27.12.2024

Taiwan Today

Gesellschaft

Wissenschaftliche Zusammenarbeit zum Aufbau einer digitalen Insekten-Datenbank

01.05.2014
Der aus Augsburg stammende deutsche Entomologe Hans Sauter (1871–1943) hat große Beiträge für die Erforschung der taiwanischen Insektenfauna geleistet. (Foto: Courtesy SDEI)
Weil die Insel Taiwan wegen ihrer geografischen Lage und klimatischen Bedingungen eine hohe Artenvielfalt besitzt, ist Taiwans Insektenfauna einzigartig und weist einen erstaunlichen Reichtum auf. So gibt es auf Taiwan beispielsweise 410 verschiedene Tagfalter (Schmetterlinge), in Japan dagegen auf einer zehn Mal so großen Fläche lediglich 255 Arten und in Deutschland nur rund 150 Arten. Doch nicht nur die große Anzahl der Arten ist hervorzuheben, auch ihre Zusammensetzung sucht ihresgleichen — zahlreiche Arten sind endemisch in Taiwan, das heißt, sie kommen nur dort vor.

Seit 1854 hat Taiwan mit seiner vielfältigen Fauna und Flora viele ausländische Naturforscher und Sammler angezogen. Unzählige Insekten wurden gesammelt, präpariert und in die Heimatländer der Sammler zurückgebracht oder an berühmte Museen verkauft. Einige der präparierten Insekten wurden als neue Art beschrieben und in Fachzeitschriften veröffentlicht. Die bei der Beschreibung einer neuen Art vorliegenden Exemplare bezeichnet man als „Typen“. Diese Typenmaterialien sind die unverzichtbare Grundlage der taxonomischen Forschung und der Nomenklatur. Sie dienen als internationaler Referenzstandard, und die Wissenschaft erwartet, dass sie von den zuständigen Forschungsinstituten sicher aufbewahrt werden.

Hans Sauter

Bei vielen Typenmaterialien taiwanischer Insekten in der naturhistorischen Sammlung hat der aus Augsburg stammende deutsche Entomologe Hans Sauter (1871-1943) große Beiträge geleistet. Er trug viel zur Erforschung der Naturgeschichte Taiwans im letzten Jahrhundert bei und hat sich besonders für Insekten einen Namen gemacht, denn er war der erste europäische Sammler, der lange in Taiwan lebte, und als Erster stellte er systematisch umfangreiche naturhistorische Aufsammlungen der taiwanischen Fauna zusammen. Obwohl Sauter selbst keine neue Art beschrieben hat, wurden viele Tiere (besonders Insekten) nach ihm benannt. Seine Aufsammlungen wurden von zahlreichen anderen Entomologen wissenschaftlich bearbeitet und daraus Typenmaterial für neu beschriebene Arten ausgewählt.

Eine andere ausgestorbene Schmetterlingsart aus Taiwan ist der Monarchfalter Danaus plexippus (Linnaeus). Der vor allem in Mexiko vorkommende Monarchfalter kam aus Nordamerika nach Taiwan, vermutlich indem die Eier und Larven durch Übersee-Zierpflanzenversand eingeschleppt wurden. (Foto mit freundlicher Genehmigung des National Museum of Natural Science)

Sauter kam erstmals im Jahr 1902 nach Taiwan, um Insekten zu sammeln. Er blieb ein halbes Jahr und sammelte hauptsächlich Hemipteren (z. B. Wanzen), die auch das Thema seiner Doktorarbeit waren, die er allerdings nicht abgeschlossen hat.

Später hielt er sich zwei Jahre für Lehrätigkeit in Japan auf und heiratete eine Japanerin. 1905 kehrte Sauter nach Taiwan zurück und trat zunächst in den Dienst der englischen Handelsgesellschaft Tait & Co., die in der südtaiwanischen Stadt Tainan eine Niederlassung unterhielt und Tee exportierte. Er begann, die Dienste einheimischer Taiwaner und Japaner in Anspruch zu nehmen, um Tiere für ihn zu sammeln, besonders Insekten. Er verschenkte oder verkaufte die präparierten Tiere an mehrere europäische Museen. Der Großteil ging an das heutige Senckenberg Deutsche Entomologische Institut (SDEI), das sich besonders intensiv um die wissenschaftliche Bearbeitung des Materials bemühte. Bislang wurden über 300 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die seit 1911 unter dem Haupttitel „H. Sauter Formosa-Ausbeute“ auf Material Sauters basieren.

Projekt für eine Online-Datenbank

Heute ist das 1986 gegründete Naturwissenschaftliche Nationalmuseum (National Museum of Natural Science, NMNS) im zentraltaiwanischen Taichung eine Hochburg zur Erforschung der Naturgeschichte Taiwans. Es ist ein modernes Museum für wissenschaftliche Forschung, und 69 Wissenschaftler betreiben fachliche Forschung in verschiedenen naturwissenschaftlichen Bereichen.

Zu den Aufgaben des NMNS gehört, seine Sammlungen zu vergrößern und auch zur Erhaltung der biologischen und kulturellen Vielfalt Taiwans und der Nachbarländer beizutragen. NMNS bemüht sich daher mit unterschiedlichen Projekten um internationalen Austausch wie Ausstellungen, gemeinsame Expeditionen und Forschungsvorhaben sowie Publikation der Forschungsergebnisse.

Die endemische Unterart Euploea phoenareta Juvia Fruhstorfer war der größte Euploea-Tagfalter in Taiwan. Sie kam zwischen 1900 und 1950 sehr häufig in Südtaiwan vor. Infolge der Entwicklung der Küstengebiete verlor sie ihren Lebensraum und ihre Nahrungsquellen und ist seit den sechziger Jahren ausgestorben. (Foto mit freundlicher Genehmigung des National Museum of Natural Science)

NMNS ist jedoch ein vergleichsweise junges Museum und besitzt daher keine historische Sammlung sowie für die Forschung so wichtiges Typenmaterial. Deshalb sammeln Wissenschaftler des Museums seit 1986 Daten entomologischen Typenmaterials aus Taiwan. Das Problem besteht darin, dass das Typenmaterial der taiwanischen Insekten sich häufig in deutschen und anderen europäischen Museen befindet, denn es handelt sich oft um Tiere, die Hans Sauter gesammelt hatte. Das wissenschaftlich außerordentlich wichtige Typenmaterial wird nur ungern verschickt, da die Unikate beim Postversand zerstört werden könnten. So stellt für den Forscher eine Reise mitunter die einzige Möglichkeit dar, um die Typen zu untersuchen. Daher nutzen die Wissenschaftler des NMNS Gelegenheiten, wenn sie bei akademischem Austausch dienstlich ins Ausland reisen, den Kontakt zu den ausländischen Museen zu pflegen, um die Daten taiwanischer Typenmaterialien zu erfassen. Wegen finanzieller Engpässe, Zeitknappheit und Arbeitskräftemangel gibt es allerdings keine großen Fortschritte.

Seit 2007 erhielt die Zoologieabteilung des NMNS vom Nationalen Wissenschaftsrat (National Science Council, NSC) — das im März dieses Jahres zum Ministerium für Wissenschaft und Technologie (Ministry of Science and Technology, MOST) aufgewertet wurde — Finanzhilfe zum Aufbau einer digitalen Datenbank für das Typenmaterial von Insekten, die in Taiwan gesammelt und im Ausland gelagert wurden. Die Laufzeit des Projektes beträgt 6 Jahre. Jedes Jahr besuchen Forscher und Forschungsassistenten des Projekts zwei oder drei Museen sowie Institute im Ausland, um die Originalbeschreibungen zu beschaffen sowie digitale Bilder der aus Taiwan stammenden Typen anzufertigen.

Kooperationsprogramme zwischen NMNS und SDEI

Dieses Projekt zwischen NMNS und Deutschland zum Wiederaufbau der frühen zoologischen Forschungsliteratur Taiwans und der Bilddaten präparierter Insekten war für Taiwan von großer historischer und wissenschaftlicher Bedeutung und konnte erfolgreich abgeschlossen werden.

Die SDEI-Experten Dr. Andreas Taeger (ganz rechts), Dr. Stephan Blank (Zweiter von rechts) und Christian Kutzscher (ganz links) im unter Naturschutz stehenden Botanischen Garten Fushan im osttaiwanischen Landkreis Yilan bei einer Sammel- und Forschungsreise. (Foto mit freundlicher Genehmigung des National Museum of Natural Science)

Die Zusammenarbeit zwischen NMNS und dem SDEI begann im Jahr 2001, als Dr. Chan Mei-ling (詹美鈴) das SDEI zur Untersuchung der Insektensammlung besuchte. Bei dieser Reise baute Dr. Chan ein gutes Verhältnis mit den deutschen Museumskollegen auf. 2007 besuchten Dr. Lin Cheng-shing (林政行) und Dr. Chan das SDEI, um das Projekt der Online-Datenbank mit digitalisierten Bildern von Typenmaterial (gefördert vom NSC) auszuführen, und wurden dabei vom SDEI tatkräftig unterstützt.

In Anbetracht der reichen Sammlung taiwanischer Insekten und der herausragenden entomologischen Spezialbibliothek im SDEI regte Dr. Chan im Namen des NMNS ein 5-jähriges bilaterales Kooperationsprogramm mit SDEI an. Das Ziel war, vom NMNS Fördergelder für die anfallenden Kosten zu erhalten, um vom SDEI digitale Bilder sowie Originalbeschreibungen der betreffenden neuen Arten zu bekommen. Die Vereinbarung wurde 2007 unterzeichnet und das Projekt ab 2008 durchgeführt.

Dieses durch den NSC geförderte Projekt ging zwar im Jahr 2012 zu Ende, aber aufgrund der weiter bestehenden Nachfrage setzt das NMNS das Projekt auf eigene Kosten fort. Bisher wurden die digitalisierten Bilder von 1101 als Typen bezeichneter Insektenarten in der SDEI-Sammlung ans NMNS übergeben. Dies entspricht etwa der Hälfte der am SDEI vorhandenen taiwanischen Arten mit Typenmaterial. Die Anzahl dieser fotografisch dokumentierten Typenexemplare erreicht inzwischen 2225 Stück. Zum Zweck der akademischen Forschung hat das NMNS gegenwärtig bereits 786 Insektenarten und 1513 Typenexemplare vom SDEI im Internet veröffentlicht (http://digimuse.nmns.edu.tw). Die Erstellung dieser Digitalbilder ist sehr aufwändig, da die Insekten (die mitunter recht klein sind) zur deutlichen Darstellung all ihrer taxonomischen Merkmale sorgfältig von mehreren Seiten fotografiert werden müssen. In fast allen Fällen wurden Bildserien in unterschiedlicher Fokusebene angefertigt, die anschließend zu einem tiefenscharfen Gesamtbild verrechnet wurden. Es kommt auch vor, dass Wissenschaftler nicht ein einzelnes Typusexemplar (einen sog. Holotypus) festlegten, sondern mehrere Exemplare (sog. Syntypen) gemeinsam als typisch für die Art betrachtet wurden. In diesem Fall muss eine ganze Reihe von Exemplaren fotografiert werden, um eine Art zu dokumentieren.

Die NMNS-Projektleiterin Dr. Chan Mei-ling (Dritte von links, im lila Hemd) mit allen Teilnehmern des Seminars. (Foto mit freundlicher Genehmigung des National Museum of Natural Science)

Das SDEI

Das Senckenberg Deutsche Entomologische Institut hieß früher Deutsches Entomologisches Institut (DEI). Das DEI war 1886 als „Nationalmuseum“ mit Forschungsschwerpunkt auf Systematik und Taxonomie gegründet worden. Nach 1922 entwickelte es sich zu einer Institution der „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ und arbeitete zur Vermittlung zwischen systematischer und angewandter Entomologie mit der Biologischen Reichsanstalt zusammen. Nach einer Geschichte voller Veränderungen zog das DEI im Jahr 2004 in ein neues Gebäude auf dem Gelände des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg (Brandenburg). Seit Januar 2009 gehört das DEI zur Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und heißt seitdem SDEI. Abgesehen von seiner Forschungstätigkeit sind sowohl die hervorragende entomologische Bibliothek als auch die umfangreiche Insektensammlungen dieses Instituts hervorzuheben. Das SDEI publiziert drei Zeitschriften und kann dadurch weltweit Literaturaustausch pflegen.

Ein wichtiger, weltweit in Fachkreisen bekannter Teil der SDEI-Sammlung besteht aus den Insekten, die Hans Sauter gesammelt und dem Institut gespendet hatte. Dieses Material umfasst Insekten aus 19 Ordnungen, 2872 Gattungen und rund 6000 Arten, darunter 2258 Typen. Im Jahr 1912 hatte Hans Sauter nämlich mit dem DEI einen Vertrag geschlossen, laut dem er sein Material dem DEI unter der Bedingung zum Geschenk machte, dass es gründlich bearbeitet, in Beiträgen der Institutszeitschriften veröffentlicht, sachgerecht präpariert, etikettiert und getrennt aufbewahrt werden sollte. Leider hatte Hans Sauter keine Gelegenheit mehr, „seine“ Sammlung am DEI selbst in Augenschein zu nehmen, da er 1943 in Taiwan starb und nie mehr nach Deutschland zurückgekehrt war.

Im Jahr 2012 hielt Dr. Stephan Blank im Zoologischen Museum Hamburg einen Vortrag über die Zusammenarbeit mit Taiwan und die Sammelreise dorthin. (Foto: Chen Keh-miin)

Besucher aus Deutschland

Im Jahr 2011 organisierte das NMNS eine Sonderausstellung für taiwanische Schmetterlinge. Weil es im NMNS an präparierten taiwanischen Schmetterlingarten, die schon ausgestorben sind, fehlte, wandte es sich um Hilfe ans SDEI, das wiederum großzügig versprach, dem NMNS von der ausgestorbenen Danaiden-Schmetterlingsart Euploea phoenareta juvia und der Art Danaus plexippus aus seiner Sammlung jeweils ein Paar sowie weitere 380 präparierte Insekten zu schenken. Diese zwei genannten ausgestorbenen Schmetterlingarten waren zwischen 1908 und 1909 von Hans Sauter gesammelt worden.

Am 9. April 2011 kamen drei Entomologen vom SDEI — Dr. Stephan Blank, Dr. Andreas Taeger und Christian Kutzscher — auf Einladung vom NMNS und mit Finanzhilfe vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und vom NSC nach Taiwan. Sie brachten die zuvor versprochenen und von Hans Sauter gesammelten Insekten mit und übergaben sie als Geschenk ans NMNS. Dabei handelte es sich zumeist um Tag- und Nachtfalter (Lepidoptera), Wanzen und Zikaden (Hemipetera), Wespen und Bienen (Hymenoptera) und andere. Von diesen Insektenpräparaten waren 205 Exemplare zwischen 1902 und 1912 von Hans Sauter gesammelt worden. Für ein Naturkundemuseum wie das NMNS, deren Sammlungsgeschichte relativ kurz ist, ist es sehr bedeutend, wenn man solche Sammlungsstücke bekommen kann.

Die SDEI-Entomologen Dr. Andreas Taeger und Dr. Stephan Blank sind Experten für Pflanzenwespen (Symphyta), und Christian Kutzscher ist auf Flöhe (Siphonaptera) spezialisiert. Sie halfen dem NMNS, die vom NMNS gesammelten Pflanzenwespen sowie die anderen Wespengruppen zu bestimmen. Während ihres 22-tägigen Aufenthaltes hielten die Insektenkundler zwei Vorträge und ein Seminar an der Universität und am Museum über das SDEI und die Systematik der Wespen.

Hans Sauters Urenkel Akihito Kameyama war im Jahr 2012 zu Besuch im NMNS. Auf dieser Aufnahme präsentiert er präparierte Schmetterlinge aus Taiwan, die sein Urgroßvater vor über hundert Jahren hier sammelte und die mittlerweile ausgestorben sind. (Foto mit freundlicher Genehmigung des National Museum of Natural Science)

Während ihrer Zeit in Taiwan unternahmen die drei Entomologen auch eine 10-tägige Sammelreise durch Nord- und Zentraltaiwan, um die Fauna der Pflanzenwespen in Taiwan zu erkunden. Sie besuchten dabei 17 Sammelorte vom Flachland bis ins Hochgebirge (über 2000 Meter) und konnten insgesamt 280 Pflanzenwespen und 160 andere Insekten sammeln. Dabei wurden einige Arten, die nicht auf der Faunaliste Taiwans stehen, nachgewiesen und auch neue Arten entdeckt, beispielsweise eine neue Art von Pflanzenwespe, welche nun den lateinischen Namen „Tenthredo chanae Taeger & Shinohara“ trägt. Die neue Art ist nach Dr. Chan Mei-ling, der Leiterin der Abteilung für die Entomologie im NMNS, benannt worden. Dr. Stephan Blank hielt überdies im Jahr 2012 im Zoologischen Museum Hamburg einen Vortrag über die Zusammenarbeit und Sammelreise in Taiwan, die bei deutschen Insektenkundlern begeisterte Resonanz hervorrief.

In der Vergangenheit waren die in Taiwan tätigen europäischen Insektensammler meistens ab Mitte des 19. Jahrhunderts von 1854 bis 1895 im Land. Nachdem Taiwan im Jahr 1895 von China an Japan abgetreten worden war, wurde die Sammeltätigkeit in großem Umfang von Japanern übernommen.

Dr. Chan hofft, dass durch dieses Projekt und die künftige internationale Zusammenarbeit schrittweise eine komplette digitale Online-Datenbank für das im Ausland aufbewahrte taiwanische Typenmaterial aufgebaut und durch die Kooperation der internationalen Wissenschaftler in verschiedenen entomologischen Forschungsbereichen ein Beitrag zugunsten der Biodiversitätsforschung für Taiwan sowie für die benachbarten Gebiete geleistet werden kann.

Bitte beachten Sie zu diesem Thema auch zwei ältere Artikel, die Taiwan heute im Heft 6/2002 veröffentlichte und die online unter folgenden Adressen zu finden sind:
Auf Sauters Spuren — https://taiwanheute.tw/news.php?unit=387&post=107429
Hans Sauter (1871-1943) — https://taiwanheute.tw/news.php?unit=387&post=107430

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