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Taiwan Today

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Wo alter und neuer Glaube sich treffen

01.03.2010
Der Lungshan-Tempel in Taipeh beherbergt buddhistische, taoistische und volkstümliche Gottheiten, lockt daneben aber auch noch Touristen aus dem In- und Ausland an. (Foto: Chang Su-ching)
Die Gläubigen legen Lebensmittel als Opfergaben auf einen Altar und bezeugen damit ihre Lauterkeit, verbeugen sich dann mehrmals vor der Götterstatue, glimmende Räucherstäbchen in den gefalteten Händen. Nach gemurmelten Gebeten, in denen sie um göttliche Führung bitten, werfen sie ein Paar mondsichelförmige Holzklötzchen zu Boden, um die Antwort der Götter herauszufinden. Nach Abschluss dieser Rituale vollziehen sie einen Rundgang vorbei an allen Hauptschreinen und Gottheiten im Tempel, werfen ihre Räucherstäbchen in Räucherbecken und schieben stapelweise Geistergeld aus grobem gelben Papier in große kaminartige Öfen, die im Hof oder draußen vor dem Tempel stehen.

Dies ist ein gewohnter Anblick im altehrwürdigen Lungshan-Tempel in Taipeh, in dem buddhistische, taoistische und volkstümliche Gottheiten beherbergt sind. Überhaupt ist Taiwan ein Schmelztiegel der Religionen und absorbierte Einflüsse aus dem chinesischen Kulturerbe, von europäischen und japanischen Kolonialisten und Glaubensrichtungen aus anderen Teilen der Welt. Im Laufe der Jahrhunderte nahm Taiwans religiöses Umfeld die Form einer synkretistischen, bunten Collage an.

Fast alle Erwachsenen in Taiwan, selbst die rund 21 Prozent der Gesellschaft, die sich selbst nicht als religiös betrachten, vollziehen religiöse Aktivitäten der einen oder anderen Art entsprechend einer oder mehrerer religiöser Traditionen. Das ergab die Studie über gesellschaftlichen Wandel in Taiwan 2004 (Taiwan Social Change Survey, TSCS), die seit 1984 alle fünf Jahre von der Academia Sinica im Auftrag des Nationalen Wissenschaftsrats (National Science Council, NSC) durchgeführt wird. Die TSCS befand außerdem, dass über 90 Prozent der befragten Erwachsenen im Jahre 2004 einen Tempel, einen Schrein oder eine Kirche besucht hatten, und fast 30 Prozent der Befragten suchten solche Andachtsstätten mindestens ein Mal im Monat auf. Daneben brachte eine Studie von Taiwans Innenministerium an den Tag, dass es in Taiwan Ende 2008 insgesamt 14 993 Tempel, Kirchen und Moscheen gab.

Religiöse Bräuche haben Taiwans Gesellschaft so sehr durchdrungen, dass es ein normaler Anblick ist, wenn Wohnstätten und Geschäfte mit beleuchteten Altären und brennendem Räucherwerk ausgestattet sind, um eine Gottheit oder einen Ahnen zu ehren. Bevor Kinder an einer Schul-Aufnahmeprüfung teilnehmen, besuchen ihre Eltern mit ihnen oft einen Tempel, um für ein gutes Gelingen zu beten und göttliche Führung zu erheischen, und viele Kraftfahrer schmücken ihr Fahrzeug mit Talismanen und religiösen Texten, die sie vor Unfällen schützen sollen.

Die religiöse Textur von Taiwans Gesellschaft wird größtenteils vom Buddhismus, Taoismus und von traditionellen volkstümlichen Glaubensvorstellungen dominiert. Die TSCS von der Academia Sinica stützt sich auf eine Befragung von 1881 Einzelpersonen und soll eine repräsentative Stichprobe von Taiwans aus 23 Millionen Menschen bestehender Bevölkerung bieten. TSCS aus dem Jahr 2008 zeigte, dass 30,6 Prozent der befragten Erwachsenen an eine oder mehr Volksreligionen glaubten, 23,9 Prozent bezeichneten sich selbst als Buddhisten, 15,3 Prozent als Taoisten, 3,2 Prozent als Protestanten und 2 Prozent als I-Kuan-Taoisten. Die Studie lässt den Schluss zu, dass trotz Taiwans erstaunlichem Wandel in den vergangenen Jahrzehnten von einer überwiegend ländlichen, landwirtschaftlichen Volkswirtschaft zu einem modernen Industriestaat traditionelle Volksreligionen weiterhin gedeihen, wie man an den allgegenwärtigen Tempeln und örtlichen Schreinen auf der ganzen Insel sehen kann. Viele von denen, die Praktiken volkstümlicher Religionen vollziehen, betrachten sich selbst gleichzeitig als Taoisten und Buddhisten.

Statistiken des Innenministeriums aus dem Jahr 2008 waren gezielter als die Studien der Academia Sinica und konzentrierten sich auf Jene, die ihren Glauben regelmäßig praktizieren. Die Zahlen deuten darauf hin, dass Ende 2008 annähernd 1,54 Millionen Menschen in Taiwan (weniger als 7 Prozent der Gesamtbevölkerung) ihren Glauben regelmäßig praktizierten. Von diesen Gläubigen waren 50,8 Prozent Taoisten, 25,3 Prozent Protestanten, 11,1 Prozent Katholiken und 10,7 Prozent Buddhisten.

Besucher im bekannten Hsing Tien Kung in Taipeh, wo taoistische, buddhistische und konfuzianische Gottheiten verehrt werden. (Foto: Chang Su-ching)

Die Studie des Innenministeriums über religiös Gläubige wandte zudem strenge Definitionen für Mitglieder unterschiedlicher Glaubensrichtungen an. „In Taiwan sehen sich viele Anhänger der Volksreligionen auch als Buddhisten“, weiß Johnny Chang, Vizepräsident des Taiwan-Verbandes für Religionsstudien und Professor an der Abteilung für Religionskultur und Organisationsverwaltung an der Aletheia University in Danshui (Landkreis Taipeh). „Doch nach Auskunft buddhistischer Organisationen muss man sich einem religiösen Ritual unterziehen, einer religiösen Umwandlung, um ein echter Buddhist zu werden.“

Die maßgeblichen Ereignisse, die Taiwans religiöse Landschaft prägten, reichen zurück ins 17. Jahrhundert, als Han-chinesische Zuwanderer aus Südostchina auf die Insel übersiedelten und Buddhismus, Taoismus und traditionelle chinesische volkstümliche Glaubensvorstellungen mitbrachten. Etwa zur gleichen Zeit traf auch das Christentum mit der Ankunft von niederländischen und spanischen Missionaren ein. Das nächste große Ereignis kam 1949, als sich die Regierung der Republik China nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen die chinesischen Kommunisten nach Taiwan zurückzog. Der Zustrom von über einer Million Soldaten und Zivilisten aus Festlandchina bereicherte Taiwans religiöse Kultur weiter, indem noch mehr chinesische Volksreligionen ins Land kamen und die Anhänger westlicher Religionen zahlenmäßig zunahmen. Der damalige Staatspräsident Chiang Kai-shek (蔣介石, 1887-1975) etwa stammte aus der festlandchinesischen Provinz Zhejiang und war 1929 methodistisch getauft worden.

Die Verfassung der Republik China garantiert Religionsfreiheit als Recht aller Menschen, und keine Religion erhält besondere Privilegien von der Regierung. Allerdings war das Verhältnis zwischen Staat und Religion während der Periode des Kriegsrechts (1949-1987) auf der Insel nicht immer ungetrübt harmonisch. Infolge von Angst vor Spionage durch chinesische Kommunisten und Befürchtungen, es könne Revolten gegen die Staatsgewalt geben, wandte die Regierung Zwangsmaßnahmen gegen jede angebliche „Bedrohung“ der gesellschaftlichen Ordnung an, einschließlich Beschränkungen für organisierte Religionen und Verhaftungen von manchen Gläubigen.

In jener Phase mussten Tempel sich als buddhistisch oder taoistisch registrieren lassen, damit sie legal betrieben werden konnten. Diese Entwicklung brachte I-Kuan Tao in die Zwickmühle — I-Kuan Tao ist eine synkretistische Religion, die im 17. Jahrhundert in Festlandchina entstand und versucht, die gemeinsamen Prinzipien von Taoismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Christentum und Islam zu finden. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen Anhänger von I-Kuan Tao vom Festland nach Taiwan, um hier für ihren Glauben zu werben. Dank der Übereinstimmungen mit örtlichen volkstümlichen Glaubensvorstellungen gewann I-Kuan Tao bald beträchtlichen Zulauf, besonders von Intellektuellen, Angestellten im öffentlichen Dienst und sogar Stadträten. „Das rasante Wachstum von I-Kuan Tao und die Fähigkeit, große Menschenmengen anzulocken, wurde von der Regierung, welche die gesellschaftliche Stabilität mit dem Kriegsrecht aufrechtzuerhalten suchte, indes als potenzielle Bedrohung empfunden“, analysiert Chiu Hei-yuan, Wissenschaftler am Soziologie-Institut der Academia Sinica. „Infolgedessen wurden I-Kuan Tao-Gruppen gezwungen, sich entweder im Geheimen zu entwickeln oder durch Beitritt zur Taoismusgesellschaft der Republik China Zuflucht zu suchen, bevor sie Ende der achtziger Jahre legalisiert wurden.“

Kühne Äußerungen

Für die Presbyterianische Kirche in Taiwan war während des Kriegsrechts ebenfalls nicht alles eitel Sonnenschein. „Die Presbyterianische Kirche nahm bei der Äußerung politischer und sozialer Sorgen kein Blatt vor den Mund und veröffentlichte dazu formale Mitteilungen und hielt öffentliche Veranstaltungen ab, wie man in der Unterstützung für das Recht der Taiwaner, ihre eigene Zukunft zu bestimmen, ablesen kann“, fügt Chiu hinzu. „Dies widersprach krass der Politik der von der Nationalen Volkspartei (Kuomintang, KMT) geführten Regierung gegen Taiwans Unabhängigkeit.“ Im Jahre 1980 wurden manche presbyterianischen Führer verhaftet und beschuldigt, „Kriminellen“ im Zusammenhang mit dem Kaohsiung-Zwischenfall — unter jenem Namen ging eine Demonstration, die Oppositionsgruppen im Dezember 1979 organisiert hatten und bei der Unruhen aufloderten, in der südtaiwanischen Stadt Kaohsiung in die Geschichte ein — Unterschlupf gewährt zu haben.

Als die Demokratisierungsbewegung in den achtziger Jahren in Schwung kam, wurde es für religiöse Verbände möglich, eine größere Rolle als zuvor zu spielen. „Politik und Religion hingen damals eng miteinander zusammen“, verrät Johnny Chang. „Einerseits begünstigte ein offeneres politisches Klima die normale Entwicklung religiöser Gruppen, und sie mussten sich keine Sorgen mehr machen, von der Regierung verfolgt zu werden, solange sie legal funktionierten. Andererseits besuchten Kandidaten aller Parteien wegen der wachsenden Popularität mancher der neu in Erscheinung getretenen Religionen während Wahlkämpfen ohne Zögern Tempel und Kirchen, zündeten Räucherstäbchen an und schüttelten die Hände religiöser Führer mit der offenkundigen Absicht, ihre Unterstützung zu gewinnen.“

Der im vergangenen Jahr verstorbene Meister Sheng Yen (links) vom buddhistischen Kloster Dharma Drum Mountain und Kardinal Paul Shan Kuo-hsi tauschten im Juni 2008 bei einem Seminar von der National Chengchi University in Taipeh Meinungen aus. (Foto: Chang Su-ching)

Die Entwicklung von Religionen trat in ein neues Stadium ein, als das Kriegsrecht im Juli 1987 aufgehoben wurde, und die Revision des Gesetzes über zivile Organisationen im Jahre 1989 bot mehr religiösen Organisationen Kanäle für legalen Betrieb. Seitdem haben religiöse Organisationen, die zuvor verboten waren oder sich an andere Religionen anschließen mussten, sich um Anerkennung durch das Innenministerium bemüht und diese auch erhalten. 1988 hatten sich lediglich 17 religiöse Verbände mit Erfolg beim Innenministerium registrieren lassen, doch bis Ende September 2009 war diese Zahl auf 788 emporgeschnellt.

Die Aufhebung des Kriegsrechts und die Neufassung des Gesetzes über zivile Organisationen führten auch zur Einführung neuer Formen religiöser Aktivitäten, von denen manche eine große Zahl von Teilnehmern anlockten, und aus vorhandenen Religionen entstanden neue Sekten. Buddhistische Meditation wird immer beliebter, besonders in der Mittelschicht. Manche religiöse Gruppen schöpfen zum Anwerben neuer Mitglieder, Stärken des Glaubens ihrer Mitglieder und Werbung für kulturelle, pädagogische und humanitäre Aktivitäten die Möglichkeiten der Massenmedien voll aus. Anhänger können sich im Rahmen der Gesetze frei versammeln, Andacht halten und ihren Glauben verbreiten. Kurz gesagt, die Menschen in Taiwan erfreuen sich heute vollkommener Religionsfreiheit, was aufs Neue im Bericht über Internationale Religionsfreiheit 2009 des US-Außenministeriums bestätigt wurde, laut dem Taiwans „Verfassung Religionsfreiheit gewährleistet, und andere Gesetze und politische Maßnahmen tragen zur allgemein freien Ausübung von Religionen bei“.

Andererseits ging es manchen Religionen, die in der Periode des Kriegsrechts eine Blütezeit erlebten, hinterher nicht mehr so gut wie zuvor. Das Christentum ist eine der traditionellen Religionen, deren Entwicklung in den neunziger Jahren mit Schwierigkeiten konfrontiert war. „Es ist eine ,ausländische‘ Religion, deren Lehren manchmal im Widerspruch zu einheimischen Traditionen und Gebräuchen stehen“, begründet Chang. „Beispielsweise ist Ahnenverehrung bei Christen ,nicht gestattet‘, was die Werbung neuer Anhänger erschwert.“

Der Niedergang des Buddhismusverbandes der Republik China ist ein weiteres deutliches Beispiel für die Verbindungen zwischen Politik und sozialen Veränderungen. „Während der Periode des Kriegsrechts monopolisierte diese Organisation buddhistische Angelegenheiten, doch wegen ihrer konservativen Methode beim Werben für Buddhismus ließ ihr Einfluss jäh nach“, berichtet Chang.

Zunehmender Einfluss

Der Buddhismus selbst bleibt indes eine starke Kraft, da der Einfluss mancher neu gegründeter Organisationen rasch zunahm. Meister Cheng Yen (證嚴) wurde berühmt als Gründer der Buddhistischen Wohlfahrtsstiftung Tzu Chi, die Krankenhäuser betreibt und verschiedene Programme für Bedürftige unterhält. Meister Hsing Yun (星雲) und der im vergangenen Jahr verstorbene Meister Sheng Yen (聖嚴) traten jeweils als Gründer des Fo Guang Shan bzw. des Dharma Drum Mountain in Erscheinung, zwei bekannte Klöster mit Zugkraft.

„Sie haben mit Erfolg das Charisma ihrer Führer mit Mitgefühl verschmolzen, deswegen verehren ihre Anhänger sie wie Fans“, erläutert Chang die Gründe für den Aufstieg dieser buddhistischen Gruppen. „Außerdem legen diese Organisationen größeres Gewicht auf das Vollbringen guter Taten und weniger auf das Studium der Schriften, und ihre Lehren sind recht leicht zu lernen und umzusetzen — im Grunde genommen sagen sie, ,tu’s einfach, und dann wirst auch du ein Buddha sein‘.“

Die Holy Family Catholic Church in Taipeh. Im ganzen Land gibt es insgesamt über 700 katholische Gotteshäuser. (Foto: Chang Su-ching)

Dharma Drum Mountain muss dagegen noch den Verlust seines Meisters Sheng Yen verkraften, der am 3. Februar 2009 an Nierenversagen gestorben war. „Das Charisma eines religiösen Führers kommt nicht von heute auf morgen, sondern wird über einen langen Zeitraum herangebildet“, weiß Chang. „Es bleibt abzuwarten, ob der Nachfolger von Meister Sheng Yen über das gleiche Charisma verfügen wird. Am wichtigsten für eine religiöse Organisation, die ihre Popularität aufrechterhalten will, ist es, ihren Betrieb zu institutionalisieren und auf diese Weise eine zu große Abhängigkeit vom persönlichen Einfluss einer einzelnen Person zu vermeiden.“

Nach Ansicht von Chiu Hei-yuan von der Academia Sinica gibt es unter den anderen Glaubenssystemen, die im Laufe des vergangenen Jahrzehnts an Beliebtheit gewannen, auch solche, bei denen es um „mystische Erfahrungen“ geht, etwa die Scientology Church, die nach eigenen Angaben fast 10 000 Anhänger in Taiwan hat, oder solche mit einer Mischung aus körperlichen und spirituellen Praktiken wie Falun Gong, wo man besondere Atemübungen (qigong 氣功) ausführt, um den Energiefluss im Körper zu fördern. „Viele Menschen fühlen sich in der heutigen Gesellschaft mit ihrem schnellen Wandel verloren, und diese neueren Religionen können eine aktive Rolle dabei spielen, ihnen beim Bewältigen von Stress und Angst zu helfen“, interpretiert Chiu.

Traditionelles Rückgrat

In Taiwan spielten religiöse Organisationen traditionell die zentrale Rolle bei Sozialdiensten. Viele buddhistische Verbände sowie katholische und protestantische Kirchen, denen die Fürsorge für Arme und Bedürftige gleichermaßen am Herzen liegt, tragen erheblich zur Verbesserung der sozialen Wohlfahrt in Taiwan bei. Statistiken des Innenministeriums zeigen, dass zum Beispiel Ende 2008 religiöse Gruppen 24 Krankenhäuser, 11 Arztpraxen, 26 Seniorenheime und 27 Behinderteninstitutionen auf der Insel betrieben.

Die Anstrengungen der buddhistischen Wohlfahrtsstiftung Tzu Chi bringen die Beiträge der Religionen zur Gesellschaft vielleicht am besten an den Tag. Momentan hat Tzu Chi rund um den Erdball mehrere Millionen Mitglieder und weitete seine Tätigkeit auf Bereiche aus wie Knochenmarksspenden, Umweltschutz und Freiwilligenarbeit in Gemeinden. Noch wichtiger ist, dass ihre humanitären Bemühungen Staatsgrenzen und religiöse Unterschiede überschreiten.

„Als ich im Jahre 1990 anfing, mich an von Tzu Chi gesponserten Aktivitäten für Dienst an der Allgemeinheit zu beteiligen, war ich eine Christin“, bekennt Chou Hsiu-ming, freiwillige Mitarbeiterin der Tzu Chi-Stiftung. „Seitdem hat mich Tzu Chis selbstlose Hingabe zur ganzen Welt sehr berührt. Ganz gleich wo ein Unglück geschieht, Tzu Chi mobilisiert immer Freiwillige und schickt Hilfe in Katastrophengebiete. Dabei spielt es für Tzu Chi keine Rolle, wer man ist und welchen religiösen Glauben man hat, für sie geht es nur darum, ob man Hilfe braucht.“

1996 beschloss Chou, zum Buddhismus überzutreten. „Mein Mann ist Katholik, aber wir respektieren unseren Glauben gegenseitig“, sagt sie. „Natürlich kann er jederzeit bei uns in der Tzu Chi-Stiftung mitmachen.“

Judy Lao war ebenfalls früher Christin, wurde aber bald Buddhistin, nachdem sie 1998 als freiwillige Mitarbeiterin bei Tzu Chi angefangen hatte. „Für mich ist das Praktizieren des Buddhismus eine Lebensweise“, offenbart sie. „Tzu Chi lehrt uns häufig, denen zu helfen, denen es nicht so gut geht wie uns. An ihrem Lächeln und dem Ausdruck in ihren Augen kann man erkennen, dass man dabei viel mehr bekommt als man gibt.“

Ein Chor von Studierenden des Baptist Theological Seminary, das ein halbes Jahrhundert Theologie lehrte, bevor offizielle Akkreditierung beantragt wurde. (Foto: Huang Chung-hsin)

Die Medienlandschaft

Taiwans religiöse Medienlandschaft wird gleichfalls von buddhistischen Organisationen dominiert. Unter den Fernsehanstalten dieser Art mit einer landesweiten Präsenz gibt es nur eine christliche Anstalt, nämlich Good TV, wogegen Da Ai TV, Beautiful Life Television, Hwazan TV, Buddha Compassion TV Station, Universal Culture Television und Life TV samt und sonders buddhistisch sind. Hinsichtlich der Programmgestaltung strahlen Da Ai, Beautiful Life und Good TV eine große Vielfalt von Inhalten aus, die sich an unterschiedlichen Geschmack richtet, die anderen konzentrieren sich darauf, bestimmte religiöse Ideale zu propagieren.

Da Ai, 1998 als Tochtergesellschaft von der Tzu Chi-Stiftung gegründet, ist Taiwans religiöse Fernsehanstalt mit den höchsten Einschaltquoten. Da Ai zeigt keine Werbung und erhält keine Finanzhilfe vom Staat, sondern kann dank der Unterstützung durch Spenden auf Sendung bleiben. Die Spenden kommen aber nicht nur von ein paar vermögenden Sponsoren, ein Viertel der Finanzen von Da Ai wird über die Einkünfte von mehr als 50 000 Freiwilligen beigesteuert, die wiederverwertbare Abfälle einsammeln und verkaufen.

„Dank der Hingabe dieser Freiwilligen kann Da Ai TV weiterhin Nachrichten und Programme erstellen, welche die Wahrheit, Güte und Schönheit in der ganzen Welt fördern sollen“, verkündet Dylan Chang, Marketingmanager bei Da Ai. „Indem wir eine Vielfalt von ganzheitlichen Programmen zu Themen über Bereiche wie spirituelle Erleuchtung, Kunst oder soziale Fragen bieten, hoffen wir, mehr Zuschauer zu bekommen, egal aus welchem Land sie kommen und an welche Religion sie glauben, damit diese Welt ein besserer Ort für alle werden kann.“

Da Ais Bemühungen blieben nicht unbemerkt. Eine Studie, welche die Shih Hsin University in Taipeh im Jahre 2008 zur Bewertung von Taiwans Medien durchführte, ergab zum Beispiel, dass Da Ai in den Kategorien „größter Einfluss auf die Gesellschaft“, „größter Einfluss auf eine Einzelperson“, „unparteiischste und objektivste Berichte“ und „Fernsehkanal mit bester Qualität“ an erster Stelle rangierte. Zusätzlich waren die Da Ai-Programme im gleichen Jahr bei einer Yahoo! Kimo-Studie über Taiwans Medien Spitzenreiter in den Kategorien „meiste globale Ansichten“, „größte Anteilnahme für die Gesellschaft“, „eingehendste Beiträge“, „am meisten kulturell integriert“, „am vertrauenswürdigsten“, „am genauesten“ und „am pädagogischsten“.

Tzu Chis bemerkenswerte Arbeit führt einen Sinn für Aufgeschlossenheit und Mitgefühl vor, der religiöse Grenzen überschreitet. In gleicher Weise hat größere Religionsfreiheit in Taiwan nicht zu einem Krieg der Religionen untereinander geführt. Stattdessen leben Anhänger aller Glaubensrichtungen friedlich miteinander und zeigen in einem Maß Respekt vor anderen Religionen, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn jemand mehr als nur einer Religion folgt. In diesem Sinne ist Taiwan ein gutes Vorbild für die ganze Welt.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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