Wie viele andere Häuser, die im 18. und 19. Jahrhundert gebaut wurden, einer Zeit, in der sich große Zuwanderungsbewegungen von Südostchina nach Taiwan vollzogen, folgte diese Villa dem traditionellen viereckigen Fujian-Modell mit vorderen und hinteren Innenhöfen, eingerahmt von „Schutzdrachen“ (護龍), einem Euphemismus für die zwei parallelen Reihen von Gebäudeflügeln, die im rechten Winkel von den äußeren Enden des zentralen Hauptgebäudes abstehen. Die laufende Restaurierung ist das hart erkämpfte Ergebnis erbitterter Streitereien zwischen dem Hausbesitzer, Landentwicklern und der Kreisverwaltung. Zwar war der Westflügel teilweise abgerissen, doch erhielt der Bau schließlich im Dezember 1997 während der ersten Amtswoche des neu gewählten Kreisvorstehers Liao Yung-lai (廖永來) den offiziellen Status einer historischen Struktur. In den folgenden Jahren setzte die Kreisverwaltung Taichung die Zahlungen für das Gebäude fort, bis sie die Picking Stars Villa am Schluss ganz erwarb. 1999 fügte Kuo die Anlage zu den Themen ihrer „Altes Haus“-Serie von Keramikarbeiten hinzu, die Teil ihres typischen Stils geworden ist. Seitdem befleißigt die Künstlerin sich, die Gestaltung und die komplizierten architektonischen Eigenschaften vieler solcher Häuser in ihren Arbeiten dieser Serie einzufangen.
Milky Way (1999). Amerikanischer Lehm, 43 x 27 x 2 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kuo Ya-mei)
1952 in der südtaiwanischen Stadt Tainan geboren, wuchs Kuo in einer solchen Behausung im Fujian-Stil auf und entwickelte eine tiefe Zuneigung dafür. Während Architekten und Restaurierungsfachleute versuchen, den Glanz historischer Bauten vor Ort zurückzubringen, arbeitet die Töpferin daran, die Schönheit der Gebäude auf ihre eigene Weise zu bewahren und zu präsentieren. Die kreativen und bezaubernden Ergebnisse kann man in Ausstellungen ihrer Kunstwerke bewundern wie jene mit dem Titel „Die Glorreiche Generation“, die von Dezember 2008 bis Februar 2009 im Keramikmuseum in Yingge (Landkreis Taipeh) stattfand.
Schon als Kind interessierte Kuo sich fürs Zeichnen, und im Alter von 16 Jahren begann sie ihr Streben nach einer künstlerischen Laufbahn in einem Cartoon-Atelier in Taipeh. Ihr Plan, eine der wenigen einheimischen Cartoon-Künstlerinnen in Taiwan zu jener Zeit zu werden, brach indes Anfang der siebziger Jahre zusammen, als Handpuppentheaterprogramme im Fernsehen außerordentlich populär wurden und viele Leser von Comic-Heften aufs Anschauen dieser Programme umstiegen. „Sú Iām-bûn hat mich geschlagen“, kommentiert Kuo halb im Scherz und spielt damit auf eine Puppenfigur an, die einer der denkwürdigsten Helden im einheimischen Fernsehen wurde und auch heute noch ein populäres Symbol für Ritterlichkeit ist. Nach beinahe zwei Jahren Tätigkeit im Cartoongewerbe wandte sie sich anderen Kunstbereichen zu und lernte weiter. 1971 heiratete Kuo den Tusche- und Ölmaler Shih Ping-chih und fing an, die Kunst der Ölmalerei zu erlernen, wobei sie sich auf westliche Landschaftsmotive konzentrierte.
A Butterfly Dream (2001). Amerikanischer Lehm, 62 x 88 x 6,5 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kuo Ya-mei)
Bei ihrer Malerei wollte Kuo vor allem die Darstellung von Licht und Schatten erkunden, die sich nach ihren Worten im Laufe des Tages und von einer Jahreszeit zur nächsten ständig verändern, doch sie war mit ihren Ergebnissen auf der Leinwand nie recht zufrieden. Für sie sind die konstanten, unveränderlichen Wirkungen von Licht und Schatten in einem Gemälde unwirklich und affektiert „wie eine künstliche Blume“. Ein Durchbruch kam im Jahr 1984, als sie die Tianmu-Keramikkunstwerkstatt im Norden von Taipeh betrat, um von Lee Liang-yi zu lernen. Lee war ein bedeutender Förderer von moderner taiwanischer Keramikkunst in den achtziger Jahren, und seine Werkstatt lockte viele junge, aufstrebende Künstler wie Kuo an sowie schon etabliertere Keramikkünstler aus dem In- und Ausland, weil dort lebhafter Austausch über Ideen und Diskussionen über anerkannte Werke stattfanden. „Es war ein recht bewegender Moment für mich, als ich mein erstes Keramikwerk eines Kükens in meiner Hand hielt und dabei natürliches Licht über den kleinen Körper fließen sah, was lebhafte Schatten auf der unebenen Oberfläche erzeugte“, bekennt Kuo.
Freiheit durch 3D
Kuo fand beim Umsteigen von der flachen Leinwand auf die dreidimensionalen Darstellungen in Keramik große künstlerische Freiheit. „Ich kann einfach die Farben benutzen, die ich mag, und dann den Himmel entscheiden lassen, wie Licht und Schatten auf meinen Keramikarbeiten zur Ruhe kommen oder sich verändern.“ Kuos Hingabe an die Kunst mit Ton hat auch einen philosophischen Unterbau und basiert auf dem traditionellen chinesischen Konzept der „Fünf Elemente“ (五行), womit die fünf grundlegenden Komponenten des Universums gemeint sind: Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde. Sie erläutert, dass Erde die vier anderen Elemente enthält und in Harmonie mit ihnen existiert. „Als Bestandteil des Universums haben menschliche Wesen eine inhärente Nähe zur Erde“, philosophiert Kuo. „Die natürliche Substanz von Erde kann ein gutes Medium für subtile Botschaften über das menschliche Leben sein.“ Verglichen mit Ölmalern sehen sich Töpfer mit einem komplizierteren und unvorhersehbareren Schaffensprozess konfrontiert, zu dem die Anwendung von Engobe (keramischer Überzugsmasse), Glasieren und Brennen gehören. Für Kuo sind alle diese Schwierigkeiten die Mühe wert, wenn sie sieht, wie ihr künstlerisches Ideal sich in ihren Keramikarbeiten zu wirklichen Objekten materialisiert.
Ausschnitt aus Advance and Persevere (2008). Amerikanischer Lehm, 103 x 74 x 12 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kuo Ya-mei)
Bis Ende der achtziger Jahre hatte Kuo begonnen, ihre Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen zu zeigen. Der enge Terminplan, eine Ausstellung pro Jahr zu veranstalten, machte harte Arbeit erforderlich. „Man muss jede Woche mindestens zwei Stücke produzieren, da eines davon ein Fehlschlag sein könnte“, begründet sie. „Sehr oft arbeitete ich an vielen Stücken gleichzeitig.“ Die junge Töpferin wurde sehr dadurch ermutigt, dass sie 1986 bei ihrer ersten Ausstellung 12 der 13 dort gezeigten Arbeiten verkaufen konnte. 1993 erhielt ihr Werk Retrospect großes Lob von der Kritik, als es die Goldmedaille bei der Keramikbiennale des Nationalen Geschichtsmuseums in Taipeh gewann. Diese landesweite Veranstaltung, die erstmals 1986 stattfand, umfasste Taiwans ersten professionellen Keramikwettbewerb und war somit ein Meilenstein der Töpfereientwicklung. Kuos Arbeiten gewannen auch internationale Anerkennung, nachdem sie für ausländische Wettbewerbe wie das Internationale Keramikfest Mino 1995 am Museum für moderne Keramikkunst im japanischen Gifu ausgewählt worden waren.
Retrospect und viele von Kuos anderen Arbeiten bestehen aus gemischten Medien, darunter Zypressenholz, Glas und Bronze neben Ton, um auf diese Weise eine bestimmte Sichtweise auf das Leben auszudrücken. Flowers and Moon aus dem Jahr 2000 beispielsweise soll ein Gefühl der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit des Lebens vermitteln, das man am besten dadurch erfahren kann, dass man den gegenwärtigen Augenblick nutzt und für die Zukunft offenbleibt. Ein heiteres, spirituelles Gefühl ist bei ihren Vasen und anderen stilistischen Stücken häufig wahrnehmbar.
Approaching the Sky (2008). Amerikanischer Lehm, 60 x 84 x 5,5 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kuo Ya-mei)
Chuang Hsiu-ling, Leiterin der Sammlungs- und Ausstellungsabteilung im Keramikmuseum Yingge, fungierte als Kuratorin für Kuos Ausstellung „Die Glorreiche Generation“ in dem Museum. Nach ihrer Beschreibung sind Kuos Kreationen gekennzeichnet durch ein gelassenes Aussehen, subtile Einzelheiten und eine Dynamik feierlicher Schlichtheit. „Sie scheinen absichtlich in eine Richtung der Entdeckung, Entwicklung und Erweiterung hinzudeuten“, schrieb Chuang in einer Einführung in Kuos Ausstellungskatalog.
Charme des alten Hauses
Chuang bemerkt, die Arbeiten in der Serie „Altes Haus“ besitzen einen ruhigen, eleganten und beinahe transzendentalen Reiz, unterscheiden sich allerdings sehr von der Gestaltung und dem Format von Kuos anderen Werken. Ihre abstrakten Skulpturen wie Retrospect, Flowers and Moon und Above the Sky (2004) — inspiriert durch die Dächer von Häusern im westlichen Stil — zeigen einfache Konturen und symmetrische Anordnungen. Im Gegensatz dazu sind die Stücke der Flachrelief-Serie „Altes Haus“ auf Keramikplatten realistisch mit sorgfältiger Aufmerksamkeit für Perspektive und voller ausführlicher Details. Milky Way aus dem Jahr 1999 zum Beispiel stellt einen Teil des Holzrahmengerüsts, der Ziegelmauern und des schrägen Daches jener Villa dar, die Kuo so verehrt. Viel Augenmerk wurde den ornamentalen Einzelheiten des Gebäudes geschenkt wie den Schnitzereien auf den Balken unter den Dachtraufen des Hauses und den glückverheißenden Mustern auf den Wänden. Der südchinesische Stil, der in der Villa zum Tragen kam, unterscheidet sich mit den komplizierteren und bunteren Details und den anspruchsvolleren Dekorationsschemata von nördlichen Architektur-Variationen.
Springs (2000). Amerikanischer Lehm, 42,5 x 32 x 2,5 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kuo Ya-mei)
Die Präsentation der zahlreichen, farbenprächtigen architektonischen Details ist eine größere Herausforderung als Keramikstücke mit einfacherem Design. Heute ist die einzigartige „Altes Haus“-Serie, die in der Form kleinerer Kunstwerke und auch größerer Stücke öffentlicher Freiluftkunst präsentiert wird, ein Teil von Kuos typischem Stil geworden und ein bedeutendes Thema ihrer keramischen Kreationen. Die Künstlerin ist recht stolz auf ihre modernen Methoden, mit denen sie historische Gebäude darstellt. Eine ihrer Techniken etwa besteht darin, den hinteren Teil eines Gebäudes zu vergrößern und in den Vordergrund zu rücken, „so wie es in einem kubistischen Gemälde von Picasso arrangiert würde“, vergleicht Kuo. Außerdem wird in diesen Werken auf den Rahmen von Himmel und Boden verzichtet, was ein Gefühl einer zeitlosen architektonischen Existenz in einem unendlichen Raum zur Folge hat. „Ein solches Bild eines Hauses schafft einen weit reichenden, mysteriösen Aspekt durch die schiefe Ausdehnung des Lebensraumes, die man von keinem Blickwinkel aus aufnehmen kann“, doziert Kuo. Chuang beschreibt Kuos Kunst als „magische Realität“, die Fakten und Phantasie, Schlichtheit und Großartigkeit miteinander verschmilzt.
Dass alte Häuser wie jenes, in dem Kuo während ihrer Kindheit Verstecken spielte, nach und nach verschwinden, macht sie traurig und stärkt ihre Entschlossenheit, die Bilder solch architektonischen Glanzes zu bewahren und ihm durch ihre Werke ein ewiges Leben in der Kunst zu verleihen. Als Schutzsymbol schuf die Keramikkünstlerin eine Wächterform ausgehend von der Form des „Wolkenleoparden“ (雲豹, Neofelis nebulosa, reguläre deutsche Bezeichnung: Nebelparder), eine mittlere Großkatze, die in Taiwan seit den achtziger Jahren als ausgestorben gilt. In manchen von Kuos Werken stehen diese Wächter, die eine Flöte, ein Buch, einen Schreibpinsel oder manchmal Töpferwerkzeuge in ihren Tatzen halten, um ebenso wie Kuo selbst die verschwindenden architektonischen Schätze und ein gemeinsames Gedächtnis der Menschen in Taiwan zu bewachen und zu schützen.
(Deutsch von Tilman Aretz)
Drei von Kuos Wächterformen frei nach dem Aussehen von Taiwans Wolkenleoparden. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kuo Ya-mei)
Honesty (1998). Tachia-Lehm und Glas, 49 x 13 x 56 cm (Foto mit freundlicher Genehmigung von Kuo Ya-mei)