27.12.2024

Taiwan Today

Politik

Gordischer Knoten im Meer?

01.03.2013
Taiping Island, die größte der Spratly-Inseln, wird von der Republik China verwaltet. Auf dem Eiland mit 0,49 Quadratkilometern Fläche leben etwa 600 Taiwaner, die meisten von ihnen Angehörige der Küstenwache. (Foto: Central News Agency)
Die jüngste Welle bei den Streitigkeiten über Souveränität im Südchinesischen Meer dürfte kaum jemandem entgangen sein, und während mehrere Länder ihre sich überschneidenden Gebietsansprüche geltend machen, nehmen die Spannungen in der ganzen Region zu. Da niemand bei den Ansprüchen zurückweicht, hat sich in der asiatisch-pazifischen Region ein Gefühl der allgemeinen Nervosität breitgemacht. Angesichts dieser Situation ist Taiwan nicht nur in der unangenehmen Lage, einer dieser Anspruchsteller zu sein, sondern es ist das einzige Land, das wegen der außenpolitischen Blockade durch Festlandchina außerstande ist, zu einer wie auch immer gearteten Verhandlungslösung beizutragen. So ist Taiwan an den Rand gedrängt.

Zweifellos besitzt das Südchinesische Meer einen offensichtlichen strategischen Wert, sowohl bei Verteidigung als auch bei Wirtschaft, deswegen sieht es nicht danach aus, dass einer der Anspruchsteller bereitwillig zurückstecken würde, besonders in einer Zeit, in der hinsichtlich der Sicherheitsdynamik der Region die Karten neu gemischt werden. Die amerikanische Hinwendung nach Asien zum Beispiel wird von vielen regionalen Beteiligten als Gelegenheit betrachtet, ein Gegengewicht zum Reich der Mitte zu schaffen, wogegen Beijing das neue Engagement der USA in Asien als Komplott wertet, Festlandchina einzukreisen oder einzudämmen.

Am 2. Juni 2012 kündigte der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta diese Hinwendung an, als er eine Rede über die Neubewertung des Gleichgewichts der USA gegenüber der asiatisch-pazifischen Region hielt. Nach beinahe einem Jahrzehnt des Schwerpunkts auf Nahost wurde den USA klar, dass die zu geringe Gewichtung auf Asien den Aufstieg eines militärisch selbstbewussten und neuerdings aggressiven China erlaubt hatte. Das Scheitern der jahrzehntealten Einbindungsstrategie Washingtons gegenüber Beijing wurde durch ein Vorgehen abgelöst, das mehr zu Eindämmung tendiert, und Beijing beteiligt sich an dem Wettstreit mit eigenen Gegen-Eindämmungsbemühungen.

Laut Panetta werden bis 2020 annähernd 60 Prozent der US-amerikanischen Marineflotte in Asien eingesetzt sein, gleichzeitig wird die Entsendung von Truppen und neuen strategischen Waffen in die Pazifikregion angepasst. Die neue Position wird sowohl ökonomisch als auch militärisch durch das alle zwei Jahre stattfindende Manöver „Pazifikrand“ (Rim of the Pacific, RIMPAC) sowie durch regionale Gruppierungen wie die Transpazifische Partnerschaft (Trans-Pacific Partnership, TPP) augenfällig werden. Eine Gegenbewegung ist das chinesische Streben, den Einfluss der Shanghai-Kooperationsorganisation (Shanghai Cooperation Organization, SCO) nach Nahost auszudehnen, eigene militärische Großmanöver abzuhalten sowie eine neue strategische Streitmacht ballistischer Raketen aufzustellen und Hightech-Kampfflugzeuge einsatzbereit zu machen. Damit will Beijing seine Fähigkeit und Entschlossenheit vorführen, der amerikanischen Einkreisung entgegenzutreten.

Polarisierende Neuigkeit

Die Nachricht der amerikanischen Rückkehr nach Asien ermutigte manche asiatische Staaten — darunter die Philippinen und Vietnam — dazu, Festlandchina zu trotzen und ihre Absicht kundzutun, für die Interessen in ihren Küstenregionen einzutreten. Beide Länder halten einen Verhaltenskodex im Südchinesischen Meer für notwendig und haben eine harte Haltung eingenommen, ihre Ansprüche gegen chinesische Übergriffe zu verteidigen. Manila verlässt sich dabei auf ein Versprechen der USA, Unterstützung zur Verteidigung des Territoriums zu bieten, gemeinsam mit Japan, gleichfalls eng mit den Vereinigten Staaten verbündet, und verteidigt so seinen Anspruch über das Scarborough Shoal. Vietnam wiederum verabschiedete im Juni 2012 ein Gesetz, in dem im Einklang mit dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS) von 1982 seine Hoheitsgewässer definiert werden, darunter die Exklusive Wirtschaftszone (Exclusive Economic Zone, EEZ) und das Kontinentalschelf. Das Gesetz, das Anfang dieses Jahres in Kraft trat, bekräftigt, dass die Paracel-Inseln und Spratlys zu Vietnam gehören, und Hanoi führt an den umstrittenen Inselgruppen Patrouillen mit Kampfflugzeugen durch.

Festlandchina wertete dies als Brüskierung seiner elementaren Interessen und ergriff mehrere Maßnahmen zur Vergeltung. Beijing übte Druck auf Kambodscha aus, das Gastgeberland der 45. APEC-Außenministerkonferenz, die Erstellung des ansonsten üblichen gemeinsamen Kommuniqués zu vereiteln, das erste Mal, dass dies in der fast ein halbes Jahrhundert langen Geschichte der APEC geschah. Beim Konflikt mit Manila über das Scarborough Shoal — auf Chinesisch „Huangyan Dao“ (黃岩島) genannt, auf den Philippinen „Panatag Shoal“ — entfesselte Beijing einen Angriff auf der Wirtschaftsfront und verbot Touristenreisen auf die Philippinen unter dem Vorwand von Sicherheitsfragen, daneben wurden Bananenimporte mit der Begründung „Quarantäne-Vorsichtsmaßnahmen“ verzögert.

Um Vietnam einzuschüchtern, verfügte die festlandchinesische Regierung am 24. Juli vergangenen Jahres die administrative Gründung der Stadt Sansha unter der Provinz Hainan zur nominellen Verwaltung der Spratlys, der Paracel-Inseln und der Macclesfield Bank, außerdem bat man um ausländische Gebote für Ölerschließung in Gebieten, die sich in Vietnams EEZ befinden.

Obwohl die Regierung der Republik China sich 1949 vom Festland nach Taiwan zurückziehen musste, wurden die Besetzung und Verwaltung ihrer Besitzungen im Südchinesischen Meer hinterher noch lange aufrechterhalten. Historische Archive der Republik China zeigen, dass im Jahr 1964 der damalige Staatspräsident Chiang Kai-shek (蔣介石, 1887-1975) seinem Vizepräsidenten Chen Cheng (陳誠, 1898-1965) befahl, Truppen zu den Spratlys und den Paracel-Inseln zu entsenden. Das deutet darauf hin, dass die Republik China diese Inseln damals nicht nur besetzt hielt, sondern auch in der Lage war, sie wirksam zu verwalten.

Aus komplizierten außenpolitischen, wirtschaftlichen und militärischen Gründen beschloss die Regierung der Republik China, lediglich die Taiping-Insel (auch „Itu Aba“ genannt) zu behalten und ihre Truppen von den anderen Inseln abzuziehen. Zwar hingen die Gründe wahrscheinlich mit der Souveränität der Republik China zusammen und sollten den Nachbarländern gegenüber als Geste des guten Willens wirken, doch der Beschluss schwächte die Legitimität der Ansprüche der Republik China über die Inseln und gab anderen Mächten die Gelegenheit, sie zu besetzen und ihre eigenen Ansprüche zu verstärken. Nachdem 1971 Vertreter von Festlandchinas kommunistischem Regime den Platz Chinas in den Vereinten Nationen eingenommen hatten und 1979 die USA die diplomatische Anerkennung von Taipeh nach Beijing übertrugen, eignete sich Festlandchina in vielerlei Hinsicht den Platz der Republik China in der Welt an.

Beengter internationaler Spielraum

Dieser Trend hält weiterhin an. Festlandchinas Aufstieg geht ungebremst weiter, und das Land gewinnt immer größeren Einfluss in der Welt, während freundlichere Mächte im Vergleich schwächer werden. Beijing nutzt seinen Einfluss dazu, den internationalen Bewegungsspielraum für Taipeh einzuschränken, eine außenpolitische Blockade, die nicht durchbrochen werden kann. Änderungen an diesem Trend sind nicht abzusehen, die Regierung der Republik China kann kaum etwas dagegen unternehmen, und in der Bevölkerung Taiwans macht sich ein Gefühl der Marginalisierung breit, das stetig zunimmt.

Während des Kalten Krieges konnte Taiwan durch geopolitische Faktoren wie seine entscheidende geografische Lage in der „ersten Inselkette“ (bestehend neben Taiwan aus den Kurilen, Japans Inseln, der Ryukyu-Inselkette, dem Norden der Philippinen und Borneo) ein wichtiger Bestandteil der Bemühungen des Westens werden, die kommunistische Expansion einzudämmen. Nach dem Fall der Berliner Mauer und Festlandchinas Aufstieg wandelte sich die Lage indes, und der militärische Wert Taiwans verringerte sich. Neben seiner lebendigen Demokratie werden die entscheidenden Faktoren bei den trilateralen Beziehungen zwischen Taipeh, Washington und Beijing darin liegen, wie Taiwan am besten seinen militärischen, halb-militärischen und nichtmilitärischen Wert zeigt.

Seit 2008 vernahmen Insider in Washington immer lautere Stimmen, welche dazu rieten, „Taiwan aufzugeben“, und im vergangenen Jahr wurde daraus ein Thema, das offen diskutiert wurde. Zwar fand sich das Schlagwort nicht in der Mainstream-Politik der US-Regierung wieder, und doch eignet es sich außerordentlich dafür, vorzuführen, in welchem Ausmaß Taiwans strategischer Wert und die Risikobereitschaft der USA sich so weit abgeschwächt haben, dass sogar US-amerikanische Interessen verletzt werden.

Die Argumente derer, die für ein Aufgeben Taiwans eintreten, folgen einer überaus simplen Logik. Das erste Argument lautet, dass China zu stark sei — weil die USA das Gleichgewicht in der Taiwanstraße nicht unbegrenzt aufrechterhalten könnten und weil Washington bei internationalen Angelegenheiten auf Beijings Kooperation angewiesen sei, müssten die USA Taiwan opfern, als Austausch für ein Versprechen der chinesischen Zusammenarbeit.

Das zweite Argument zielt darauf ab, die Vereinigten Staaten zu stärken. Selbst wenn Taiwan in die Hände Festlandchinas fiele, könne die Dominanz der Amerikaner in Asien von den Chinesen weiterhin nicht angefochten werden. Daneben wird geltend gemacht, dass „die Taiwanfrage“ häufig als Stolperstein bei den sino-amerikanischen Beziehungen wahrgenommen werde, weswegen ein Aufgeben Taiwans nicht nur dieses Ärgernis entfernte, sondern überdies Festlandchina versönlich stimmen und dem Säbelrasseln ein Ende bereiten würde.

Das dritte Argument regt eine Finnlandisierung Taiwans an. Sollte Taiwan erst einmal unter wirklicher festlandchinesischer Oberhoheit stehen, dann könnten die USA aufhören, Hightech-Waffen an Taiwan zu verkaufen, und im Endeffekt die Sicherheits-Verbindungen mit der Insel beenden.

Einseitige Änderungen

Einen Weg zu beschreiten, der von einer der genannten Optionen diktiert würde, wäre für das Überleben von Taiwans Demokratie zweifellos schädlich. Die Position der USA, die sich gegen Handlungen oder Erklärungen aller Seiten wendet, welche einseitig Taiwans Status verändern, würde dadurch aufgehoben. Als Demokratie muss Taiwan den Willen seiner Bevölkerung im Hinblick auf Entwicklungen jeder Art bei den Beziehungen über die Taiwanstraße beherzigen. Dies wird immer schwieriger, weil das oben beschriebene Gerede den Anschein erweckt, als sei Taiwan nur eine Schachfigur, die von den Großmächten auf dem Brett umhergeschoben wird. Deswegen wird es zwingend für Taipeh, irgendwie in der internationalen Gemeinschaft, aus der das Land im Großen und Ganzen ausgeschlossen ist, eine Stimme zu finden.

Der streitbare Ton im Konflikt ums Südchinesische Meer könnte Taiwan eine solche Stimme verleihen, zumal der Zwist mit dem neuen Engagement der USA in Asien zusammenfällt. Dies könnte wieder einmal durch die geopolitische Linse erreicht werden.

Die Taiping-Insel ist die größte Insel des Spratly-Archipels und zudem die einzige mit einer eigenen Frischwasserquelle. Dieses als außerordentlich wertvoll angesehene Territorium wird von den Philippinen, Festlandchina und Vietnam beansprucht, steht aber unter der faktischen Verwaltung von Taiwan, und es leben dort 600 Taiwaner, überwiegend Angehörige der Küstenwache. Es wäre vorstellbar, dass diese Besitzung dazu genutzt werden könnte, auf offizieller Ebene mit anderen Regionalmächten umzugehen.

Taiping wurde viele Jahre lang von der Republik China entwickelt und verfügt über eine Landebahn, die für Transportflugzeuge vom Typ C-130 ausreicht, und wird sogar für den Fremdenverkehr genutzt. Zu einer gangbaren Strategie könnte gehören, die Insel als Sammelpunkt für humanitäre Einsätze oder Such- und Rettungsmissionen zu verwenden, und man könnte eine Wetterstation bauen, die alle Wasserfahrzeuge, welche das Gebiet durchqueren, mit Informationen versorgen könnte. Als weitere Projekte auf der Taiping-Insel wären gemeinsame Aufklärungs-Aktivitäten der Republik China und der USA möglich.

Eine solche Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Taiping-Insel wäre eine gute Methode, die Verteidigungslinien für die nationale Sicherheit der Republik China zu verbessern. All diese Maßnahmen würden nicht nur die Beiträge der Republik China auf der Weltbühne vergrößern, sondern auch Zweifel in den USA an Taiwans Bedeutung als wohlwollender Verbündeter in der Region ausräumen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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Oberstleutnant Edward Hsieh ist Dozent am College für Heereskommando- und –personal der National Defense University (NDU) im nordtaiwanischen Landkreis Taoyuan.

Copyright © 2013 Edward Hsieh

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