02.05.2025

Taiwan Today

Frühere Ausgaben

Neue Grippe, alter Kampf

01.01.2010
Beim Kampf gegen H1N1 führt örtliches Gesundheitspersonal in einer Grundschule in der südtaiwanischen Stadt Chiayi vor, wie man korrekt die Körpertemperatur misst. (Foto: Central News Agency)
Am 20. Mai 2009 wurde in Taiwan der erste Fall der im Volksmund unter der Bezeichnung „Schweinegrippe“ bekannten Viruserkrankung (A)H1N1 gemeldet, mehrere Wochen, nachdem die Krankheit im März jenes Jahres in Mexico City ausgebrochen war. Das Zentrale Epidemie-Kommandozentrum (Central Epidemic Command Center, CECC) Taiwans teilte mit, man habe die Grippe bei einem 52-jährigen Australier diagnostiziert, der gerade aus New York eingetroffen war. Am Tag darauf wurde festgestellt, dass zwei taiwanische Frauen — eine aus New York kommend, die andere aus San Francisco — sich ebenfalls mit H1N1 angesteckt hatten. Alle drei Fälle wurden an der Fieberbeobachtungsstation im internationalen Flughafen Taiwan Taoyuan entdeckt, wo man bei den Kranken Körpertemperaturen über 38 Grad Celsius maß. Nach der anfänglichen Überprüfung wurden diese Passagiere allesamt zum Taoyuan General Hospital geschickt, das von Taiwans Gesundheitsministerium betrieben wird.

Am 2. Juli 2009 gab Taiwans Zentrum für Krankheitskontrolle (Center for Disease Control, CDC) bekannt, man habe das H1N1-Virus in zwei Proben entdeckt, die man von Einwohnern in taiwanischen Gemeinden entnommen habe, was zeigte, dass die Übertragung von H1N1 im Inland begonnen hatte. Der erste schwere Fall von Schweinegrippe in Taiwan wurde am 17. Juli 2009 bei einem 34-jährigen Mann gemeldet, und der erste Todesfall ereignete sich am 31. Juli 2009 mit dem Ableben eines 39-Jährigen. Vizepremier Eric Li-luan Chu (朱立倫) löste Anfang September Gesundheitsminister Yaung Chih-liang (楊志良) als CECC-Chef ab, als die Schulzeit wieder anfing (Schulen sind anfällig für Krankheitsausbrüche). Bis Mitte Oktober 2009 waren in Taiwan 360 Fälle bekannt, bei denen H1N1-Patienten ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Von diesen erlagen 24 der Krankheit, doch die meisten erholten sich und erlitten keine Komplikationen.

H1N1 begann sich rund um den Erdball auszubreiten, als Gesundheitsbehörden sich mit einer anderen von Tieren stammenden Grippe befassten, nämlich der Vogelgrippe (H5N1). Der Name „Schweinegrippe“ ist jedoch zu einem gewissen Grad irreführend, da H1N1 ein Gemisch aus zwei in Schweinen vorkommenden Grippearten mit einer Art im Menschen und einer Art in Vögeln ist. Schweinefleischhändler in der ganzen Welt haben sich über den volkstümlichen Namen der Grippe beklagt und darauf hingewiesen, dass man sich das Virus nicht durch den Verzehr von gekochtem Schweinefleisch zuziehen kann. In Taiwan nennt man die neue Krankheit gewöhnlich „H1N1-Grippe“ oder einfach „neue Grippe“.

Insgesamt erwies sich H1N1 als ähnlich wie andere, üblichere Arten von Grippe, da sie durch Husten, Niesen oder Berührung von Nase oder Mund mit verseuchten Händen übertragen wird. Die Symptome von H1N1 sind sehr wie die bei der normalen Saison-Grippe, die in der Regel Fieber, Halsweh, Kopf- und Muskelschmerzen verursacht. Trotz der in gewisser Weise höheren Besorgnis in der Öffentlichkeit über die Gefährlichkeit von H1N1 hat tatsächlich die große Mehrzahl der Personen, die sich in Taiwan die Krankheit zuzogen, nur milde Symptome entwickelt und sich anschließend wieder vollständig erholt.

Diese Grundschulkinder im Landkreis Taipeh wissen, dass man sich häufig die Hände waschen sollte, um eine Ansteckung mit H1N1 zu vermeiden. (Foto: Central News Agency)

Im Juni 2009, nachdem die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) eine globale — aber milde — Epidemie bestätigt hatte, stufte das CDC H1N1 aus der höchsten Kategorie ernster ansteckender Krankheiten herab in die vierthöchste Kategorie. Taiwans Gesetz über die Kontrolle übertragbarer Krankheiten legt fünf Ebenen von Epidemien fest, auf der Grundlage von Standards wie potenzielle Zahl von Todesfällen, Infektionsrate und Schnelligkeit der Übertragung. In der höchsten Kategorie übertragbarer Krankheiten des CDC findet man Pocken, Pest sowie die atypische Lungenentzündung SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome), von der Taiwan im Jahre 2003 schwer heimgesucht worden war. Bei übertragbaren Krankheiten der Stufe eins ist eine sofortige Meldung von Krankheitsfällen und Quarantäne vorgeschrieben, Krankheiten der Stufe vier wie H1N1 erfordern regelmäßige, umfassende Beobachtung von Faktoren wie Übertragungsraten in Gemeinden, genetische Mutation des Virus und Resistenz gegenüber Antivirus-Medikamenten.

Wu De-lon, Präsident des Krankenhausverbandes Taiwan und Spitzenberater des Gesundheitssystems Chang Gung Healthcare System, einer der größten medizinischen Institutionen des Landes, macht darauf aufmerksam, dass die H1N1-Grippe zwar von einem neuen Virus verursacht wird, jedoch weniger tödlich ist als die durchschnittliche Saisongrippe, der jedes Jahr in Taiwan 4000 bis 5000 Menschen zum Opfer fallen, daher gebe es keinen Grund für exzessive Unruhe. „Manche Menschen geraten durch sensationslustige, übertriebene Darstellungen in den Medien schnell in Panik“, weiß Wu. „Doch die schweren Auswirkungen, vor denen manche Akademiker und Gesundheitsexperten gewarnt haben, sind noch nicht Wirklichkeit geworden.“

Gesundheitsminister Yaung Chih-liang weist darauf hin, dass die Hauptziele der Regierung beim Umgang mit dem Ausbruch der Krankheit darin bestehen, ein umfassendes Bild der Auswirkungen von H1N1 zu erstellen, darunter die Infektionsraten und –orte, sowie der Öffentlichkeit Zugang zu adäquaten und transparenten Informationen zu gewähren. „Das Schwierigste ist, ausgewogene Kontrollmaßnahmen zu entwickeln“, bemerkt Yaung. „Wir können es uns einerseits nicht leisten, die Infektionsrisiken zu unterschätzen, aber andererseits müssen wir die Krankheit auch nicht wie einen schrecklichen Feind behandeln und in der Öffentlichkeit eine Panik auslösen.“

Yaung ist etwa nicht der Ansicht, dass man Schülern und Studierenden auf landesweiter Ebene den Schulbesuch verwehren sollte. Derzeit hat die Regierung laut den Richtlinien für Schulen vom Kindergarten bis zur Oberschule die „Drei-Zwei-Fünf“-Politik verordnet, gemäß der eine Schulklasse fünf Tage (einschließlich Feiertage und Wochenenden) vom Unterricht befreit wird, wenn innerhalb von drei Tagen bei mindestens zwei Schülern der Klasse H1N1 diagnostiziert wird. Nach Angaben des Bildungsministeriums wurden Mitte Oktober 2009 rund 460 Klassen in 285 Schulen geschlossen, 0,3 Prozent aller Schulklassen. In Colleges und Universitäten wurde der Unterricht in weniger als 0,1 Prozent der Klassen ausgesetzt.

Weil in einem Kindergarten im Landkreis Taipeh ein Kind an Schweinegrippe erkrankt war, wurden die Räumlichkeiten dort desinfiziert. (Foto: Central News Agency)

Eigene Grippekliniken

Im Hinblick auf die Krankenhäuser, die in seinem Verband Mitglied sind, erläutert Wu, das wichtigste Ziel des Testsystems sei, H1N1-Patienten zu ermitteln, deren Krankheitsverlauf sich mit der Zeit verschlimmere anstatt verbessere, da diese Fälle viel schwerer seien. Glücklicherweise gibt es laut Gesundheitsministerium rund 3000 Praxen zur Grippebehandlung im Land, was die Chancen erhöht, dass Mediziner mit Erfahrung bei Infektionskrankheiten die schweren Fälle werden erkennen können. „Dank diesen in den Stadtvierteln verfügbaren Praxen müssen die Menschen für die Anfangsbehandlung von Grippe nicht in die großen Krankenhäuser gehen“, beschwichtigt Yaung.

Der Minister ist auch recht zuversichtlich über die Fähigkeit des Programms der Nationalen Krankenversicherung (National Health Insurance, NHI), der Ausbreitung von H1N1 Einhalt zu gebieten. Taiwans universales Gesundheitspflegesystem war 1995 gestartet worden, und trotz gewisser finanzieller Probleme ist im Prinzip die gesamte Bevölkerung erfasst. „Zum Arzt zu gehen ist für die Menschen bei uns kein Problem“, weiß Yaung. „Die Medikamente gegen H1N1 stehen ebenfalls bereit.“

Anfang September 2009 begann das Gesundheitsministerium damit, 250 000 Dosen der Antivirus-Arznei Tamiflu zu verteilen, die man von der schweizer Pharmafirma Hoffmann-La Roche erworben hatte, um Patienten mit einer H1N1-Infektion im Frühstadium zu behandeln. Das Präparat wurde an die Lokalverwaltungen und von den Gesundheitsbehörden vorgesehene örtliche Kliniken verteilt, die Menge richtete sich nach der jeweiligen Bevölkerungszahl dort. Weil die Behandlung mit Tamiflu seit Mitte August 2009 von der NHI bezahlt wird, besteht eine zunehmende Nachfrage nach dem Medikament. Um Hamstern zu vermeiden, hat das CDC verfügt, dass Praxen und Kliniken die Arznei innerhalb von drei Monaten bar bezahlen müssen und nicht verbrauchte Vorräte nicht zurückgeben dürfen. Daneben hat das CDC bei Roche weitere 2,68 Millionen Dosen Tamiflu erworben, deren Lieferung nach Taiwan für Ende 2009 vorgesehen war.

Die Entscheidung des Gesundheitsministeriums, Tamiflu an medizinische Einheiten an der Basis auszugeben, wurde von Chen Chien-jen (陳建仁) begrüßt, von 2003 bis 2005 Gesundheitsminister der Republik China und Wissenschaftler am Erbgutforschungszentrum der Academia Sinica in Taipeh. Der Epidemiologe macht darauf aufmerksam, dass es bei einer Früherkennung von H1N1, besonders bei Patienten mit milden Symptomen und schwächerer Ansteckungsgefahr, sehr viel wirksamer sei, ihnen Virenhemmer wie Tamiflu zu verabreichen, als abzuwarten und sie mit anderen Mitteln zu behandeln, wenn sich ihr Zustand später verschlimmert. Chen hofft, dass Antivirus-Medikamente in ausreichender Menge verfügbar sein werden, um jeden neuen Grippefall innerhalb der „goldenen Phase“ der ersten 48 Stunden, wenn die Medizin am wirksamsten ist, zu behandeln. „So können wir mit der Freigabe eines Impfstoffs geduldig warten“, sagt er.

Adimmune Corp., Taiwans erster Hersteller von Grippe-Impfstoffen, hat 10 Millionen Dosen H1N1-Impfstoff produziert. (Foto: Courtesy Adimmune Corp.)

Einheimischer Impfstoff

Bei seinen Vorbereitungen auf H1N1 hat Taiwan die WHO-Standards weiter mit seiner neuen Fähigkeit erfüllt, Impfstoffe zu erzeugen. Neben 5 Millionen Dosen H1N1-Impfstoff, die von der schweizer Pharmafirma Novartis International AG erworben worden waren, wurden 10 Millionen Dosen bei Adimmune Corp. bestellt, einem einheimischen Impfstoffhersteller im zentraltaiwanischen Landkreis Taichung. Klinische Tests am Menschen für Adimmunes Produkt wurden im November 2009 abgeschlossen.

H1N1-Impfungen mit Präparaten von Novartis oder Adimmune begannen in Taiwan im gleichen Monat, die Verabreichung ging gemäß einer Weisung des Gesundheitsministeriums vonstatten, welche bestimmte Berufs- und Altersgruppen bevorzugte. Die kostenlos durchgeführten Impfungen sollen bis Februar dieses Jahres laufen. Der Krankenhausverband Taiwan und der Ärztebund Taiwan haben versprochen, bei der Werbung für das staatliche Impfprogramm zu helfen, um die Ausbreitung der Krankheit weiter zu verlangsamen. Laut einer Studie, die das CECC Anfang Oktober 2009 veröffentlichte, erklärten 60 Prozent der Befragten ihre Bereitschaft, sich impfen zu lassen, während 17 Prozent mitteilten, eine Impfung zu erwägen. Gesundheitsminister Yaung hebt hervor, dass wie das NHI-Programm alle staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung von H1N1 nicht nur auf taiwanische Bürger angewandt werden, sondern auf alle Personen mit Aufenthaltsrecht. Zwar reicht die Menge der angeschafften Impfstoffdosen nicht aus, um alle 23 Millionen Einwohner Taiwans zu impfen, doch manche lokalen Gesundheitsbehörden glauben, das Programm werde einen kollektiven Immun-Effekt erzeugen, der auch bedingt jene schützt, die keine Impfung erhalten.

Etwa um die gleiche Zeit im September 2009, als man mit der Verteilung von Tamiflu begann, ordnete das CECC an, 2 Millionen Atemschutz-Chirurgenmasken an rund um die Uhr geöffnete Supermärkte in ganz Taiwan zu schicken, damit diese dort zum verbindlichen Festpreis von 6 NT$ (0,12 Euro) pro Stück verkauft würden. Die erste solche Masken-Aktion hatte Anfang Mai 2009 stattgefunden. Zwar sind diese Masken insgesamt nicht unbedingt überragend wirksam dabei, eine Infektion des Trägers mit H1N1 zu verhüten, doch bei denen, die bereits infiziert sind, verhindert die Maske, dass beim Husten und Niesen infizierte Tröpfchen in die Luft katapultiert werden, was einer der Hauptansteckungswege ist. Yaung sagt, die Verteilungsprogramme des CECC sollen die Abgabe der Masken ebenso wie bei den Antivirus-Medikamenten durch reguläre Marktmechanismen erleichtern, damit die Einzelhändler nicht zögern, ihre Vorräte für die Verbraucher verfügbar zu machen. Gemäß einer CECC-Studie hatten 80 Prozent der Befragten bis Anfang Oktober 2009 Masken erworben, die übrigen 20 Prozent gehörten überwiegend Haushalten mit niedrigem Einkommen an. Durch Zusammenarbeit mit örtlichen Behörden für Bürgerangelegenheiten sollten Haushalte mit niedrigem Einkommen im November 2009 gratis jeweils einen Karton mit 50 Atemschutz-Chirurgenmasken erhalten.

Die Studie des CECC ergab zudem, dass die Menschen in Taiwan gut darüber Bescheid wissen, wie man die Ausbreitung von H1N1 verhindert. Unter anderem kannten über 90 Prozent der Befragten die korrekten Methoden, wie man eine Infektion vermeidet, darunter häufiges Händewaschen, Berühren von Augen und Nase mit den Händen unterlassen und sich bei Bedarf in ärztliche Obhut begeben. Über 90 Prozent wussten außerdem, wie man eine Ansteckung Anderer mit H1N1 verhütet, etwa dadurch, dass man im Krankheitsfall zu Hause bleibt, Medikamente wie vom Arzt verordnet einnimmt und beim Ausgehen eine Maske anlegt. Yaung ist überzeugt, dass dieses Wissen und die anpassungsfähige Einstellung der Taiwaner gute Waffen gegen eine mögliche Epidemie darstellen. „Viren sind eine Naturgewalt“, philosophiert er. „Sie sind nur eines von vielen Hindernissen, bei denen Menschen ihren Verstand einsetzen müssen, um sie für eine dauerhafte Existenz zu überwinden.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

Meistgelesen

Aktuell