08.05.2024

Taiwan Today

Home

Laternenfest

01.05.1990
Allerorten gibt es Laternen in den verschiedensten Farben und Formen zu sehen...
Am Abend des ersten Vollmonds im neuen Jahr, dessen Beginn nach dem Mondkalender berechnet wird, sind alle buddhistischen und taoistischen Tempel mit Laternen geschmückt, Löwen- und Drachentänze werden aufgeführt, Szenen aus bekannten Volkssagen werden durch lebensgroße mechanische Puppen als bewegliche Bilder dargestellt. Die Menschen lustwandeln im Schein der Lampions und bewundern deren kunstvolle Gestaltung. Alt und Jung sind auf den Beinen, es ist Yüan Hsiao (元宵) - Laternenfest.


Was ist der Ursprung des Laternenfestes? Es gibt viele Geschichten um seine Entstehung, von denen keine schlüssiger ist als die andere, die aber alle ihren eigenen Reiz haben.

Einer gängigen Version zufolge kam der Brauch am fünfzehnten Tag des neuen Mondes im neuen Jahr Laternen aufzuhängen, in der Han-Zeit (206 v.Chr.-221 n.Chr.) auf, im Zuge der Festlichkeiten zu Ehren des Nordsterns (T'ai yi 太乙), die damals begangen wurden. Oder bestand der Zweck der Laternen darin, die Nacht zu erhellen, um die in der Luft schwirrenden Geister besser sehen zu können? Eine Erklärung dafür, wieso die Geister aber ausgerechnet in der ersten Vollmondnacht des neuen Jahres unterwegs sind, gibt es nicht. In einem Buddhistischen Lexikon (Fo chiao ta tzu tien 佛教大字典) findet sich die Erklärung, daß in der Zeit der Ming-Dynastie (1368-1644) vom Kaiser Ming ein Dekret erlassen wurde, demzufolge in der ersten Vollmondnacht des neuen Jahres in allen buddhistischen Tempeln die ganze Nacht hindurch Laternen leuchten sollten, um so die Erlauchtheit des Buddhismus zu symbolisieren.

Tatsächlich muß das Aufhängen von Laternen ja nicht nur einen einzigen Ursprung haben. Bräuche können im Lauf der Zeit vom einen Fest auf das andere übertragen und Feste miteinander vermischt werden. Jede Version mag also durchaus berechtigt sein. Die folgende jedoch liefert eine plausible Erklärung dafür, wieso die Wahl gerade auf die erste Vollmondnacht fiel:

In der Zeit der T'ang-Dynastie (618-907) reformierte Kaiser Taichung das Bildungssystem und ermutigte die Menschen zum Studium. Es war Brauch, daß die Kinder für ihren Eintritt in die Schule eine Laterne bastelten, die dann am ersten Schultag von einem alten Gelehrten für sie angezündet wurde - ein Symbol für eine strahlende Zukunft, für die Erleuchtung durch Bildung, auf die sie hofften. Das Schuljahr begann kurz nach den Feierlichkeiten zum neuen Jahr - also um die Zeit des ersten Vollmondes, so ergab sich dieser Zeitpunkt für die Herstellung und Entzündung der Laternen. Im Lauft der Zeit verselbstständigte sich dieser Brauch gleichsam und das Herstellen und Erleuchten von Laternen wurde zu einem vom Schulbeginn unabhängigen Fest, das auch den Abschluß der Neujahrsfeierlichkeiten markierte.

Auch heute noch machen einige Kinder ihre Laternen selbst. Diese sind aber in der Minderheit. In diesem Jahr waren blinkende Plastikfiguren in Neonfarben der absolute Renner und der ganze Stolz der Kleinen, die aufgeregt bis lange nach Einbruch der Dunkelheit ihre leuchtenden Astronauten und Monster zur Schau stellten. Beliebtes Motiv für Laternen, die alljährlich allerorten aufgehängt werden, sind aber vor allem die chinesischen Tierkreiszeichen in den verschiedensten Größen und Ausführungen: Einige Laternen-Figuren waren auf traditionelle Art aus Bambusgerüsten und Reispapier gefertigt worden, in Reifen befestigt und aufgehängt - als Lichtquelle dienen heute jedoch im allgemeinen Glühbirnen statt Kerzen. Andere wiederum waren riesige Luftballons in Neonfarben, auf denen der Name des jeweiligen Hotels geschrieben stand, das den Lampionluftballon gestiftet hatte. Wie konnte man sich auch diese Gelegenheit zur Werbung entgehen lassen, ist doch der Tag des Laternenfestes auch zum "Tourismustag" ernannt worden? "Das diesjährige wird das größte Laternenfest, das es jemals in Taiwan gegeben hat", hieß es in den Medien und in der Tat, gab man sich alle erdenkliche Mühe, es ein Fest der Superlative werden zu lassen.

...absoluter Medienhöhepunkt in diesem Jahr war jedoch ein riesiger, feuerspeiender Laternen-Drache vor der Chiang Kai-schek Gedächtnishalle.

Absoluter Medienhöhepunkt war ein riesiger, schlangenartiger Drache, der sich um eine große Kugel windend den Vorplatz der Chiang Kai-shek Gedächtnishalle schmückte. Zu der nach dem Mondkalender als dafür besonders günstig bestimmten Stunde wurde er zu rhythmischen, elektronisch erzeugten Baßtönen langsam zum Leuchten gebracht. Aus dem Maul des Drachen kam zischend von rosafarbenen Laserstrahlen erleuchteter Qualm und an seinem Körper waren weitere Öffnungen angebracht, durch die grüne Laserstrahlen drangen und den Nachthimmel streiften.

Weniger romantisch, sondern eher laut und - im wahrsten Sinne des Wortes - explosiv gestaltet sich das Laternenfest in Yenshui, im Bezirk Tainan im Süden der Insel. Hier gibt es eine spezielle Tradition, die aus der Ch'ing-Dynastie stammt: Nicht ein "Laternen-", vielmehr ein "Knallfroschfest" wird dort begangen, denn diese werden zehn Stunden lang in unglaublichen Mengen angezündet, irgendwohin geworfen und detonieren in unmittelbarer Nähe von und nicht selten auch auf den sich drängenden Zuschauern. Obwobl bekannt ist, daß jeder, der sich in dieses Abenteuer stürzen mag, sich mit mehreren Kleidungsschichten, Gehörschutz und Motorradhelm ausstaffieren sollte, werden alljährlich nicht wenige mit Verbrennungen in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert.

Zurück nach Taipei: Das Laternenfest fiel in diesem Jahr auf Samstag, den zehnten Februar. Bereits am frühen Nachmittag strömten Schaulustige im strahlenden Sonnenschein auf den Platz zwischen Nationaltheater und Oper, um dort den Darbietungen von Volkskunst beizuwohnen. Etliche Gruppen aus dem Ort Lukang waren mit Puppen und Kostümen nach Taipei angereist und führten Figuren aus der chinesischen Geschicbte und Mythologie vor.

Lukang (鹿港) ist ein Ort im Südwesten Taiwans, der einst zu den wohlhabendsten der Insel zählte. Besonders in der Zeit der Ch'ing-Dynastie (1644-1911) überfielen aber Piraten und andere Räuberbanden, die das Land unsicber machten, den Ort, plünderten und brandschatzten und blockierten die Hauptverkehrswege. Der Fluß, der in Lukangs Hafen mündete, führte besonders in Überschwemmungszeiten Unmengen an Erdreich mit sich, das den kleinen Hafen langsam zuschüttete und somit die Bedingungen für Fischerei und Handel erheblich verschlechterte. So war Lukang in seiner Entwicklung gehemmt und gehört heute zu den Orten auf Taiwan, deren Stadtbild noch von alten architektonischen Formen geprägt ist, und der Ort ist für die Pflege traditioneller Volkskunst bekannt.

Dargestellt wurden unter anderem die Räuber vom Liang Shan P'o, Figuren aus dem Roman Shui hu ch'uan (水滸傳) aus dem vierzehnten Jahrhundert, der die Geschichte von 108 Räubern erzählt, die sich gegen das korrupte Regime in der Sung-Zeit (906-1280) auflehnten. Zu sehen waren auch andere bekannte Figuren, wie diverse Gestalten aus der Geisterwelt, und es waren sogar die Göttin Matsu (媽祖) und ihre Begleiter aus dem Tempel in Lukang nach Taipei gepilgert. Matsu ist Schutzgöttin der Seefahrer und der Kult um sie ist auf Taiwan heute noch lebendig.

Beschützt wird Matsu von den beiden Generälen Chien Li Yen (千里眼), "Die Augen, die tausend Meilen weit sehen können", dessen Gesicht grün und Kleidung rot ist und dem rotgesichtigen Shun Feng Erh (順風耳), "Die Ohren, denen der Wind alle Laute von weit her zuträgt", der in der einen Hand einen Speer trägt und mit der anderen auf sein Ohr zeigt. Die Generäle stehen im Tempel auf beiden Seiten hinter der Matsu-Statue. Sie sind ehemalige Dämonen, sagt man, die von Matsu dazu bewegt wurden, dem Bösen abzuschwören und ihre übernatürlichen Fähigkeiten nun in den Dienst der Rettung von Schiffen in Seenot stellen.

Der Legende nach wurde Matsu 960 v.Chr. als Tochter eines Beamten geboren. Ihr "bürgerlicher Name" war Lin Mo-liang. In ihrem siebzehnten Lebensjahr stellte sich heraus, daß sie übernatürliche Fähigkeiten hatte. Sie blieb unverheiratet, widmete ihr ganzes Leben der Errettung Schiffbrüchiger aus der Taiwan-Meeresenge und verstarb im Alter von 28 Jahren. Nach ihrem Tod begann man, im ganzen südchinesischen Küstengebiet Matsu-Tempel zu bauen - solche Schreine finden sich sogar in anderen Regionen in Südostasien.

Die schöne junge Frau, die den tosenden Stürmen trotzt und begleitet von ihren imposanten Beschützern, und anderen guten Geistern auf Rettungsfahrt über wogende Wellen geht - das ist natürlich gutes Material für die phantasievollen beweglichen Bilder, die zum Anlaß des Laternenfestes angefertigt werden. Auf großen Bühnen bewegen sich abends hell erleuchtete mechanische Puppen und die Menge drängt sich, um einen Blick auf sie zu werfen. Die dargestellten Szenen und Figuren kennt jedes Kind und die Freude über Farben und Formen wird dadurch, daß man in den Figuren gleichsam "alte Bekannte" wiedererkennt, noch gesteigert.

Auch der Affenkönig aus dem Roman "Die Reise in den Westen" ist jedem bekannt und darf auf keinen Fall fehlen.

Auch Koxinga, auf Chinesisch General Cheng Ch'eng-kung (鄭成功), darf freilich nicht fehlen, denn er und vor allem seine weißhäutigen, gelbhaarigen Widersacher machen sich gut auf der Bühne. Koxinga wird in Taiwan als Freiheitsheld gefeiert. Er, Sohn eines Chinesen und einer Japenerin, kämpfte bis zum Letzten gegen die mandschurischen Invasoren, mußte jedoch schließlich vor ihnen fliehen und zog sich Taiwan zurück, von wo er 1661 die Holländer, Kolonialherren auf der Insel, vertrieb. Auch die Figur des Affenkönigs aus dem Roman "Die Reise nach dem Westen" (Hai yu chi 西遊記) aus der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts darf nicht fehlen. Der Roman schildert die Geschichte eines Affen, der aus einem Felsen geboren wurde und übernatürliche Fähigkeiten hatte (zum Beispiel konnte er 108-Meilen-Purzelbäume machen), er begleitete seinen Meister auf der Suche nach den Sutren des Buddhismus und hatte die Fähigkeit zweiundsiebzig Mal seine Gestalt zu ändern. Der Affe und seine Geschichte sind allen bekannt - und besonders bei Kindern sehr beliebt.

Am Abend des Laternenfestes drängen sich die Menschen aber auch zum Rätselraten, einem in China sehr beliebten Zeitvertreib. Im Schein der Lampions werden Papierstreifen, auf denen die Rätsel geschrieben stehen, in einer langen Reihe nebeneinander aufgehängt. Das Raten beginnt: Man murmelt vor sich hin, tuschelt mit Freunden, ereifert sich.

Ein besonderer Reiz beim Rätselraten besteht darin, daß man oft nicht unbedingt direkte Hinweise auf die Bedeutung des gesuchten Begriffes erhält, sondern auf das Schriftzeichen, das den Begriff bezeichnet. Man ist hierzulande von klein auf daran gewöhnt, spielerisch mit Zeichen umzugehen, aus ihnen Figuren zu machen. So werden die Kinder in Vor- und Grundschule an die Schriftzeichen herangeführt.

Ein Rätsel-Beispiel:

四三相對頂相連,橫也川、豎也川,團圓一家共十口,只有四口不周全。
Vier Berge, deren Gipfel verbunden sind
Ein Fluß verläuft waagerecht, einer senkrecht
Eine vollständige Familie hat zehn Münder
Dies hat nur veier und ist demnach nicht komplett.

Das gesuchte Wort ist Feld "t'ien", das mit dem Zeichen 田 geschrieben wird, Berg schreibt man 山, Fluß 川 und Mund 口.

Wer die Lösung des Rätsels zu wissen glaubt, drängt nach vorne und verkündet seine Antwort - ist sie richtig, erhält er einen der von Privatpersonen oder Firmen gestifteten Preise.

Dieses Rätselraten hat eine lange Tradition und es gibt wahre Spezialisten, die mit Nachschlagewerken losziehen, um so auch die besonders kniffligen Fragen, die Anspielungen auf klassische Werke aus Literatur und Geschichtsschreibung enthalten, zu lösen.

Eine ganz andere Art von Spannung barg das Laternenfest in früheren Zeiten für junge Mädchen: Sie durften nur einmal im Jahr, zum Laternenfest nämlich, abends ihre Gemächer verlassen. Im Schein des Vollmondes gab es also so manche amouröse Begegnung, die Stoff für romantische Gedanken lieferte, die die dann für ein ganzes Jahr reichen mußten - und freilich nicht selten Enttäuschung und großen Kummer mit sich brachten. Diese Stimmung fängt der Dichter Ou Yang-hsiu (歐陽修) aus der Zeit der Sung-Dynastie (760-1280) ein:

去年元月時,花市燈如晝,月上柳梢頭,人約黃昏後
今年圓月時,月與燈依舊,不見去年人,淚濕春衫袖。
Letztes Jahr am Laternenfest war der Blumenmarkt durch Lampions taghell erleuchtet;
Der Mond stand über den Wipfeln der Weiden und die Menschen trafen sich nach Einbruch der Dunkelheit.
In diesem Jahr zur selben Zeit scheint der Mond auf seine gewohnte Weise;
Der Mann, den ich letztes Jahr sah, ist diesmal nirgendwo zu sehen, Tränen benetzen die Ärmel meines Frühlingsgewandes.

In den späten Abendstunden ist das Fest zu Ende. Ausverkauft und aufgegessen sind alle Yüan Hsiao, die gekochten Klöße aus Reismehlteig mit süßer Füllung, z.B. aus Sesam oder Erdnüssen, deren runde Form die Zusammenkunft der Familie symbolisiert. Die verlorengegangenen kleinen Kinder sind alle wieder eingesammelt worden. Man geht nach Hause. Die Feierlichkeiten zum Jahreswechsel sind nun vorbei. Das neue Jahr hat nun wirklich begonnen.

Meistgelesen

Aktuell