14.05.2025

Taiwan Today

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Von der zweiten Heimat geehrt

01.11.2011
Die taiwanische Germanistin und Dozentin Charlotte Han hat sich viele Jahre lang voller Energie für die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Taiwan und Deutschland eingesetzt. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Han)
Wie gut die Beziehungen zwischen zwei Ländern sind, hängt nicht selten auch vom persönlichen Engagement von einzelnen Personen ab. Charlotte Han, die seit über zwei Jahrzehnten als Dozentin Deutsch als Fremdsprache an der Fu Jen Catholic University in Hsinchuang (New Taipei City) lehrt und überdies Deutschlehrerin an mehreren Oberschulen in Taipeh ist, wurde am 29. Juni dieses Jahres in Taipeh für ihren langjährigen, unermüdlichen Einsatz bei der Pflege des taiwanisch-deutschen Verhältnisses mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Es war bisher erst das zweite Mal, dass einer Person aus Taiwan diese hohe Ehre zuteil wurde. Mit Taiwan heute sprach Han über ihre Erfahrungen und ihr Wirken im Chinesisch-Deutschen Kultur- und Wirtschaftsverband, dem sie seit 2006 als Präsidentin vorsteht. Es folgen Auszüge.

Taiwan heute: Frau Han, seit ihrem Deutschstudium in den sechziger Jahren und dem ersten Deutschlandaufenthalt in den siebziger Jahren sind Sie ununterbrochen bei der Pflege des bilateralen Verhältnisses sehr aktiv gewesen, gerade im Hinblick darauf, jüngeren Generationen von Taiwanern Deutschland nahezubringen. Wie kamen Sie selbst dazu, Deutsch zu lernen?

Charlotte Han (韓宜靜): Ich habe mich immer schon für Sprachen interessiert. In der Schule waren meine Leistungen in den Sprachen Chinesisch und Englisch besonders gut. Somit war ich sehr ambitioniert, eine weitere europäische Sprache zu erlernen. Ich entschied mich für Germanistik und verfolgte dann einen Master-Studiengang in Linguistik. Das war der Anfangspunkt meiner beruflichen Entwicklung. Nach all den Jahren kann ich sagen, dass Deutschland meine zweite Heimat geworden ist.

Warum lernen die jungen Taiwaner heute Deutsch?

Die Schüler haben sehr viele verschiedene Gründe. Einer der häufigsten Gründe, Deutsch als Fremdsprache zu lernen, ist das Interesse der Taiwaner an Deutschland, weil Deutschland in Taiwan ein gutes Image hat. Weitere Gründe sind auch, dass Deutsch eine der schwierigsten Sprachen ist und sie darin eine Herausforderung sehen. Viele Schüler werden von ihrem Elternhaus angespornt, Deutsch zu lernen, weil zum Beispiel die Familie Geschäftsbeziehungen zu Deutschland pflegt oder auch Deutsche im Familienkreis sind. Eine Anzahl meiner ehemaligen Schülerinnen sind nach dem Sprachkurs motiviert, Deutsch als Hauptfach an der Abteilung für Deutsche Sprache der Fu Jen Universität — wo ich Dozentin bin — zu studieren. Sie sind sozusagen meine Studentinnen geworden. Andere, drollige Gründe, Deutsch zu lernen, gibt es auch.

Jedes Jahr gibt es Schülerinnen, die wegen der deutschen Band Tokyo Hotel Deutsch lernen wollen, weil sie die Lieder verstehen und singen möchten. Eine Schülerin sagte sogar, sie habe sich fest vorgenommen, einen Deutschen zu heiraten, und wollte sich nun schon darauf vorbereiten.

Jedes Jahr begleitet Charlotte Han eine Gruppe taiwanischer Germanistik-Studierender von der Fu Jen Catholic University zu einer Studienreise nach Deutschland. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Han)

Das Deutsche Institut (DI), also die inoffizielle diplomatische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Taiwan, hat bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Sie Ihr Engagement bei der Umsetzung der Partnerschulinitiative (PASCH) des Auswärtigen Amtes in Taiwan besonders hervorgehoben. Wie kam es dazu?

Ich hatte 2008 erfahren, dass das Auswärtige Amt dieses Projekt initiiert hat. Das DI hat die Jingmei Girls High School und die Zhongshan Girls High School dafür in Deutschland empfohlen. Das sind die zwei Schulen in Taiwan, die Deutschkurse regulär im Curriculum haben. Andere Schulen bieten die deutsche Sprache als AG an. Zusätzlich wurden die Jianguo Junior High School und zwei Schulen aus den südlichen Gegenden Taiwans in das Projekt aufgenommen. Mit der Deutschen Schule Taipeh sind jetzt insgesamt sechs Schulen im Pasch-Programm.

Jingmei war die erste High School in Taiwan, die vor 16 Jahren Deutsch als zweite Fremdsprache anbot. Bisher lernten die Schüler in Taiwan nur Englisch. Die Schulleiterin war sehr ambitioniert, und da in der Jingmei High School der Schwerpunkt auf Fremdsprachen lag, wollte sie als erste Schule in Taiwan europäische Sprachen einführen. Das Bildungsministerium stellte der Schule ein Budget für ein fünfjähriges Versuchsprojekt zur Verfügung, und dieses Projekt wurde erfolgreich umgesetzt. Ich hatte das Glück, als erste Deutschlehrerin an einer High School tätig zu sein. Der Grund meiner Tätigkeit in einer Schule als Lehrerin war, dass ich feststellen wollte, ob die Annahme, dass Menschen in jungen Jahren das Erlernen einer Fremdsprache leichter fällt, stimmt, und dies hat sich nach diesem Projekt bestätigt. Dessen Erfolg bewirkte, dass das Bildungssystem zweite Fremdsprachen, neben Englisch, in Taiwan eingeführt hat. Ab dem Zeitpunkt stieg die Anzahl der Schüler in den Deutschklassen bis heute stetig an. Allerdings haben wir mit Bedauern feststellen müssen, dass seit einigen Jahren weniger Studenten zum Studium mit Abschluss nach Deutschland gehen. Abgesehen von Musik und Jura studieren die Taiwaner kaum noch früher beliebte Fächer wie Technologie, Medizin, Maschinenbau und Ingenieurwesen. Der Aufwand für einen Doktortitel in Deutschland oder in anderen Ländern ist viel größer, als einen solchen Titel in Taiwan zu erlangen. Trotz allem versuche ich die Studenten zu motivieren, dennoch in Deutschland zu studieren bzw. zu promovieren, da der dort erworbene Doktorgrad ein hohes Ansehen in Taiwan genießt. Außerdem kann dadurch die deutsche Sprache verfestigt und der geistige Horizont erweitert werden.

Besonders wenn Studenten nach dem Studium Deutsch unterrichten möchten, ist eine fachliche Ausbildung in Deutschland unentbehrlich.

Die Partnerschul-Initiative (Pasch) umfasst unter anderem auch Veranstaltungen, bei denen deutsche und einheimische Schülerinnen und Schüler in Taiwan zusammengebracht werden und sich kennen lernen können. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Han)

Seit wann organisieren Sie jährliche Deutschlandreisen für taiwanische Studierende?

Seit sechs Jahren. Bei diesen Reisen bieten wir ein abwechslungsreiches und interessantes Programm, so dass die Schüler und Studenten bei der Reise tatsächlich einen Überblick über die deutsche Kultur erlangen. Die Teilnehmer sind der deutschen Kultur gegenüber sehr aufgeschlossen und sammeln während der Reise fast ausschließlich positive Erfahrungen, welche sie nach ihrer Rückkehr mit den Mitschülern teilen. Daraufhin steigt das Interesse an Deutschland und somit auch die jährliche Anzahl der Reiseteilnehmer.

Die Route der Deutschlandreise variiert jedes Jahr, weil zum Teil Schüler und Studenten dabei sind, die Deutschland wiederholt besuchen wollen. Dieses Jahr lag der Schwerpunkt der Reise zum Beispiel auf der deutschen Geschichte und Literatur. Demnach besuchten wir unter anderem die Lutherstadt Wittenberg, Goethes Geburtshaus und Sehenswürdigkeiten wie Schloss Neuschwanstein, die Wartburg oder die Städte Trier und Heidelberg, Flüsse wie der Rhein und die Donau werden oft besichtigt.

Gibt es für die jungen Leute heute noch so etwas wie Kulturschock?

Wir machen vor der Abreise immer einen Informationsabend zur Vorbereitung, an dem Bilder der Reisen aus den Vorjahren präsentiert werden. Somit haben die Teilnehmer einen Überblick, was sie erwartet. Einen Kulturschock in einer Hinsicht haben wir aber immer wieder festgestellt — die Kinder fragen sich, warum die meisten Deutschen so schnell gehen. Da wir ein sehr straffes Reiseprogramm haben, sage ich den Studierenden, wir müssen schnell gehen, um den nächsten Termin zu erreichen. Da haben sie immer gejammert! Dann sage ich ihnen, schaut euch doch mal an, wie die Deutschen laufen! Nach drei Tagen sagte ich, jetzt laufen wir Deutsch!

Was könnte man tun, um das Image von Deutschland in Taiwan zu fördern?

Deutschland hat in Taiwan ein ausgezeichnetes Image bei Technologie, Wissenschaft und Philosophie. Zum Beispiel wollen fast alle Taiwaner, wenn sie es sich leisten können, einen Mercedes oder einen BMW fahren. Deswegen ist es eigentlich nicht so schwierig, das Interesse der Taiwaner zu erwecken, da das Interesse bereits vorhanden ist.

Umgekehrt könnten Taiwans Tourismusamt und das Regierungsinformationsamt (Government Information Office, GIO) sich mehr engagieren, um Taiwans Image in Deutschland zu fördern, weil Taiwan bisher eher unbekannt ist! Die Deutschen wissen vielleicht, dass Taiwan gute PCs herstellt, darüber hinaus eher weniger. Ich sehe gelegentlich in Deutschland am Flughafen Werbeplakate über Taiwan, aber das ist nicht ausreichend. Hannspree zum Beispiel ist ein taiwanisches Unternehmen, das während der Spiele der Fußball-Bundesliga mit Werbebändern auf sich aufmerksam macht, jedoch weiß keiner, dass dieses Unternehmen aus Taiwan stammt. Ein anderes Beispiel ist der in Taiwan hergestellte Mr. Brown-Kaffee, welcher in manchen deutschen Tankstellen erhältlich ist. Wenn das Tourismusamt, abgesehen von Großstädten, auch die Aufmerksamkeit in den Kleinstädten wecken würde, kämen mehr Touristen nach Taiwan.

Die Jingmei Girls High School in Taipeh war die erste Oberschule des Landes, die Deutsch als zweite Fremdsprache in den Lehrplan aufnahm. Die Resonanz bei den Schülerinnen ist außerordentlich gut. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Han)

Aus was für Menschen besteht die Mitgliederschaft des 1933 entstandenen Chinesisch-Deutschen Kultur- und Wirtschaftsverbandes (CDKWV)?

Der Verband besteht aus Menschen, die sich für Deutschland interessieren und einen Bezug zu Deutschland haben, wie zum Beispiel die Absolventen eines Studiums in Deutschland und Geschäftsleute. Die Mitgliedschaft besteht nicht nur aus Taiwanern, sondern auch aus Deutschen, die mit Taiwan verbunden sind.

Worin besteht die Tätigkeit des CDKWV?

Die Tätigkeit ist sehr vielfältig. Wir organisieren Veranstaltungen wie zum Beispiel Konzerte, Vorträge, deutsche Filmeabende etc. Die Vorträge behandeln die chinesische Kultur, beispielsweise Kalligrafie, chinesische Oper, chinesische Küche usw., die den Deutschen vermittelt werden und für Taiwaner umgekehrt.

Zusätzlich bieten wir Firmen- und Studentenberatungen und sonstigen Service an. Um einige Beispiele zu nennen:

Es gibt Firmen in Taiwan, die sich für den deutschen oder europäischen Markt interessieren, aber anfangs nicht ausreichend informiert sind. Um nicht aufgrund mangelnder Kenntnisse in eine peinliche Situation bei deutschen Institutionen in Taipeh zu geraten, kommen sie vorab sehr oft zum CDKWV und werden von uns mit Informationen versorgt. Für Firmen, die ihre Mitarbeiter nach Deutschland schicken, machen wir gelegentlich Vorbereitungskurse. Oft werden Mitarbeiter von den taiwanischen Unternehmen zu uns geschickt, die kurzfristig nach Deutschland fahren. Diese können meistens weder Deutsch noch gut Englisch, jedenfalls nicht verhandlungssicher, sprechen. Für sie organisieren wir Intensivkurse der deutschen Sprache und Kultur, damit sie in Deutschland möglichst schnell selbständig zurechtkommen.

Neben dem offiziellen Programm bieten wir Besuchern oder auch Delegationen ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm an.

Hin und wieder bekommen wir zudem Bitten um Hilfe von verschiedenen Organisationen oder Reisegesellschaften. Manchmal haben sie in ihren Gruppen Sonderwünsche, die sie nicht realisieren können, und bitten uns um umgehende Hilfe.

Am 29. Juni dieses Jahres verlieh Brigitte Ory, Generaldirektorin des Deutschen Instituts Taipei, Charlotte Han das Bundesverdienstkreuz. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Charlotte Han)

Des Weiteren unterstützen wir die deutschen Neuankömmlinge. Grundlegend sind wir wie eine Erste-Hilfe-Stelle. Nach der Anfangsphase pflegen wir weiterhin eine freundschaftliche Beziehung mit dem Fokus auf kulturellem und wirtschaftlichen Austausch. Nicht nur den Austausch fördern wir, sondern versuchen auch die Taiwaner über die vergangenen und aktuellen Geschehnisse zu informieren, damit vor allem die Entwicklung Deutschlands den Taiwanern klargemacht wird. Zum Beispiel haben wir zum 10-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung für eine taiwanische Pressegruppe von den vier wichtigsten Tageszeitungen und zwei Fernsehanstalten eine 14-tägige Rundreise in Deutschland organisiert. Das Resultat der Reise waren zweiwöchige Reihen von umfangreichen Reportagen im Fernsehen und in Zeitungen. Zum 20-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung haben wir in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut Prof. Stefan Wolle aus Deutschland zu einem Vortrag nach Taiwan eingeladen, wobei er über die Veränderungen in Deutschland referierte. Nach dem Vortrag fand eine hochinteressante Diskussionsrunde mit Deutschen und Taiwanern, die den Fall der Mauer persönlich erlebt haben, statt.

Der CDKWV hat ja eine durchaus lange Geschichte. Wie sieht es mit der Zukunft aus? Gibt es Nachwuchssorgen?

Ich denke, dass das Interesse an fremden Kulturen, insbesondere an Deutschland, nach wie vor da ist. Solange ein Interesse vorhanden ist, gibt es für den Verband genug Aufgaben. Das bestehende Programm werden wir weiterführen, jedoch an die aktuellen Geschehnisse angepasst. Um den Nachwuchs machen wir uns keine Sorgen, weil die jungen Generationen heutzutage sehr aufgeschlossen sind. Viele Teilnehmer unserer Reisen in Deutschland wurden Verbandsmitglieder. Außerdem gewinnen wir durch unseren Service immer wieder neue Mitglieder dazu. 2013 werden wir unser 80-jähriges Jubiläum feiern, und ich bin sehr zuversichtlich, dass der Verband auch weitere 80 Jahre bestehen bleibt und sich weiterentwickelt.

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