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Taiwan Today

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Das Staatsgebiet wachsam im Blick

01.09.2010
Das Mingchih-Walderholungsgebiet im nordosttaiwanischen Landkreis Ilan. Taiwan besitzt spektakuläre Landschaften, wird aber auch von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Taifunen bedroht. (Foto: Central News Agency)
Am Nachmittag des 25. April dieses Jahres wurde ein Abschnitt der Autobahn Nr. 3 nahe Maling Keng an der nordtaiwanischen Stadt Keelung aus heiterem Himmel von einem Erdrutsch verschüttet, drei Fahrzeuge wurden unter den Erdmassen begraben, alle vier Insassen kamen ums Leben. Im Laufe jenes Tages besichtigte Staatspräsident Ma Ying-jou (馬英九) die Rettungsarbeiten am Unglücksort, und ebenso wie viele andere Menschen war er beunruhigt, weil Erdrutsche oft die Folge von Erdbeben oder schweren Regenfällen sind, der Vorfall bei Keelung jedoch an einem sonnigen Tag ohne erkennbaren Grund geschah. Wang Jin-pyng (王金平), Präsident des Legislativ-Yuan (立法院), also des Parlaments der Republik China, zitierte als Kommentar ein in Taiwan bekanntes Sprichwort: „Ein großer Baum sollte nicht umfallen, ohne dass der Wind daran gerüttelt hat“ (無風無搖倒大樹). Damit deutete er an, dass möglicherweise menschliches Versagen zu der Katastrophe beigetragen haben könnte. Nachdem Wetterfaktoren und seismische Aktivität als Ursachen ausgeschlossen worden waren, rückten die topografischen Eigenschaften des Ortes in den Mittelpunkt landesweiter ökologischer Sorgen hinsichtlich Bausicherheit, da sich herausstellte, dass das Gebiet eine Schichtneigung aufwies, also eine Erdoberfläche, die überwiegend in die gleiche Richtung geneigt ist wie die darunterliegende Gesteinsschicht, wodurch sie anfällig gegen Erdrutsche wird.

„Erdrutsch“ ist ein weiterer geologischer Begriff, den man in Taiwan häufig hört, seit der schwere Taifun „Herb“ Ende Juli 1996 im zentraltaiwanischen Landkreis Nantou Erdrutsche auslöste, die ein Bergdorf verwüsteten. Eine Tragödie der jüngeren Zeit ereignete sich im August 2009, als der Taifun „Morakot“ Südtaiwan heimsuchte und die darauffolgenden Erdrutsche den größten Teil des Dorfes Xiaolin im Landkreis Kaohsiung begruben, wodurch Hunderte von Einwohnern den Tod fanden. Bei einer nationalen Sicherheitskonferenz nach Morakot drängte Präsident Ma auf die Verabschiedung des Nationalen Bodenplanungsgesetzes, das erstmals über zehn Jahre zuvor vom Innenministerium propagiert worden war. „Fragen des nationalen Bodenschutzes sollten ernsthaft durchdacht werden“, mahnte Ma. „Angesichts dieser Katastrophe kann die Regierung die Krise in eine Chance verwandeln.“

Durch den Autobahn-Erdrutsch flammten die hitzigen Diskussionen über das Geologie-Gesetz, das dem Parlament zur Überprüfung vorliegt, wieder auf. Das Gesetz würde strengere Bestimmungen für die offizielle Abgrenzung geologisch empfindlicher Gebiete in Kraft setzen, desweiteren würde die Entwicklung solcher Gebiete beschränkt, und das Wirtschaftsministerium setzt sich seit Mitte der neunziger Jahre dafür ein. „Taiwans Gesellschaft schenkt solchen Fragen eigentlich nur nach großen Katastrophen wirkliche Aufmerksamkeit“, seufzt Lin Chao-chung, Generaldirektor der Zentralen Bodenbegutachtung (Central Geological Survey, CGS) im Wirtschaftsministerium. „Wir haben alle unterschiedliche Ansichten und Einstellungen [über Landnutzung], aber die Geologie Taiwans bleibt gleich.“

Ein Merkmal von Taiwans Geologie ist laut Lin die Häufigkeit seismischer Vorgänge, und er enthüllt, Taiwan sei seismisch aktiver als die meisten anderen Orte der Welt, da die Insel an der Kontaktstelle zweier großer tektonischer Platten zusammengedrückt wird. Huang Ming-yao, Generaldirektor des Boden- und Wasserschutzamtes im Landwirtschaftsrat (Council of Agriculture, COA), weist darauf hin, dass diese seismische Aktivität große Auswirkungen auf die Bodenplanung hat. Das Erdbeben der Stärke 7,3 auf der Richter-Skala am 21. September 1999 in Zentraltaiwan beispielsweise veränderte die topografischen Verhältnisse in der Nähe des Epizentrums, die sich nach seinen Worten möglicherweise nie mehr stabilisieren werden. Gemäß einer COA-Studie, die unmittelbar nach dem Erdbeben durchgeführt wurde, stieg die Zahl der Wasserstraßen, die von erdrutschgefährdetem Land umgeben waren, um rund 50 Prozent an. Derzeit beobachtet der COA etwa 1550 Flüsse und Bäche, weil sie von Erdrutschen bedroht sind.

Yeh Shih-wen, Generaldirektor des Bau- und Planungsamtes (Construction and Planning Agency, CPA) im Innenministerium, das für den Entwurf und die Förderung des Nationalen Bodenplanungsgesetzes zuständig ist, bezeichnet Taiwan als einzigartige Insel, wo große Biovielfalt und spektakuläre Landschaften mit zahlreichen Naturphänomenen wie Erdbeben, Taifunen und Erdrutschen gepaart sind. Etwa 70 Prozent der 36 000 Quadratkilometer Landfläche Taiwans sind Hochgebirge oder Hanglagen, wobei die meisten Flüsse vom Zentralmassiv, dem „Rückgrat“ der Insel, nach Westen oder Osten ins Meer strömen. Diese Flüsse sind zumeist kurz, haben eine schnelle Strömung und passieren ein steiles Terrain, und nach schweren Regenfällen schwellen sie zu reißenden Strömen an, die viel Sediment mitführen. „Die Lebensdauer des Nanhua-Stausee wurde quasi halbiert, als der Taifun Morakot tonnenweise Schlamm hineingespült hat“, erzählt Yeh über einen Stausee am Houjue-Fluss im südtaiwanischen Landkreis Tainan. Der gleiche Wirbelsturm beförderte rund 90 Millionen Kubikmeter Sediment in den Tsengwen-Stausee, und die Regierung wird Jahre für das Ausbaggern brauchen, prophezeit Ayo Cheng, Professor an der Abteilung für Ökowissenschaft und Ökotechnik der National University of Tainan; der Tsengwen-Stausee ist ein anderer größerer Stausee im Landkreis Tainan.

Ein Abschnitt einer Gebirgslandstraße im südtaiwanischen Landkreis Chiayi wurde zerstört, als während Morakot ein ganzer Berghang in Bewegung geriet und alles in seiner Bahn fortriss. (Foto: Central News Agency)

Zu den Risiken, die mit Erdbeben und Taiwans Topografie zusammenhängen, gesellen sich meteorologische Faktoren. Da ist zum einen die ungleichmäßige Verteilung der jährlichen Niederschläge zu nennen. Über 70 Prozent der Regenfälle in Taiwan, normalerweise zwischen 2000 und 2500 Millimeter pro Jahr im Flachland, gehen während des „Pflaumenregens“ und der anschließenden Taifunsaison zwischen Mai und Oktober nieder. Außerdem wird der alarmierende globale Trend des Klimawandels für die zunehmend extremer werdenden Wetterverhältnisse verantwortlich gemacht. Während Morakots langsamer Wanderung über Zentral- und Südtaiwan bekamen manche Gegenden über 1000 Millimeter Regen an einem einzigen Tag ab. (Zum Vergleich: Der durchschnittliche Jahresniederschlag in der Bundesrepublik Deutschland beträgt laut Wikipedia 700 Millimeter.) Das Auftreten solch extremen Wetters stellt eine beispiellose Bedrohung für die Insel dar und bewog die Regierung, von ihrer früheren hauptsächlichen Förderung der Wirtschaftsentwicklung abzurücken und stattdessen das Augenmerk auf dauerhafte Entwicklung zu richten.

Ein ökologischer Ansatz

An der Basis arbeitet das Boden- und Wasserschutzamt daran, zukünftige Erdrutsche verhindern zu helfen, indem „Ökotechnik“-Methoden mit minimalem Einsatz von Betonstrukturen angewandt werden. In der Vergangenheit wurden besonders Betondämme errichtet, um Überschwemmungen „einzudämmen“, doch sie bescherten den Gemeinden in der Gegend auch ein höheres Risiko, wenn die Bauten nicht standhielten. Im Kontrast dazu setzen ökologische Ansätze so weit wie möglich natürliche, örtliche Materialien ein und bemühen sich, Wasser zu natürlichen Schwemmebenen fernab von bewohnten Gebieten zu „lenken“. Aus natürlichen Materialien gebaute Wasserkanäle vermindern zudem das Abflussvolumen im Oberflächenbereich, da ein Teil des Wassers im Boden versickern kann. Aus der Gegend stammende Materialien sparen auch Energie, die man sonst aufwenden müsste, um diese Materialien von anderen Orten herzutransportieren, so dass man den Ausstoß kohlenstoffhaltiger Schadstoffe vermindern kann, wirbt Huang Ming-yao.

Auf der Ebene der Politikgestaltung macht Ayo Cheng darauf aufmerksam, dass die üblichen Konflikte zwischen ökonomischer „Effizienz“ und ökologischer Integrität von den nicht anerkannten Nachwirkungskosten der Wirtschaftsentwicklung wie etwa industrielle Verschmutzung herrühren. „Die dadurch niedrigeren Kosten [für die Industrie] machen ein Produkt auf dem Markt wettbewerbsfähiger, aber das ist eine verzerrte Wettbewerbsfähigkeit“, geißelt der Professor. „Letztendlich werden die Nachwirkungskosten von der Lokalverwaltung und der Bevölkerung getragen, doch die sich daraus ergebenden Vorteile gehen häufig in andere Länder.“

Cheng vergleicht eine gute nationale Bodenplanung mit einem „scharfen Schwert“, das eine ausgewogenere Entwicklung in ganz Taiwan anführen und gleichzeitig den Gegensatz zwischen Arm und Reich mildern sowie die Lebensqualität verbessern könnte. Damit es dazu kommt, brauchen die Politiker eine solide theoretische Grundlage für Entwicklungspläne, und die allgemeine Öffentlichkeit muss besser über alle damit zusammenhängenden Fragen unterrichtet sein. Das ist der einzige Weg, die verschiedenen „einflussreichen Kräfte“ zu bekämpfen, etwa Landentwickler und andere Unternehmen, die gute Planung oft behindern, meint er. Nach den Worten des Professors ist nationale Bodenplanung, die als Leitfaden für Wirtschaftsentwicklung und die Lebensweise der Menschen dient, eine sehr anspruchsvolle, schwierige Aufgabe, für die aufgeschlossenes, nach vorn gerichtetes Denken erforderlich ist.

Lin Chao-chung von der CGS glaubt, dass das Nationale Bodenplanungsgesetz und das Geologie-Gesetz nach ihrer Verabschiedung ihre Wirkung als Tandem entfalten könnten, wobei das Bodenplanungsgesetz einen umfassenden Rahmen für Entwicklung und das Geologie-Gesetz detailliertere Bestimmungen bieten würden. Das vorgeschlagene Geologie-Gesetz würde nach seinen Worten die Bodenplanung verbessern, da es Taiwans Landverwaltungsprobleme vorrangig behandeln würde, indem man sie fest in wissenschaftlichen Einschätzungen bestimmter Stätten verankert. „Es ist so wie bei Schülern, die sich auf eine Prüfung vorbereiten und höhere Aussichten auf gute Noten haben, wenn sie sich auf die Hauptpunkte konzentrieren, anstatt zu versuchen, alles zu lesen“, vergleicht der CGS-Generaldirektor. „Nach dem gleichen Schema kann man keine wirksame Verwaltung von was auch immer hinbekommen, wenn man versucht, wahllos alles zu managen.“ Wenn man auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten die Entwicklung bestimmter Stätten einschränkt oder genehmigt, würde das auch in der Öffentlichkeit Vertrauen in die Bodenverwaltungs-Entscheidungen der Regierung aufbauen, versichert er.

Auch der südtaiwanische Landkreis Pingtung wurde durch Morakot betroffen. Dieses Bild zeigt Schäden durch Erdrutsche in einem Bergdorf. (Foto: Central News Agency)

Im Falle einer Verabschiedung würde das Geologie-Gesetz Landentwickler dazu verpflichten, ein unabhängiges Bodengutachten und andere Bewertungen als Voraussetzungen zu bestehen, eine Baugenehmigung auf Land zu erhalten, das als „potenziell labil“ betrachtet wird. Infolge der von dem Gesetz geförderten höheren Sicherheitsstandards wird wahrscheinlich mehr Land als potenziell labil eingestuft werden, und es würde strengere Bestimmungen für Entwicklung verhängen als bislang gültig. Lin meint, nach internationalen Standards wäre das ein recht innovatives Gesetz, da nur wenige Länder der Welt Gesetze erlassen haben, die geologische Erwägungen zum Ziel haben.

Allerdings werden von Landentwicklern starke Vorbehalte gegen diese Regulierungsversuche erwartet. Um nur eine Sache zu nennen, angesichts Taiwans großer Bevölkerung und der Knappheit verfügbaren Landes in Städten oder in Flachlandgebieten haben viele Landentwickler sich Häuserbauprojekten im Bergland oder in abgelegenen Gebieten zugewandt, obwohl diese Standorte häufig geologisch empfindliche Stätten sind. Die Lage einer solchen Wohnstätte an sich mag potenzielle Kunden, die ein Eigenheim suchen, zwar eher nicht anziehen, dafür tun das die Preise, weil die Objekte in der Regel günstig angeboten werden.

Strengere Anforderungen

Wenn das Geologie-Gesetz verabschiedet wird, würde es strengere Bauvorschriften an empfindlichen Stätten verfügen und zu höheren Baukosten führen, was Menschen auf der Suche nach einem Eigenheim demotivieren würde, den Kauf eines solchen Entwicklungsprojektes zu erwägen, spekuliert Lin. Um den Widerstand gegen das Gesetz zu reduzieren, würde die Regierung laut Lin damit anfangen, die am dünnsten bevölkerten Stätten mit den wenigsten anhängigen Bauvorschlägen als „am gefährlichsten“ einzustufen.

Mit einer Bevölkerungsdichte von über 600 Personen pro Quadratkilometer ist Taiwan eines der am dichtesten bevölkerten Länder der Erde (Deutschland: 229 Personen pro Quadratkilometer im Februar 2010 laut Wikipedia). Die überwiegende Mehrheit der Taiwaner lebt im Flachland, doch Land, das sich für den Bau von Wohnhäusern und landwirtschaftliche Nutzung eignet, macht weniger als 30 Prozent der nationalen Bodenfläche aus. Für die Entwicklung von nicht-urbanen Gebieten gab es keine Bestimmungen bis Anfang der siebziger Jahre, als das überarbeitete Baugesetz Maßnahmen über Bauvorgänge außerhalb städtischer Zuständigkeit einführte. Im Jahre 1976 verfügte das Innenministerium Regelungen, um die Nutzung von nicht-urbanem Land gemäß Bodennutzungskategorien zu verwalten, darunter die Kategorien Wälder, Hanglagen, landschaftlich schöne Stellen und Nationalparks sowie Land für Landwirtschaft, gewerbliche Nutzung und Wohnhäuser. Im gleichen Jahr wurde das Gesetz über den Schutz und die Nutzung von Hangland verabschiedet, wobei „Hangland“ als Land mit einem Gefälle von 5 Prozent oder mehr definiert wurde. Gemäß diesem Gesetz sind Entwickler derzeit verpflichtet, Bodenschutzarbeit für jedes Projekt in Hanglagen durch Ackerbau-, Bewaldungs- und Bautechniken auszuführen. Seit der Verabschiedung des Boden- und Wasserschutzgesetzes im Jahre 1994 sind der COA und Lokalverwaltungen in der Lage, rechtlich gegen Verletzungen der Hanglagen-Verwaltungsbestimmungen vorzugehen.

Trotz der zahlreichen nun geltenden Bestimmungen lässt die Landentwicklung oft die Planungs- und Verwaltungsbemühungen der Regierung hinter sich. „In der Vergangenheit wurden Genehmigungen für Entwicklung größtenteils aufgrund von ökonomischen Erwägungen erteilt“, weiß CPA-Generaldirektor Yeh Shih-wen. „Sehr häufig tanzt Bodenverwaltung nach der Pfeife des gewerblichen Sektors.“ So verfügte beispielsweise im Jahre 1983 die Regierung die Verwaltungsmaßnahmen für Bebauung von Hanglagen, die unter anderem vorschreiben, dass alle neuen Bauprojekte einer grundlegenden Bewertung der Auswirkungen auf die Umwelt unterzogen werden und sie eine Genehmigung eines vom Innenministerium organisierten Planungsrates oder der jeweiligen Lokalverwaltung erhalten müssen, bevor die Bauarbeiten beginnen dürfen. Allerdings wurden viele Baugenehmigungen erteilt, bevor die neuen Bestimmungen in Kraft traten, so dass zahlreiche nach 1983 gebaute Projekte gemäß den viel lascheren Bauvorschriften von vor 1983 ausgeführt wurden.

Mit Ökotechnik sollen bei diesem Projekt im Landkreis Chiayi Flussufer geschützt werden, indem ein Beton-Rahmengebilde mit Steinen gefüllt wird. (Foto: Courtesy Boden- und Wasserschutzamt)

Eines dieser Projekte war Lincoln Mansions, ein Apartmentblock auf einem Hang in Xizhi (Landkreis Taipeh), der 1993 eröffnet worden war. Während des Taifuns „Winnie“ im August 1997 kippten vier Gebäude des Komplexes, als Stützmauern hinter der Anlage einbrachen. 28 Bewohner kamen ums Leben, über 70 Wohnungen wurden zerstört. Nachfolgende Ermittlungen kamen zu dem Ergebnis, dass der Vorfall typisch für Hanglagen-Überentwicklung war, und wie sich herausstellte, war der Komplex — ebenso wie der vom Erdrutsch heimgesuchte Autobahnabschnitt bei Keelung — auf einem Schichtneigungs-Hang angelegt worden. Tatsächlich befand die Staatsanwaltschaft, dass die Baufirma selbst die lockereren Vorschriften aus der Zeit vor 1983 nicht erfüllt hatte. Drei Spitzenmanager der Baufirma wurden der fachlichen Fahrlässigkeit schuldig gesprochen; Verfahren gegen Beamte der Kreisverwaltung Taipeh, die mit der Genehmigung des Projekts zu tun hatten, sind noch in Berufung.

Bei Lincoln Mansions hatte man fast 1000 Wohnungen auf ein Gelände von 5 Hektar Größe gequetscht. Im Kontrast dazu wurde bei einem benachbarten Wohnblock namens King Villas, der im Einklang mit den Verwaltungsmaßnahmen für Bebauung von Hanglagen errichtet worden war, für weniger als 700 Haushalte ein 21 Hektar großes Grundstück bebaut. Doch sogar King Villas und ähnliche Bauprojekte auf Hanglagen bleiben umstritten und wurden wegen Sicherheitsbedenken auf die Beobachtungsliste der Regierung gesetzt.

Die Katastrophe von Lincoln Mansions schreckte die Gesellschaft auf. Sowohl Staatsbeamte als auch die allgemeine Öffentlichkeit gelangten zu einer neuen, alarmierenden Einsicht über Hanglagenverwaltung und Wohnungssicherheit. „Nach der Lincoln Mansions-Tragödie wurde eine allgemeine Hanglagen-Studie durchgeführt“, erinnert Yeh sich. Das CPA überprüfte alle Projekte, die vor 1983 genehmigt worden waren, und arbeitete ein Verfahren aus, den Fortgang dieser Projekte und auch den Zustand bestehender Strukturen auf Hanglagen zu beobachten. 1998 wurde das maximal für Entwicklung zulässige Gefälle von 40 Prozent auf 30 Prozent vermindert. Die Regierung übernahm diesen strengeren Standard als Reaktion auf das wachsende Bewusstsein der Anwohner für Umweltsicherheit, aber auch um es leichter zu machen, Siedlungsbau zu überwachen, da es nun weniger in Frage kommende Stätten für Bebauung und Inspektion gab, angesichts des Personalmangels bei Bauaufsicht ein notwendiger Schritt. Nach dem Autobahn-Erdrutsch im April dieses Jahres führte das CPA eine allgemeine Bestandsaufnahme von über 400 Wohnkomplexen auf Hanglagen durch und listete 18 auf, die weitere Inspektion und sofortige Verbesserungen erforderten.

Yeh meint, das Nationale Bodenplanungsgesetz werde nach seiner Umsetzung dafür sorgen, dass Bodenverwaltung dem gewerblichen Sektor um einen Schritt voraus sei, indem einerseits die Nutzung von Boden im Land umfassend behandelt wird und andererseits die zuständigen Bodenbehörden integriert werden. Beispiel Flussverwaltung: Laut Yeh kann ein Fluss-Einzugsgebiet momentan von mehreren Behörden verwaltet werden, etwa dem COA, der staatlichen Stromgesellschaft Taiwan Power Co., dem Wasser-Versorgungsunternehmen Taiwan Water Corp. sowie lokalen Bewässerungsverbänden an den jeweiligen Flussabschnitten. „In Zukunft werden die unterschiedlichen Abschnitte eines Flusses allesamt zu ,Sonderregionen‘ erklärt und der Zuständigkeit einer Behörde der Zentralregierung unterstellt“, kündigt er an. Daneben soll das gesamte Staatsgebiet gemäß den Mustern von Landnutzung und natürlichen Ressourcen klar in vier größere Kategorien eingeteilt werden — geschütztes Land, Meeresgebiete, landwirtschaftliche Gebiete und Gebiete für Entwicklung.

Sediment-Dämme am Huashan-Fluss im südtaiwanischen Landkreis Yunlin. Diese Deiche sollen den Fluss von Geröll kontrollieren, ein Ökotechnik-Ansatz zur Flussregulierung. (Foto: Central News Agency)

Effizientere Verwaltung

„Bodenverwaltung in urbanen und nicht-urbanen Gebieten, die derzeit getrennt verwaltet werden, würde gemäß dem neuen Gesetz zusammengefasst“, bemerkt Yeh. Um die Verhandlungen zwischen privaten Landbesitzern und Pächtern von Staatsland, die von dem neuen Gesetz betroffen würden, zu erleichtern, soll ein Fonds mit schätzungsweise 100 Milliarden NT$ (2,439 Milliarden Euro) eingerichtet werden, mit dem dauerhafte Entwicklung unterstützt wird, hauptsächlich für den Rückkauf von Land zu Schutzzwecken.

Die ab 2012 vorgesehene Umstrukturierung der Zentralregierung wird ebenfalls dazu beitragen, Bodenverwaltung effizienter zu machen. Ein Ministerium für ökologische Ressourcen ist geplant, welches in dem Bereich die führende Autorität werden würde. Das vorgeschlagene Ministerium würde entsprechende Abteilungen umfassen, die derzeit zu anderen Ministerien gehören, etwa das Zentrale Wetteramt im Ministerium für Verkehr und Kommunikation und die CGS im Wirtschaftsministerium. „Wie bei geologischen Instituten in vielen anderen Ländern wandelt sich unsere Rolle von der Ortung von Bodenschätzen zur Förderung der Umweltsicherheit“, beschreibt Lin von der CGS und fügt hinzu, er freue sich, dass sein Institut eine stärkere ökologische Funktion erhalte. „Von unserem Wesen her stehen wir Geologen Umweltschutzbemühungen wohlwollend gegenüber.“

Trotz der Aussichten auf bessere Gesetze und eines stärker integrierten Verwaltungssystems ist die Entschlossenheit der politischen Entscheidungsträger von höchster Bedeutung, eine gesunde und dauerhafte Umwelt zu schaffen. „Wenn die grausamen [politischen] Ränke, die eine leichte Genehmigung von Landentwicklung zulassen, weitergehen, wird die Verabschiedung eines Nationalen Bodenplanungsgesetzes wenig bringen“, warnt Liao Pen-chuan, Dozent an der Abteilung für Immobilien und bebaute Umwelt der National Taipei University. Der Gelehrte, Vorstandsmitglied der nichtstaatlichen Taiwan-Akademie für Ökologie, verweist auf Vorschläge für mehrere große industrielle Entwicklungsprojekte, die zur Zeit dem Exekutiv-Yuan (行政院), also dem Regierungskabinett oder Ministerrat der Republik China, zur Überprüfung vorliegen, darunter eine umstrittene petrochemische Anlage an der Küste des zentraltaiwanischen Landkreises Changhua. Die Regierung müsse sich entscheiden, ob sie ein guter Freund von Umweltgruppen und normalen Bürgern sein oder die Großunternehmen und Konglomerate unterstützen wolle, die darauf brennen, Land zur industriellen Nutzung zu entwickeln, sinniert er.

Unterdessen lobt Huang Ming-yao vom Boden- und Wasserschutzamt die Bemühungen von Anwohnern in Gemeinden, wo das Amt seine Ökotechnik-Projekte durchführt. Viele der Arbeitskräfte in den Projekten kommen aus Gebieten vor Ort, was zur Gemeindeentwicklung beiträgt. Infolgedessen sind die Anwohner besser gewappnet und daher sicherer, sollte etwas passieren, so Huang. Außerdem wurden über 800 Freiwillige in Gemeinden mit erhöhtem Risiko ausgebildet, dabei zu helfen, Erdrutsche zu beobachten und zu melden und bei Bedarf bei der Evakuierung Beistand zu leisten. „Sie bilden eine örtliche Selbstschutzmacht“, lobt Huang. „Wer weiß letzten Endes schon, wann genau sich ein Taifun oder ein Erdbeben ereignen wird?“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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