 2014 in Kraft treten und ist ein umfassendes Marktliberalisierungsabkommen, das neben anderen Marktöffnungsmaßnahmen die Zölle für Warenhandel beseitigt. Die Zölle für die meisten Güter entfallen, sobald das Abkommen wirksam wird, und die Zölle für die übrigen Produkte werden im Laufe von maximal 12 Jahren schrittweise abgebaut. Am Ende werden die Zölle für 99,88 Prozent der neuseeländischen Güter, die nach Taiwan exportiert werden, liberalisiert, bei den taiwanischen Exporten nach Neuseeland beträgt die Liberalisierung 100 Prozent. Die einzige Ausnahme nach Ablauf der 12 Jahre werden Neuseelands Reisexporte nach Taiwan sein. Ein Grund für die Ausnahme ist, dass Taiwans Bauern mit dem Anbau von Reis mehr Einkommen erzeugen als mit dem Anbau sonstiger Feldfrüchte. Im Inland erzeugter Reis spielt zudem eine grundlegende Rolle bei der Nahrungsmittelsicherheit des Landes, denn bei dem Getreide ist Taiwan zu 90 Prozent selbstversorgend. Laut Schätzungen des Wirtschaftsministeriums soll ANZTEC bis zum Jahr 2026 Taiwans Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 303 Millionen US$ steigern, den nationalen Produktionswert um 1,2 Milliarden US$ erhöhen und im Inland über 6000 Arbeitsplätze schaffen.

Eine taiwanische Mutter beim Kauf von Milchpulver aus Neuseeland. Weil die taiwanische und die neuseeländische Volkswirtschaft vom Wesen her einander ergänzen, gilt ANZTEC als ein für beide Seiten vorteilhaftes Abkommen. (Foto: Central News Agency)

Insgesamt gilt ANZTEC für beide Parteien als vorteilhaft, weil die Volkswirtschaften beider Länder vom Wesen her einander ergänzen. Taiwans Hauptexporte nach Neuseeland sind Fahrräder, Elektronik, Werkzeugmaschinen, petrochemische Erzeugnisse, rostfreier Stahl und Textilien, wogegen die Mehrzahl der in Taiwan verkauften neuseeländischen Waren aus den Sektoren Landwirtschaft und Viehzucht stammen und Produkte wie Obst, Fleisch, Milch und Wein umfassen.

Im Einklang mit dem wachsenden Trend zu Abkommen über regionale Handelsintegration beschränkt ANZTEC sich nicht auf Verbrauchsgüter. „Es ist ein vielseitiges Abkommen, das außerdem gesetzliche Bestimmungen, Zusammenarbeit in Bereichen wie gemeinsame Filmproduktionen und Ureinwohnerrechte sowie Dienstleistungen wie Flugverkehr, e-Handel und Investitionen erfasst“, enthüllt Yang Jen-ni, stellvertretende Chefunterhändlerin im Amt für Handelsgespräche des Wirtschaftsministeriums. „Das Gesamtziel besteht darin, alle Wirtschaftsverbindungen auszuweiten. Es geht über den Bereich des freien Handels hinaus, wie es heute bei vielen anderen regionalen Wirtschaftsabkommen der Fall ist.“

Es lohnt sich noch zu erwähnen, dass der Pakt das erste Freihandelsabkommen für beide Länder darstellt, das Klauseln zur Förderung der Zusammenarbeit bei Ureinwohnerfragen enthält.

In der Konferenz des Exekutiv-Yuan (行政院), also des Regierungskabinetts oder Ministerrates der Republik China, auf welcher ANZTEC offiziell gebilligt wurde, bezeichnete Premierminister Jiang Yi-huah (江宜樺) es als weiteren Durchbruch für Taiwan bei dem Bestreben, sich in globale Handelsmechanismen einzuklinken. Andere nennenswerte Leistungen in diesem Jahr waren die Wiederaufnahme von Gesprächen mit den USA über das Rahmenabkommen für Handel und Investitionen (Trade and Investment Framework Agreement, TIFA) im März nach über fünfjähriger Unterbrechung und die Unterzeichnung des bilateralen Abkommens zu Dienstleistungshandel über die Taiwanstraße mit Festlandchina im Juni.

Tauwetter

Zum Teil kann man den Abschluss von ANZTEC auch als Ergebnis der sich verbessernden Beziehungen zwischen Taiwan und Festlandchina ansehen, ein wesentlicher Meilenstein dabei war die Unterzeichnung des Rahmenabkommens über wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Framework Agreement, ECFA) im Juni 2010. Bei einem Empfang im Taipei Guest House zur Feier von ANZTEC begrüßte Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) das neue Abkommen als das erste dieser Art seit ECFA für Taiwan mit einem Land, das keine diplomatischen Beziehungen mit der Republik China unterhält. „Dies zeigt, dass die Bemühungen der Regierung um bessere Beziehungen über die Taiwanstraße Taiwan auch dabei helfen, seine Beteiligung in der internationalen Gemeinschaft auszuweiten“, bemerkte das Staatsoberhaupt.

Gleichzeitig könnte ANZTEC dazu beitragen, Sorgen im Inland über eine übermäßige Abhängigkeit vom festlandchinesischen Markt zu lindern, sinniert Yen Chen-shen, Wissenschaftler im Institut für internationale Beziehungen der National Chengchi University (NCCU) in Taipeh. „Während die Unterzeichnung von ECFA mit unserem größten Handelspartner Ängste hervorrief und die vorherigen Freihandelsabkommen mit kleineren diplomatischen Partnern als geringfügige Entwicklungen abgetan wurden, stellt ANZTEC mit seinen unvermeidlichen Implikationen zu nationaler Souveränität wahrhaftig einen neuen Meilenstein für Taiwan dar, während das Land nach mehr internationaler Präsenz in wirtschaftlichen und diplomatischen Bereichen strebt“, sagte Yen auf einem Forum über die Aussichten von ANZTEC. Das Forum, das einen Tag nach der Unterzeichnung von ANZTEC in Taipeh stattfand, war vom Taiwan WTO and RTA Center im Chunghua-Institut für Wirtschaftsforschung (Chung-Hua Institution for Economic Research, CIER), einer 1981 gegründeten staatlich finanzierten Denkfabrik, organisiert worden.

Um die Auswirkungen auf das taiwanische Hirschgeweihhaut-Gewerbe zu mildern, werden die Zölle für entsprechende neuseeländische Importwaren in Taiwan über einen Zeitraum von 12 Jahren schrittweise abgebaut. (Foto: Central News Agency)

Auf dem Forum lobte CIER-Präsident Wu Chung-shu ANZTEC als Liberalisierungsabkommen „auf hohem Niveau und mit hoher Qualität“, das nicht nur gewöhnliche Zölle abdeckte, sondern auch „aufkommende Fragen der Wirtschaftsintegration im 21. Jahrhundert“ behandelte wie Wettbewerbspolitik, Umwelt, Rechte an geistigem Eigentum und Arbeitnehmerrechte. „Taiwans Handelsbeziehungen mit Neuseeland ... sind zunehmend enger geworden“, analysierte Wu und bezog sich damit auf Taiwans Status als Neuseelands siebtgrößtes Exportziel für landwirtschaftliche Produkte. „Vor 2006 verzeichnete Taiwan große Handelsdefizite mit Neuseeland, doch diese haben sich in den jüngsten Jahren verringert und sich ab und zu sogar in Handelsüberschüsse verwandelt.“ Im vergangenen Jahr erreichten Taiwans Exporte nach Neuseeland 520 Millionen US$, während Neuseeland im gleichen Zeitraum Produkte im Wert von 690 Millionen US$ hierher versandte.

Jack Huang, Generalsekretär des Verbandes der Importeure und Exporteure von Taipeh, war eingeladen worden, auf dem CIER-Forum im Namen des Unternehmenssektors zu sprechen. Huangs Gruppe, die größte ihrer Art in Taiwan, besteht aus rund 5600 Firmen, von denen etwa 50 Exporteure und ungefähr die gleiche Zahl von Importeuren Handel mit Neuseeland tätigen. „Wir unterstützen die Anstrengungen der Regierung, Freihandelsabkommen unterschiedlicher Art mit anderen Ländern zu unterzeichnen“, verkündete Huang. „Das hat einen einfachen Grund: Taiwan ist eine handelsorientierte Volkswirtschaft, und das Handelsvolumen macht den Löwenanteil von Taiwans BIP aus.“

Huang wies darauf hin, dass durch die günstigen Handelsbedingungen, die Neuseeland in ANZTEC zugestanden wurden, andere Länder, die nach Taiwan exportieren, bei ihrer Wettbewerbsfähigkeit benachteiligt werden und sie deswegen dazu bewogen werden könnten, ähnliche Abkommen mit Taiwan anzustreben. Australien und Chile zum Beispiel konkurrieren nach Auskunft von Lee Chun, dem stellvertretenden Direktor des Taiwan WTO and RTA Center, mit Neuseeland beim Export von Äpfeln, Kirschen, Molkereiprodukten und Rotwein nach Taiwan.

Während die taiwanischen Verbraucher dank neuseeländischer Importware Geld sparen können, haben die möglichen Auswirkungen von ANZTEC auf Taiwans Landwirtschaftssektor Sorgen hervorgerufen. Tatsächlich erwies sich die Notwendigkeit, Taiwans Bauern zu schützen, während den Verhandlungen als Stolperstein. „In dem Bereich mussten wir uns am meisten anstrengen“, erinnert sich Yang. Schließlich wurden für aus Neuseeland eingeführte Hirschgeweihhaut und flüssige Milch Zollquoten eingeführt. (Zollquoten verfügen eine Grenzmenge für Importe bestimmter Produkte, und Waren, welche diese Grenzmenge überschreiten, werden mit Zöllen belegt.) Taiwan wird die Zollquoten über einen Zeitraum von 12 Jahren abschaffen.

Der Bereich pädagogischer Dienstleistungen musste gleichfalls ausgiebig verhandelt werden. Die Gesetze der Republik China erlauben keine Grund-, Mittel-, Ober- und Hochschulen in ausländischem Besitz, allerdings gibt es Ausnahmen für Schulen wie die Taipei European School, wo sich ausländische Schüler und Schüler mit doppelter Staatsangehörigkeit anmelden können. „Das Gesetz verhindert, dass der Bildungssektor in unserem Land vollkommen liberalisiert wird“, erläutert Yang. „Letztendlich wird ANZTEC zulassen, dass Neuseeländer hier Schulen bis zum Oberschulniveau einrichten, aber nur für ausländische Schüler in Taiwan.“

Eine Werkzeugmaschinenfabrik in der zentraltaiwanischen Stadt Taichung. Taiwans umfangreiche Werkzeug-Branche wird von den Marktöffnungsmaßnahmen in ANZTEC profitieren. (Foto: Central News Agency)

Über die WTO hinaus

Beachtenswerterweise enthält ANZTEC Klauseln, die über Anforderungen der WTO hinausgehen, denn es geht auch um Marktzugang, Bereiche für Zusammenarbeit und institutionelle Integration. Im Hinblick auf Dienstleistungshandel zum Beispiel erfasst der Marktumfang von ANZTEC Sektoren wie Umwelt-Dienstleistungen, Landschaftsgestaltung und Stadtplanung, die zur Zeit nicht im Bereich der WTO enthalten sind. Tatsächlich kann man die Aufhebung der Zölle für 132 Öko-Güter in ANZTEC als neue Art von Handelsarrangement betrachten, das nachhaltige Entwicklung und grünes Wachstum mit einbezieht.

Dazu enthält ANZTEC ein Kapitel über staatliche Beschaffung, obwohl Neuseeland noch keine Partei im WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA) ist. Programme zu öffentlichem Beschaffungswesen werden weithin als wichtiger potenzieller Markt für Exporteure von Waren und Dienstleistungen rund um den Erdball anerkannt. Taiwan war im Juli 2009 die 41. GPA-Partei geworden.

Yang vermerkt, dass Neuseeland sich seit den neunziger Jahren aktiv um Abkommen über regionale Wirtschaftskooperation bemüht hat und 2005 gemeinsam mit Brunei, Chile und Singapur Mitglied des Abkommens über transpazifische strategische wirtschaftliche Partnerschaft (P4) wurde. Zu den nennenswerten Ländern, mit denen Neuseeland wirtschaftliche Partnerschaften einging oder Freihandelsabkommen unterzeichnete, zählen Australien, Festlandchina, Malaysia und Thailand, die Verhandlungen mit mehreren anderen Ländern laufen noch. „Neuseeland hat recht umfassende Anstrengungen unternommen, Handelsabkommen in der asiatisch-pazifischen Region zu schließen“, weiß Yang.

Freihandelsverbindungen mit einer hochgradig liberalisierten Volkswirtschaft wie Neuseeland zu schließen zeigt der Welt unmissverständlich Taiwans Entschlossenheit, sich an internationalen wirtschaftlichen Rahmengebilden zu beteiligen, stellt Yang fest. Taiwan bemüht sich gegenwärtig um Teilnahme an vorgeschlagenen Freihandelsblöcken wie die von den USA gestützte Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP), eine erweiterte Version von P4, und der Regionalen Umfassenden Wirtschaftspartnerschaft, hinter welcher der Verband Südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN) steht. „ANZTEC ist in großem Maße im Geist von TPP ausgehandelt worden“, behauptet Yang.

ANZTEC ist für Taiwan von wesentlicher Bedeutung, weil das Land es sich nicht leisten kann, von der zunehmend verflochtenen Weltwirtschaft abgetrennt zu bleiben. Überdies gibt das Abkommen mit Neuseeland nach Yangs Worten anderen Handelspartnern einen weiteren Grund, engere Beziehungen mit Taiwan aufzubauen, was den Unternehmen und Verbrauchern im Land nützen wird und daneben dazu beiträgt, Taiwans Platz in der internationalen Gemeinschaft zu sichern.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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