Im Mai 2011 schlug Taiwan formell ein über mehrere Jahre ausgelegtes Projekt vor, mit dem die Fähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen in der APEC-Region, Naturkatastrophen zu bewältigen, verbessert werden soll. APEC hatte zuvor lediglich einjährige Projekte finanziert, Anfang 2011 aber beschlossen, dass mehrjährige Projekte eine wirksamere Methode seien, langfristige Ziele zu erreichen. Taiwans Plan wurde beim Treffen der APEC-Volkswirtschaftsführer im November 2001 in Hawaii gebilligt. Das Projekt mit der offiziellen Bezeichnung „Mehrjähriges Projekt zur Verbesserung der Katastrophen-Belastbarkeit von kleineren und mittleren Unternehmen in APEC“ kam Ende vergangenen Jahres in Gang, umgesetzt wird es vom Krisenmanagement-Zentrum Kleine und mittlere Unternehmen (SME Crisis Management Center, SCMC) im Verwaltungsamt kleiner und mittlerer Unternehmen (Small and Medium Enterprise Administration, SMEA), das wiederum dem Wirtschaftsministerium der Republik China untersteht.
Das SCMC war 2009 ins Leben gerufen worden, um kleineren und mittleren Unternehmen dabei zu helfen, die Auswirkungen der globalen Rezession zu bewältigen, die im Vorjahr begonnen hatte. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre ereigneten sich in der APEC-Region aber gleich zwei schwere Naturkatastrophen, neben Erdbeben und Tsunami in Japan gab es ab Juli 2011 ein monatelanges Hochwasser in Thailand. Infolgedessen hat das Zentrum sein Augenmerk größtenteils darauf verschoben, kleinen und mittleren Unternehmen bei vorsorglichen Planungen im Fall zukünftiger Naturkatastrophen beizustehen. „Das Erdbeben vom März 2011 [und dessen Folgen] zogen nicht nur Japans Bevölkerung schwer in Mitleidenschaft, sondern wirkten sich auch verheerend auf Unternehmen aus“, beurteilt Li Wei-sen, stellvertretender Geschäftsführer des Nationalen Wissenschafts- und Technologiezentrums für Katastrophenverminderung, die neue Aufgabe von SCMC. Li dient parallel als einer der Vorsitzenden der APEC-Arbeitsgruppe für Notfallbereitschaft. „Die asiatisch-pazifische Region ist anfällig für Naturkatastrophen“, weiß er. „Deswegen ist es besonders dringlich, Unternehmen in APEC-Volkswirtschaften zu ermuntern, beim Entwerfen von Plänen für betriebliche Kontinuität (Business Continuity Plans, BCP) die Risiken von Naturkatastrophen zu berücksichtigen, so dass sie sich im Fall einer Katastrophe rasch wieder erholen.“
Li fügt hinzu, das mehrjährige Projekt sei deswegen wichtig, weil Kontinuität bei kleinen Unternehmen die gesellschaftliche Kontinuität aufrechterhalten hilft. „Ein stabiles Unternehmen bedeutet stabile Einkommen für die Belegschaft, und das ist für eine stabile Gesellschaft entscheidend“, definiert er. Dieser Lehrsatz gilt besonders für Länder der asiatisch-pazifischen Region, wo kleine und mittlere Firmen 90 Prozent aller Unternehmen ausmachen und zwischen 50 und 80 Prozent der gesamten Arbeitnehmerschaft beschäftigen.
1998 wurde in Kobe (Japan) das Katastrophen-Verminderungszentrum Asien (Asian Disaster Reduction Center, ADRC) gegründet, das mit mehreren Behörden der Vereinten Nationen (United Nations, UN) und internationalen Organisationen zusammenarbeitet, um die Katastrophen-Bereitschaft in der Region zu verbessern. Laut ADRC-Statistiken sahen sich in den sechs Monaten nach dem Erdbeben 2011 in Japan 337 kleinere und mittlere Unternehmen in jenem Land gezwungen, den Betrieb einzustellen, und 90 Prozent von ihnen gingen schließlich Bankrott. Dass Ressourcen für Katastrophenplanung bei kleinen und mittleren Unternehmen wo auch immer stets knapp sind, macht diese besonders verwundbar für Naturkatastrophen. „Kleine und mittlere Unternehmen haben relativ schwache Fähigkeiten, Informationen zu sammeln“, behauptet Chen. „Deswegen müssen wir auf sie zugehen und Beratungsarbeit durchführen, die sich an diese Firmen richtet.“
Der ehemalige SMEA-Generaldirektor Robert Lai wurde im Januar 2011 der derzeitige Vorsitzende von APECs Arbeitsgruppe Kleine und mittlere Unternehmen (SME Working Group, SMEWG), womit dieser Posten erstmals von einem Vertreter aus Taiwan bekleidet wurde. „Da sich die Globalisierung seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre beschleunigte, stehen kleine und mittlere Unternehmen schwereren, häufigeren und vielfältigeren geschäftlichen Risiken gegenüber“, seufzt Lai. „Das ist für die kleinen und mittleren Unternehmen problematisch, denn sie sind weniger gut in der Lage, Herausforderungen zu erkennen, und sie sind anfälliger für Fluktuationen im globalen Wirtschaftsumfeld.“
Das Katastrophenmanagement-Projekt wird auf zwei Ebenen durchgeführt. Auf der oberen Ebene entwickelt das Projekt ein Rahmenmodell für politische Maßnahmen, um die Regierungen von APEC-Volkswirtschaften beim Aufbau von Kapazitäten zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen während Katastrophen anzuleiten. Auf der Ebene der einzelnen Firmen soll das Projekt die Belastbarkeit der kleinen und mittleren Unternehmen verbessern, indem man ihnen hilft, Notfall-Gegenmaßnahmen wie BCPs zu entwickeln.
Es ist von entscheidender Bedeutung, die Fähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen zu stärken, Naturkatastrophen standzuhalten, weil solche Firmen zwischen 50 und 80 Prozent aller Arbeitnehmer in den APEC-Volkswirtschaften beschäftigen. (Foto: Huang Chung-hsin)
Aufbau eines Wissensstammes
Das Katastrophenmanagement-Projekt vom SCMC wird sich in drei Phasen entfalten. Die erste Phase brach dieses Jahr an und konzentriert sich darauf, Informationen zu sammeln und zu analysieren, um einen Wissensstamm zu akkumulieren. Zu diesem Zweck bat das SCMC namhafte Akademiker aus Australien, Japan, Neuseeland, den Philippinen, Taiwan, Thailand und den USA, Forschung durchzuführen und Beiträge für den Newsletter APEC SME Monitor zu verfassen, in dem SCMC jeden Monat die neuesten Informationen publiziert. Jeder Akademiker, der zu dem Wissensstamm beiträgt, muss zudem bis Ende dieses Jahres einen offiziellen Bericht veröffentlichen, in dem seine Erkenntnisse für Geschäftsinhaber interpretiert werden. „Weil die Forscher Naturkatastrophen vom betriebswirtschaftlichen Blickwinkel aus betrachten müssen, ist dieses Unterfangen von Taiwan einzigartig und vorausschauend, denn es ist nicht einfach, Menschen zu finden, die in beiden Gebieten spezialisiert sind“, bemerkt Chen.
Die erste Phase des Projekts sammelt Informationen aus drei gewerblichen Sektoren: Informations- und Kommunikationstechnologie, wofür die Lieferkette in Japan nach der Erdbebenkatastrophe 2011 schwerwiegend gestört wurde; Herstellung von Autoteilen, vom Hochwasser in Thailand schwer beeinträchtigt; und das Logistikgewerbe, das durch den Transport von Rohmaterialien, Komponenten und Fertigprodukten eine entscheidende Rolle quer durch die Gewerbe spielt. Im Mai dieses Jahres mailte SCMC Fragebögen an 50 kleine und mittlere Unternehmen in jedem der drei Sektoren in den Mitglieds-Volkswirtschaften, wodurch reichlich Rohdaten als Arbeitsgrundlage gewonnen werden können, denn es wird erwartet, dass aus jedem der 21 APEC-Mitglieder am Ende 150 Antworten vorliegen werden. Die Fragebögen sollen die aktuelle Katastrophen-Bereitschaft kleiner und mittlerer Unternehmen in der APEC-Region einschätzen und Gebiete ermitteln, wo sie Hilfe brauchen. Vorläufige Resultate aus der Studie wurden Mitte Juli dieses Jahres bei einem internationalen Seminar in Taipeh publik gemacht und diskutiert. An dem Seminar nahmen gut 200 Delegierte aus den Sektoren Privatwirtschaft, Regierung/Verwaltung und akademische Forschung teil.
Im Rahmen einer weiteren Aufgabe der ersten Phase, mit deren Abschluss bis Ende dieses Jahres gerechnet wird, stellt SCMC ein Netz aus Kontakten zusammen, von denen weitaus die meisten bereits mit SMEWG zusammengearbeitet haben. Mithilfe dieses Netzes kann das Zentrum Informationen und Wissen effizient in der Region verbreiten. Bis Juni dieses Jahres hatte SCMC Kontakte in allen APEC-Volkswirtschaften, abgesehen von nur einer Ausnahme. In Verbindung mit dem Seminar in Taipeh fand ein Treffen von SMEWG-Kontakten aus APEC-Volkswirtschaften statt. „Wir müssen die anderen Volkswirtschaften über das, was wir für die Umsetzung des Projektes tun, auf dem Laufenden halten, damit sie mit uns arbeiten können, um es in der gesamten Region umzusetzen“, kommentiert Chen das Kontaktnetz.
Richtlinien und Checklisten
Die zweite Phase des Projekts soll 2013 anlaufen, wenn Richtlinien und Checklisten, welche die Auswirkungen von Naturkatastrophen auf Unternehmen mindern sollen, fertig sind und zusammengestellt wurden. In jener Phase soll zudem in Taiwan ein Schulungs-Workshop gegründet werden, in dem teilnehmende kleine und mittlere Unternehmen aus der APEC-Region, Staatsbeamte und Experten Maßnahmen für den Umgang mit Naturkatastrophen entwickeln können. Die Absolventen der Workshops können dann wiederum ihr neu erworbenes Wissen nach der Heimreise an andere kleine und mittlere Unternehmen weitergeben. „Kleine und mittlere Unternehmen findet man häufig in enger Nachbarschaft“, versichert Chen. „Dadurch sollten diese ,Missions-Lehrer‘ ihre Botschaft leichter verbreiten können.“
„Das Tempo der Wissensverbreitung wird sich in der dritten Phase 2014 erhöhen“, prophezeit Lai. „Dazu werden Maßnahmen wie mehr Schulungs-Workshops organisiert.“ SCMC will die bei dem Workshop in Taiwan gewonnenen Erkenntnisse verbreiten, damit drei andere APEC-Volkswirtschaften eigene Schulungsklassen aufbauen können. An den Einzelheiten für die dritte Phase wird noch gearbeitet, doch die anfänglichen Pläne sehen die Einrichtung eines Mechanismus vor, der den Dialog zwischen hochrangigen Regierungsvertretern in APEC-Volkswirtschaften über Hilfe für kleine und mittlere Unternehmen, Krisenpläne für den Umgang mit Naturkatastrophen zu entwickeln, fördern soll.
Einheimische Unternehmen springen gleichfalls ein, um bei dem SCMC-Projekt zu helfen. Bei dem Seminar im Juli dieses Jahres in Taipeh berichteten Vertreter vom taiwanischen Halbleiterhersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC), dem größten Hersteller von Mikrochips auf Auftragsbasis der Welt, und von Gudeng Precision Industrial Co., einem Fabrikanten von Schlüsselkomponenten für internationale Halbleiterproduzenten der Spitzenklasse, über ihre BCPs und Praktiken zum Katastrophenmanagement. TSMC war 1987 gegründet worden und hat seinen Sitz im nordtaiwanischen Hsinchu, während Gudeng 1998 in Taipeh entstand. Neben den taiwanischen Firmen waren bei dem Seminar auch internationale Größen wie Intel Corp. aus den USA und DHL International aus Deutschland dabei.
Taiwans APEC-Repräsentant Lien Chan (hintere Reihe zweiter von rechts) bei der Konferenz der APEC-Volkswirtschaftsführer im November 2011 in Honolulu (Hawaii, USA), auf der Taiwans Plan für den Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen gegen die Auswirkungen von Naturkatastrophen gebilligt wurde. (Foto: Central News Agency)
Freilich kann man keine dieser vier Firmen als kleine oder mittlere Unternehmen bezeichnen. Laut SMEA gilt im Herstellungsbereich eine Firma mit nicht mehr als 200 Mitarbeitern und einem Kapital von weniger als 80 Millionen NT$ (2,16 Millionen Euro) als kleines oder mittleres Unternehmen, im Dienstleistungsgewerbe sind die Maßstäbe maximal 50 Mitarbeiter und jährliche Einkünfte von unter 100 Millionen NT$ (2,7 Millionen Euro). Gudeng wuchs über den Status eines kleinen oder mittleren Unternehmens hinaus, als in einer im April dieses Jahres eröffneten Fabrik neue Arbeiter eingestellt wurden. Trotz der Firmengröße meint Li, sie stellten ein gutes Beispiel für kleine und mittlere Unternehmen dar. „Die von Großunternehmen ergriffenen Maßnahmen lassen sich nicht unbedingt bei kleineren Firmen anwenden, doch indem sie über ihre besten Praktiken berichteten, zeigten sie den Teilnehmern des Seminars, wie wichtig es ist, Pläne für den Umgang mit Risiken im Zusammenhang mit Naturkatastrophen aufzustellen“, erläutert er.
Weltklasse-Hersteller wie TSMC sind überdies stark von Zuliefererketten abhängig, zu denen viele kleine und mittlere Unternehmen gehören. „Großfirmen verfügen in der Regel über BCPs, doch bei Naturkatastrophen können sie sich nicht allein behaupten und reibungslos wirtschaften, wenn ihre Zulieferer keine entsprechenden Pläne haben“, begründet Chen die Notwendigkeit für Firmen, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen.
Vorsorge gegen Eventualitäten
Als zum Beispiel Gudeng wuchs, begannen Kunden wie TSMC die Firma zu drängen, Vorbereitungen gegen potenzielle Risiken zu treffen, welche den Betrieb stören könnten. 2008 formulierte Gudeng dann Standard-Betriebsverfahren für den Umgang mit Naturkatastrophen, darunter Schäden durch Erdbeben, Überschwemmungen und Stürme. Nach den Worten des Gudeng-Vorsitzenden Bill Chiu trug dieser wichtige Schritt im Folgejahr dazu bei, einen von Gudengs Kunden dazu zu bewegen, in Gudeng zu investieren.
Der Wunsch, die Risiken von Naturkatastrophen abzufedern, spielte gleichfalls eine Rolle bei der Entscheidung des Unternehmens über den Standort der neuen Fabrik. Ende 2009 beschloss Gudeng, eine neue Betriebsbasis im südtaiwanischen Tainan aufzubauen, anstatt die vorhandene Anlage in Taipeh zu erweitern, und mit diesem Schachzug vermeidet die Firma, alle Fabrikationsressourcen in einem Gebiet zu konzentrieren. „Von allen Naturkatastrophen machen mir Erdbeben am meisten Sorgen“, bekennt Chiu. Das ist verständlich, denn das einzige Unglück, das den Betrieb seines Unternehmens in den vergangenen 14 Jahren in Mitleidenschaft zog, war das schwere Erdbeben vom 21. September 1999, das auf der Insel über 2400 Menschen in den Tod riss.
Langfristig sieht Li die Notwendigkeit für ein geschäftliches Umfeld, in dem die Bereitschaft einer Firma für Naturkatastrophen weithin als Indikator für ihre Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit angesehen wird. Die Regierung könnte seiner Ansicht nach durch Maßnahmen wie Steueranreize eine Rolle dabei spielen, ein solches Umfeld heranzubilden, und er spricht sich dafür aus zu erwägen, dass kleine und mittlere Unternehmen mit guter Katastrophenplanung für andere Vergünstigungen in Frage kommen. „Zum Beispiel könnte eine Firma, wenn sie einen guten BCP vorweisen kann, beim Abschluss von Versicherungen gegen Verluste durch Naturkatastrophen im Gegenzug geringere Prämien zahlen dürfen“, regt er an.
Li ist jedoch klar, dass es keine leichte Sache ist, kleine und mittlere Unternehmen von dem Wert zu überzeugen, gegen große Naturkatastrophen, die sich vielleicht in ferner Zukunft ereignen mögen oder auch nicht, Pläne aufzustellen. „Das schwierigste Problem bei der Aufgabe, mit Leuten zu kommunizieren, die nicht immer überzeugt sind, sie könnten eines Tages betroffen sein, ist die Veränderung der Risikowahrnehmung“, erklärt er. „Das ist nicht wie bei der Investition in Aktien, wo man heute sein Geld drauf setzt und erwartet, morgen Gewinne oder Verluste zu sehen.“ Angesichts tragischer Vorfälle der jüngsten Zeit wie in Japan 2011 könnte es allerdings SCMC nun leichter fallen, kleine und mittlere Unternehmen von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich gegen ähnliches Unheil zu wappnen. Der Prozess der Vorbereitung kleiner und mittlerer Unternehmen in APEC, mit Naturkatastrophen fertig zu werden, ist lediglich der Anfang, doch handelt es sich dabei um eine bedeutsame Aufgabe, die zu Ende zu bringen Taiwan entschlossen ist.
(Deutsch von Tilman Aretz)