Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas weiter in die chinesische Geschichte zurückgehen. Die letzte einheimische Dynastie, die Ming Dynastie, wurde 1644 von den eindringenden Manchu beseitigt. Die Fremdherrscher assimilierten die chinesische, Kultur sehr schnell und entwickelten sich bald zu großen Förderern und Liebhabern derselben: Nach außen hin begann eine Periode der Abkapselung und man war bemüht, alle ausländischen Einflüsse vom eigenen Territorium fernzuhalten.
Diese Isolierungspolitik konnte zwangsläufig durchgesetzt werden, solange China stark war. Im 18. Jahrhundert nahm zwar das Interesse europäischer Händler am Handel mit China zu, doch gelang es ihnen nicht, chinesische Häfen für ihre Geschäfte zu öffnen.
Unglücklicherweise hatte sich die Lage Chinas im 19. Jahrhundert sehr zu seinen Ungunsten verändert. In Europa hatte die industrielle Revolution die Agrargesellschaft beiseite gefegt. Die während dieser Umwälzungsperiode erstarkten Handelsunternehmen waren fest entschlossen, mit und ohne Zustimmung der Manchu Regierung, Handel mit China zu betreiben. 1840 begann mit den berüchtigten Opiumkriegen (1840-1842) eine ganze Reihe von Demütigungen für das Reich der Mitte. Zu Kriegsende zwangen die Engländer die chinesische Regierung, den ausländischen Händlern fünf Häfen zu öffnen. Zusätzlich mußte China gewisse Zolleinkünfte als Schadensersatz für einen Krieg abtreten, den es weder gesucht noch angefangen hatte. Die Nachricht, daß nur einige wenige ausländische Kanonenboote in der Lage waren, dem Reich der Mitte ihren Willen aufzuzwingen, machte schnell die Runde. Andere ausländische Mächte zögerten nicht, es den Briten nachzuahmen.
Durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch litt China unter einer Reihe von Unglücksschlägen. Nach einem gemeinsamen Einfall der Engländer und Franzosen, in dessen Verlauf der berühmte Sommerpalast bei Peking zerstört wurde, mußten im Vertrag von Peking (1860) weitere Konzessionen gemacht werden. Zur gleichen Zeit brach im Landesinneren die gegen die Manchu-Herrschaft gerichtete Taiping-Revolution aus, die 15 Jahre lang die Regierung schwächte und der Bevölkerung große Leiden verursachte. Rußland sah seine große Chance, seinen Einfluß in Zentralasien auszudehnen und annektierte große chinesische Gebiete. Die Franzosen übernahmen 1885 durch den Vertrag von Tientsin Indochina, die Japaner, die China schon mit Korea herausgefordert hatten, besiegten 1895 das Reich der Mitte und besetzten Taiwan und die Penghu Inseln (Peskadoren) auf Grund des Vertrages von Shimonoseki. Die Briten zogen zu ihren Gunsten eine willkürliche Grenze zwischen Indien und China.
Diese Gebietsverluste und die ungleichen Verträge erniedrigten China sehr. Aber weitaus schlimmer waren die Folgen dieser ausländischen Übergriffe für die chinesische Wirtschaft und Verwaltung. Das durch die ausländischen Mächte ins Land gebrachte Opium schädigte nicht nur das Volk. Da das Opium mit Silber bezahlt wurde, wanderten in kurzer Zeit große Mengen der inländischen Währungsreserven in den Westen ab. Die Folgen waren verheerend, öffentliche Einrichtungen und Regierungsvertretungen befanden sich im Stadium des Verfalls. Der ausländische Handel wurde durch enorme Zölle und Tarife abgewürgt und die Regierung durch teure ausländische Kredite weiter gelähmt. China war ein Opfer der ausländischen Ausbeutungspolitik.
Die Unfähigkeit des schwachen Manchu-Hofs, den Angriffen auf Chinas Nationalstolz zu begegnen, provozierte eine starke nationalistische Reaktion. Das 19. Jahrhundert war die Ära des Nationalismus und der Revolution in Europa. Geheimgesellschaften entstanden in großer Zahl und Studenten waren in vorderster Front der Bewegung tätig. Sehr bald begannen junge Chinesen im Ausland und zu Hause ähnliche Gesellschaften zu gründen, um sich der Revolution und Reform zu widmen.
Der prominenteste Führer in dieser Bewegung war Dr. Sun Yat-sen. Er wurde im Jahre 1866 als der zweite Sohn eines Bauern in der Provinz Kuangtung geboren und im Alter von 13 Jahren zum Studium nach Hawaii geschickt, wo seine beiden Brüder bescheidene Geschäfte führten. Er besuchte zunächst das St. Louis College in Honululu und später das Alice Memorial Hospital in Hongkong, wo er Politik und Medizin studierte. Nach einigen Jahren, während deren er intensiv durch Japan, Amerika und Europa gereist war, entschloß er sich, dank seiner Erfahrungen über Freiheit und Demokratie im Ausland, sein Leben der Rettung des Vaterlandes zu widmen. Basierend auf seinem Wissen über das traditionell chinesische Regierungssystem und die sozialpolitische Philosophie im Westen, die er durch intensive Studien in Amerika und England erworben hatte, stellte sich Dr. Sun der Modernisierung und der Entwicklung Chinas ganz zur Verfügung und proklamierte die drei Volksprinzipien: Nationalismus, Demokratie und Sozialwohlfahrt. Die Anziehungskraft seiner Persönlichkeit und die Brillianz seiner politischen Ideen brachten ihm viele Anhänger.
Nach dem verhängnisvollen chinesisch-japanischen Krieg im Jahre 1895 organisierte Dr. Sun die Hsing Chung Hui (Society for Regenerating China) in Honululu. Unglücklicherweise endete ein erster bewaffneter Aufstand in Kuangtung mit einem Fehlschlag.
Der Boxeraustand im Jahre 1900 spornte ihn zu größeren Anstrengungen an und im Jahre 1905 gelang es ihm, mehrere Geheimgesellschaften in China und im Ausland zur Tung Men Hui (Society of Revolutionary Aspirants), mit Hauptquartier in Tokyo, zu vereinigen. In ausgedehnten Überseereisen gründete er geheime Zweiggruppen in einigen wichtigen Städten Asiens, Europas und Amerikas.
Die Zeit war reif für die Revolution, und bis zum letzten, großen Erfolg mußte Dr. Sun nicht weniger als zehn fehlgeschlagene Aufstände hinnehmen. Erst im Jahre 1911 setzte ein Funke in der Provinz Ssu-ch 'uan das ganze Land in Brand. Der unmittelbare Anlaß war die Eisenbahn.
Zur großen Entrüstung vieler Chinesen aus allen Schichten waren die Konzessionen für den gesamten Eisenbahnbau in China vom Manchu-Hof an ausländische Konsortien verkauft worden. Nur in der Provinz Ssu-ch'uan konnte die Bevölkerung eine Eisenbahngesellschaft gründen, die mit chinesischem Geld eine Eisenbahn für Chinesen bauen sollte. Leute aus allen Schichten hatten über Jahre hinweg Geld für diesen Zweck gespendet. Dann kam die Nachricht, daß der Manchu-Hof die Konzession an Ausländer verkauft hatte. Aufstände brachen aus, und ein Militärkommandeur wurde nach Chengtu, der Provinzhauptstadt, entsandt, um den Aufstand zu unterdrücken. Er ließ die Stadttore schließen und versiegeln und glaubte die Stadt sei so von der Außenwelt abgeschnitten. Aber die einfallsreichen Bürger, die weder die Stadt verlassen noch per Telegraph Kontakt zur Außenwelt aufnehmen durften, ritzten den Ruf zu den Waffen in Holzbretter und ließen sie auf dem Fluß, der durch die Stadt fließt, hinaustreiben. Die Nachricht erreichte Geheimgesellschaften im ganzen Land, die daraufhin alsbald Aufstände organisierten. Bevor sie noch vollständig vorbereitet waren, beschleunigte am 10. Oktober 1911 eine zufällige Bombenexplosion in Wuchang in Mittelchina den Aufstand. Truppen begannen zu meutern und innerhalb weniger Tage erklärten sich 15 Provinzen für unabhängig von den Manchu.
Die Herrschaft der Manchu war zu Ende und Dr. Sun Yat-sen, der sich gerade in Kalifornien aufhielt, um Geld zu sammeln, wurde nach China zurückgerufen und offiziell am 1. Januar 1912 zum Präsidenten der Republik ausgerufen. Der Tag, 10. Oktober, an dem sich der letzte, erfolgreiche Aufstand in Wuchang entlud, ist seitdem der Nationalfeiertag der Republik China.