04.05.2024

Taiwan Today

Politik

Das Potenzial erschließen

01.11.2013
Innenminister Lee Hong-yuan bei einer Ansprache zur APEC-Konferenz Innovation und ICT für Firmen von Frauen, die Ende Juni dieses Jahres in Taipeh stattfand. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Department of Gender Equality, Executive Yuan)
Das erste Mal, als Su Hsiu-lien den Versuch unternahm, einen Computer zu benutzen, fand sie das eher beängstigend als aufregend. „Es kam mir so vor, als ob er mich gleich beißen würde“, bekennt die 38-jährige Ureinwohnerin rückblickend auf diese Erfahrung im Jahr 2005, als sie anfing, im osttaiwanischen Hualien als Managerin eines von World Vision Taiwan betriebenen Bio-Bauernhofes zu arbeiten. Drei Jahre später gründete Su den Bio-Bauernhof Pangcah, der sich ebenfalls in Hualien befindet, einer Gegend mit einem vergleichsweise hohen Anteil von Ureinwohnern, von denen viele wirtschaftlich benachteiligt sind. Mit dem Wachstum der Pangcah-Farm erhöhte sich auch ihr Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (Information and Communications Technology, ICT). „Zur Verwaltung der Produktionsangelegenheiten stütze ich mich auf [das Tabellen-Kalkulationsprogramm] Excel [von Microsoft]“, erzählt Su. „Für Bestellungen und Aufrechterhaltung der Beziehungen mit Kunden benutze ich E-Mail und Facebook. Computer ermöglichen es der Farm nicht nur, die Produktion zu steigern und Verkaufskanäle zu erschließen, sondern schufen für die von mir beschäftigten Frauen eine Zukunft, denn diese hatten, bevor sie bei mir anfingen, keine Ahnung von Computern.“ Sus Bauernhof hat heute 14 Mitarbeiter, allesamt Ureinwohnerinnen aus der Gegend. Im Jahr 2009 hatte die Belegschaft noch aus zwei Personen bestanden, doch die Gehälter von 12 der heutigen Angestellten werden voll vom Staat subventioniert.

Die Unternehmerin teilte ihre Erfahrungen beim Start eines eigenen Betriebes auf einer Konferenz der Asiatisch-pazifischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit (Asia-Pacific Economic Cooperation, APEC) mit dem Titel Innovation und ICT für Firmen von Frauen, die Ende Juni dieses Jahres in Taipeh stattfand. Die Konferenz sollte neue Wege ermitteln, Geschäfts-Gelegenheiten für Frauen zu verbessern, und wurde von der staatlich finanzierten Stiftung für Frauenrechtsförderung und –entwicklung (Foundation for Women‘s Rights Promotion and Development, FWRPD) organisiert.

Die Veranstaltung lockte 171 Vertreter und Fachleute aus 12 APEC-Volkswirtschaften an und war Teil einer Initiative namens „Innovation für Frauen und Wirtschaftsentwicklung — mit ICT die Entwicklung der Lebensumstände und Belastbarkeit von Frauen fördern“. Die Abteilung für Gleichberechtigung der Geschlechter im Exekutiv-Yuan (行政院), also dem Regierungskabinett oder Ministerrat der Republik China, beauftragte die FWRPD damit, Programme in dem dreijährigen Plan umzusetzen. Der Innovation für Frauen-Plan war von Taiwan erstmals im September 2012 auf APECs Forum Frauen und Wirtschaft (Women and the Economy Forum, WEF) im russischen St. Petersburg vorgestellt worden und ist Teil des Schwerpunkts von APEC auf Frauenfragen, seit APECs Frauenführer-Netzwerk 1996 ins Leben gerufen worden war, erzählt Huang Pi-hsia (黃碧霞), Generaldirektorin der Abteilung für Gleichberechtigung der Geschlechter.

Wirtschaftliche Fragen von Frauen werden laut Huang durch APEC hervorgehoben, seit die globale Wirtschaftskrise zwischen 2008 und 2009 ihren Höhepunkt erreichte. 2010 legte Japan, in jenem Jahr das APEC-Gastgeberland, die APEC-Wachstumsstrategie vor, welche integratives Wachstum betont, um der Region zu helfen, sich von der Krise zu erholen. APEC-Volkswirtschaften stellen seither die wirtschaftliche Ermächtigung von Frauen als wesentlichen Teil der Strategie, der regionalen Wirtschaft Schub zu geben, in den Vordergrund. Nachdem im September 2011 die damalige US-amerikanische Außenministerin Hillary Rodham Clinton den hochrangigen Politikdialog über Frauen und Wirtschaft der APEC leitete, gaben die Delegierten die Deklaration von San Francisco bekannt, die vier Fragen auflistet, welche APEC-Mitglieder angehen sollen. Huang vermerkt, das Augenmerk der Deklaration auf Ausbau von Kapazitäten und Fertigkeiten von Frauen schwingt in dem Innovation für Frauen-Plan mit, in dem es in erster Linie darum geht, durch ICT-Anwendungen die Fähigkeiten von Frauen zu mehren.

Vorschläge für neue APEC-Projekte, die über einige Jahre laufen sollen, benötigen die Zustimmung von wenigstens zehn Mitgliedern, teilt Huang mit. Der Innovation für Frauen-Plan wurde von 14 Mitgliedern mitgesponsert, unter ihnen Entwicklungsländer und entwickelte Volkswirtschaften. „Entwickelte Volkswirtschaften [die bei ICT-Anwendungen weiter fortgeschritten sind] können ihre Erfahrungen teilen, und die Entwicklungsländer können von ihnen lernen“, wirbt Emily Chang, Professorin an der Abteilung für Landwirtschafts-Ökonomie der National Taiwan University (NTU) in Taipeh und Leiterin des APEC-Planes. „Die entwickelten Volkswirtschaften können aber dennoch von der Initiative profitieren, denn in allen Volkswirtschaften gibt es Frauen, die wirtschaftlich ermächtigt werden müssen. Bei der Initiative geht es nicht nur um Einrichtungen und Schulung in ICT-Fertigkeiten. Es dreht sich darum, wie man die Dinge mit ICT erleichtern kann, etwa die Gründung einer Firma.“

Im Januar dieses Jahres legte die FWRPD dem APEC-Sekretariat einen Entwurf des Innovation für Frauen-Planes vor, im Monat darauf gab das Budget- und Management-Komitee von APEC grünes Licht, die Idee weiter zu entwickeln. Die Stiftung begann dann damit, das Programm mit Beiträgen anderer APEC-Mitglieder — namentlich Australien und Thailand, die Qualitätseinschätzungs-Berichte über den Vorschlag vorlegten — detaillierter auszuarbeiten. Der australische Bericht hob die Notwendigkeit hervor, Daten darüber zu sammeln, wie Frauen derzeit ICT in ihrem Geschäftsbetrieb einsetzen, und mit welchen Hindernissen sie zu kämpfen haben, in diversen APEC-Volkswirtschaften Zugang zu solcher Technologie zu erlangen. Thailand lobte die Initiative, weil sie gemeinsam von mehreren Nichtregierungsorganisationen (Nongovernmental Organization, NGO) — etwa World Vision und dem Asia and Pacific Nation Network — sowie der Arbeitsgruppe kleine und mittlere Unternehmen von APEC und dem Wirtschaftsbeirat (Business Advisory Council) angeregt worden war. Ende Mai wurde der Vorschlag offiziell vom APEC-Sekretariat gebilligt.

Auszubildende im Phoenix-Programm, welches der Rat für Arbeitnehmerfragen (CLA) organisierte. Taiwan verfügt über reichlich Erfahrung dabei, Frauen bei der Gründung und Verwaltung einer Firma zu helfen. (Foto: Courtesy CLA)

Technologie, Belastbarkeit

Das Interesse für Technologie und die wirtschaftliche Entwicklung von Frauen stand auch beim diesjährigen WEF, das im September im indonesischen Bali stattfand und Frauen und ICT als eines von drei Hauptthemen der Konferenz auflistete, auf der Tagesordnung. Die Gespräche ereigneten sich vor dem Hintergrund des diesjährigen APEC-Mottos Eine belastbare asiatisch-pazifische Region, Motor des globalen Wachstums, welches vom Gastgeberland Indonesien verkündet worden war.

„Frauen spielen eine große Rolle bei der Förderung der Wirtschaft“, weiß Chang. „Sie legen erhebliche Belastbarkeit an den Tag, besonders in harten Zeiten.“ Die Gelehrte stützt ihre Beobachtung auf ihre Erfahrung im APEC-Forschungszentrum für Taifun und Gesellschaft, eine gemeinsame Unternehmung von Taiwan und den Philippinen, die im November 2010 in Taipeh den Betrieb aufnahm. Eine der Aufgaben des Zentrums besteht darin, Gelegenheiten für Vertreter aus Mitglieds-Volkswirtschaften zu schaffen, ihre Erfahrungen zu teilen, wie sie nach einem Taifun wieder auf die Beine kommen. „Frauen sind bei Wiederaufbau nach Katastrophen und Anstrengungen zur Verhütung zukünftiger Katastrophen sehr eindrucksvoll“, begründet sie.

Lob für Frauen macht auch in der Geschäftswelt nicht Halt. „Frauen sind zugänglicher als Männer“, urteilt die 32-jährige Lin Yi-li, die seit 2003 kreative Nahrungsmittelartikel wie Würstchen mit Kaffee-Aroma online verkauft. „Angestellte neigen dazu, ihren Arbeitgebern ihre Gedanken mitzuteilen, wenn der Arbeitgeber eine Frau ist.“ Als Lins Unternehmen wuchs und Käufer aus dem In- und Ausland anlockte, wurde Lin mehrmals eingeladen, an APEC-Konferenzen teilzunehmen, um ihre Erfahrungen beim Betreiben einer Firma zu teilen.

Beim Einsatz neuer Technologie für die Verbesserung ihres Geschäfts hinken Frauen generell hinter Männern her, doch sie können die Entwicklung ihres Unternehmens wesentlich beschleunigen, wenn sie mehr von ICT verstehen, drängt Huang. Das erklärt, warum sich die Initiative von 2013 darauf konzentriert, auf welche Weise ICT die Finanzierung, Verwaltung, den Marktzugang und Absatz von Firmen, die von Frauen geführt werden, verbessern kann. „Vom Blickwinkel der Geschlechter-Gleichberechtigung aus gesehen kann die ökonomische Ermächtigung von Frauen ihren gesellschaftlichen Status schnell fördern“, sinniert sie. „Und im Hinblick auf die Volkswirtschaft eines Landes kann die wachsende Rolle von Frauen die allgemeine nationale Wettbewerbsfähigkeit begünstigen.“

Tatsächlich verfügt Taiwan durch Projekte, welche die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern verkleinern sollen, bereits über stattliche Erfahrung dabei, den Gebrauch von ICT in der Region zu fördern. In dem Zusammenhang sind die APEC-Zentren für digitale Gelegenheiten (APEC Digital Opportunity Centers, ADOC) zu nennen, eine Initiative, die Taiwan vor zehn Jahren anregte. Seit dem Beginn des Projekts im Jahr 2004 nahm man sich der Angelegenheit im Inland an und richtete außerdem über 100 e-Lernzentren im Ausland ein. Drei dieser Zentren — in Peru, auf den Philippinen und in Vietnam — wenden sich ausschließlich an Frauen. Sus Pangcah-Biobauernhof war einer der Nutznießer des ADOC-Projekts in Taiwan. Im Jahr 2009 erhielten ihre Mitarbeiter zwei Monate lang Computerschulung durch ein mobiles ADOC, ein Kleinbus, der mit Computern und einem Ausbilder ausgestattet war.

Seit 2002 bietet Taiwans Verwaltung kleiner und mittlerer Unternehmen im Wirtschaftsministerium angehenden Unternehmerinnen Beistand durch das „Fliegende Gänse“-Programm, das im vergangenen Jahr über 2300 Frauen Kurse in unternehmerischen Fertigkeiten erteilte. Das Kleinfirmen-Aufbauprogramm Phoenix vom Rat für Arbeitnehmerangelegenheiten (Council of Labor Affairs, CLA) wendet sich in erster Linie an Frauen, die Interesse bekunden, ein kleines Geschäft aufzuziehen, indem man ihnen niedrig verzinste Darlehen, Schulungen und Geschäftsberatung bietet. Infolgedessen haben über 8000 Frauen Firmen gegründet, in denen gut 22 000 weibliche Mitarbeiter beschäftigt werden. „Diese auf Frauen gerichteten staatlichen Anstrengungen machen es für Frauen in Taiwan heute leichter, ein Geschäft zu betreiben“, freut sich Lin. Nachdem sie sich selbst Computerkenntnisse beibrachte und die Website ihrer Firma gestaltete, gibt Lin nun ihr ICT-Wissen über die beiden Programme an andere Frauen weiter.

Der Bio-Bauernhof Pangcah im Osten Taiwans. Die Geschäftsfrau Su Hsiu-lien stützt sich auf ICT, um den Absatz ihrer Farm zu entwickeln. (Foto: Courtesy Su Hsiu-lien)

Es ist keine Kleinigkeit, ein Konzept wie Innovation für Frauen von APEC durchzuführen, wenn man bedenkt, dass es dabei um so viele Volkswirtschaften in der asiatisch-pazifischen Region geht, die sich häufig bei Wirtschaft und Gesellschaft recht stark voneinander unterscheiden. Deswegen ist es nach Huangs Worten wichtig, in jedem Land mit dem Sammeln von Informationen über vorhandene Programme, welche Unternehmerinnen helfen sollen, zu beginnen. Die FWRPD entwickelt Fragebogen für Organisationen, die solche Programme umsetzen, und für Unternehmerinnen, um damit die Rolle von ICT in ihrem Geschäft zu ermitteln.

Die APEC-Frauenkonferenz in Taipeh im Juni dieses Jahres und die unmittelbar im Anschluss daran stattfindende APEC-Konferenz über APECs Verbund der Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor (Public-Private Partnership Network, PPPN) waren weitere Bemühungen, bei dem Thema der Interaktion zwischen Volkswirtschaften Schub zu geben. Namhafte Gäste bei den beiden Veranstaltungen waren Ann Mei Chang, Beraterin für Frauen und Technologie im Ministerbüro für globale Frauenfragen im Außenministerium der USA, und Tim Hatt, Forschungschef im GSM-Verband (GSM Association, GSMA), einer in London ansässigen globalen Organisation, welche das Gewerbe für Mobil-Kommunikation vertritt.

Mission für Handys

Ann Mei Chang war auf der Konferenz Hauptrednerin zum Thema Hindernisse und Gelegenheiten für Frauen im Bereich ICT, außerdem leitete sie zusammen mit Emily Chang die PPPN-Konferenz. Hatt erläuterte das „mFrauen-Programm“ von GSMA, das Mobiltelefon-Zugang und Handy-Finanzdienstleistungen für Frauen in Entwicklungsländern und –regionen fördert, vor allem in Afrika, wo sich drahtlose Kommunikation besser für Entwicklung eignet als die Nutzung von Festnetz-Service. „GSMA bietet seine wertvolle Erfahrung beim Beistand für Frauen in abgelegenen Gegenden und Regionen, die sich noch entwickeln“, erzählt Emily Chang. Die Erfahrung des Verbandes hebt die Bedeutung von Handys für Frauen in ähnlichen Milieus in der ganzen asiatisch-pazifischen Region hervor, fügt sie hinzu.

Die Resultate der beiden Veranstaltungen in Taiwan sollten im September in Bali auf Konferenzen der APEC-Arbeitsgruppe kleine und mittlere Unternehmen sowie der Politik-Partnerschaft zu Frauen und Wirtschaft (Policy Partnership on Women and the Economy, PPWE) erörtert werden. Bei PPWE handelt es sich um einen Mechanismus, der sich um Wirtschaftsfragen von Frauen kümmert, bei denen sowohl der öffentliche als auch der private Sektor berührt sind. PPWE tritt einmal im Jahr zusammen und berät APEC-Führer, Minister und hochrangige Beamte.

Sowohl die APEC-Konferenz Innovation und ICT für Firmen von Frauen als auch die PPPN-Konferenz werden in den kommenden zwei Jahren weiterhin stattfinden. Während jener Zeit planen die Organisatoren der Initiative Innovation für Frauen, mehrere eingehende Fallstudien abzuschließen, um nachhaltige Geschäftspraktiken auf Grundlage innovativer ICT-Anwendungen empfehlen zu können. Im Jahr 2015 sollen Repräsentanten von APEC-Volkswirtschaften zu einem Spitzentreffen in Taipeh eingeladen werden, wo die Schlussfolgerungen der dreijährigen Initiative dargelegt werden.

Die diversen APEC-Programme verheißen Fortschritte auf das Ziel hin, das Geschäftspotenzial von Frauen in der Region freizusetzen. „Die Kluft zwischen den Geschlechtern bei ICT-Zugang, Dienstleistungen und wirtschaftlichen Chancen zu überbrücken ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern auch aus ökonomischen Gründen geboten“, mahnt Ann Mei Chang. „Nur wenn wir das Talent und die Kapazitäten von Frauen voll und produktiv einbinden, kann die Weltwirtschaft wirklich gedeihen.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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