06.05.2024

Taiwan Today

Politik

Moment der Wahrheit

01.01.2014
Im November 1943 trafen sich (von links nach rechts) Chiang Kai-shek, Präsident der Nationalregierung der Republik China, US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill sowie Chiangs Ehefrau Soong May-ling in Kairo. (Foto: Huang Chung-hsin)
In Taipeh unweit des Präsidentenpalastes befindet sich das Taipeh-Gästehaus, das 1901 während der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) errichtet worden war. Seit seiner Eröffnung diente das Taipeh-Gästehaus, eines der schönsten historischen Gebäude des Landes, als Schauplatz für eine Reihe von wesentlichen politischen und diplomatischen Ereignissen. Eines der wichtigsten von ihnen begab sich im April 1952, als Japan mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan — auch Sino-japanischer Friedensvertrag oder Vertrag von Taipeh genannt — den Verzicht auf seine Ansprüche auf Taiwan bekräftigte.

Um ein vollständiges Verständnis darüber zu erlangen, worauf die Souveränität der Republik China über Taiwan basiert, ist es jedoch erforderlich, in der Vergangenheit noch ein paar Jahre weiter zurückzugehen. Im November 1943 mitten im Zweiten Weltkrieg trafen sich Chiang Kai-shek (蔣介石, 1887-1975), Präsident der Nationalregierung der Republik China, der britische Premierminister Winston Churchill (1874-1965) und US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882-1945) in der ägyptischen Hauptstadt Kairo, um den Verlauf des Krieges gegen Japan und eine asiatische Nachkriegsordnung zu besprechen. Am 1. Dezember jenes Jahres gaben die drei Alliierten die Kairoer Erklärung bekannt, in der unter anderem bestimmt wurde, dass Taiwan und die vorgelagerten Penghu-Inseln zu den von Japan besetzten Gebieten gehörten, die an die Republik China zurückgegeben werden sollten. Der 1. Dezember vergangenen Jahres war der 70. Jahrestag der Kairoer Erklärung, ein außerordentlich bedeutungsvolles Dokument, das die Souveränität der Republik China über Taiwan klar belegt.

Blick nach vorn in Kairo

Der Historiker Chang Li ist Wissenschaftler am Institut für moderne Geschichte der Academia Sinica in Taipeh, Taiwans renommiertester Forschungsinstitution, und trug zu einem wuchtigen zwölfbändigen Geschichtswerk über die Republik China bei, das 2011 von der National Chengchi University (NCCU) in Taipeh herausgegeben wurde. Chang macht darauf aufmerksam, dass die Konferenz von Kairo zu einer Zeit stattfand, in der die Alliierten auf dem Schlachtfeld Erfolge gegen die Achsenmächte erzielten und deswegen damit begonnen hatten, Vorkehrungen für die Nachkriegszeit zu treffen. Die USA, welche der Republik China während des Krieges militärische Hilfe geboten hatten, arrangierten die Konferenz der drei Führer in Kairo, um „die Moral der chinesischen Soldaten und Bürger zu stärken“, kolportiert Chang.

„Die Konferenz der Führer der Republik China, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten war ein beispielloses Ereignis in der republikanischen Geschichte unseres Landes“, urteilt der Historiker. „Die Präsenz der Republik China bei der Konferenz von Kairo ermöglichte es der Regierung, ihre Meinungen zu einheimischen und internationalen Angelegenheiten zum Ausdruck zu bringen.“ Die Standpunkte, die Chiang bei der Konferenz vertrat, betrafen unter anderem Fragen über die Nachkriegsverhältnisse in Ostasien, besonders im Bereich territoriale Souveränität.

Nach der Konferenz wurde die Kairoer Erklärung bekannt gegeben, um die Kriegsziele der Alliierten zu artikulieren, nämlich dass Japan die Souveränität über alle besetzten Gebiete abgeben müsse und dass ein unabhängiges Korea aufzubauen sei. „Um solche Ziele zu erreichen, gelobten die drei Länder, den Kampf bis zu dem Tag fortzusetzen, an dem Japan bedingungslos kapitulierte“, so Chang.

Die Konferenz von Kairo und die Klauseln der Erklärung waren große diplomatische Erfolge für die Republik China, fährt der Historiker fort, was ablesbar sei an dem Abschnitt zu den Territorien, über welche die Republik China nach dem Krieg die Souveränität übernehmen solle. Anstatt eine verschwommenere Formulierung zu wählen, die damals manche empfohlen hatten, heißt es in der Kairoer Erklärung, dass „Formosa [Taiwan] und die Pescadoren [Penghu-Inselgruppe] der Republik China zurückgegeben werden sollen“.

Seit 1945 völkerrechtlich wirksam

Bekräftigt wurde die Kairoer Erklärung von der Potsdamer Erklärung, die am 26. Juli 1945 abgegeben wurde, und zwar abermals von den Führern der Republik China, Großbritanniens und der USA. In der Potsdamer Erklärung heißt es ausdrücklich: „Die Bedingungen der Kairoer Erklärung sollen ausgeführt werden.“ Als am 2. September jenes Jahres an Bord des US-amerikanischen Schlachtschiffes Missouri in der Bucht von Tokyo die Kapitulationserklärung von Emissären aus zehn Ländern unterzeichnet wurde, nahm Japan die Bedingungen der Potsdamer Erklärung an.

„Die Verwaltung der Republik China in Taiwan nach Japans Kapitulation war nicht nur das Ergebnis eines Abkommens zwischen den siegreichen Alliierten, sondern auch ein Vorgang, bei dem ein souveräner Staat sein Territorium zurücknahm“, interpretiert Chang und verweist darauf, dass das Konzept der Rücknahme von einer früheren Souveränitätserklärung herrührt, die am 9. Dezember 1941 verkündet wurde, als die Republik China Japan den Krieg erklärte und den Vertrag von Shimonoseki widerrief. Der Vertrag von Shimonoseki war ein Abkommen aus dem Jahr 1895, in dem der Kaiserhof der Qing-Dynastie (1644-1911) Taiwan und alle dazugehörigen Inseln, darunter Penghu, nach der Niederlage im ersten Chinesisch-japanischen Krieg an Japan abtrat, was den Beginn der 50-jährigen japanischen Kolonialzeit in Taiwan markierte.

Am 25. Oktober 1945 legte die japanische Armee in Taiwan der Regierung der Republik China ein Kapitulationsdokument vor. Die Regierung der Republik China sah dadurch ihre Souveränität über Taiwan als wiederhergestellt an.

Manche halten dagegen, die Kairoer Erklärung sei lediglich eine nicht unterzeichnete Presseerklärung und stelle daher keinen rechtlichen Transfer von Souveränität dar. Bei einer Veranstaltung im Taipeh-Gästehaus im August 2012 zur Erinnerung an den 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan von 1952 zeigte Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) dagegen auf, dass die Einhaltung der Kairoer Erklärung eine der Bedingungen der Potsdamer Erklärung sei, und die Potsdamer Erklärung sei die Grundlage der rechtlich bindenden japanischen Kapitulationserklärung. Der offizielle Status der Kairoer Erklärung und der Potsdamer Erklärung ist zudem aus der Tatsache ersichtlich, dass beide in dem vom US-amerikanischen Außenministerium veröffentlichten Konvolut Treaties and Other International Agreements of the United States of America 1776-1949 enthalten sind, bemerkte Ma.

Chang weist darauf hin, dass die Kairoer Erklärung auch die Grundlage für Souveränität auf der koreanischen Halbinsel liefert, da es in dem Text heißt, Korea solle im ordnungsgemäßen Verlauf „frei und unabhängig werden“. „Südkorea misst den Hinweisen des Dokuments auf die Befreiung und Unabhängigkeit von Korea große Bedeutung bei, und es gab keinerlei Kontroversen über die Gültigkeit der Erklärung im Hinblick auf koreanische Souveränität“, argumentiert der Historiker.

George Yeh (links sitzend) und Japans Bevollmächtigter Isao Kawada (rechts sitzend) unterzeichnen am 28. April 1952 im Taipeh-Gästehaus den Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan. (Foto: Huang Chung-hsin)

Kontroverse Formulierung

Über die Jahre hinweg gab es in manchen Kreisen Unklarheit über die Verwendung des Wortes „Rückgabe“ in der Kairoer Erklärung. Ein genauer Blick auf die Geschichte enthüllt jedoch, dass die Entscheidung zur Verwendung des Begriffs bewusst getroffen worden war. Zwischen 1683 und 1895 stand Taiwan unter der Herrschaft der Qing-Dynastie, bis der Qing-Hof Taiwan und die dazu gehörigen vorgelagerten Inseln im Vertrag von Shimonoseki an Japan abtrat. Auf dem chinesischen Festland regierten die Qing dagegen bis 1911 und wurden nach ihrem Zusammenbruch von der Republik China abgelöst. 1941 erklärte die Republik China Japan nach dem Angriff auf Pearl Harbor den Krieg und verkündete in Übereinstimmung mit internationalem Recht, dass alle zuvor zwischen China und Japan unterzeichneten Verträge, darunter der Vertrag von Shimonoseki, null und nichtig seien. Mit der Annullierung des Vertrages von Shimonoseki fiel die Souveränität über Taiwan und seine vorgelagerten Inseln — darunter die Diaoyutais (釣魚臺列嶼), eine aus fünf Eilanden bestehende Inselgruppe 102 Seemeilen vor Taiwans Nordküste — an die Republik China, den Nachfolgestaat der Qing.

Abgesehen von der japanischen Kapitulationserklärung bekräftigt eine Abfolge juristisch verbindlicher Verträge die ausdrückliche Bestätigung der Souveränität der Republik China über Taiwan in der Kairoer Erklärung. Im multilateralen Friedensvertrag mit Japan, auch „Vertrag von San Francisco“ (San Francisco Peace Treaty, SFPT) genannt, der am 8. September 1951 von zahlreichen Alliierten und Japan unterzeichnet wurde und am 28. April 1952 in Kraft trat, heißt es in Artikel 26, Japan sei bereit, bilaterale Friedensverträge mit allen alliierten Mächten zu schließen, welche am 1. Januar 1942 in Washington die Deklaration der Vereinten Nationen unterzeichnet hätten. Die Republik China, einer der vier Hauptunterzeichner der Deklaration der Vereinten Nationen, war also berechtigt, den Friedensvertrag mit Japan von 1952 zu besiegeln, in dem Artikel 10 besagt, „Staatsbürger der Republik China sollen alle Einwohner und ehemaligen Einwohner Taiwans einschließen“. Im Notenaustausch Nr. 1, einem Zusatzdokument, wurde die Anwendbarkeit des Friedensvertrages auf alle von der Republik China kontrollierten Territorien bestätigt, womit die Souveränität der Republik China aufs Neue anerkannt wurde.

Souveränität zugewiesen

Der Streit um die Souveränität der Republik China über Taiwan erstreckt sich außerdem auf den SFPT. Als Argument dafür, Taiwans Position sei unsicher, wird geltend gemacht, dass Japan mit der Unterzeichnung des SFPT zwar alle Ansprüche auf die zuvor besetzten Territorien aufgegeben habe, in dem Vertrag indes nicht festgehalten sei, welcher Macht die Souveränität über Taiwan zugewiesen werde.

In seiner Ansprache im Taipeh-Gästehaus erwiderte Ma auf dieses Argument, es seien weder von der Republik China bzw. der Nationalen Volkspartei (Kuomintang, KMT) noch von den chinesischen Kommunisten Vertreter zur Konferenz in San Francisco eingeladen worden, die mit der Unterzeichnung des SFPT endete, deswegen gewährte der SFPT den Alliierten, einschließlich der Republik China, in Artikel 26 die Vollmacht, separate Verträge mit Japan über die Verteilung der vormals besetzten Territorien zu schließen. Mit anderen Worten, die komplizierte internationale Lage nach Ende des Zweiten Weltkrieges erforderte einen breiten multilateralen Konsens, nämlich den SFPT, bevor im Anschluss bilaterale Abkommen getroffen werden konnten. In dem Sinne kann der Friedensvertrag zwischen der Republik China und Japan von 1952 als „Verlängerung des SFPT“ betrachtet werden, versicherte das Staatsoberhaupt.

Wichtiger Meilenstein

Als Japan 1945 Taiwan an Regierungsvertreter der Republik China übergab, erhielten die Einwohner die Staatsbürgerschaft der Republik China, berichtete Ma. Die Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan 1952 war ein weiterer wichtiger Meilenstein bei der Rückgabe Taiwans, weil damit der Souveränitätstransfer von Japan zur Republik China des Jahres 1945 bekräftigt wurde, betonte der Präsident.

Laut Chang konnte man die aktuellen Kontroversen über Taiwans Status zu der Zeit, als die Kairoer Erklärung verbreitet wurde, nicht voraussehen, diese entstanden später aufgrund von Veränderungen der politischen Bedingungen im In- und Ausland. Eine der einheimischen Verschiebungen ergab sich zum Beispiel durch die jahrzehntelange demokratische Entwicklung in Taiwan, was von manchen Akademikern dahingehend gedeutet wird, dass die Taiwaner als selbstverwalteter Staat einen natürlichen Anspruch auf Souveränität hätten.

Ohne Souveränität gibt es keine Sicherheit. 70 Jahre nach der Verbreitung der Kairoer Erklärung bietet der Text weiter eine solide Grundlage für die Souveränität der Republik China und damit auch für ihre Sicherheit. Diese Sicherheit ermöglichte überdies die Entwicklung Taiwans zu einer demokratischen, vielfältigen und wohlhabenden Nation, unzweifelhaft das wahre Vermächtnis der Kairoer Erklärung.

Letztendlich erlangen die Taiwaner durch die Feier von Jahrestagen wichtiger Ereignisse wie die Bekanntgabe der Kairoer Erklärung die Gelegenheit, mehr über ihre Geschichte und ihre Bedeutung für die heutige Zeit zu lernen. Wie Präsident Ma am 60. Jahrestag des Friedensvertrages zwischen der Republik China und Japan treffend feststellte, gewinnt man durch das Verständnis eines solchen Ereignisses Wertschätzung für die untrennbare Einheit von Taiwan mit der Republik China, und durch ein solches Verständnis wird sich die Liebe der Bürger zu ihrem Land noch vergrößern.

(Deutsch von Tilman Aretz)


 

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