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Ideenreicher Neuling

01.07.1996
Aus der Privatwirtschaft kommen nicht viele Aufträge. Großunternehmen haben ihre eigenen Forschungsabteilungen, und die kleinen und mittleren meinen, sie hätten keine Analysen nötig.

Das Taiwan-Forschungsinstitut ist zwar erst zwei Jahre alt, möchte sich aber mit der Ausdehnung seiner wirtschaftswissenschaftlichen Sachkenntnis auf multidisziplinäre Forschungen einen Nischenplatz erobern.

Das Taiwan-Forschungsinstitut (Taiwan Research Institute, TRI) ist neu auf Taiwans Denkfabrikenszene. Gegründet wurde es im Februar 1994 von dem Wirtschaftswissenschaftler Liu Tai-ying (劉泰英), der es auch leitet. Liu möchte es zu einer multidisziplinären Forschungseinrichtung machen, die nach dem Vorbild des Daiwa Forschungsinstituts in Japan und des Brookings Instituts in den USA arbeitet.

"Liu wollte ein umfassendes Forschungsinstitut aufbauen, weil seine langjährige Erfahrung im Taiwan-Institut für Wirtschaftsforschung (Taiwan Institute of Economic Research, TIER) ihn gelehrt hat, daß Wirtschaftspolitik nicht allein von wirtschaftswissenschaftlichen Studien abhängt", sagt Liang Jung-hui ( 梁榮輝 ), leitender Sekretär des TRI. "Er wollte weg von der ausschließlichen Konzentration auf ökonomische Studien." Das Institut hat sich das Ziel gesetzt, eine größere Bandbreite an Fachgebieten wie Wirtschaft, Politik, Außenpolitik, Umweltprobleme, Soziales und Kultur abzudecken als Taiwans zwei etablierte Wirtschaftsdenkfabriken - das TIER und das Chung-Hua-Institut für Wirtschaftsforschung (Chung-Hua Institution for Economic Research, CIER). Zur Zeit fehlt es dem TRI allerdings an dem dafür nötigen Personal. Sein Mitarbeiterstamm beträgt nur ein Drittel dessen, was die anderen zwei Denkfabriken an Angestellten vorweisen können.

Doch Liu Tai-ying plant, die Zahl der Mitarbeiter auf 120 zu erhöhen, und ihm eilt der Ruf voraus, daß er seine Pläne schnell in die Tat umzusetzen pflegt. Nach siebzehn Jahren als Leiter des TIER hat Liu 1993 diesen Posten aufgegeben, um das TRI zu gründen. Seit 1994 ist er zudem Vorstandvorsitzender der KMT-Firma China Development Corporation (CDC) und Vorsitzender des Managementausschusses für die Firmen der KMT - einer der Gründe dafür, daß viele Beobachter dem TRI enge Verbindungen zur größten politischen Partei Taiwans nachsagen.

Zwei private Konzerne, die Ruentex-Gruppe und die Hung-Kuo-Gruppe, stellten den Gründungsfonds für das TRI in Höhe von 1,1 Millionen US$ zur Verfügung. Mit einem Textilunternehmen wurde der Grundstein für das Firmenimperium Ruentex gelegt, bevor es dann in die Branchen Bau, Banking, Wertpapiere und Investment auf dem chinesischen Festland immer weiter expandierte. Vom Vorstandsvorsitzenden des Konzerns und Mitglied der TRI-Leitung, Yin Yen-liang (尹衍樑), heißt es, er habe gute Verbindungen zu hochrangigen Beamten auf beiden Seiten der Taiwanstraße; Kontakte, die den Forschungen des Instituts über die Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland offensichtlich zugute kommen. Die Hung-Kuo-Gruppe begann als Reisschälbetrieb, machte ihr Vermögen aber im Baugewerbe. Danach dehnte sie ihre Aktivitäten auf die Branchen Hotel und Investment aus, erwarb einen Zeitungsverlag und unterhält außerdem seit einiger Zeit eine Basketballmannschaft. Ling Hung-ming (林鴻明), stellvertretender Direktor der Baufirma Hung Kuo Construction, gehört ebenfalls der Leitung des TRI an.

Nach zwei Jahren hat sich der ursprüngliche Fonds des TRI auf 2,59 Millionen US$ mehr als verdoppelt. Laut Aussage Liang Jung-huis wird sich diese Summe dank weiterer Spenden aus der Privatwirtschaft bis zum Jahresende auf mindestens 3,7 Millionen US$ erhöhen. Damit könnte es sich das Institut leisten, aus seinem jetzigen Domizil im 13. Stock des CDC-Gebäudes in Taipeis Stadtzentrum in ein eigenes Bürogebäude umzuziehen. Ein Standortwechsel, fügt Liang hinzu, sollte die Spekulationen über die Beziehung zwischen dem TRI und der KMT entkräften können. "Wir bekommen keinerlei Spendengelder von der Partei", bekräftigt er. "Im Gegenteil. Ich glaube, einige unserer Forscher sind Anhänger der Neuen Partei. Aber das macht nichts, solange sie ihre politische Gesinnung für sich behalten, ihre Arbeit dadurch nicht beeinträchtigt wird und sie nicht versuchen, ihre Kollegen zu überzeugen."

Das TRI umfaßt derzeit drei Forschungsabteilungen mit fast fünfzig Vollzeit- und 25 Teilzeitmitarbeitern. Rund zwei Drittel des Personals, darunter der größte Teil des Managements, kamen vom TIER, das sich genau gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet. Die erste Forschungssektion befaßt sich mit "Unternehmenswirtschaft", ein von Liu Tai-ying geprägter Begriff für die betriebswirtschaftlichen Studien des Instituts. Mit dieser Bezeichnung will es sich vom CIER, das mehr auf Makroökonomie spezialisiert ist, und dem TIER, das sich in erster Linie auf einzelne Branchen konzentriert, unterscheiden. Geleitet wird diese Abteilung von Wu Tsai-yi ( 吳再益 ), der aus der Abteilung für Energie und Umweltschutz des TIER abgeworben wurde. Bisher hat diese neue Spezialisierung nur wenige Aufträge aus der Privatwirtschaft eingebracht. "Unser Problem ist, daß die großen Mischkonzerne selbst Forschungen betreiben, während kleine und mittlere Unternehmen meinen, keine zu brauchen", sagt Liang.

Obgleich das TRI ein relativ neues Institut ist, hat es im Fiskaljahr 1995 immerhin 3,7 Millionen US$ an Forschungsgeldern erhalten. Lius weitreichende Verbindungen in Regierungs- und Wirtschaftskreisen sowie der Wechsel leitender Wissenschaftler und Verwaltungsangestellter vom TIER zum TRI haben dazu maßgeblich beigetragen. Wu Tsai-yi war offenbar eine besonders wertvolle Bereicherung für das Institut. Unter seiner Leitung hat die erste Abteilung bereits rund zwanzig Aufträge gewonnen, während in den anderen zwei Abteilungen derzeit nur wenige Projekte bearbeitet werden.

Die zweite Abteilung, die sich mit dem Management von Technologie und Technologietransfer beschäftigt, hofft in Zukunft auf mehr Arbeit, wenn das TRI seinen Personalstamm und seinen Ruf weiter ausgebaut hat. Lung Tsuen-ni ( 龍村倪 ), ein Bergbauexperte, leitet diese Abteilung. Er hat 18 Jahre bei dem hochangesehenen Forschungsinstitut für Industrietechnologie (Industrial Technology Research Institute, ITRI) gearbeitet. Die dritte Abteilung ist auf soziale und politische Fragen spezialisiert. Ihr steht gegenwärtig der leitende Sekretär des TRI, Liang Jung-hui, vor, der auch vom TIER kommt. Dort war er als stellvertretender Leiter der Abteilung für Wissenschaft und Technologie und festlandchinesische Industrien tätig.

Was hält die Privatwirtschaft bisher von der Arbeit des TRI? Hsu Yu-hua ( 許愉化), stellvertretender Geschäftsführer von China Petrochemical Development Corporation (CPDC), hat das Institut beauftragt und weist auf eine für solche Forschungsaufträge typische Schwierigkeit hin. Er berichtet, daß CPDC schon seit langem von diversen Problemen in Produktion und Management geplagt werde. Nachdem das Unternehmen im Juli 1994 privatisiert worden war, erteilte es dem TRI den Auftrag herauszufinden, welche Richtung es zukünftig einschlagen solle. Eigentlich hatte das Unternehmen einen eigenen Forschungs- und Entwicklungsbereich, hoffte aber, von außen eine objektivere und aktuellere Analyse seiner Situation bekommen zu können. Laut Hsu sei die Wahl auf das TRI gefallen, weil unter seinen Wissenschaftlern mehrere Chemiker und Experten für Petrochemie waren. "Ende Februar erhielten wir den abschließenden Bericht", sagt Hsu. "In vielen Belangen war er aber zu allgemein, um unseren spezifischen Bedürfnissen gerecht zu werden. Außenstehende Forscher wissen eben nicht genug über die Stärken und Schwächen unserer Firma." Dennoch habe die Firma CPDC laut Wu Tsai-yi weitere Studien über ihre Möglichkeiten und Entwicklungsstrategien in Taiwan, der asiatisch-pazifischen Region und Festlandchina geordert.

Das TRI hat wie andere Wirtschaftsdenkfabriken Schwierigkeiten, mehr Projekte aus der Privatwirtschaft an Land zu ziehen. Daher kommen seine Einnahmen größtenteils aus Regierungsaufträgen. Aber auch das ist oft schwierig.Wenn der Auftraggeber eine Behörde ist, muß das Forschungsinstitut seine Vorschläge für gewöhnlich zwei Jahre im voraus abliefern. Da sowohl das CIER als auch das TIER langjährige Kontakte zu den verschiedenen Regierungsstellen pflegen, hatte das TRI es in seinen ersten zwei Jahren relativ schwer, Regierungsprojekte zu ergattern.

Um mehr finanzielle Unterstützung zu gewinnen, weitere Kontakte zu knüpfen und sich einen Namen zu machen, hat das TRI bereits zahlreiche Konferenzen und Seminare organisiert. Zum Beispiel veranstaltete es kürzlich ein Seminar zur Beurteilung der Energiereserven in Festlandchina. Das Institut erhöht überdies die Zahl seiner Publikationen und offeriert der Privatwirtschaft verschiedene Dienstleistungen wie beispielsweise Datensammlungen. Welche Rolle wird das TRI zukünftig in der Wirtschaftspolitik spielen? "Wir werden uns nach der Regierungspolitik richten müssen", sagt Liang Jung-hui, "da sie nach wie vor unser größter Auftraggeber ist."

(Deutsch von Christiane Gesell)

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