30.04.2025

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Der impulsiven Berufswahl treu geblieben

01.01.2010
Eva nach dem Regen. Ulmenholz, 120 x 55 x 31 cm. In der Endausscheidung von Taiwan Miaoli International Wood Sculpture Competition 2009 (Foto: Huang Chung-hsin)
„Als ich das im Fernsehen sah, dachte ich, ,Super!‘, und ich fing gleich an zu packen“, erinnert sich der Holzschnitzkünstler Tseng An-kuo (曾安國) daran, wie er eine Sendung über Sanyi sah, das Mekka der Holzschnitzerei in Taiwan. „Ich fragte meinen älteren Bruder, ob er mich dort hinbringen könnte, und am nächsten Tag nahmen wir den ersten Zug nach Sanyi.“

Das ist 28 Jahre her. Damals war Tseng 16 Jahre alt, heute ist er einer der besten Holz-Bildhauer Taiwans. Er hat viele Preise gewonnen, darunter den ersten Preis in der Kategorie traditionelles Kunsthandwerk des Taiwan-Kunsthandwerkpreises 2007, die höchste Ehrung des Landes im Bereich Kunsthandwerk. Tseng fungierte auch als Vertreter Taiwans, um bei internationalen Holzschnitzmessen in Deutschland und Festlandchina traditionelle Holzschnitzkunst vorzuführen.

Der aus einer Bauernfamilie in der Gemeinde Shuishang (Landkreis Chiayi) stammende Tseng interessierte sich nie für die Schule und glänzte in keinem der unterrichteten Fächer — außer Kunst. Nach Abschluss der Mittelschule beschloss der Junge daher, nicht weiter zur Schule zu gehen, sondern sich einen Job zu suchen. Bevor er die Fernsehsendung über Sanyi sah, hatte er aber keine Ahnung gehabt, welche Art von Arbeit er tun wollte. „Es sah aus, als ob es Spaß machte, außerdem hatte es offensichtlich etwas mit Kunst zu tun, was das einzige Fach war, das mir in der Schule gefallen hatte“, sagt Tseng. „Größtenteils war es jedoch eine Entscheidung aus dem Bauch heraus.“

Als Taiwans Hauptstadt der Holzschnitzerei kann die Gemeinde Sanyi im nordtaiwanischen Landkreis Miaoli natürlich auf eine lange Geschichte in dem Gewerbe zurückblicken. Vor etwa hundert Jahren war Kampferholz der wichtigste natürliche Rohstoff der Gegend. Als die Kampferbäume gefällt wurden, ließ man ihre Wurzeln im Boden, und durch Regen oder Erdrutsche wurden sie allmählich freigelegt. Einem Einwohner von Sanyi fiel auf, dass viele dieser Wurzeln schön aussahen, daher nahm er ein paar davon mit nach Hause und benutzte sie als Dekoration. Später sah ein japanischer Besucher diese Wurzeln und dachte, dafür würde sich in Japan leicht ein Markt finden lassen, also tat er sich mit Anwohnern zusammen, um sie zu exportieren. Die Ausfuhr dieser „Naturschnitzereien“ brachte Sanyi Gewinn und ermutigte mehr Anwohner, in das Geschäft einzusteigen. Mitte bis Ende der dreißiger Jahre begannen Bewohner der Gegend, die ihre Gewinne aus dem Holzhandel steigern wollten, neue Fertigkeiten von den Japanern zu lernen, etwa Schnitzen von Tierskulpturen oder Figürchen, und sie richteten viele Holzschnitzwerkstätten ein.

Floras Hochzeit. Zypressenholz, 88 x 126 x 63 cm. In der Endausscheidung von Yulon Woodcarving Innovation Awards 2009 (Foto: Huang Chung-hsin)

Das Geschäft wurde dann vom zweiten chinesisch-japanischen Krieg (1937-1945) und vom darauf folgenden chinesischen Bürgerkrieg (1945-1949) unterbrochen. Erst Anfang der sechziger Jahre, als ein US-amerikanischer Journalist nach Sanyi kam, die Schnitzereien sah und einen Artikel darüber verfasste, mauserten sich die Kreationen der örtlichen Handwerker mit einem Mal zu begehrten Souvenirs, besonders für ausländische Touristen und in Taiwan stationierte Angehörige der US-amerikanischen Streitkräfte.

Der japanische Markt erholte sich ebenfalls, und in den siebziger Jahren erreichte die Holzschnitzerei in Sanyi ihren Höhepunkt. Niedrige Lohnkosten und der Fleiß der Schnitzhandwerker hatten zur Folge, dass das örtliche Gewerbe den Anforderungen der ausländischen Kunden bei Preis, Qualität und Lieferfristen gerecht werden konnte. Die Einkommen waren im Vergleich mit den Möglichkeiten in anderen Gewerben vielleicht nur Kleingeld, doch in einem kleinen ländlichen Ort, der Voraussetzungen für landwirtschaftliche oder industrielle Entwicklung nicht erfüllte, war Holzschnitzerei so ziemlich das Einzige, worauf die Einwohner von Sanyi sich verlassen konnten. „Es schien, als ob jeder sich mit etwas befasste, das mit Holzschnitzerei zu tun hatte“, meint Tseng rückblickend auf seine Anfangszeit in Sanyi. „Selbst Kinder und Hausfrauen halfen dabei, Schnitzereien zu bemalen oder zu polieren.“

Als Tseng im Jahre 1981 in Sanyi eintraf, konnte er nur einen der letzten Blicke auf ein gedeihendes Sanyi werfen, denn als die USA im Jahre 1979 die diplomatischen Beziehungen mit der Republik China abbrachen und ihr Militärpersonal abzogen, waren die Auswirkungen im Ort erheblich. Als Tseng und sein Bruder damit anfingen, Holzschnitz-Handwerker und Werkstätten zu besuchen, um jemanden zu finden, der den jüngeren Bruder als Lehrling annehmen würde, riet man ihnen, sich in anderen Richtungen umzuschauen, da das Holzschnitzgewerbe bereits seine besten Zeiten hinter sich hatte. Tseng gab nicht auf, und schließlich gewährte ihm ein Inhaber einer Holzschnitzerei-Werkstatt Obdach, während er weiter nach einem Lehrmeister suchte.

Es dauerte nicht lange, bis ihn ein Handwerker, der Tierfiguren schnitzte, unter seine Fittiche nahm. Allerdings zeigte ihm dieser erste Meister nicht wirklich, was es mit Holzschnitzerei eigentlich auf sich hat. „Er drückte mir ein Schnitzmesser in die Hand und beschied mich, ich solle mir Holzreste suchen und für mich selbst anfangen“, erzählt Tseng. „Doch was wusste ich schon? Nach einer Woche oder so wurde es mir langweilig.“ Glücklicherweise kam der Werkstattinhaber, der Tseng an seinen ersten Meister vermittelt hatte, wieder zu Besuch und stellte ihn dann einem anderen Handwerker namens Tseng Jun-ming vor, der Götterstatuen in japanischem Stil anfertigte.

Tau. Ulmenholz, 118 x 41 x 32 cm. Erster Preis bei Taiwan Crafts Awards 2007 (Foto mit freundlicher Genehmigung von Tseng An-kuo)

Holzschnitzereien für den japanischen Markt werden im Grunde genommen mit einem Verfahren geschaffen, das dem Fließband in einer Fabrik ähnelt, wobei verschiedene Handwerker an unterschiedlichen Teilen oder Entstehungsphasen einer Statue arbeiten, anstatt dass ein einzelner Handwerker eine Statue komplett allein schnitzt. Der Grund für dieses Vorgehen ist nach Tseng An-kuos Worten, dem Wunsch der Japaner nach einheitlichen Produkten und höherer Produktionseffizienz zu entsprechen. „Es zählte lediglich, so schnell wie möglich so viele Stücke wie möglich zu schnitzen, um die Bestellungen pünktlich ausliefern zu können“, berichtet er. „Holzschnitzwerkstätten waren eigentlich nur Fabriken, in denen Produktivität zählte und nicht Kunst oder Kreativität.“

Tsengs erster Job am „Fließband“ bestand darin, das Haar und die kleinen „Punkte“ auf den Köpfen von Buddhastatuen zu schnitzen. „Den gleichen Arbeitsgang ständig zu wiederholen, machte eigentlich keinen Spaß, doch es war wichtig, um meine Geduld zu vergrößern, welche die Grundlage von Schnitzarbeit ist“, analysiert er. Nach einem Jahr ging er dazu über, Schwerter und andere kleine Gegenstände zu schnitzen, welche die Statuen in ihren Händen halten, aber er kam nicht dazu, die groben Umrisse oder die Gesichter zu schnitzen, die beiden wichtigsten Abschnitte in dem Ablauf. Das war in der Regel Sache erfahrener Handwerker oder Meister, die es nicht für nötig hielten, dass ihre Lehrlinge die Techniken erlernten. Tseng beschlich die Ahnung, er werde kaum die Gelegenheit bekommen, diese Fertigkeiten in Sanyi zu lernen, egal wie gut er die ihm zugewiesenen Arbeitsschritte ausführte. Er wollte außerdem nicht den Rest seines Lebens Fließbandarbeit leisten, daher zog er nach Tongxiao im Landkreis Miaoli, um die Herstellung der anfänglichen Form zu lernen, und anschließend ging er nach Taipeh, wo er das Schnitzen von Gesichtern erlernte.

Nachdem er sich diese Aspekte des Statuenschnitzens angeeignet hatte, kehrte Tseng nach Sanyi zurück und gründete 1988 seine eigene Werkstatt. Um sich im Wettbewerb gegen die „Schnitzfabriken“ zu behaupten, erkannte Tseng, dass er anders sein müsse. „Ich wusste, wenn ich im Geschäft bleiben wollte, musste ich meinen eigenen Stil entwickeln“, sagt er. Mit seinen Figurenschnitztechniken begann Tseng, Statuen von Guanyin (觀音) zu schnitzen, der Göttin der Barmherzigkeit. Anstatt einfach nur Figuren für Andacht herzustellen, wollte er Guanyin-Statuen zum Ausstellen und zu Dekorationszwecken gestalten. Deswegen macht er nicht die konventionellen Guanyin-Statuen, wie sie fast jeder kennt, sondern kombiniert seine Version mit den Eigenschaften des ursprünglichen Holzes. So schnitzt er etwa den oberen Teil einer Baumwurzel zum Oberkörper von Guanyin und lässt dann die Schnitzerei in die natürliche Oberfläche der unteren Seite der Wurzel übergehen. Tsengs Guanyin-Statuen aus Baumwurzelholz wurden so beliebt, dass sie einen Trend in Sanyi in Gang setzten, und im Handumdrehen schnitzte jeder Künstler dort an Baumwurzeln herum.

Verschiebungen auf dem Markt

Während große Mengen ähnlicher Holzskulpturen einander Konkurrenz machten und den Inlandsmarkt für Künstler wie Tseng zerstörten, wurde das Exportgeschäft gleichfalls schwierig, da die meisten Käufer bereits von Sanyi abgerückt sind und sich stattdessen in Festlandchina und südostasiatischen Ländern umschauen, um die noch niedrigeren Lohnkosten dort auszunutzen. Tatsächlich haben viele Ladeninhaber in Sanyi Handelsfirmen gegründet, um Holzartikel zu importieren. „Die meisten Kunden hier in Taiwan akzeptieren Holzskulpturen als häuslichen Zierat, betrachten sie aber nicht als Kunst“, moniert Tseng. „Der Preis ist oft der ausschlaggebende Faktor bei der Entscheidung, ob man ein Stück als Dekoration kauft, nicht die künstlerische Leistung.“ Was den Preis angeht, so kostet eine importierte Skulptur aus gleichwertigem Material, die mit vergleichbarer Fertigkeit hergestellt wurde wie ein Stück aus Sanyi, nur die Hälfte von einem einheimischen Produkt. Viele Inhaber von Werkstätten in Sanyi besannen sich auf die Redensart, „wenn man sie nicht besiegen kann, dann kann man sich genauso gut ihnen anschließen“, und zogen mit den Handwerksmeistern nach Orten mit niedrigeren Kosten. Laut Tseng arbeiten heute höchstens noch 50 einheimische Handwerker in der Stadt Sanyi mit ihren rund 17 000 Einwohnern. Früher, als das Holzschnitzgewerbe in Sanyi auf dem Höhepunkt war, lebten etwa 20 000 Menschen dort, und die meisten Erwachsenen waren im Holz- und Schnitzgewerbe tätig.

Das Kyoto Municipal Museum of Art in Japan lud den Bildhauer Tseng An-kuo im Jahre 2008 ein, sein aus Ulmenholz geschnitztes Werk mit dem Titel Wartendes Herz im Museum auszustellen. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Tseng An-kuo)

Der Wandel hatte aber auch ein positives Ergebnis. Die Handwerker hatten nun Zeit, ernsthaft über das Gewerbe und seine Zukunft nachzudenken. Nachdem Tseng sich die Dinge hatte durch den Kopf gehen lassen, entschied er sich für die Richtung, Werke mit neuen Motiven zu schaffen, die sonst keiner machte. So wandte er sich Orchideen zu. „Ich liebe Pflanzen, und sie wachsen gleich im Garten hinter meiner Werkstatt“, begründet Tseng seine Themenwahl. „Es schien nur natürlich für mich, solche Motive zu schnitzen.“ Die Orchideen schienen auch den Juroren bei Wettbewerben zu gefallen. Ein von Tseng geschnitzter Schmetterlingsgarten erhielt beim Holzschnitzkunst-Wettbewerb Taiwan 1999 die Silbermedaille. Im Jahr darauf gewann Tseng mit der Schnitzerei einer Orchidee der Gattung Dendrobium beim gleichen Wettbewerb die Goldmedaille, und eine ähnliche Arbeit brachte ihm 2007 den ersten Preis beim Taiwan-Kunsthandwerkspreis ein.

Im Bereich der Rohmaterialien ist Ulme eines von Tsengs Lieblingshölzern. Er macht darauf aufmerksam, dass es viele unterschiedlichen Ulmenarten gibt, und die einheimische Sorte hält er für die beste. Als er versuchte, Stücke aus importiertem Ulmenholz zu schnitzen, fand er das Zeug unbrauchbar.

Zwei Sorten von Messern

Tseng gibt zu, dass er vor allem deswegen an so vielen Wettbewerben wie möglich teilnimmt, weil er es auf das Preisgeld abgesehen hat. Sich auf so eine unzuverlässige Einkommensquelle und gelegentliche Bestellungen von Sammlern, die bereit waren, mehr für einheimische Stücke zu bezahlen, zu verlassen, reichte indes nicht, um eine Familie zu ernähren, deswegen beschlossen Tseng und seine Frau im Jahre 2001, ein Restaurant in der Nähe des alten Bahnhofs von Sanyi aufzumachen. Das Geschäft lief nicht schlecht, doch der häufige Personalwechsel von Köchen lenkte Tseng ständig von seiner Kunst ab, und nicht selten musste er bei Personalmangel die Schnitzmesser beiseite legen und zu den Küchenmessern greifen.

Tseng ist sehr erleichtert, dass die Zeit, in der Schnitz- und Küchenmesser einander abwechselten, vor etwa einem Jahr zu Ende ging, da seine Frau das Ringen ihres Mannes zwischen zwei Berufen nicht länger mit ansehen wollte und das Restaurant verkaufte. Das Haupteinkommen der Familie kommt heute von Tsengs Frau, die als Vertretungslehrerin in einer Grundschule arbeitet. Mit solchen Einkommensschwierigkeiten haben in Sanyi übrigens die meisten Bildhauer zu kämpfen, die nur mit Nebenjobs über die Runden kommen. Manche backen zum Beispiel in einer Ecke ihrer Werkstatt Hakka-Teegebäck, andere wiederum übernehmen Auftragsarbeiten oder versehen importierte Götterstatuen mit Blattgold.

Als Tseng vor 28 Jahren erstmals in den Ort kam, kannte er dort niemanden. Er wusste auch nicht, dass die Gemeinde bis 1953 Sancha hieß, das chinesische Wort für eine Stelle, an der sich drei Straßen treffen. Das Straßendreieck existiert schon lange nicht mehr, da es von neuen Straßen ersetzt wurde. Desgleichen sind viele der Bildhauer, die zur Zeit von Tsengs Ankunft in Sanyi dort tätig waren, fortgezogen, während manche andere, die geblieben sind, sich quasi an einem Scheideweg befinden und sich überlegen müssen, ob sie weiter schnitzen, sich einen anderen Job suchen oder schlicht umziehen sollen. Für Tseng kam eine solche Entscheidung jedoch nie in Frage, denn der Impuls, den er erstmals vor 28 Jahren verspürte, ist immer noch stark.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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