25.07.2025

Taiwan Today

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Schaukampf auf heiligem Rasen

01.11.2010
Der taiwanische Tennis-Star Rendy Lu bejubelt seinen Sieg über den Weltranglisten-Fünften Andy Roddick in Wimbledon im Juni dieses Jahres. (Foto: Courtesy adidas)
Gegen drei Uhr morgens am 28. Juni dieses Jahres waren gut 600 000 Fernsehzuschauer in Taiwan noch wach und schauten sich ein Tennisspiel zwischen Rendy Yan-hsun Lu (盧彥勳), Nummer 82 auf der Herren-Weltrangliste, und dem US-amerikanischen Weltranglisten-Fünften Andy Roddick an. Das spannende Spiel im Achtelfinale zog sich über fünf Sätze hin, was zur Folge hatte, dass an jenem Tag viele Menschen in Taiwan ein paar Stunden später schlaftrunken zur Arbeit erschienen.

„Im fünften Satz glaubte ich nicht, dass ich gewinnen würde, da er beim Aufschlag besser ist als ich“, kommentierte Lu seinen Sieg in einem Interview nach dem Spiel. „Ich sagte mir aber, selbst wenn ich nicht daran glaube, muss ich dennoch kämpfen.“

Im 16. Spiel im fünften Satz schließlich schlug Lu bei seinem ersten Matchball einen phantastischen Passierball und machte damit seinen denkwürdigen Triumph perfekt. Roddick, der Ende 2003 die Tennis-Weltrangliste anführte, war vom nicht gesetzten Lu mit 4-6, 7-6 (3), 7-6 (4), 6-7 (5), 9-7 bezwungen worden. Lu war damit der erste Asiate seit 1995, der es in ein Grand Slam-Viertelfinale geschafft hatte — in jenem Jahr war der Japaner Matsuoka Shuzo ins Viertelfinale von Wimbledon gekommen, wo Matsuoka dann vom US-Amerikaner Pete Sampras ausgeschaltet wurde.

Lus zauberhaftes Gastspiel in Wimbledon fand mit seiner Niederlage gegen den auf Nummer 3 gesetzten Serben Novak Djokovic im Viertelfinale ein Ende. Nichtsdestoweniger konnte Lu mit seiner viereinhalbstündigen Parforceleistung gegen Roddick in der Weltrangliste 40 Plätze nach oben klettern, so dass er daraufhin in der vom Tennisprofiverband (Association of Tennis Professionals, ATP) geführten Liste mit Rang 42 der höchstrangige Asiate war. Ende Oktober 2010 stand Lu sogar auf Platz 34 der Weltrangliste und hatte sich in der Tenniswelt und auch in Taiwan nachdrücklich einen Namen gemacht.

Seinen Wimbledon-Sieg widmete Lu seinem im Jahr 2000 verstorbenen Vater Lu Hui-yuan. „Im Augenblick des Sieges ließ ich mich nieder und sagte mir, dass ich das für meinen Vater getan habe, für mich selbst und alle, die mich unterstützten“, verkündete Lu nach dem Turnier.

Rendy Lu war im Landkreis Taipeh aufgewachsen und begann schon während seines ersten Grundschuljahres für die Schulmannschaft Tennis zu spielen. Als Jugendspieler belegte er in Taiwan durchgängig die Ranglistenplätze 1 oder 2, verrät sein älterer Bruder Lu Wei-ru, der als Rendy Lus Manager und Agent in Taiwan fungiert. Die Eltern des jungen Sportlers hatten allerdings erst 1997, als Lu im Alter von 14 Jahren in Thailand das Jugendturnier 14 & Under Asian Championship des Internationalen Tennisverbandes (International Tennis Federation, ITF) gewann, ernsthaft daran gedacht, den Spross eine professionelle Wettkampfkarriere verfolgen zu lassen.

Plan zum Einstieg

„Mein Vater dachte, die Wettkampfergebnisse könnten meinem Bruder helfen, ohne Teilnahme an Tests auf die Oberschule zu kommen, denn ich hatte es schon schwer gehabt, mich auf die Oberschul-Aufnahmeprüfung vorzubereiten“, erinnert sich Lu Wei-ju. Der Plan des Vaters zahlte sich aus, als Rendy Lu dank seiner Leistungen beim Tennis mit 16 Jahren in die Taipei Municipal Jianguo High School aufgenommen wurde, eine der renommiertesten Schulen Taiwans. Da Lu häufig ausersehen worden war, die taiwanische Mannschaft bei internationalen Wettkämpfen zu vertreten, wurde er von der Aufnahmeprüfung befreit.

Während seines dritten Jahres in der Schule stieg Lu in den Kreis der zehn Besten der ITF-Jugendliste auf. „Das veranlasste meinen Vater zu dem Gedanken, mein Bruder könne versuchen, ein Tennisprofi zu werden“, kolportiert Lu Wei-ju. Einen vielversprechenden Tennisspieler großzuziehen war indes nicht einfach für den Vater, der morgens als Geflügelgroßhändler arbeitete und danach den größten Teil des Tages damit verbrachte, den jüngsten Sohn zu trainieren und mit ihm zu üben. Lu Senior suchte daneben noch nach Trainern für seinen Filius und begleitete ihn, wenn Lu Junior bei Turnieren in Taiwan spielte. Rendy Lu bemerkte einmal, die Belastung, eine Familie zu unterstützen und gleichzeitig die Tenniskarriere des Sohnes zu fördern, habe wahrscheinlich zu dem Herzinfarkt beigetragen, der seinen Vater im Jahr 2000 dahinraffte.

Als der Vater starb, war Rendy Lu gerade 17 Jahre alt. „Er war so aufgewühlt, dass er daran dachte, seine Tenniskarriere an den Nagel zu hängen“, verrät der Bruder. „Da er jedoch dem Vater versprochen hatte, eines Tages ein Profispieler zu werden, beschloss er, weiter zu kämpfen.“

Erschüttert aber entschlossen begann Lu, an einer Reihe von Turnieren in Indonesien, Thailand und Malaysia teilzunehmen, konnte aber keinen Sieg erzielen. Seine ersten Profipunkte verdiente er sich schließlich im Juli 2001, als er das Spiel in der ersten Runde des Turkey Futures-Turniers gewann, welches der ITF ausgerichtet hatte.

2002 kam Rendy Lus Tenniskarriere richtig in Schwung, als sich seine Spielergebnisse verbesserten, und er steigerte seine ATP-Weltranglistenplatzierung im Herren-Einzel kometenhaft von Rang 598 (2001) auf Nummer 194 im Folgejahr. Zusätzlicher Schub kam im Jahr 2003, als der deutsche Coach Dirk Hordorff, der seit 1992 den Weltranglisten-Fünften Rainer Schüttler aus dem hessischen Korbach betreute, anbot, Rendy Lu für die Hälfte seines üblichen Honorars zu trainieren. Auf die Frage, warum er sich zu einer anfänglichen Senkung seiner Bezahlung bereit erklärt habe, um den jungen Taiwaner zu coachen, erwiderte Hordorff: „Rendy ist eine tolle Person, ein großes Talent, und er hat eine sehr professionelle Einstellung in seinem Sport und außerhalb des Tennisplatzes.“

Unter Hordorffs Aufsicht legte Rendy Lu stetige Verbesserungen an den Tag. „Rendy hat eine Reihe von Vorzügen — seine Schnelligkeit, seine Koordination, seinen Kampfgeist und seine Fähigkeit, in jeder Situation des Spiels gefährlich zu sein“, urteilt Hordorff.

Nach einem Spiel beim Turnier Indianapolis Tennis Championships in den USA im Juli 2009 gibt Lu seinen Fans Autogramme. (Foto: Courtesy Lu Wei-ju)

Der deutsche Trainer konnte eine Verbesserung bei der Technik seines Schützlings verzeichnen, besonders bei der Vorhand, dem Aufschlag und dem Volleyspiel. „Der Hauptpunkt ist, Rendy glaubt immer mehr an sich selbst und hat ein besseres Verständnis für den professionellen Turnierplan gewonnen, und er hat gelernt, wie er seine Fähigkeiten und sein Talent am besten einsetzt“, lobt Hordorff.

Lu Wei-ju bewundert außerdem die Professionalität seines Bruders und meint, zwischen Spielen und außerhalb der Saison übte sein Bruder früher jeden Tag vier Stunden am Vormittag Tennis, am Nachmittag standen dann für weitere vier Stunden Laufen oder Gewichtheben auf dem Programm. „Die Leute fragten ihn, ,warum übst du in deinen Pausen weiter Tennis, wenn doch kein Trainer auf dich aufpasst?‘“ berichtet Lu Wei-ju. „Und er antwortete: ,Weil das mein Beruf ist.‘“ Dank beständigerer Betreuung und Training kann Rendy Lu nun ein weniger strapaziöses Pensum absolvieren, das ihm sogar ab und an ein wenig Freizeit lässt, denn er hat gelernt, dass ein Profi auch weiß, wann er seinem Körper mal eine Pause gönnen muss.

2004 wurde Lu der erste taiwanische Tennisspieler, der es unter die ersten 100 der ATP-Weltrangliste schaffte. (Der ATP ist für Herrentennis zuständig, beim Damentennis, der vom Damen-Tennisverband WTC verwaltet wird, waren im Laufe der Zeit mehrere Taiwanerinnen unter den ersten 100, im Oktober 2010 nur Chan Yung-jan 詹詠然 auf Rang 83.) Überdies vertrat Lu Taiwan bei den 28. Olympischen Sommerspielen in Athen 2004 und bei der Olympiade in Beijing 2008. Einer der Höhepunkte seiner Karriere war sein Sieg über den Briten Andy Murray, im Oktober 2010 Nummer 4 der Weltrangliste, in der ersten Runde im Herreneinzel in Beijing.

Erfolgreiche Strategie

Laut Lu Wei-ju entwarf Hordorff die erfolgreiche Wettkampfstrategie, mit der Rendy Lu seinen Wimbledonsieg über Andy Roddick errang. Diese Strategie begann mit Rendy Lus Vorbereitung auf die offene französische Tennismeisterschaft French Open, die Ende Mai dieses Jahres stattfand. Da viele Tennisspieler entweder Sandplatz- oder Hartplatz-Spezialisten sind und daher auf der anderen Bodenart schlechter spielen, erachtete Hordorff es als kontraproduktiv für den jungen taiwanischen Athleten, seinen Trainingsschwerpunkt zu ändern, um sich auf die Sandplätze der French Open vorzubereiten, die langsamer sind als Hartplätze. Stattdessen empfahl Hordorff ein intensives Krafttraining mit dem argentinischen Fitnesstrainer Bernardo Carberol, woraufhin Rendy Lus Fitness besser wurde als je zuvor. „Deswegen war seine Leistung in Wimbledon sehr stabil, und er hat in keinem Spiel während des Turniers seine Konzentration verloren“, stellt sein Bruder fest.

Lu Wei-ju erläutert, dass Rendy Lu früher an kleineren Turnieren und auch den vier Grand Slams — der US Open, der Australian Open, der French Open und Wimbledon — teilzunehmen pflegte, sich mittlerweile aber nur noch auf die großen Turniere konzentriert. „Wir haben uns entschlossen, den Schwerpunkt auf die wichtigen Turniere zu legen, da sie für die Ranglisten mehr Punkte ergeben“, begründet Lu Wei-ju. „Seltenere Teilnahme an kleineren Turnieren bedeutet zudem, dass er in einer besseren körperlichen und geistigen Verfassung ist, wenn er auf den großen Turnieren spielt.“

Neben Hordorffs Training und den Fitness-Betreuern spielten auch Sportmediziner bei Rendy Lus Leistung der letzten Jahre eine zentrale Rolle. 2007 erlitt der junge Spieler etwa einen Bandscheibenvorfall. Die Ärzte in Taiwan meinten, das müsse operiert werden, und manche hielten es gar für möglich, dass die Verletzung Lus Tenniskarriere beenden könnte. Hordorff machte Lu dagegen mit dem Sport-Physiotherapeuten Klaus Eder bekannt, der eine Praxis in einem Reha-Zentrum in Donaustauf (Bayern) betreibt. Eder, der bereits seit 20 Jahren Deutschlands Fußball-Nationalmannschaft betreut, massierte eine Stunde lang sorgfältig Lus Rückenmuskulatur. Hinterher meinte Lu, in den vergangenen 15 Monaten habe sich sein Rücken nicht mehr so locker angefühlt. Nachdem Lu in dem Zentrum zwei Wochen lang von Eder und anderen Spezialisten behandelt worden war, erholte er sich vollständig von dem Leiden.

Der taiwanische Sportmediziner Ye En ist ein weiteres Mitglied von Rendy Lus Betreuungsteam. Während der olympischen Sommerspiele von 2004 und 2008 war Ye Sportmediziner für Taiwans Baseball-Nationalmannschaft, und heute begleitet er Rendy Lu zu jedem Spiel.

Diese Art von Betreuung, für professionelle Tennisspieler von internationaler Spitzenklasse unverzichtbar, gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. Das Wochengehalt eines Trainers beträgt etwa 1500 US$, und die Spieler müssen ihren Trainern außerdem die Reisekosten erstatten sowie Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung bei Turnieren. „Wenn man die Lebenserhaltungskosten des Spielers selbst mitrechnet, dann kostet die Teilnahme an einem zweiwöchigen Turnier in Asien mindestens 100 000 NT$ (2380 Euro)“, kalkuliert Jeff Hsu, Geschäftsführer von Integration Sports, einer taiwanischen Tennisspieler-Agentur, die auch Tennisspiele organisiert. Nach den Worten von Lu Wei-ju schlagen die jährlichen Ausgaben seines Bruders für Trainerhonorar, sportmedizinische Betreuung und Wettkampfkosten mit 5 Millionen NT$ (119 000 Euro) zu Buche.

Zwar besserte sich die Finanzlage durch den Sieg in Wimbledon ein wenig, doch in der Vergangenheit hatte Rendy Lu Mühe gehabt, Sponsoren zu finden, um seine Ausgaben zu decken. Infolgedessen war er gezwungen, Wege zur Kostensenkung zu suchen, etwa indem er gemeinsam mit anderen Spielern einen Trainer nutzte. Bevor er im Jahre 2003 Hordorff kennen lernte, verpflichtete der junge Taiwaner verschiedene Trainer mit Kurzzeitverträgen und nahm mitunter auch ohne Trainer an Turnieren teil. Selbst heute greift Lu nur dann auf Hordorff und Carberol zurück, wenn er sich auf ein großes Turnier vorbereitet.

Taiwans internationale Profi-Athleten finanzieren ihre Anstrengungen meist mit Preisgeldern von Wettbewerben und auch durch Förderung von Firmen, individuellen Spendern und der Regierung. Rendy Lus Hauptsponsoren sind die einheimischen Unternehmen Chinese Petroleum Corp. (CPC) und die Chunghwa Telecom (CHT). CPC stellte seit 2002 jedes Jahr 1 Million NT$ (23 800 Euro) an Fördergeldern bereit, von CHT gab es seit 2008 sogar 2 Millionen NT$ (47 600 Euro) im Jahr. Zugleich sponsorte ihn das deutsche Sportartikelunternehmen Adidas für Bekleidung und Schuhe, während die Head-Abteilung der deutschen HTM Sport GmbH Head-Tennisschläger bereitstellt. Adidas und Head zahlen daneben jährliche Bonusgelder, berechnet nach Lus Weltranglistenplatz am Jahresende.

Hsu macht darauf aufmerksam, dass Sponsoring für Tennisspieler durch Firmen in anderen Ländern wie Japan allerdings ausgereifter ist. Der japanische Tennisspieler Nishikori Kei, der im Oktober 2010 die Rangliste seines Landes anführte, konnte beispielsweise eine Knieverletzung dank der Förderung auskurieren, die ihm Sony im Rahmen eines dreijährigen Sponsorabkommens angedeihen ließ. Sony bezahlte Nishikori alle Ausgaben für Operation, Behandlung und Reha, obendrein erhielt der Spieler 1 Million US$ im Jahr an Sponsorgeldern.

Der japanische Tennisverband arbeitet überdies mit Firmen zusammen, um jährliche regionale und landesweite Turniere zu veranstalten. Dank der Firmengelder ist für diese Turniere ein relativ üppiger Etat vorhanden, und japanische Amateurspieler können das ganze Jahr über ihre Kräfte mit verschiedenen, von Firmen gesponserten Klubs messen. „Das Preisgeld für jede Veranstaltung beträgt mindestens 200 000 NT$ (4760 Euro), und Amateurspieler können in Japan zweifellos durch Teilnahme an nationalen Spielen ihren Lebensunterhalt verdienen“, versichert Hsu. In Taiwan dagegen fehlt dem Tennisverband Chinese Taipei (Chinese Taipei Tennis Association, CTTA), Taiwans nationaler Tennisorganisation, solche Förderung durch die Privatwirtschaft, weswegen die Etats erheblich dürftiger sind. Bei einer Medienkonferenz in Taiwan Anfang Juli dieses Jahres brachte Rendy Lu die Frage der Förderung durch Unternehmen zur Sprache, und er appellierte an den CTTA, mehr zu tun, um Sportlern zu helfen, Sponsorengelder von taiwanischen Firmen zu bekommen.

Fans aus Taiwan zeigen für Lu und ihr Land während eines Spiels bei der Australian Open im Januar 2009 Flagge. (Foto: Courtesy Lu Wei-ju)

Damit Lu seine Ausgaben für Turniere begleichen kann, organisierten Jeff Hsu von Integration Sports und in den USA lebende taiwanische Unterstützer 2003 zwei Spenden-Parties für private Geldgeber, bei denen gut 60 000 US$ zusammenkamen. „Als Lu das Geld erhielt, brach er in Tränen aus und meinte, er fühle die Wärme seiner Heimat“, so Hsu.

Gemeinsam mit der Hilfe von im Ausland lebenden Landsleuten sorgte auch Lee Yuan-tseh (李遠哲), der 1986 den Nobelpreis für Chemie erhielt und von 1994 bis 2006 der Academia Sinica als Präsident vorstand, jahrzehntelang für finanzielle Unterstützung für Lu. „Rund 95 Prozent des Geldes, das Rendy bekommen hat, hängt in der einen oder anderen Weise mit [dem ehemaligen] Präsident[en] Lee zusammen“, sagt Lu Wei-ju dankbar und stellt klar, dass die Förderung durch die Sponsoren CPC und CHT mit Lees Hilfe zustande kam.

Hsu erinnert sich außerdem daran, dass Lee im Jahre 2008 ein Abendessen mit Geschäftsleuten veranstaltete und zu Spenden aufrief, um Spitzen-Tennisspielern wie Lu zu helfen, und Lee betonte, wie dringend sie die Förderung durch die Privatwirtschaft bräuchten, um bei internationalen Wettbewerben kämpfen zu können. Hsu: „Zuerst waren die Wirtschaftskapitäne nicht geneigt, in ihre Taschen zu greifen, doch nachdem Lees Ehefrau 500 000 NT$ (11 900 Euro) gespendet hatte, entrichteten sie gleichfalls einen Obolus.“

Staatliche Hilfe für Taiwans Profisportler kommt vom Rat für Sportangelegenheiten (Sports Affairs Council, SAC), einer Behörde in Ministeriumsrang, die einzelne Athleten unterstützt, herausragende Leistungen mit Bargeld belohnt und nationalen Sportverbänden finanzielle Förderung zukommen lässt. Der „Challenge 2008 Gold Plan“ des Jahres 2008 zum Beispiel war ein Zuschussprogramm vom SAC für einzelne Sportler mit dem Ziel, bei der Olympiade in Beijing Medaillen zu gewinnen. Für die Trainingsausgaben von 25 Elitesportlern, die in 14 Disziplinen bei den jüngsten Sommerspielen teilnahmen, wurden 870 Millionen NT$ (20,7 Millionen Euro) bereitgestellt. Rendy Lu erhielt im Rahmen des Plans zwischen 2006 und 2008 insgesamt 4,3 Millionen NT$ (102 300 Euro).

Ebenso wie Challenge 2008 richten sich die meisten SAC-Zuschüsse an Athleten, denen große Chancen zugerechnet werden, bei wichtigen Wettkämpfen gut abzuschneiden. Ein Problem bei dieser Methode ist jedoch, dass sie aufstrebenden Sportlern, die zukünftige Stars werden könnten, wenig hilft. Bevor Rendy Lu im Jahre 2001 Profi wurde, mussten er und seine Familie alle mit Tennis zusammenhängenden Ausgaben selbst tragen. Hsu weiß, dass viele andere aufstrebende Sportler heute in einer ähnlichen Lage stecken. „Wenn sich das Umfeld [für staatliche Förderung] nicht ändert, werden viele dieser Spieler nie eine Chance haben, unter Beweis zu stellen, wie gut sie wirklich sind“, lamentiert er.

Mitglieder der taiwanischen Nationalmannschaften, die bei internationalen Wettkämpfen wie den World University Games, den East Asian Games, den Asian Games und den Olympischen Spielen eine Medaille erringen, haben Anspruch auf Preisgelder vom SAC. Für die Olympiade in Beijing beispielsweise zahlte der SAC erfolgreichen Athleten aus Taiwan 92,9 Millionen NT$ (2,2 Millionen Euro). Rendy Lu ging beim Füllhorn für die Spiele in Beijing leer aus, kassierte jedoch Preisgeld vom SAC für die Goldmedaille bei den Asienspielen 2002 im gemischten Doppel mit Janet Lee (李慧芝).

Abgesehen von Finanzspritzen und Preisgeldern gibt es aber noch andere Wege, durch welche die Regierung mehr tun könnte, die finanzielle Unterstützung für Sportler zu verbessern. Eine Möglichkeit wären laut Hsu Steuervorteile für Firmen, die Nationalspieler sponsern. „Das ist wie bei einem Staffel-Lauf“, findet Hsu. „Die Regierung sollte zuerst loslaufen und dann den Stab der Verantwortung für die nächsten Strecken an Unternehmen übergeben.“ Nach Lu Wei-jus Ansicht wäre ein anderer Weg für den SAC, Elite-Athleten Unternehmensinhabern als potenzielle Sponsorgeld-Empfänger vorzustellen.

Botschafter für sein Land

Rendy Lus Trainer Dirk Hordorff betrachtet finanzielle Unterstützung für einen jungen Sportler, der ein erfolgreicher Athlet werden möchte, als unbestreitbar sehr wichtig, doch moralische Unterstützung sei gleichfalls ein Schlüsselfaktor. „Ich bin überrascht, wie wenig Respekt und Unterstützung erfolgreiche Spieler wie Rendy bekommen“, tadelt Hordorff rundheraus. „Taiwan sollte stolz darauf sein, ihn als Botschafter für sein Land zu haben, und der CTTA sollte sich dessen bewusst sein.“

Lu Wei-ju sieht ebenfalls die Notwendigkeit für breitere staatliche „Ressourcen und Methoden, welche Spieler unterstützen“. Nach seinen Worten wurde seinem Bruder zur Olympiade in Beijing noch nicht mal ein Trainer zur Seite gestellt, da die olympischen Bestimmungen, die sich nach der Zahl der qualifizierten Spieler in der Mannschaft richten, Taiwans Tennisteam nur zwei Trainer erlaubten. Für die Spiele in Beijing wies der CTTA beide Trainerposten den Partnerinnen des Damendoppels — Chan Yung-jan und Chuang Chia-jung (莊佳容) — zu, da man glaubte, sie hätten die besten Aussichten auf eine Medaille. Andererseits gestattet eine weitere olympische Bestimmung Ländern, die mehr Trainer brauchen, vor den Spielen vorübergehende Trainingsgenehmigungen zu beantragen, doch der CTTA kannte diese Klausel nicht und verpasste die Antragsfrist. „Es ist überraschend, dass dies bei einem olympischen Spieler geschah, der unser Land vertrat“, kritisiert Lu Wei-ju.

Bei seiner Medienkonferenz im Juli dieses Jahres in Taiwan rief Rendy Lu den CTTA auf, bessere Trainings- und Wettkampfeinrichtungen für Tennisspieler zu schaffen. Hsu von Integration Sports stimmt ihm zu und sagt, Taiwan benötige eine Tennisstätte der Weltklasse, welche die ATP-Standards erfülle und sich für ATP Tour-Veranstaltungen eigne. In dieser Hinsicht tut sich etwas, denn die Stadtverwaltung Taipeh kündigte im Juli dieses Jahres an, man plane den Bau einer solchen Einrichtung im Stadtteil Neihu, die Stätte werde im Jahre 2014 fertig sein.

Mit Blick auf die Zukunft hat Rendy Lu sich vorgenommen, in der Weltrangliste unter die ersten 30 zu kommen. Seine Aussichten sind gut, und Dirk Hordorff ist überzeugt, dass der Triumph von Wimbledon dem jungen Spieler bei der Jagd nach diesem Ziel noch mehr Selbstvertrauen geben wird, und der Coach verkündet: „Wenn man in Wimbledon, dem renommiertesten und wichtigsten Turnier der Welt, Erfolg hat, dann gibt es keinen Grund, dass man sonstwo auf der Welt ohne Erfolg spielen sollte.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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