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Premierminister Lien Chan tritt mit neuen Kabinett an

01.03.1993
Am 10. Februar bestellte Präsident Lee Teng-hui den Provinzgouverneur von Taiwan, Lien Chan, zum neuen Premierminister, welcher am 23. des gleichen Monats vom Legislativ-Yüan mit 109 Stimmen, bei 33 Gegen- und einer ungültigen Stimme, bestätigt wurde. Die Nominierung erfolgte, nachdem Premierminister Hau Pei-tsun am 4. Februar seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte. Als Gründe gab der 75jährige Hau auf seiner letzten Pressekonferenz als Regierungsoberhaupt am 25. 2. an, daß erstens die Spannungen zwischen dem Legislativ-Yüan und dem Kabinett die Ausführung von Politik schwierig gestaltet hätten, und er zweitens mit seinem Rücktritt ein Exempel setzen wolle. Die Verfassung der Republik China schreibt nicht vor, daß der Premierminister mit dem Kabinett nach einer Neuwahl des Legislativ-Yüan zurückzutreten hat; Artikel 55 der Verfassung besagt lediglich, daß der Premierminister vom Präsidenten und mit der Zustimmung des Legislativ-Yüan ernannt werden muß.

Präsident Lee Teng-hui hörte zwischen dem 5. und 7. Februar die Meinungen der Abgeordneten zum Legislativ-Yüan in der Frage um die Nachfolge Hau Pei-tsun's, ehe er am 10. Februar vor der wöchentlichen Sitzung des ständigen Zentralkomitees der Kuomintang die Nominierung von Lien Chan zum neuen Premierminister bekanntgab. Lien Chan wurde 1936 in der festlandchinesischen Stadt Hsian, Provinz Shanhsi, geboren; sein Vater Lien Chen-tung hatte eine Reihe von hohen politischen Ämtern inne und machte sich besonders um die Einführung der lokalen Selbstverwaltung sowie um die Landreform auf Taiwan verdient, nachdem die nationalistische Regierung von Festlandchina übergesiedelt war. Die Familie Lien ist seit über hundert Jahren in Tainan ansässig und gilt als überaus wohlhabend. Lien studierte politische Wissenschaften auf Taiwan und setzte seine Studien über internationales Recht und Diplomatie in den Vereinigten Staaten fort, wo er 1965 an der Universität von Chicago promovierte und als Assistenzprofessor in Wisconsin und Connecticut lehrte. 1968 kehrte er nach Taiwan zurück und wirkte als Professor und Vorsitzender im Fachbereich für Politikwissenschaften sowie als Direktor dessen Graduiertenschule an der Nationalen Taiwan-Universität. Von 1975 bis 1976 war Lien Botschafter in El Salvador und hatte nach seiner Rückkehr verschiedene Posten in der Regierung inne. Von 1981 an amtierte er nacheinander als Verkehrs-, Vizepremier- und Außenminister, ehe er 1990 zum Gouverneur der Provinz Taiwan ernannt wurde.

In seiner Eigenschaft als Parteivorsitzender der KMT beschrieb Präsident Lee den vierzehnten Premierminister in der Geschichte der Republik China als ehrlich, bescheiden, mit einem guten akademischen Hintergrund und ausgezeichneten Erfahrungen in der Verwaltung sowie voller jugendlicher Tatkraft. Lee erklärte, er habe Ideen und Meinungen von allen Seiten gesammelt und Lien Chan nach langer, reiflicher Überlegung ausgewählt. Lien Chan, der mit seinen 56 Jahren als jung in den Reihen der Politiker gilt, verkündete, er werde in Hau's Fußstapfen folgen und sich voll seiner neuen Aufgabe widmen. Am 19., 20. und 22. Februar stellte sich der Kandidat den Fragen von Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen im Legislativ-Yüan, wobei er allerdings nicht auf die Forderung von seiten vieler Abgeordneter einging, die Höhe seines Familienvermögens darzulegen. Aber er werde der erste Premierminister sein, welcher gerne über sein Einkommen und Besitz Rechenschaft ablegen wolle, sobald ein entsprechendes Gesetz erlassen sei, vermerkte er.

Während der Anhörungen, die live im Fernsehen übertragen wurden, sowie während der ersten Pressekonferenz, die Lien Chan als Premierminister am 27. Februar gab, äußerte er sich wie folgt zur Innen- und Außenpolitik:

- Entsprechend der Verfassung der Republik China sei das Land weder auf den Präsidenten noch auf das Kabinett zentriert; Befürwortung von direkten Präsidentschaftswahlen; daneben halte er den öffentlichen Volksentscheid für ein wirkungsvolles Mittel, um Kontroversen über wichtige politische Entscheidungen und Themen beizulegen

- Der Kampf gegen den Einfluß von Geld in der Politik müsse mit einer Reform des Systems beginnen, wobei Gesetze zur Regelung von Spenden, der Offenlegung von Politikereinkommen sowie gegen die Beeinflussung durch Lobbyisten oberste Priorität im Legislativ-Yüan genießen sollten

- Der laufende Sechsjahres-Entwicklungsplan solle fortgeführt werden, allerdings müsse eine umfassende Prüfung und Überarbeitung erfolgen und man werde verstärkt private Investitionen bei den Projekten suchen; daneben sprach Lien Chan sich für die Förderung von öffentlichen Bauprojekten, Verbesserung der hiesigen Investitionsbedingungen, Ausgleich im Außenhandel, Aufwertung der inländischen Produktion sowie verstärkte finanzielle Hilfe seitens der Regierung für kleine und mittelgroße Betriebe aus

- Die zeitweilige Teilung Chinas sei eine Tatsache, aber man werde die Wiedervereinigung als Ziel nicht aus den Augen verlieren; er unterstütze die Fortführung und Entwicklung der Beziehungen zwischen Festlandchina und Taiwan entsprechend der in den Richtlinien zur Nationalen Wiedervereinigung der Republik China festgelegten Phasen. [Die Richtlinien sehen eine allmähliche Annäherung vor, die sich in drei Stufen gliedert; derzeit befindet sich der Prozeß in der ersten, kurzfristigen Phase, die kulturellen Austausch und private Personenbesuche vorsieht. Die für die zweite, mittelfristige Stufe der Annäherung projektierten] direkten Transportverbindungen zwischen Taiwan und Festlandchina halte Lien Chan in der derzeitigen Phase noch für verfrüht

- Die Republik China solle als unabhängiges und freies Land ihre pragmatische Diplomatie fortsetzen und die Bestrebungen des kommunistischen China, Taiwan in der internationalen Gemeinschaft zu isolieren, ignorieren; die Regierung könne im Falle von Ländern, welche offiziell Festlandchina anerkennen, nach "dualer Anerkennung" streben und soll ihre bilateralen Beziehungen mit anderen Staaten sowie die Verständigung und Kontakte zu internationalen Organisationen verstärken

Das neue Kabinett wurde am 26. Februar von Lien Chan verkündet. Neuer Vizepremierminister ist Hsu Li-teh, Wu Poh-hsiung bleibt Innenminister, Fredrick Chien bleibt Außenminister, neuer Verteidigungsminister ist Sun Chen, neuer Finanzminister ist Lin Chen-kuo, neuer Erziehungsminister ist Kuo Wei-fan, neuer Justizminister ist Ma Ying-jeou, neuer Wirtschaftsminister ist Chiang Pin-kung, neuer Transport- und Kommunikationsminister ist Liu Chao-shiuan, Chang Jiunn-yi ist neuer Vorsitzender der Kommission für mongolische und tibetische Angelegenheiten, John Chang ist neuer Vorsitzender der Kommission für auslandschinesische Angelegenheiten und Lee Hou-kao ist Generalsekretär des Exekutiv-Yüan. Shirley Kuo, Wang Chou-ming, Vincent Siew (der gleichzeitig als Vorsitzender des Rats für wirtschaftliche Planung und Entwicklung fungieren wird), Huang Kun-huei (gleichzeitig Vorsitzender des Rats für Festlandsangelegenheiten), Huang Shih-cheng, Hsia Han-min und Chiu Hungdah wurden zu Ministern ohne Portefeuille ernannt. Weitere Regierungsmitglieder sind Hsu Yih-yun, Chou Shih-pin, Kuo Nan-hung, Yin Shih-hau, Sun Teh-hsiung, Sun Ming-hsien, Shen Hsueh-yung, Chao Shou-po, Wang Kun, Chen Keng-chin, Chang Po-ya, Chang Lung-sheng und Jason Hu als Direktor des Regierungsinformationsamtes. Die Vereidigung der Regierungsmitglieder wurde am 1. März unter Vorsitz von Präsident Lee Teng-hui vollzogen, nachdem sie am 26. 2. vom ständigen Zentralkomitee der KMT bestätigt worden waren.

In der Pressekonferenz vom 27. 2. beschrieb Lien Chan seine Kabinettsmitglieder als energiegeladen, dynamisch, professionell und weitsichtig. Es wurde ihnen hohe akademische Qualifikation und große Erfahrung nachgesagt. Mit den Ernennungen von Hsu Li-teh zum Vizepremierminister, Lin Chen-kuo zum Finanzminister und Vincent Siew zum Vorsitzenden des Rates für wirtschaftliche Planung und Entwicklung hat sich Lien Chan ein wirtschafts- und finanzpolitisch starkes Team zur Seite gestellt, von dem man sich eine verstärkte Förderung der Wirtschaft erwartet. Die Zahl der Frauen im Kabinett stieg von zwei auf drei an, als Shen Hsueh-yung zur neuen Vorsitzenden des Rats für kulturelle Planung und Entwicklung bestimmt wurde und ihren Platz neben Staatsministerin Shirley Kuo und der Direktorin des Gesundheitsamtes, Chang Po-ya, in den Reihen der weiblichen Regierungsmitglieder einnahm.

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