07.05.2024

Taiwan Today

Politik

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte berät Fall taiwanischer Nationalität

25.05.2021
Eine Gruppe taiwanischer Studierender in Norwegen klagt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg gegen die Praxis norwegischer Behörden, ihre Staatsangehörigkeit als „chinesisch“ zu kategorisieren. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Adrian Grycuk/Creative Commons)
Seit dem Jahr 2010 wird in Norwegens Behörde, die für ausländische Anwohner zuständig ist, die Staatsangehörigkeit von dort lebenden Taiwanern als „chinesisch“ registriert. Eine Gruppe taiwanischer Studierender in Norwegen startete daraufhin eine Kampagne mit dem Ziel, ihre Staatsangehörigkeit als „taiwanisch“ eintragen zu lassen, und verklagte dazu die norwegische Regierung. Die Kläger machten geltend, dass ihre Rechte auf persönliche Identität verletzt worden seien, die als grundlegende Menschenrechte geschützt werden sollten.
 
Nachdem die Klage im November vergangenen Jahres von Norwegens oberstem Gericht abgewiesen wurde, reichte einer der Aktivisten namens Joseph am 6. Mai Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg gegen Norwegens Regierung wegen Menschenrechtsverletzungen ein. Sollte die Klage Erfolg haben, wäre es das erste Mal, dass das Gericht eine Entscheidung im Zusammenhang mit nationaler Identität trifft.
 
Da Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in den 47 Staaten, welche die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, verbindlich sind, würde das bedeuten, dass diese Länder taiwanische Staatsbürger nicht länger als „Chinesen“ registrieren können. Dies hätte enorme Auswirkungen auf die Zukunft taiwanischer Bürger in europäischen Ländern.
 
Die Klage kommt in einer Zeit, in welcher die VR China auf der internationalen Bühne ihre Tonart im Hinblick auf Taiwan verschärft und zahlreiche globale Unternehmen dazu gezwungen hat, Taiwan auf ihren Websites als „Taiwan, Provinz Chinas“ oder „Taiwan, China“ zu bezeichnen. Die taiwanischen Studierenden sind sich indes sehr wohl der starken wirtschaftlichen und politischen Macht der VR China bei ihrem Feldzug, das „Ein China-Prinzip“ weltweit durchzusetzen, bewusst.
 
„Indem wir von der norwegischen Regierung verlangen, unsere Staatsangehörigkeit korrekt als taiwanisch zu registrieren, haben wir dennoch nicht die Absicht, ihr außenpolitisches Vorrecht über die Entscheidung, Taiwan als Staat anzuerkennen, in Frage zu stellen, und natürlich kann Norwegen gemäß seinen nationalen Interessen handeln“, erläutert Joseph. „Wir hegen lediglich die Hoffnung, dass unser Recht, als taiwanische Staatsangehörige anerkannt und entsprechend behandelt zu werden, von dem Land, in welchem wir ansässig sind, ebenso wie bei anderen taiwanischen Mitbürgern in anderen europäischen Ländern respektiert wird.“ Joseph hob hervor, dass es in vielen europäischen Ländern Praxis sei, auch ohne diplomatische Anerkennung der Republik China (Taiwan) die taiwanische Staatsangehörigkeit in ihren Aufenthaltsdokumenten festzuhalten. Tatsächlich war vor 2010 sogar in Norwegens Aufenthaltsberechtigungen die Staatsbürgerschaft von Taiwanern entsprechend anerkannt worden.
 
Prof. Jill Marshall von der Justiz- und Kriminologie-Abteilung des Royal Holloway College an der University of London wies darauf hin, dass es eine sehr wichtige Angelegenheit sei, wie die Identität einer Person in offiziellen Dokumenten festgehalten werde. Es vereinfache die komplizierte Frage, wer wir sind, in wenigen Worten auf einem Dokument und könne Auswirkungen auf die Rechte von Menschen haben. „Die Antragsteller sind Taiwaner“, stellte sie klar. „Wenn das in ihren offiziellen Dokumenten nicht genannt wird und sie stattdessen mit einer unzutreffenden Staatsangehörigkeit beschrieben werden, sind sie falsch bezeichnet, und ihr Recht auf persönliche Identität wird verletzt.“
 
Es sei nur gerecht, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anerkenne, dass diese Rechtsverletzung stattgefunden habe, argumentierte Prof. Marshall, die auch das Buch „Menschenrechts-Gesetze und persönliche Identität“ verfasst hat. „Ich hoffe, dass die taiwanischen Stimmen gehört werden können.“
 
Den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen bedeutet, dass er jetzt nicht nur Norwegen angeht, sondern auch viele andere Länder in Europa. Joseph hält den Zeitpunkt für günstig, in ganz Europa das Bewusstsein für taiwanische Angelegenheiten zu schärfen. Unterstützung und Sympathien für Taiwan gewannen an Umfang, nachdem das Land lange Zeit bei der Bekämpfung des Coronavirus COVID-19 eine gute Figur machte. Und da sich immer mehr ausländische Medienanstalten wegen Sorgen über das von der VR China verhängte „Nationale Sicherheitsgesetz“ aus Hongkong nach Taiwan zurückziehen, konnte das Land sich als leuchtendes Vorbild für Freiheit und Demokratie in der Region präsentieren.
 
Seit der ersten Klage der taiwanischen Studierenden in Norwegen sind drei Jahre vergangen. Für sie ist die Klage nicht mehr nur eine einfache Rechtsangelegenheit, sondern eine umfassende Bewegung mit starker Unterstützung durch die taiwanische Gesellschaft. „Ich hoffe, dass durch diese Klage in der internationalen Gemeinschaft mehr Diskussionen über die Frage der taiwanischen Identität aufkommen und mehr taiwanische Stimmen in der Welt gehört werden können“, begründete Joseph. Die Kampagne wird vom Taiwan-Verband Irland und weiteren 30 Gruppierungen von Auslandstaiwanern in aller Welt unterstützt.
 
—Quelle: Overseas Community Affairs Council, 05/24/2021
—Zuschriften an die Taiwan heute-Redaktion unter taiwanheute@yahoo.com
 

Meistgelesen

Aktuell