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Taiwan Today

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Ein digitales Zeitalter einläuten

01.05.2014
Auf einer ICT-Messe in Taipeh wird für Taiwans Fähigkeiten im Bereich Cloud Computing geworben. (Foto: Huang Chung-hsin)
Als nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten rund um den Erdball Sicherheitssorgen zunahmen, wuchs Vivotek Inc., im Jahr zuvor von einer Gruppe Absolventen der National Taiwan University (NTU) in Taipeh gegründet, allmählich zu einem führenden Hersteller von Videonetz-Überwachungsprodukten.

Die Firma, die 2008 in Kalifornien eine US-Niederlassung einrichtete und ihre Waren in über 80 Ländern verkauft, ging auf eine Idee von Chen Liang-gee (陳良基) zurück, der zur Zeit als Professor an der Abteilung für Elektrotechnik der NTU lehrt, einer der besten akademischen Institutionen des Landes. Chen, der bei der Gründung mehrerer anderer Hightechfirmen behilflich war, ist außerdem NTUs Vizepräsident für akademische Angelegenheiten. Einige Forschungsprogramme der NTU sind den besten der Welt ebenbürtig, eines davon im Bereich von Ein-Chip-System-Technologie für integrierte Schaltkreise, gleichfalls ein geschäftlicher Schwerpunkt von Vivotek.

„Taiwan erzielt bessere Ergebnisse bei Forschung zu modernster Informations- und Kommunikationstechnologie (Information and Communications Technology, ICT) als enge Konkurrenten wie Südkorea“, behauptet Chen und fügt hinzu, solche Forschung sollte die industrielle Anwendung technologischer Innovationen fördern und die Beziehungen zwischen dem akademischen und dem kommerziellen Sektor verbessern.

Chen ist überdies der ehemalige Präsident der Nationalen Laboratorien für Angewandte Forschung (National Applied Research Laboratories, NARL), deren Zentrale sich in Taipeh befindet und die größtenteils vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie (Ministry of Science and Technology, MOST) finanziert werden. „NARL ist ein Forum für ursprüngliche wissenschaftliche Experimente, die entsprechenden geschäftlichen Unternehmungen helfen“, erläutert Chen. Als Beispiel führt er eine von elf NARL-Organisationen auf, das Nationalzentrum für hohe Computerleistung (National Center for High-performance Computing, NCHC), das Filmemachern Unterstützung bietet wie Render Farm, ein Trickfilmsoftware-Forum, das im Jahr 2011 in der NARL-Supercomputeranlage entstand. Laut Chen zeigte Render Farm „die Fähigkeit, anspruchsvolle digitale Bilder zu erstellen“. Daneben gibt es das Nationale Chip-Verwirklichungszentrum (National Chip Implementation Center, CIC) von NARL und andere Institutionen, welche bei den langfristigen Anstrengungen des MOST helfen, im Inland geplante Forschungsprojekte zu unterstützen wie jene, welche von Chen und seinen Wissenschaftler-Kollegen angeregt werden.

Taiwan ist ein führender Hersteller vieler ICT-Produkte, darunter Hauptplatinen für Computer. (Foto: Huang Chung-hsin)

In Taiwan wird seit langem ein besonderes Gewicht auf die ICT-Entwicklung gelegt, besonders auf konventionelle und drahtlose Breitbandnetze. Im Jahr 2001 bildete der Exekutiv-Yuan (行政院), also Taiwans Regierungskabinett oder Ministerrat, das Nationale Informations- und Kommunikationsinitiativkomitee (National Information and Communications Initiative Committee, NICI) und begann damit, staatliche Projekte für ICT-Infrastrukturentwicklung anzuleiten. Chang San-cheng (張善政), MOST-Minister und Leiter von NICI, verweist auf den Erfolg der Regierung in dem Bereich unter Hinweis auf den Index für Vernetzte Bereitschaft im Bericht über globale Informationstechnologie 2013 vom Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, WEF), der Taiwan unter 144 geprüften Volkswirtschaften auf Rang 10 einstuft (einen Rang höher als im Vorjahr), „in Asien zweitplatziert hinter Singapur“.

Die Einstufung beruht auf der Fähigkeit einer Volkswirtschaft, digitale Technologie, einschlägige Regulierungen und geschäftliche Gelegenheiten zu entwickeln, auch werden Faktoren berücksichtigt wie der ICT-Nutzungsgrad sowie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen von ICT. Zu den maßgeblichen Indikatoren gehören e-Verwaltungsdienste, Internetzugang, Mobiltelefonverträge, Patentanwendungen und Verfügbarkeit von Risikokapital. Laut den Höhepunkten im Bericht von 2013 dominierten Taiwan und die drei anderen asiatischen Tiger (Hongkong, Singapur und Südkorea) gemeinsam mit skandinavischen Ländern den Index jenes Jahres „wegen ihres wirtschaftsfreundlichen Ansatzes, der hochqualifizierten Bevölkerung, Investitionen in Infrastruktur und sonstigen Stärken“. Außerdem stand Taiwans Geschäfts- und Innovationsumfeld im Index für Vernetzte Bereitschaft 2013 auf Rang 4.

Chang macht darauf aufmerksam, dass Breitband- und Drahtlosdienste in Taiwan allgemein verfügbar sind. Der Sättigungsgrad von Taiwans Mobiltelefonmarkt und der Anteil der häufigen Internet-Nutzer im Land gehören zu den höchsten der Welt. Anfang 2002 überschritt die Mobiltelefon-Verbreitungsrate die 100-Prozent-Marke und ist mittlerweile weiter auf über 120 Prozent gestiegen, denn viele Nutzer haben sich mehr als nur ein Mal angemeldet. Der Minister leitet zudem das politische Initiativkomitee digitale Konvergenz, welches das Digitalkonvergenz-Entwicklungsprogramm 2010-2015 beaufsichtigt. Das Programm soll weiter ICT-Infrastruktur in Bereichen entwickeln wie Ausbau von Festnetz- und Drahtlos-Breitband und Glasfasernetze. Taiwan ist eines der am dichtesten vernetzten Länder der Erde, verrät Chang und meint, das Land sei in ein Übergangsstadium eingetreten, in dem breitere Anwendungen und Wünsche eine Führungsrolle dabei übernehmen, die Verbesserungen bei ICT-Infrastruktur auf ein noch höheres Niveau zu führen. Allerdings merkt der Minister an, dass die Menschen „keine Veranlassung sehen werden, ihren Breitbandzugang auf 100 Megabits pro Sekunde zu vergrößern, wenn sie kein besonderes Interesse für Online-Inhalte wie Filme empfinden“.

Die ICT-Kenntnisse in der allgemeinen Bevölkerung auszuweiten ist eine wichtige Aufgabe des Instituts für Informationsindustrie (III). Als halbstaatliche, gemeinnützige Organisation, die 1979 in Taipeh ins Leben gerufen worden war, ist das Institut außerdem zuständig dafür, Forschung und Geschäftsentwicklung im ICT-Bereich zu fördern. „Einfach gesagt, ,digitale Konvergenz‘ bedeutet, drei Dinge miteinander zu kombinieren — Telefon, Fernseher (Television) und Computer“, definiert III-Präsident Wu Ruey-beei (吳瑞北). „Drei Teles in einem“ ist das Schlagwort, das er in chinesischer und englischer Sprache benutzt, denn das chinesische Wort für Computer kann man wörtlich mit Elektrohirn oder „Tele-Gehirn“ (電腦) übersetzen. Als NTU-Professor ist Wu Fachmann für Signalintegrität-Technik, welche die Verzerrung oder den Verlust von übertragenen elektrischen Signalen analysiert und mildert, um ein Versagen des Systems oder Geräts zu verhindern. Diese Expertise ist für die Verpackung und Zusammensetzung von Elektronik in Bereichen von internen Verbindungen eines integrierten Schaltkreises bis zu Verbindungen von Systemen untereinander von entscheidender Bedeutung. So hat Wu Partnerschaften mit mehreren taiwanischen internationalen ICT-Gewerberiesen gebildet wie Hon Hai Technology Group, MediaTek Inc., Realtek Semiconductor Corp., Portwell Inc. und Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC).

Jährliche ICT-Messen im Welthandelszentrum Taipeh locken stets große Besuchermassen an. (Foto: Huang Chung-hsin)

„Wenn sie Probleme jeglicher Art sehen oder voraussehen, helfe ich ihnen bei der Suche nach Lösungen mit meinen Studenten, die vielleicht später für die betreffende Firma arbeiten werden“, sagt Wu. „Wenn die Ergebnisse unserer Studie im akademischen Sektor veröffentlicht werden, können sie eine Quelle für Patentanmeldungen im gewerblichen Sektor werden.“ Ein solches Modell für anhaltende Entwicklung von talentiertem Nachwuchs und technologischer Stärke ist ausschlaggebend für die Beständigkeit von Taiwans ICT-Gewerbe.

Vereinigte Kommunikation

Die Abkürzung ICT wird zwar häufig für Informationstechnologie allgemein benutzt, doch tatsächlich bezieht sie sich auf vereinigte Kommunikations- und Internetsysteme, mit denen die Benutzer Informationen durch Audio-Video-Geräte und Software abrufen, übertragen, speichern und bearbeiten können. Der Markt für solche Arten von ICT-Produkten wurde Mitte der neunziger Jahre in Taiwan lebendig, als der Telekommunikationsbereich für Mobil-, Satelliten- und Festnetz-Kommunikationsdienste liberalisiert und der Privatwirtschaft geöffnet wurde.

Die Einkünfte aus Telekom-Dienstleistungen beliefen sich im Jahr 2012 auf 12,94 Milliarden US$, ein Anstieg um 147 Prozent gegenüber den 5,24 Milliarden US$, die man im Jahr 1996 erwirtschaftet hatte. Gerade der Anteil von Mobiltelefon-Service an den Telekom-Einkünften wuchs zwischen 1996 und 2012 von 13 auf 58 Prozent, seit 2007 ist die Zahl der genutzten Mobiltelefone höher als die von Festnetz-Fernsprechern.

Im Hinblick auf den Fernsehsektor vollendeten Taiwans fünf terrestrische Fernsehanstalten im Jahr 2012 den Übergang von analoger auf digitale Signalübertragung. Im Rahmen der Regierungsinitiativen für digitale Konvergenz bewegt sich das Kabelfernsehgewerbe außerdem in Richtung umfassender Digitalisierung, wie es nach einer Überarbeitung des Gesetzes über Kabelradio und –fernsehen, das derzeit vom Legislativ-Yuan (立法院) — also Taiwans Parlament — geprüft wird, Vorschrift sein wird.

Cloud-Dienstleistungen für Nutzer von Vielfachbildschirmen haben für Taiwans ICT-Entwicklung ein vielversprechendes Potenzial. (Foto: Huang Chung-hsin)

Taiwan ist einer der größten Hersteller und Exporteure von ICT-Produkten der Welt. Nach Auskunft des Marktforschungs- und Beratungsinstituts von III wurde erwartet, dass der allgemeine Produktionswert von Taiwans Kommunikationsindustrie übers Jahr 2013 um 7 Prozent steigen und in diesem Jahr 2,37 Billionen NT$ (56,42 Milliarden Euro) erreichen würde, im Sektor der drahtlosen Kommunikation rechnete man mit einem Wachstum von 13 Prozent. Mehrere taiwanische Netzhardware-Produkte wie drahtlose Netzschnittstellen-Controller und kundenseitige Endgeräte für Abonnenten digitaler Leitungen haben den höchsten Weltmarktanteil. In solchen besonderen Bereichen haben einheimische Unternehmen gewerbliche Bezirke mit vollständiger Versorgungskette für ICT-Komponenten gebildet. „Es gibt nur wenige andere Orte in der Welt wie Taiwan, wo man das, was man braucht, leicht durch einen einfachen Abstecher nach Taipeh oder Hsinchu bekommen kann“, lobt Chen von der NTU. In Hsinchu befindet sich der Wissenschaftspark Hsinchu, ein Zentrum für Hightechgewerbe in Nordtaiwan.

Wu verweist auch darauf, dass Taiwans Fertigungsbetriebe für integrierte Schaltkreise (Integrated Circuits, IC) und IC-Verpackungs- und Testgewerbe global führend sind. Die beiden inländischen Sektoren, die Auslandsproduktion taiwanischer Firmen nicht mitgerechnet, machten laut Statistiken des Wirtschaftsministeriums im Jahr 2012 jeweils 66 und 50,9 Prozent der Weltproduktion aus. „Unsere Firmen sind recht kreativ und reagieren auf geschäftliche Trends“, bemerkt Wu unter Hinweis auf die Chipfertigungskompetenz von TSMC und das einzigartige Transformer Book-Gerät von ASUSTEK Computer Inc., das einen abtrennbaren Tablet-Computer enthält.

Globales Cloud-Wachstum

Wu macht darauf aufmerksam, dass Taiwans seit langem behauptete Stärke bei ICT-Herstellung durch Führung in neu entstehenden Märkten aufrechterhalten werden muss, daher ist es an der Zeit für die einheimischen Unternehmen, sich vom „Hardware-orientierten Denken“ zu lösen und sich darauf zu konzentrieren, direkten Kontakt mit Nutzern aufzubauen und entsprechende Dienste anzubieten.

Im Jahr 2010 half III bei der Gründung des Cloud Computing-Verbandes in Taiwan, in dem heute zahlreiche große ICT-Firmen Mitglied sind. Die momentan von Inventec Corp. geführte Gruppe bemüht sich unter anderem, Taiwans Kapazitäten für den Export von Cloud Computing-Dienstleistungen zu verbessern. Das globale Gewerbe für Cloud Computing hat ein riesiges Potenzial, und Chen hebt hervor, dass Taiwan mit seinen erwiesenen gewerblichen Stärken ein breites Spektrum von geschäftlichen Gelegenheiten aus dem Cloud-Bereich nutzen kann. „Wir brauchen uns nicht allein darauf zu konzentrieren, die Wolke (,cloud‘ in englischer Sprache) zu schaffen, oder die ,Flugzeuge‘, die da reinfliegen“, vergleicht er. „Wir können unsere Kräfte auch für Service am ,Flughafen‘ einsetzen, wohin alle Flugzeuge am Schluss zurückkehren müssen.“

Eine einheimische Telekomfirma bietet Service der Art „virtuelle Brieftasche“ (virtual wallet) für Smartphones. (Foto: Huang Chung-hsin)

III hat überdies das Forum Cloud-Anwendung für Unternehmen eingerichtet, welches es einheimischen Anbietern von ICT-Hardware und –Software ermöglicht, Produkte und Lösungen auf Cloud-Grundlage zu entwickeln. Dieses System wurde nach Wus Worten im Oktober vergangenen Jahres vom Informations-Datenzentrum der Tokai Communications Inc. in Japan formell in Dienst gestellt.

Der III-Präsident nennt ein weiteres Beispiel für ein interessantes System seines Instituts auf Cloud-Grundlage, mit dem der Energieverbrauch daheim oder im Büro überprüft werden kann. „Damit kann man ermitteln, welches Gerät im Haus den meisten Strom verbraucht, zum Beispiel vielleicht überraschenderweise der Wasserkocher, der laufend in Betrieb sein muss, um das Wasser heiß zu halten“, enthüllt Wu. Chang betrachtet solche Anwendungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit klugem Alltagsleben zudem als äußerst vielversprechend für die zukünftige Entwicklung von Taiwans ICT. „Die Integration von Hardware und Software wird außerordentlich viel höhere Werte für das ICT-Gewerbe erzeugen“, prophezeit er.

Anders gesagt wird es wohl eine steigende Nachfrage nach Cloud-Einsatzmöglichkeiten für Endnutzer-Geräteentwicklung, Systemwartung und Ähnliches geben. Weil man erwartet, dass die kluge Nutzung von so viel Daten auf Cloud-Basis dem Wirtschaftswachstum in aller Welt Schub geben wird, darf sich Taiwans ICT-Industrie sicherlich auf eine neue Wachstumsrunde freuen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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