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Unter neuem Namen in die UN

28.10.2007
Auftakt zu Taiwans Kampagne für die Aufnahme in die UN unter dem Namen "Taiwan" mit einer Veranstaltung in Kaohsiung. In der vorderen Reihe v. l. n r.: DPP-Vizepräsidentschaftskandidat Su Tseng-chang, DPP-Präsidentschaftskandidat Frank Hsieh, Staatspräsident Chen Shui-bian, Vizepräsidentin Annette Lu sowie Yu Shyi-kun (bis Ende September DPP-Parteichef).

Dieses Jahr beantragte Taiwans Regierung erstmals unter dem Namen "Taiwan" die Neumitgliedschaft in den Vereinten Nationen. In dem Zusammenhang planen die Regierung und die Opposition jeweils ein Referendum.

Im Jahre 1993 startete Taiwans Regierung, damals noch unter der Kontrolle der chinesischen Nationalen Volkspartei ( Kuomintang , KMT), auf Druck der damaligen Oppositionspartei Demokratische Progressive Partei (DPP), einiger KMT-Politiker und dem damaligen Parlamentsabgeordneten Huang Chu-wen -- der nach dem Sieg der DPP bei der Präsidentschaftswahl 2000 Vorsitzender der im Jahr 2001 gegründeten Taiwan-Solidaritätsunion (TSU) werden sollte -- eine Kampagne für den Beitritt zu den Vereinten Nationen ( United Nations , UN). Taiwans diplomatische Partner reichen seitdem regelmäßig Vorschläge für Taiwans Vertretung und Beteiligung in der UN ein. Diese Vorschläge kamen in der Vergangenheit jedoch leider nie über das UN General Committee hinaus und wurden deswegen nie auf die Tagesordnung der UN-Vollversammlung gesetzt.

Dieses Jahr unternahm Taiwan einen Versuch anderer Art. Im Juli wurde der Antrag auf UN-Mitgliedschaft mit einem von Staatspräsident Chen Shui-bian(陳水扁) unterzeichneten Brief von den UN-Vertretern der Salomonen und Swasilands an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon übergeben. Es war das erste Mal, dass das Land nach über einem Jahrzehnt erfolgloser Beitrittsgesuche den Namen "Taiwan" verwendete statt den offiziellen Namen "Republik China". Außerdem hielt das Land, anstatt nur die Besprechung seines UN-Beitrittsgesuchs auf der jährlichen UN-Versammlung anzustreben, sich an das Verfahren, um Aufnahme als neues Mitglied zu ersuchen, was gemäß der Charta der Vereinten Nationen durch einen Beschluss der UN-Vollversammlung auf Empfehlung des UN-Sicherheitsrates entschieden wird, dessen Mitgliedern der Antrag gezeigt wird, der dem UN-Generalsekretär vorgelegt wurde.

Der schwere Fehler der UN

Präsident Chens Brief an Ban Ki-moon wurde vom UN-Amt für rechtliche Angelegenheiten zurückgewiesen. Das Sekretariat teilte mit, der Antrag könne wegen der UN-Resolution 2758 vom 25. Oktober 1971 nicht entgegengenommen werden; die Resolution stellt die Grundlage der Ein-China-Politik der UN dar. Mit anderen Worten, Taiwan sei ein Teil Chinas. Lai I-chung, Direktor der Abteilung für China-Angelegenheiten der DPP, weist darauf hin, dass dieses Verständnis grundfalsch ist und die internationale Wahrnehmung von Taiwans Status verzerrt. "Wir erwarten bei unserem UN-Beitrittsstreben keinen unmittelbaren größeren Durchbruch", versichert er. "Der erste Schritt, formell die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen unter dem Namen Taiwan anzustreben, soll eine klare Botschaft an die Weltorganisation und die internationale Gemeinschaft senden, dass Taiwan ein souveräner Staat ist, der unabhängig von der Herrschaft der Volksrepublik China besteht."

Die Resolution 2758 heißt auch "Die Wiederherstellung der gesetzmäßigen Rechte der VR China in der UN" und schloss die "Vertreter von Chiang Kai-shek(蔣介石)" aus der UN aus, der China-Sitz ging stattdessen an die VR China. Die Frage von Taiwans Status oder Taiwans Vertretung wurde in der Resolution nicht behandelt. Einige UN-Mitgliedsstaaten schlugen eine parallele Anerkennung von China und Taiwan vor, was von der Regierung Chiang Kai-sheks jedoch abgelehnt wurde, die darauf beharrte, sie wolle nicht mit einem "Dieb" unter einem Dach koexistieren. "In der Zeit der Diskussionen über die UN-Resolution 2758 sprachen sich Vertreter von über 20 Ländern dafür aus, dass Taiwan eine eigene UN-Mitgliedschaft beantragen sollte."

Alte Schlachten neu geschlagen

Die heutige Oppositionspartei KMT bevorzugt die Wiederherstellung des Sitzes der Republik China, den sie vor 36 Jahren an die VR China verloren hatte. "Wir und die DPP haben das gleiche Ziel, einen Sitz in der UN zu erringen, doch angesichts des heiklen Wesens der nationalen Identität suchen wir dazu nach einem plausibleren Weg", erklärt Chang Jung-kung, Leiter der Abteilung für Festlandangelegenheiten der KMT. "Schließlich war die Republik China ein Gründungsmitglied der UN, Taiwan hat dagegen nie einen Sitz dort erhalten." Anstatt eine neue UN-Mitgliedschaft für Taiwan anzustreben, schlägt die KMT vor, dass die Republik China der UN "erneut beitreten" sollte.

Dieser Vorschlag könnte indes nicht nur umstritten, sondern auch sehr verwirrend darüber sein, was Taiwan eigentlich will. "Zu dem Sitz zurückzugehen, der von der Regierung Chiang Kai-sheks besetzt worden war, ist für unser UN-Streben schädlich", findet Chiang Huang-chih, Juraprofessor an der National Taiwan University (NTU) in Taipeh. "Der UN-Sitz, den Taiwan haben will, hat nichts mit dem Sitz Chinas zu tun, der einst von der Republik China eingenommen wurde und den heute die VR China innehat." Der Professor für internationales Recht macht darauf aufmerksam, dass die UN-Resolution 2758 den Platz, den die Vertreter Chiang Kai-sheks in der UN besetzt hatten, als "unrechtmäßig" bezeichnete, daher impliziert der Gedanke des "Wieder-Beitritts" eine Art Fortsetzung der Auseinandersetzung des Kalten Krieges über die Frage, wer wirklich China repräsentiert, Taipeh oder Beijing. Diese Auseinandersetzung wird vom Rest der Welt seit langem als entschieden betrachtet, und es gibt kein Interesse, den Konflikt wieder aufzuwärmen. "Es ist unpragmatisch und egozentrisch für Taiwan, sich in einen solchen Kampf zu stürzen", meint er. Noch schlimmer ist, dass der Standpunkt des Wieder-Beitritts nicht nur ein Signal an die internationale Gemeinschaft sendet, Taiwan bemühe sich um seine frühere Vertretung Chinas, womit Taiwan sich eher zum Gespött machte als Sympathien gewinnen würde, sondern seinen Anspruch zudem auf dem Gedanken aufbaut, Taiwan sei chinesisches Territorium.

Laut Chiang Huang-chih hat sich Taiwans UN-Beitrittsstreben seit 1993 von einer konservativeren Einstellung -- Versuch des erneuten Beitritts zu der Organisation -- in Richtung zu immer flexibleren und kühneren Methoden bewegt, wie etwa Aufnahme in die UN als neues Mitglied.

Die richtige Methode

Während KMT-Offizielle wie Chang hinsichtlich der UN-Aussichten Taiwans recht pessimistisch sind, glauben Chiang und Lai, dass sie größere und anhaltende Anstrengungen verdienen. "Das Streben ist bislang noch nicht erfolgreich, doch wir dürfen nicht vergessen, dass die VR China über zwei Jahrzehnte gebraucht hat, um in die UN hineinzukommen", bemerkt Chiang. Lai sagt, Taiwan habe erst dieses Jahr begonnen, unter dem Namen Taiwan eine neue Mitgliedschaft zu beantragen. "Das bedeutet, wir haben uns auf einen Ansatz verlegt, der mit Taiwans rechtmäßigem juristischen Status übereinstimmt", erläutert er. "Wir müssen unsere Position korrekt und beständig der Welt bekannt machen, damit wir eine Chance haben, die aktuelle Situation umzukehren, wenn sich die internationalen Umstände zu unseren Gunsten ändern."

Unter neuem Namen in die UN

Für Taiwans Aufnahme in die UN wird nicht nur in Taiwan demonstriert. Mitte September fand eine Kundgebung mit rund 3000 Teilnehmern auf dem Dag Hammarskjold Plaza in New York unweit des UN-Gebäudes statt.

Mit Blick auf die etwas komplizierte Frage von Taiwans rechtlichem Status unter internationalem Recht werden unter Politikwissenschaftlern, Forschern und Aktivisten die entsprechenden Argumente ausgetauscht und Debatten geführt. Seit 1945 hat die Regierung der Republik China die praktische Herrschaft über Taiwan ausgeübt, doch vielleicht eben nur de facto . Manche beharren darauf, dass die Ende 1943 abgegebene Deklaration von Kairo, laut der Taiwan am Ende des Zweiten Weltkrieges an China zurückgegeben werden sollte und die zur Grundlage der Ansprüche der Republik China und der VR China auf Taiwan wurde, lediglich eine Pressemitteilung ohne Unterschriften war, die keinen legalen Souveränitätstransfer nach sich ziehen konnte. Auch wird behauptet, im Friedensvertrag von San Francisco, unterzeichnet am 8. September 1951 und in Kraft getreten am 28. April 1952, habe Japan auf alle Ansprüche auf Taiwan verzichtet, ohne dass explizit erklärt wurde, wem Taiwan zufallen solle, daher hätten weder die Republik China noch die VR China einen rechtlichen Anspruch auf die Insel erhalten. Das lag vor allem an der damaligen geteilten internationalen Anerkennung der beiden Chinas. Aufgrund dessen denken manche, Taiwan sei nach wie vor ein besetztes Nachkriegsgebiet, wo die Republik China die Besatzungsmacht sei, von den siegreichen Alliierten zur Verwaltung eines Landes geschickt, das zuvor vom besiegten Japan regiert worden war. Wenn dieser Zustand der militärischen Besetzung erst noch formell aufgehoben werden müsse, dann solle Taiwan als Treuhandgebiet dem internationalen Treuhandsystem unterstellt werden, das in der Charta der Vereinten Nationen definiert ist.

Lai macht darauf aufmerksam, dass diese Theorien über Taiwans unsicheren Status sicherlich während der diktatorischen Herrschaft der KMT ihre Berechtigung hatten, als man den Taiwanern keine Stimme gewährte, ihr natürliches Souveränitätsrecht über die Insel zu beanspruchen. Doch als Taiwan demokratisch wurde, ist die Diktatur von der Souveränität des Volkes ersetzt worden. "Der kollektive Wille der Bevölkerung des fraglichen Landes ist der erste und maßgeblichste Faktor in der Souveränitätsfrage, und das kann nicht von Verträgen festgelegt werden", behauptet Lai. "Jetzt, wo unsere Volksvertretung und das Staatsoberhaupt demokratisch gewählt wurden, hat die demokratische Entwicklung einen unterschiedlichen internationalen Status Taiwans geschaffen." Mit anderen Worten, selbst wenn die ehemals diktatorische KMT-Regierung keinen voll legitimen Anspruch auf die Souveränität über Taiwan erheben konnte, hat heute das taiwanische Volk durch sein demokratisiertes System einen natürlichen Anspruch darauf.

Referendum über Unabhängigkeit unnötig

Weil Taiwan bereits ein souveränes Land und sein Status nicht mehr ungewiss sei, müsse sein unabhängiger Staat nach Lais Ansicht nicht durch ein Referendum bestätigt werden. "Es ist schwer zu sagen, seit wann genau wir uns formell unabhängig nennen können", sinniert er. "Unsere unabhängige Souveränität wird jedoch immer wieder auf unterschiedliche Weise bewiesen, etwa durch landesweite demokratische Wahlen, Ansprachen des Staatspräsidenten auf internationalen Schauplätzen und das UN-Beitrittsstreben." Für diesen DPP-Politiker gibt es viele Dinge, die vor oder anstelle einer formellen Unabhängigkeitserklärung getan werden können, eines davon ist das für nächstes Jahr geplante Referendum, bei dem die Taiwaner gefragt werden sollen, ob sie wollen, dass ihre Regierung unter dem Namen "Taiwan" eine UN-Mitgliedschaft anstrebt. Die KMT plädiert dafür, in der Referendumsfrage den Namen "Republik China" oder sonst einen verwendbaren Namen zu benutzen.

Die Referendumsversion der KMT schlägt außerdem vor, die Wähler zu fragen, ob sie wollen, dass die Regierung eine Beteiligung in anderen internationalen Organisationen anstrebt. In den Augen der größten Oppositionspartei Taiwans ist das eine weit pragmatischere Aufgabe, die größere Erfolgsaussichten hat als das überaus schwierige UN-Beitrittsgesuch. "Bevor die Probleme bei den Beziehungen über die Taiwanstraße gelöst sind, bringt diplomatisches Hickhack für Taiwans internationale Präsenz wenig", orakelt Chang Jung-kung. "Ein zu auffälliger Ansatz könnte Taiwans Status sogar schaden." In den letzten Jahren hat die KMT versucht, in Fragen wie Taiwans Beteiligung an Veranstaltungen der Weltgesundheitsorganisation ( World Health Organization , WHO) -- einer weiteren wichtigen internationalen Organisation, von der Taiwan seit langem ausgeschlossen ist -- Einigung über die Taiwanstraße zu erzielen.

Chang weist darauf hin, dass die meisten Taiwaner das UN-Beitrittsstreben unterstützen, und das Referendum ergänzt lediglich einen bereits bestehenden Konsens im Volk. "Wir müssen uns überlegen, ob dieser Schritt uns wirklich außenpolitischen Nutzen bringen kann", argumentiert er. "Zumindest haben die Vereinigten Staaten ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen, dass das DPP-Projekt ein Versuch zur Änderung des Staatsnamens und eine Art Referendum über Taiwans Unabhängigkeit sein könnte, das den de facto -Zustand des taiwanisch-chinesischen Verhältnisses verändern könnte." Er fügt hinzu, dass die Erklärung der Regierung, der Name eines UN-Mitglieds müsse nicht der offizielle staatliche Name sein, vielleicht dazu beitragen könne, internationale Sorgen wegen des geplanten Referendums zu zerstreuen.

Ein Ergebnis, das nicht ignoriert werden kann

Die KMT, die engere Beziehungen mit China aufbauen möchte, erkennt den kollektiven Willen des taiwanischen Volkes, mehr internationale Anerkennung zu gewinnen, an und scheint zur Teilnahme an einem Kampf gezwungen worden zu sein, in den sie nicht hineingehört. Obwohl Lai der Ansicht ist, der Vorschlag der KMT zum Wieder-Eintritt in die UN habe keinerlei Erfolgschancen, freut er sich darüber, dass die gemeinsamen Referendums-Bemühungen von der Opposition und der Regierung dazu beitragen, einen nationalen Willen des Volkes zu bilden. "Wenn beide Referenden im kommenden Jahr angenommen werden, was sehr wahrscheinlich ist, dann muss die UN bereit sein, sich dem Ergebnis von acht bis neun Millionen Stimmen zu stellen", prophezeit er. "Jetzt können sie versuchen, unser Begehren zu ignorieren, oder sie können unser Beitrittsgesuch als Wahlkampfmanöver abtun, doch das klare, eindeutige Ergebnis einer demokratischen Abstimmung ist etwas, worüber sie nicht hinweggehen können."

Das kommende Jahr könnte daher einen ganz neuen Abschnitt der Taiwan-China-Fragen erleben, die auf der internationalen Bühne diskutiert werden. "Die Ergebnisse der Referenden könnten betreffende Debatten aus der trilateralen Managementstruktur, die von Taiwan, China und den USA aufgebaut wurde, herausnehmen", spekuliert Lai. "Andere Länder wie Japan und Indien hätten dann mehr Raum, sich an den entsprechenden Diskussionen zu beteiligen."

Nach der Überzeugung von Chuang Huang-chih würde der Referendumsplan der internationalen Gemeinschaft klar vor Augen führen, dass Taiwans Status immer noch erörtert werden kann und keineswegs in der Formel besteht, zu deren Zustimmung die VR China ihre Verbündeten zwingt. "Selbst wenn die Referenden nicht angenommen werden, bedeutet das nur, dass die Frage, ob Taiwan eine Nation ist oder nicht, weiterhin umstritten ist", interpretiert der Juraprofessor. "Diese Art der Diskussion ist Bestandteil eines akkumulativen Vorgangs, der das Konzept von Taiwans Existenz getrennt von China lebendig erhält, um die Tür für eine legitime internationale Intervention offen zu halten, falls Bedenken über Sicherheit entstehen."

Taiwans de facto unabhängiger Status wird im In- und Ausland weithin anerkannt. Dieser Status wird vom Taiwan-Gesetz ( Taiwan Relations Act , TRA), 1979 von den USA verabschiedet, bestätigt. Im TRA heißt es, dass alle US-amerikanischen Gesetze, die sich auf fremde Länder, Nationen, Staaten und Regierungen beziehen oder mit ihnen zu tun haben, auch auf Taiwan angewandt werden sollen. Selbst das im März 2005 vom kommunistischen Regime in Beijing erlassene Anti-Abspaltungsgesetz deutet eine stillschweigende Einigkeit über Taiwans gegenwärtigen Status an -- es sind nur weitere Schritte von diesem Status fort, welche dieses Gesetz verbietet. In den kommenden Jahren gibt es keine Anzeichen für größere Veränderungen an diesem de facto -Zustand. Dieser rechtlich unklare Zustand wird jedoch nicht ewig anhalten, und Taiwans UN-Beitrittsgesuch ist einer der potenziellen Wege, diese Unklarheit zu vermindern. Chiang weist darauf hin, dass das Referendum zwar nicht notwendigerweise einen Erfolg im UN-Beitrittsstreben nach sich ziehen wird, doch es bietet einen Angelpunkt, um den andere Länder mögliche Neu-Überlegungen bezüglich Taiwans Status drehen könnten. "Es ist besser, es zu tun, als es sein zu lassen", urteilt er.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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