25.04.2025

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Prägende Gedankengebäude

01.05.2010
Der Konfuzianismus geht auf den Philosophen Kong Qiu (551-479 v. Chr.) zurück und prägt den chinesischen Kulturkreis bis heute maßgeblich. (Archivfoto)
Im Zusammenhang mit chinesischem Denken stößt man zwar immer wieder auf die großen Philosophenschulen Konfuzianismus (rujia 儒家) und Daoismus (daojiao 道教), doch im Westen können sich viele Menschen darunter nichts Genaues vorstellen. Grundsätzlich sollte vorab klargestellt werden, dass es sich beim Konfuzianismus nicht um eine Religion im Sinne von Verehrung des Göttlichen oder Abhängigkeitsgefühl vom Göttlichen handelt, er ist vielmehr eine praktische Weltanschauung mit Lehren über soziale Ethik, Hierarchie in Staat, Gesellschaft und Familie usw. Der Daoismus (auch Taoismus genannt) wiederum war in seinen Anfängen eine über das Wesen der Natur und des Universums spekulierende Philosophie, im heutigen Taiwan tritt er jedoch überwiegend in der Form einer volkstümlichen Religion in Erscheinung.

Konfuzianismus

Urheber des Konfuzianismus war ohne Zweifel Kong Qiu (孔丘, 551-479 v. Chr.), dessen Name viel später von jesuitischen Missionaren zu „Confucius“ (Kong fuzi 孔夫子, zu Deutsch: Meister Kong) latinisiert wurde. Den historischen Quellen zufolge hatte Kong Qiu zahlreiche Schüler und wird seit Jahrhunderten als Vater aller Lehrer verehrt; bis heute wird sein Geburtstag alljährlich am 28. September mit Zeremonien in Konfuziustempeln gefeiert. Zu Kongs Lebzeiten befand sich die Macht des Herrscherhauses der Zhou-Dynastie (ca. 1050-221 v. Chr.) bereits im Niedergang, und Kong Qiu wertete die Frühphase jener Dynastie unter den Königen Wen (Wen wang 文王) und Wu (Wu wang 武王) und dem Herzog von Zhou (Zhou gong 周公) als ideale Ordnung. Er vertrat die Ansicht, der ideale Herrscher oder zumindest dessen Berater sollten „Edle“ (junzi 君子) voller Tugend mit einem aufrechten Charakter sein. Dieses Konzept war damals äußerst fortschrittlich, ja geradezu revolutionär, da es Moral, Pflicht und Verantwortlichkeit als Maßstäbe für Politik einführte.

Für Kong Qiu war die Ausübung der althergebrachten Rituale (li 禮) wie etwa Ahnenverehrung der einzige Weg für den Menschen, ein Edler zu werden, Kultiviertheit und innere Disziplin zu erwerben sowie von den fünf Tugenden Nächstenliebe (ren 仁), Rechtschaffenheit (yi 義), Treue (zhong 忠), Aufrichtigkeit (zhi 直) und Uneigennützigkeit (shu 恕) durchdrungen zu werden. (Andere Quellen nennen als fünf konfuzianische Kardinaltugenden neben Nächstenliebe und Rechtschaffenheit noch Anstand [li 禮], Weisheit [zhi 智] und Vertrauenswürdigkeit [xin 信].) Mit seiner Forderung nach dem Recht der Gelehrten, dem Herrscher Ratschläge zu geben, legte Kong Qiu den Grundstein für die spätere Rekrutierung der Verwaltung mittels staatlichen Beamtenexamina, einem System, das den politischen Alltag Chinas über viele Jahrhunderte hinweg bestimmte und in seiner Effektivität bis ins 20. Jahrhundert erhalten blieb.

Eine wichtige Stätte zur Huldigung des Weisen ist der Konfuziustempel in Taipeh. (Foto: Tilman ARETZ)

Ein weiteres wichtiges Element in Kongs Lehren war sein Konzept von sozialer Hierarchie, das er auf den Begriff dao (道) zurückführte, der auch im Mittelpunkt des Daoismus steht. „Dao“ bedeutet im engeren Sinne „Weg“ oder „Bahn“ und kann im weiteren Sinne als Urprinzip der Natur oder Universalgesetz interpretiert werden. Da sich Sonne, Mond und Sterne gemäß dem dao bewegten (mit anderen Worten, vorgegebenen Bahnen folgten), sollten auch die Menschen im Einklang mit dem dao leben. Die Ordnung von Himmel und Natur sollte sich in der menschlichen Gesellschaft, in Staat und Familie widerspiegeln. Eine harmonische Gesellschaft war für Kong Qiu eine hierarchisch geordnete Gesellschaft, und beispielsweise in großen Familien sollten mit Ritualen die unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Individuen organisiert und geregelt werden. Den Gelehrten kam dabei eine wichtige Rolle zu, weil sie in der Durchführung der Rituale spezialisiert waren.

Im Staat sollten die gleichen Hierarchieprinzipien angewandt werden wie in der Familie. Die jeder Person zugedachte Rolle in der Ordnung war mit bestimmten Pflichten und Verantwortlichkeiten verbunden, und in dem patriarchalischen System sollte der Herrscher als Vater der Gesellschaft und Sohn des Himmels (tianzi 天子) an der Spitze des Staates stehen. Insgesamt kennt der Konfuzianismus fünf zwischenmenschliche Grundbeziehungen (wulun 五倫) — zwischen Vater und Sohn, Herrscher und Untertan, Ehemann und Ehefrau, älteren und jüngeren Geschwistern sowie zwischen Freunden, wobei lediglich die Beziehungen zwischen Freunden auch nicht-hierarchisch sein können.

Das Gedankengebäude des Konfuzianismus beschränkt sich allerdings nicht allein auf die Lehren des Kong Qiu. Kongs Philosophie wurde von späteren Denkern weiterentwickelt und verändert, unter denen zuallererst Meng Ke (孟軻, 372-289 v. Chr.) zu nennen ist, dessen Name von jesuitischen Missionaren später zu „Mencius“ latinisiert wurde. Während Kong Qiu sich über die Beschaffenheit der menschlichen Natur keine Gedanken gemacht hatte, ging Meng Ke davon aus, dass die menschliche Natur gut sei (ren zhi xing shan 人之性善), und Erziehung war für ihn der Schlüssel zur Entwicklung der angeborenen Gutartigkeit. Ebenso wie Kong Qiu war Meng Ke von der Notwendigkeit der ethischen Überlegenheit des Herrschers überzeugt, doch Meng erweiterte den Gedankengang um ein wesentliches Element, nämlich dass dem tugendhaften Herrscher die Macht durch ein „Mandat des Himmels“ (tian ming 天命) gegeben sei und einem unmoralischen Herrscher dieses Mandat automatisch wieder entzogen würde, so dass der Sturz dieses Herrschers unvermeidlich sei. Der für den Entzug des Himmelsmandats benutzte Begriff, geming (革命), bedeutet in der modernen chinesischen Umgangssprache nicht weniger als „Revolution“.

Die maßgeblichen konfuzianischen Schriften sind die Fünf Klassiker (wujing 五經): Buch der Lieder (Shi jing 詩經), Buch der Dokumente (Shu jing 書經), Buch der Wandlungen (Yi jing 易經), Frühlings- und Herbstannalen (Chun qiu 春秋), Buch der Riten (Li ji 禮記) — sowie die Vier Bücher (sishu 四書): Gespräche (Lun Yu 論語), Mengzi (孟子), Großes Lernen (Da xue 大學), Maß und Mitte (Zhong yong 中庸).

Jedes Jahr am 28. September finden anlässlich des Geburtstages von Konfuzius im Konfuziustempel in Taipeh feierliche Zeremonien statt. (Foto: Huang Chung-hsin)

Legalismus

Ausgehend vom Konfuzianismus trat nicht lange nach Meng Kes Lebzeiten eine neue philosophische Richtung in Erscheinung. Der Legalismus (fajia 法家), dessen theoretische Grundlage überwiegend auf Schriften von Xun Kuang (荀況, ca. 300-237 v. Chr.) sowie seinen Schülern Li Si (李斯, ca. 280-208 v. Chr.) und Han Fei (韓非, ca. 280-233 v. Chr.) beruht, unterschied sich indes in einem entscheidenden Punkt von Meng Kes Interpretation des Konfuzianismus und propagierte bei der praktischen Anwendung als Staatsphilosophie eine fundamental andersartige Doktrin. Nach Xun Kuangs Überzeugung war die Natur des Menschen böse (ren zhi xing e 人之性惡), und einen guten Charakter könne man nur durch rigoroses Studium heranbilden. Xun Kuang empfahl eine starke, autoritäre Regierung und die Durchführung althergebrachter Rituale, um die klar gezogenen sozialen Grenzen und die strenge hierarchische Ordnung in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Han Fei hielt ein System aus Gesetzen und drakonischen Strafen für notwendig, um Verbrechen zu stoppen und zu verhüten, und die Begriffe shi (勢, zu Deutsch Autorität oder Macht), fa (法, Gesetze und Bestimmungen) und shu (術, Methode politischen Handelns) bildeten den Kern seines Konzept politischer Führung. Gerade bei der Frage der Strafen war das Kalkül der Legalisten, quasi die Strafen durch die Strafen abzuschaffen, da die Menschen ihrer Gehorsamspflicht aus Angst um Leib und Leben nachkommen würden und die Anwendung der Strafen sich somit erübrigte.

Im Staat Qin (秦), der im Jahre 221 v. Chr. die letzten rivalisierenden Staaten unterwarf und damit den ersten chinesischen Zentralstaat verwirklichte, wurde die Theorie des Legalismus in die Praxis umgesetzt. Gleichzeitig wurden die nicht-legalistischen Anhänger des Konfuzianismus Opfer einer unerbittlichen, grausamen Verfolgungs- und Vernichtungskampagne. Li Si, der in der Qin-Dynastie (221-207 v. Chr.) das Amt des Kanzlers ausübte, organisierte im Jahr 213 v. Chr. die berüchtigte Bücherverbrennung, bei der unter anderem das Buch der Lieder und das Buch der Wandlungen dem Feuer überantwortet wurden. Viele konfuzianische Gegner des Legalismus bezahlten ihre Überzeugungen mit dem Leben, manche wurden gar lebendig begraben.

In späteren Zeiten wurde der Legalismus zwar von der konfuzianischen Hauptströmung verdammt, trotzdem lässt sich sein Einfluss im Laufe der chinesischen Geschichte kaum überschätzen, da die autoritären Herrschaftsformen im kaiserlichen China unbestreitbar den Geist des Legalismus manifestierten.

Der Daoismus, ursprünglich eine Philosophenschule des alten China, tritt in Taiwan heutzutage überwiegend in der Form einer volkstümlichen Religion in Erscheinung, die in Andachtsstätten wie dem Baoan-Tempel in Taipeh praktiziert wird. (Foto: Tilman ARETZ)

Neo-Konfuzianismus

Die Renaissance des Konfuzianismus in der Form des Neo-Konfuzianismus (lixue 理學) begann in der Tang-Dynastie (618-907) und war in erster Linie eine Gegenbewegung, die sich gegen den damals in China dominierenden Buddhismus (fojiao 佛教) wandte. Als die Han-Dynastie (207 v. Chr. bis 220 n. Chr.), die sich an die kurze Qin-Dynastie angeschlossen hatte, zerfiel, folgte eine über dreieinhalb Jahrhunderte lange Zeit der Wirren und staatlichen Zerrissenheit, während der aus Indien der Buddhismus nach China kam und dort zur vorherrschenden Geistesrichtung wurde. Denker wie Han Yu (韓愈, 768-824) und Li Ao (李翱, 772-836) trachteten danach, das Hauptaugenmerk der Gelehrten wieder auf den Konfuzianismus zu lenken, und griffen den Buddhismus in ihren Schriften leidenschaftlich an. Zur vollen Blüte kam der Neo-Konfuzianismus in der Song-Dynastie (960-1279).

Andererseits ist der Einfluss des Buddhismus auf die neo-konfuzianischen Philosophen unverkennbar. Zwar glaubten die Konfuzianer nicht an ein Jenseits, an Wiedergeburt oder Karma, doch die Betrachtungen der Neo-Konfuzianer über das Verhältnis zwischen Individuum und Kosmos gehen auf buddhistisches Denken zurück, und Spekulationen über den Ursprung des Universums, die bei den alten Konfuzianern keine Rolle gespielt hatten, sind ein kennzeichnendes Merkmal des Neo-Konfuzianismus.

Die kosmologischen Theorien von Philosophen wie Shao Yong (邵雍, 1011-1077) und Zhou Dunyi (周敦頤, 1017-1073) kreisten um die Begriffe taiji (太極, zu Deutsch: höchstes Prinzip), yin (陰) und yang (陽), li (理, nicht-materielles Grundprinzip in allen Dingen) und qi (氣, materielle Lebenskraft aller Dinge). Nach ihrer Überzeugung war der Anfang aller Dinge die Aktivität (dong 動) des taiji, die yang erzeugte, und Passivität (jing 靜) des taiji erzeugte yin. Interaktion und Umwandlung des yin und yang schufen die Fünf Elemente (wuxing 五行), aus denen wiederum alle Dinge der Welt (wanwu 萬物) entstanden.

Nicht weniger hochtheoretisch waren die Schriften der Brüder Cheng Hao (程顥, 1032-1085) und Cheng Yi (程頤, 1033-1107), die sich über das Wesen von li und qi ergingen und über das Verhältnis zwischen li und xing (性, zu Deutsch Natur des Menschen) grübelten. Zhang Zai (張載, 1020-1077) wiederum sann darüber nach, ob das li oder das qi höher einzuschätzen sei — die Materie qi war der Grundbestandteil des Universums, und ohne qi könne es kein ordnendes Prinzip li geben, doch nur dank li könne qi endlose Formen annehmen. Die Neo-Konfuzianer machten qi verantwortlich für die leiblichen Versuchungen, welche die menschliche Natur verderben konnten, daher sei es für die Menschen notwendig, sich selbst im Einklang mit dem kosmischen Prinzip li zu kultivieren. Da die Natur des Menschen an sich gut sei, habe das Böse nur entstehen können, weil die Menschen einen Körper (also qi) hätten.

Ein Altar im Baoan-Tempel. (Foto: Tilman ARETZ)

Im 12. Jahrhundert studierte der Philosoph Zhu Xi (朱熹, 1130-1200) die Lehren des Konfuzius sowie die konfuzianischen Schriften der Zhou- und Song-Dynastie und fasste ihre Theorien zu dem zusammen, was seitdem als Neo-Konfuzianismus definiert wird. Hinsichtlich li und qi glaubte Zhu, dass sie alle Dinge formten. Die menschliche Natur hielt auch er für gut, Leidenschaften konnten gut oder schlecht sein. Zhus ausführliche Kommentare über die konfuzianischen Klassiker standen jahrhundertelang als Standardtexte auf den Lehrplänen.

Daoismus

Der Daoismus, der erheblich älter ist als der Konfuzianismus, hat seine Wurzeln im Schamanismus der Shang-Zeit (ca. 1500 bis 1000 v. Chr.) und in den Praktiken frühzeitlicher Medizinmänner. Die beiden bedeutendsten erhaltenen daoistischen Schriften sind das Laozi Daodejing (老子道德經) und das Buch Zhuangzi (莊子). Über ihre Verfasser gibt es keine gesicherten Informationen, wohl auch weil sie keinen Wert darauf legten, Amt und Würden zu erlangen oder in die Geschichte einzugehen. Ob eine Person namens Laozi überhaupt jemals existiert hat, ist unter Historikern bis heute umstritten und wird wohl zweifelsfrei nicht mehr geklärt werden können. Das Laozi Daodejing lässt sich aus diesem Grund nicht genau datieren. Es ist mit rund 5000 Schriftzeichen relativ kurz, inhaltlich vage und in 81 Kapitel unterteilt. In dem Buch wird der Versuch unternommen, die Begriffe dao und de (德, zu Deutsch eigentlich Tugend, wird von den Daoisten aber eher als „Wirkkraft des dao“ verstanden) zu klären, und als ideale daoistische Lebensgemeinschaft wird ein autarker, autonomer Kleinstaat beschrieben. Das Buch Zhuangzi ist ein literarisches Meisterwerk und wird dem Dichter Zhuang Zhou (莊周, 369-286 v. Chr.) zugeschrieben. Besonders bemerkenswert ist die Gleichgültigkeit der Daoisten dem Tod gegenüber (im Bewusstsein, dass Tod und Leben wie yin und yang zwei einander zyklisch ablösende Wandlungsphasen seien), die Vorstellung vom stillen, selbstvergessenen Glück in der Unkenntnis und das Gefühl der Unwirklichkeit in der Empfindung gegenüber der Realität, die darin zum Ausdruck kommen.

Hauptziel der Daoisten war es, im Einklang mit der Natur und ihrem Urprinzip dao zu leben. Anders als die Konfuzianer zogen die Daoisten sich von der Gesellschaft zurück, lebten bevorzugt in der Natur und unternahmen gemäß dem Konzept des wuwei (無為, zu Deutsch etwa nicht-absichtsvolles Handeln) keine Handlungen, die in ihren Augen dem dao zuwiderliefen. In gewisser Weise waren die Daoisten entschiedene Individualisten, denen akademische Bildung nichts galt und welche die konfuzianischen Rituale verachteten. Für sie war der Zwang zur Anpassung an die Gesellschaft und die Unterordnung unter Gesetze die Quelle allen Übels und des Verbrechens in der Welt, weil die Rituale und Gesetze im Widerspruch zum dao und der Natur des Menschen stünden und den Versuch darstellten, die Natur zu verändern oder zu verbessern, was Chaos und Zerstörung der Harmonie zur Folge hätte. In der Praxis bemühten sich die Daoisten um Verlängerung des Lebens und körperliches Wohlergehen.

Wie lebendig der Daoismus als Volksreligion im heutigen Taiwan ist, erkennt man am Gedränge der Andächtigen im Hsingtien-Tempel in Taipeh. (Foto: Chang Su-ching)

Bedeutung von Konfuzianismus und Daoismus heute

Der Konfuzianismus hat bis heute in vielfältiger Weise einen prägenden Einfluss auf die chinesischen Gesellschaften und Gemeinschaften in der Welt. Das Konzept der hierarchischen Ordnung von Familie, Gesellschaft und Staat etwa äußert sich darin, dass man sich in Firmen, Institutionen und Behörden meist mit dem offiziellen Titel anspricht und nicht mit dem Familiennamen, und ältere bzw. „höherrangige“ Verwandte (Großeltern, Onkel und Tanten, ältere Geschwister, ältere Vettern und Kusinen) werden nach dem gleichen Prinzip mit dem Verwandtschaftsgrad angesprochen und nicht mit dem Vornamen. Die Verehrung der Gelehrsamkeit führte dazu, dass akademische Bildung, auch wenn sie theoretisch und praxisfern ist, unverhältnismäßig höheres Ansehen genießt als praktische Fertigkeiten und Berufe wie Handwerk. Lehrern aller Schulstufen und –arten wird allgemein deutlich mehr Respekt und aufrichtige Ehrerbietung entgegengebracht als im Westen.

Die moderne und demokratische Gesellschaft Taiwans mit ihrer von konfuzianischen Werten durchdrungenen Kultur ist überdies der lebendige Beweis dafür, dass Konfuzianismus und Demokratie einander nicht ausschließen. Kein Geringerer als Lee Teng-hui (李登輝), zwischen 1988 und 2000 Staatspräsident der Republik China, charakterisierte das Verhältnis zwischen Konfuzianismus und Demokratie in einem 1999 veröffentlichten Artikel in Harvard International Review folgendermaßen: „Als positive Form des Humanismus ergänzen und unterstützen konfuzianisches Denken und Demokratie einander.“

Im heutigen Taiwan tritt der Daoismus eher als polytheistische Religion und weniger als Philosophie in Erscheinung, doch weist diese Religion kein einheitliches oder geschlossenes System mit verbindlichen Lehrsätzen auf und ist daher nur schwer zu beschreiben. In zahllosen Tempeln im ganzen Land werden volkstümliche Gottheiten wie der Erdgott (tudigong 土地公), der Medizingott (baosheng dadi 保生大帝) und viele andere verehrt, allerdings sind die Grenzen zwischen Daoismus und Taiwans volkstümlichen Religionen und Glaubensvorstellungen (minjian xinyang 民間信仰) unscharf.

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