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Wieder sichtbar: Die Hakka-Kultur

28.10.2003
Ein traditionelles Hakka-Drama. Der Niedergang ihrer Mundart ist wahrscheinlich das größte Problem, das es für die Hakkas zu lösen gilt.

Die Hakkas, eine eigenständige chinesische Sprachgruppe mit einer einzigartigen Geschichte und Traditionen, erfahren in Taiwan an Orten wie der kleinen Stadt Peipu im Landkreis Hsinchu so etwas wie eine kulturelle Renaissance. Die Hakkas stoßen nicht nur auf erneuertes Interesse an ihrer Kultur, sondern entdecken auch, dass einige ihrer traditionellen Gewerbe wieder blühen.

Vor drei Jahren kehrte Peng Yao-feng aus einer benachbarten Stadt in seinen Geburtsort Peipu(北埔) zurück und machte dort mit einem Freund das vierte Teehaus des Ortes auf, wo auch Lei-Tee(擂茶) angeboten wird, ein traditionelles Hakka-Getränk. Lei-Tee erwies sich bei den Einheimischen als sehr beliebt und fand auch viel Anklang bei der wachsenden Zahl von Touristen, die den 10 000-Seelen-Ort besuchen. "Heute gibt es über 50 solche Teehäuser in der Stadt, und der Konkurrenzkampf ist hart", berichtet Peng, der inzwischen ein Teehaus ohne Geschäftspartner betreibt. "Man muss schon besondere Eigenschaften bieten, um Aufmerksamkeit zu erregen." Neben seinem Angebot von Hakka-Snacks versucht der Besitzer sich von den Konkurrenten abzuheben, indem er zur Unterhaltung der Gäste Gitarre spielt und singt, unter anderem natürlich Hakka-Volkslieder. "Das kommt sehr gut an", glaubt er. "Manchmal singen sie sogar mit."

Das neue Interesse an Peipu spiegelt das gleichfalls gewachsene Interesse an der Vielfalt von Taiwans Gemeinden wie den Hakkas wider. Tatsächlich erlebt die Hakka-Kultur eine Renaissance, denn die Sprache und das einzigartige Kulturerbe der Hakkas erregen die Neugierde von immer mehr Menschen. Vor über 1000 Jahren waren die Hakkas aus ihrem nordchinesischen Ursprungsgebiet am Gelben Fluss nach Südchina abgewandert und leben heute vor allem in der südchinesischen Provinz Guangdong. Im 17. Jahrhundert zogen einige Hakkas von dort nach Taiwan und folgten damit den Menschen aus dem südlichen Min-Gebiet in der Küstenprovinz Fujian. Anders als die Fujianesen, die sich rasch mit den verschiedenen Ureinwohnervölkern Taiwans zu vermischen begannen, blieben die Hakkas in dicht bebauten Gemeinden unter sich und konnten auf diese Weise viele ihrer Traditionen bewahren.

Heute leben in Taiwan rund 4 Millionen Hakkas, und Peipu ist einer der vielen Orte, wo ihre Kultur gedeiht. Die örtlichen Hakka-Gebräuche sind nur ein Teil des reichen kulturellen Gewebes dieser historischen Stadt, in der historische Stätten wie das Chin Kuang Fu-Haus(金廣福公館) erhalten bleiben konnten. Es war 1834 als Hauptgebäude der Lokalverwaltungsbehörde gebaut worden, die unter anderem für den Schutz der Siedler gegen Überfälle durch Ureinwohner zuständig war, und der alte Bau wurde von Nachfahren der Einwanderer aus den festlandchinesischen Provinzen Guangdong und Fujian finanziert. Das einstöckige Gebäude liegt mitten in einem Wohngebiet, doch trotz des bescheidenen Aussehens ist es repräsentativ für die traditionelle Architektur jener Zeit, zu der ein Innenhof in der Mitte des Hauses gehörte. Heute ist es das einzige als historische Stätte der Klasse eins eingestufte Monument in jenem Gebiet innerhalb der drei Landkreise Taoyuan, Hsinchu und Miaoli, wo die meisten von Taiwans Hakkas leben.

In Peipu gibt es aber noch einige andere Gebäude von historischem Interesse. Um für den Erhalt historischer Stätten zu werben und damit die Anwohner sich mehr mit ihrer Heimatstadt identifizieren, wurde 1995 die Chin Kuang Fu-Stiftung gegründet. Die nach der berühmtesten Stätte in Peipu benannte Stiftung arbeitet in einem nahe gelegenen Gebäude, der Alten Chiangahsin-Residenz. Das erste Projekt der Stiftung war die Restaurierung ebenjener Alten Chiangahsin-Residenz, um das Gemäuer als Zentrum für ihre Kulturschutz-Kampagne nutzen zu können. Das zwischen 1946 und 1949 entstandene Haus beherbergt außerdem historische Ausstellungen und ist für all diejenigen von Interesse, die etwas über die Lokalgeschichte wissen wollen. 2001 wurde es zur historischen Stätte auf Kreisebene erklärt.

Laut Peng Te-yen, Vorstandsmitglied der Stiftung, besteht eines der Hauptziele der Stiftung darin, bei den Anwohnern Interesse für die historischen Stätten der Gemeinde zu erregen und sie davon zu überzeugen, sich an Schutz und Bewahrung der heimatlichen Stätten zu beteiligen. "Zuerst herrschte große Ungeduld", erzählt er. "Sie wollten nur, dass die Regierung alle Rechnungen bezahlt und alles für sie plant." Mit der Zeit erkannte Peng, dass die Einwohner von Peipu Stolz auf ihre Heimatstadt entwickelten, was auch in der Gründung neuer Unternehmen einen Ausdruck fand. An Peipus historischen Straßen entstanden beispielsweise schnell hintereinander mehrere Teehäuser. Die Kreisverwaltung Hsinchu half ebenfalls bei der Neubelebung der Stadt, indem sie die Straßen mit Steinplatten neu pflastern ließ und überall, wo sie konnte, die Infrastruktur verbesserte. Diese Anstrengungen schufen einen Gemeindegeist, und heute kümmern sich mehr Anwohner aktiv um ihre Stadt. "Die Menschen sind nun auch eher willens, die Umwelt sauber zu halten", freut sich Peng.

Die Zusammenarbeit zwischen der Kreisverwaltung und den Bürgern vor Ort hat sich für Peipu vorteilhaft ausgewirkt. Dadurch entstand nicht nur ein angenehmes und kulturell reiches Umfeld für die Einheimischen, sondern es nützte auch dem Geschäft der vom Tourismus abhängigen Läden und Dienstleistungen. Wenn Touristen nach Peipu kommen, können sie unter anderem Tagesausflüge mit Führer zu historischen Stätten, Teehäusern und Sehenswürdigkeiten der Gegend unternehmen. "Vielleicht kommen die Besucher nur aufgrund des Hordeninstinkts her, aber wenn sie von den Fremdenführern die Geschichten über Peipu gehört haben, fühlen sie sich dem Ort näher verbunden", behauptet Peng. Unterdessen organisieren das Gemeindebüro und der örtliche Bauernverband jährliche Veranstaltungen zur Werbung für Peipu- und Hakka-Naschereien, etwa getrocknete Persimonen, und für Teespezialitäten. Und zur Verbesserung des Verständnisses der Einheimischen für ihre Heimat und um die Besucher mit Peipu vertraut zu machen, hat die Chin Kuang Fu-Stiftung ein Buch über Lokalgeschichte herausgegeben, das mit wertvollen alten Photographien aufgelockert ist und auf das Peng Te-yen recht stolz ist.

Der Aufschwung von Peipu spiegelt nur zum Teil die Renaissance der Hakka-Kultur auf der ganzen Insel wider, ein Phänomen, dem von der Zentralregierung große Bedeutung beigemessen wird, was auch an der Einrichtung des Rates für Hakka-Angelegenheiten (Council for Hakka Affairs, CHA) im Juni 2001 erkennbar ist. Um das Hakka-Kulturerbe zu schützen, arbeitet die im Rang eines Ministeriums stehende Behörde energisch an Plänen zur Förderung des Interesses für die Hakka-Kultur sowie Unterstützung von Tourismus und anderen Branchen, die den Hakka-Gemeinden finanziell helfen könnten.

Ein Beispiel der jüngsten Zeit ist das Paulownien-Blütenfestival(桐花祭), das erstmals 2002 in einer kleinen Hakka-Gemeinde in Miaoli stattfand. Dieses Jahr schlossen sich auch die Städte Taoyuan, Hsinchu und Taichung mit Veranstaltungen für das halbmonatige Frühlingsereignis an, für das der CHA die Werbetrommel rührte. Das Fest soll den Menschen als Anreiz dienen, den Hakka-Gemeinden näher zu kommen. Der Paulownien-Baum (Aleurites fordii), auch Tungöl-Baum genannt, wächst häufig in den von Hakkas bewohnten Bergregionen. Aus den Paulowniensamen gewannen die Hakkas Öl für wasserfeste Überzüge, und aus dem Holz der Bäume produzierten sie zudem Streichhölzer, Holzschuhe und Schubladen. Nach den Angaben des CHA hat das Fest 170 000 Besucher in die Hakka-Gemeinden gelockt, die dort rund 400 Millionen NT$ (10,52 Millionen Euro) ausgaben. Darüber hinaus plant der CHA in naher Zukunft die Eröffnung zweier Hakka-Kulturparks in Pingtung und Miaoli. Diese in Hakka-Gemeinden gelegenen Parks sollen das Bewusstsein für die Hakka-Kultur durch Zerstreuung, Unterbringungsmöglichkeiten, Ausstellungen und Aufführungen mit Hakka-Thematik erhöhen.

Wieder sichtbar: Die Hakka-Kultur

Ein Teehaus in Peipu. Die Förderung des Fremdenverkehrs zur Stärkung der Hakka-Gemeinden ist eine wichtige Strategie im Kampf für die Bewahrung der Hakka-Kultur.

Eines der auffallendsten Merkmale des Hakka-Gemeinschaftslebens ist die Sprache -- ein chinesischer Dialekt, der sich außerordentlich von den anderen auf der Insel verbreiteten Dialekten unterscheidet. Der CHA und viele Hakkas sind zunehmend besorgt darüber, dass der Hakka-Dialekt langsam ausstirbt. "Die größte Krise für das Hakka-Volk besteht darin, dass ihre Muttersprache allmählich in Vergessenheit gerät", warnt Yeh Chu-lan(葉菊蘭), die Vorsitzende des CHA. Es wird geschätzt, dass nur 60 Prozent der Hakkas über 50 Jahre ihr Idiom flüssig sprechen. Je niedriger das Alter, desto geringer der Anteil, und beim Hakka-Nachwuchs unter 13 Jahren sind weniger als 10 Prozent mit der Sprache ihrer Ahnen vertraut. "Viele Menschen in Taiwan haben Hakka-Vorfahren, aber sie geben nicht zu, Hakkas zu sein, weil sie den Dialekt nicht sprechen können", enthüllt Yeh. "Es ist gut möglich, in Taiwan Kontakt mit vielen Hakkas zu haben, ohne es zu wissen."

Ein Grund für den Niedergang der Sprache ist der Exodus junger Leute aus den Hakka-Gemeinden. Wenn sie zum Studium fortziehen und Arbeit in den großen Städten finden, haben sie oft keinen Kontakt mit anderen Hakka-Muttersprachlern, und so verlieren sie mit der Zeit die Übung oder sprechen überhaupt kein Hakka mehr. Die Förderung der chinesischen Standardhochsprache Mandarin in Taiwan nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ebenfalls negative Auswirkungen auf die Entwicklung von Hakka und von holo (die Sprache der Menschen im südlichen Min-Gebiet von Fujian). In den letzten Jahren wurde holo -- das zwar von einer Mehrheit der Menschen in Taiwan gesprochen wird, die Bezeichnung des Dialektes als "Taiwanisch" ist wegen des festlandchinesischen Ursprungs indes irreführend und unzutreffend -- immer populärer. Holo ist in vielen Fernsehprogrammen bereits gang und gäbe und wird sogar von vielen Regierungsbeamten im täglichen Umgang benutzt. Eine solche Verbreitung hat Hakka nicht vorzuweisen, vielmehr wurde die Sprache durch Mandarin und holo doppelt marginalisiert. Die Folge: Die Sprache der Hakkas verschwindet beängstigend schnell. "Daher ist es so wichtig, dass wir ein günstiges Umfeld für die Hakka-Sprache schaffen, um zu einer multilingualen und multikulturellen Gesellschaft zu gelangen", drängt Yeh.

Zur Förderung von Hakka hat der CHA rund 300 Millionen NT$ (7,89 Millionen Euro), ein Drittel seines Jahresbudgets 2003, für die Einrichtung einer seit langem erwarteten Hakka-Kabelfernsehstation abgezweigt. "Das soll eine Plattform sein, die den Hakkas Freude und den anderen Gruppen die Hakka-Kultur bekannt macht", wirbt Yeh. Die Station, die im Juli dieses Jahres auf Sendung ging, will alles über Hakka auf Hakka vorstellen, die meiste Zeit mit chinesischen Untertiteln. Es wird auch Programme geben, mit denen man den Dialekt lernen kann, und Sendungen für junge Leute mit Videos von Liedern auf Hakka. Diese Art von Programm soll nach der Hoffnung der Sendeanstalt bei der jüngeren Generation Interesse für ihren angestammten Dialekt wecken.

Damit die Sprache bei den Jungen nicht vollkommen ausstirbt, verständigt der CHA sich auch mit dem Bildungsministerium, das für die Förderung von Hakka an den Schulen zuständig ist. Seit 2001 müssen alle Grundschulen pro Woche einen 40-minütigen Sprach- und Kulturkurs anbieten, in dem die Kinder nach Wahl holo, Hakka oder eine Ureinwohnersprache lernen können. Der CHA berät das Bildungsministerium bei den Lehrmaterialien und methoden zur Verbesserung der Hakka-Sprachkurse. Damit es auch genug qualifizierte Lehrkräfte für den Sprachunterricht gibt, schult der CHA 450 Lehrer bei der Verbesserung ihrer Hakka-Sprachlehrfähigkeiten. Außerdem hat der CHA dieses Jahr 62 Schulen auf der ganzen Insel -- hauptsächlich Grundschulen -- 5 Millionen NT$ (131 000 Euro) bereit gestellt, um die Hakka-Sprache durch unterschiedliche Aktivitäten zu fördern, etwa einen so genannten "Hakka-Tag", an dem sich die Schüler einen Tag lang auf Hakka verständigen müssen.

Während die jüngeren Hakkas den Dialekt in der Schule lernen können, versucht man mit unterschiedlichen Methoden bei Akademikern Interesse zu erregen. Der CHA hat mehrere Konferenzen und Seminare abgehalten, darunter die zweitägige Weltkonferenz über Hakka-Kultur im Dezember 2002, an der über 400 Menschen aus Taiwan und dem Ausland teilnahmen. Die akademischen Studien des Hakka-Dialektes und der Hakka-Kultur erhielten vor sechs Jahren mit dem Aufbau des Zentrums für Hakka-Studien an der National Central University (NCU) in Taoyuan enormen Auftrieb. "Das Studium der Hakka-Kultur hat in internationalen akademischen Kreisen schon Aufmerksamkeit erregt, doch Taiwan musste sich erst auf die systematische Erforschung des Bereichs im Inland vorbereiten", verrät Lai Jeh-hang, Gründer des Zentrums und Dekan des College für Geisteswissenschaften der NCU. "Außerdem ist die Universität die geeignetste Stätte für ein solches Zentrum, denn in Taoyuan lebt die größte Hakka-Gruppe der Insel, und es gibt hier reiche Ressourcen für das Hakka-Studium."

Im Juni dieses Jahres unternahm die NCU einen weiteren Schritt und gründete das College für Hakka-Studien, das erste seiner Art. Zu dem College gehört auch eine Graduiertenschule mit Schwerpunkt auf der Hakka-Kultur und Hakka-Gesellschaften auf der ganzen Erde. Laut Lai -- der selbst gar kein Hakka ist, bei der Planung des Colleges aber eine zentrale Rolle spielte -- plant das College für das kommende Jahr zwei weitere Graduierteninstitute, nämlich eines für den Hakka -Dialekt und eines mit Schwerpunkt auf Politik und Wirtschaft der Hakkas. Das akademische Interesse an allem, was mit den Hakkas zu tun hat, erwies sich als regelrecht ansteckend: Auch andere Schulen erwägen laut Lai nun die Einrichtung eigener Hakka-Colleges, etwa die National Chiao Tung University in Hsinchu.

Durch diese vielfältigen Bemühungen erfährt die Hakka-Kultur eine Renaissance und zeigt, wie Taiwans verschiedene Bevölkerungsgruppen ihr Kulturerbe bewahren und gleichzeitig eine lebendige Rolle in der modernen Gesellschaft spielen können. "Die Hakka-Frage geht alle Taiwaner an", versichert Peng Te-yen und weist damit auf die Bedeutung hin, alle Aspekte der taiwanischen Kulturgeschichte zu erhalten. Als reicher Teil dieser Geschichte finden die Hakkas (客家人,zu Deutsch etwa "Gast-Menschen") eine dauerhafte und deutlich erkennbare Rolle in der bunten Kulturlandschaft Taiwans.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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