Taiwan hat heute ein Wohlstandsniveau erreicht, das Gewerkschaften und Arbeiter ermutigt, eine höhere Entlohnung für ihre Arbeit zu fordern, doch viele Arbeitgeber sind widerstrebt oder nicht in der Lage, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Als Alternative haben einige Arbeitgeber begonnen, billigere ausländische Arbeitskräfte einzustellen, um ihren gehabten Profit beizubehalten.
Doch der Andrang von Arbeitern, auch wenn deren Anzahl relativ gesehen gering bleibt, hinterläßt auf der Insel langsam seine Spuren. Die Regierung sieht sich jetzt, wo sie versucht, für dieses heikle Problem eine Lösung zu finden, mit wütenden Gewerkschaften und Arbeitnehmern konfrontiert. Ihre Beschlußfassung hat, wie der folgende Artikel zeigt, größere Auswirkungen auf den Erfolg von Taiwans fortgesetzter industrieller Entwicklung.
Die Republik China hat, wie alle Entwicklungsländer entlang des Pazifik, ihren wirtschaftlichen Boom durch erfolgreiche Belagerung des europäischen und amerikanischen Marktes mit Billigprodukten ausgelöst. Dies war größtenteils den mehr als reichlich zur Verfügung stehenden billigen und disziplinierten Arbeitskräften zu verdanken, die keinerlei Neigung zeigten, sich an Arbeitsdisputen zu beteiligen. Taiwans blühende, dynamische Wirtschaft basiert noch immer auf den Exporten, und wie in der Vergangenheit machen die Energie und Zuverlässigkeit der hingebungsvollen Arbeitskräfte diese möglich.
Doch die Zukunftserwartungen von Arbeitern und ihren Kindern haben sich in den vergangenen Jahren, seit sie eine bessere Lebensqualität für all ihre Bemühungen anstreben, geändert. Praktisch ermutigt jede Familie in Taiwan ihre Kinder, am Wettbewerb um den Zugang zu einer guten Schule und Einrichtung der höheren Bildung teilzunehmen, um so dem Schicksal eines Fabrikjobs zu entgehen. Doch in mancher Hinsicht haben die Erwartungen die Realität überholt. Obwohl die Regierung high-tech, Dienstleistungsindustrie und die Produktion von im Wert gesteigerten Produkten betont, bleibt ein Großteil der lokalen Industrie arbeitsintensiv. Aufgrund von Veränderungen bei den zur Verfügung stehenden Arbeitskräften sehen sich die Bauindustrie und viele traditionelle Klein- und Mittelbetriebe mit Arbeiterknappheit konfrontiert.
Das Ergebnis ist ein Zustrom illegaler ausländischer Arbeiter, die gewillt sind, für einen Bruchteil dessen zu arbeiten, was lokale Arbeitnehmer heute verlangen. Die überwiegende Mehrheit dieser Arbeiter kommt aus Südostasien, insbesondere den Philippinen und Thailand. Obwohl sie die Republik China gewöhnlich mit einem Touristen- oder Studentenvisum betreten, füllen sie hier die Fabriken oder Hilfsarbeiterstellen. Inoffizielle Schätzungen beziffern die Zahl der illegalen ausländischen Arbeiter mit ca. 30 000, obwohl es Hinweise gibt, daß diese Zahl zu niedrig geschätzt ist. Während diese Zahl alles andere als groß ist, beginnt sie trotz alledem, dem Innenministerium und dem Rat für Wirtschaftliche Angelegenheiten des Exekutiv-Yüans Probleme zu bereiten.
Im Untergrund arbeitende Jobagenturen, die im Heimatland der Arbeiter operieren, dienen gewöhnlich als Mittler bei deren Eintritt in die Republik China. Laut des Rats für Arbeitsangelegenheiten haben diese Agenturen direkten Kontakt zu heimischen Unternehmen, die unter Arbeitnehmermangel leiden - und dieser wird zunehmend schlimmer. Auf dem privaten Sektor sind Firmenmanager in dem Dilemma, Tausende von Fließbandstellen und Bauarbeiterjobs füllen zu müssen, welche die einheimischen Arbeiter als unattraktiv ablehnen. Die Situation ist besonders für jemanden, der aus einem Land wie den Philippinen kommt, wo die Löhne um ein Vierfaches geringer als auf Taiwan sind und wo überfüllte Betriebe nicht einmal Stellen für Hochschulabsolventen zur Verfügung stellen können, besonders einladend.
Es ist traurig, daß die ausländischen von Taiwan angezogenen Arbeitskräfte von ihren Arbeitnehmern um ihre Rechte betrogen werden können, da sie kaum auf Schutz seitens der Regierung hoffen können. Doch selbst dies scheint besser als die Bedingungen zu Hause, wo Arbeitslosigkeit allgegenwärtig ist. 1988 betrug der pro-Kopf-Anteil am BSP auf den Philippinen 548 US$, in Thailand 770 US$ und auf Taiwan 6 045 US$. Die ausländischen Arbeitnehmer sind gewillt, kurzzeitig die Mißbehandlungen ihrer Arbeitgeber zu ertragen, weil sich die finanzielle Rückvergütung noch immer lohnt und dies, obwohl sie weniger verdienen als chinesische Arbeiter.
Einige Beobachter der Entwicklung des Arbeitsmarktes auf Taiwan sagen, daß die dortigen Bedingungen heute zum Mißbrauch reif sind. Ironischerweise haben gerade die Arbeitsmoral und die daraus resultierende Entwicklung begonnen, die Gesundheit der nationalen Wirtschaft zu untergraben. Beispielsweise betont Dr. Wu Hui-lin (吳惠林), Forschungsmitglied am Chung-Hua Institut für Wirtschaftsforschung in Taipei, daß die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage auf die weiterhin abnehmende Rate der am Arbeitsprozeß teilnehmenden Bevölkerung (definiert als das Verhältnis der gesamt zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, geteilt durch die Zahl der tatsächlich arbeitenden Bevölkerung von 15 Jahren oder älter) zurückzuführen ist. Der Wunsch nach ständiger Selbstverbesserung ist ein Teil des Problems geworden.
"Die Bevölkerung strebt energisch nach höherer Bildung, doch ist die Zahl der Krawattenträger schneller gestiegen als die Zahl der ihren Fähigkeiten angemessenen Jobs", erklärt Wu. "Nach Abschluß der Mittel- oder Oberschule bemüht sich der Großteil der Jugendlichen heute eher um eine weiterführende Bildung, als sofort der Arbeiterschaft beizutreten. Sie möchten der Schande eines niveaulosen Arbeiterjobs entgehen. Dieser starke Anreiz zu lernen hat tatsächlich die abnehmende Bereitschaft in den zur Verfügung stehenden Jobs zu arbeiten, verursacht."
Wu nimmt an, daß der Mangel von Dienstleistungsbranchen in Taiwan ferner dazu beiträgt, den Enthusiasmus der Arbeiterschaft zu unterdrücken. Ein gewöhnlicher Arbeiter kann die Ersparnis seines schwer verdienten Geldes nur an wenigen Orten ausgeben. "Warum arbeiten, wenn es nichts gibt, was es wert wäre, Geld auszugeben?" fragt Wu. "In unserem Land wird die Dienstleistungsbranche durch exzessive Regulierungen behindert, so daß diese Branche in höchstem Maße unterentwickelt ist."
Ein weiterer Grund für den Mangel an Arbeitskräften liegt in der allgemeinen qualitativen Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiter auf Taiwan. Höhere Löhne und bessere Jobs sorgen für ein zunehmend unattraktives Image der schlecht bezahlten manuellen Arbeit. Zusätzliches Einkommen innerhalb der Familie hat es für einzelne Familienmitglieder auch weniger notwendig gemacht, mehr als einen Job anzunehmen, um gut über die Runden zu kommen, und einige Familienmitglieder können sogar ganz aufhören zu arbeiten; beides entzieht dem Arbeitsmarkt die Arbeitskräfte. Außerdem existieren, dank Taiwans Liquiditätsüberfluß, neben langen ungesunden Fabrikstunden andere Einkommensquellen, wenn auch diese Quellen nicht gerade zu Taiwans nationaler Produktivität beitragen.
Zahlenmäßig viele Arbeiter sind heute vorwiegend mit Glücksspielen beschäftigt wie der lokalen Variante des Hongkong Lotto (welche die inzwischen unterbrochene nationale Lotterie Ta chia le (大家樂) ersetzt - Mindesteinsatz ca. 70 DM, nach oben sind mit etlichen Hunderttausend DM keine Grenzen gesetzt). Die örtliche Börse wird wegen ihrer Spielhallenatmosphäre und ihrer Betonung auf sofortige Auszahlungen auch "Kasino" genannt. Um Geld zu "spielen", erscheint lohnender als auf einem Bauplatz oder an einem Fließband zu schwitzen.
"Die Idee ist, so wenig wie möglich zu arbeiten und doch genausoviel zu verdienen wie jemand, der mehrere Jobs hat", sagt Wu. "Das Problem ist nicht ein Mangel an Arbeitskräften, sondern an Arbeitsbereitschaft. Taiwan hat tatsächlich keine erzwungene Arbeitslosigkeit. Die örtlichen Arbeitskräfte finden es nur einfacher, ihr Geld durch Glücksspiel zu verdienen."
Die Bedingungen der illegalen ausländischen Arbeitnehmer stehen in scharfem Kontrast zu den "Spielen" der heimischen Arbeiter. Eine philippinische Arbeiterin, die gebeten hat, anonym zu bleiben, ist seit drei Jahren illegal bei einer kleinen Elektronikfabrik in Taipei beschäftigt. Sie betrat Taiwan mit einem Studentenvisum, dessen Gültigkeitsdatum sie bewußt überschritt, um auf Taiwan zu arbeiten. Ihr Lohn liegt weit unter dem ihrer chinesischen Kolleginnen, und bis zu 14 zermürbende Stunden lang setzt sie an einem Arbeitstag Taschencomputer zusammen. Doch dieser Job ist eine glückliche Fügung und die Erfüllung eines Traumes.
"Es ist mir egal, was mit mir geschieht", sagt sie. "Ich finanziere die Collegeausbildung meines Bruders und unterstütze meine Eltern und zwei Nichten zuhause auf den Philippinen. Die Firma bezahlt mich nach Stunden, also mache ich soviele Überstunden wie möglich, bevor ich zusammenbreche. Ich möchte hier noch weitere drei Jahre arbeiten und werde es auch, wenn mir die Behörden nicht vorher sagen, daß ich gehen muß."
Trotz des offensichtlichen Beitrags der illegalen ausländischen Arbeiter für die Wirtschaft betrachtet die Öffentlichkeit sie mit Bedenken, und die Regierung befürchtet, daß ihre fortgesetzte Beschäftigung in der Billigindustrie die Transformation von einer arbeitsintensiven in eine kapitalintensive oder knowhow-intensive Industrie verzögern wird. Tai-chi Doong (董泰琪), Direktor der Abteilung für Arbeitsnormen im Rat für Arbeitsangelegenheiten, sagt, daß es für Taiwan notwendig ist, seine Industrien zu verbessern und zu modernisieren, um für die entwickelten Länder wettbewerbsfähig zu sein.
"Der Kampf wird von zwei Seiten geführt", sagt er. "Taiwan sieht sich mit zähem Wettbewerb seitens der noch nicht entwickelten Länder, deren Arbeit noch billig ist, konfrontiert. Sie holen schnell auf und nehmen uns den Markt für Billigprodukte ab. Auf der anderen Seite versuchen die entwickelten Länder, unseren Modernisierungsprozeß zu stören, um uns daran zu hindern, ihre Märkte mit unseren Produkten zu durchdringen. Wie können wir überleben, wenn wir nicht bald umfassend verbessern und modernisieren?"
Professor Wu stimmt mit Doong nicht überein, er behauptet, daß Billigindustrien ohne Schwierigkeiten neben high-tech Industrien existieren können, solange wie für die Produkte beider Seiten ein Absatzmarkt besteht. "Die Arbeit der heimischen Arbeitskräfte kann durch die Einstellung von ausländischen Arbeitern ergänzt werden, vorausgesetzt, daß sie produktiv bleiben", sagt er. "Ich glaube, der eigentliche Punkt ist die Beschäftigung, nicht die Modernisierung. Modernisierung ist ein natürlicher Prozeß, der sich ganz von selbst einstellt."
Während sich die Regierung den Kopf zermartert, was mit den illegalen ausländischen Arbeitern zu geschehen hat, klagen die Gewerkschaften laut und deutlich über die bestehende Situation. Sie sind schnell dabei, wenn es darum geht, die Schwächen der gegenwärtigen Regierung hervorzuheben. Die Gewerkschaften kochen vor Wut bei der Aussicht, daß weitere ausländische Arbeiter eingestellt werden sollen, die sie in Gefahr bringen, während der Verhandlungen um bessere Arbeitsbedingungen ihre Rückendeckung zu verlieren. Dieser Punkt wurde bei kürzlichen von der Gewerkschaft organisierten Protesten vor dem Rat für Arbeitsangelegenheiten offen hervorgebracht.
Tsai Shou-hsien (蔡守賢), Vorsitzender des Arbeiter-Landesverbandes Taoyuan, sieht die Situation als ein Problem im Problem. "Das Land ist in erster Linie von illegalen Arbeitern überflutet, da die Regierung die Bedürfnisse der heimischen Arbeiter vernachlässigt hat", sagt er. "Die Wahrheit ist, daß das Management die Profite nicht mit den Arbeitern teilen möchte, und eine armselige Legislative die bestehenden Zustände noch unterstützt. Das geltende Arbeitsrecht läßt dem Management zu viel Spielraum, um die heimischen Arbeiter auszunutzen."
Laut Tsai besteht die Satzung des Arbeitsrechts aus nichts weiter als mehrdeutigen Formalitäten, die keinen wirklichen Schutz oder Nutzen der Arbeiter gewährleisten, während dem Management freie Hand gelassen wird. Er macht auf etliche notwendige Veränderungen aufmerksam, ohne die nicht erwartet werden kann, daß die heimischen Arbeiter ihren Enthusiasmus für die Arbeit wiedergewinnen.
"Eine Grausamkeit des gegenwärtigen Gesetzes ist die Pensionsklausel, die besagt, daß ein Arbeiter nur dann pensionsberechtigt ist, wenn er länger als 25 Jahre bei ein und derselben Firma beschäftigt war", sagt er. "Doch kleine und mittelgroße Firmen existieren selten länger als 10- 15 Jahre, und viele Besitzer kleiner Exportunternehmen geben das Geschäft nach fünf Jahren auf, um einen anderen Namen anzunehmen und auf diese Weise hohe Steuern zu vermeiden. Das muß auf jeden Fall verändert werden."
Die Vergabe der diesjährigen Jahresend-Bonusse zum Chinesisch-Neujahr provozierte etliche Streiks und Proteste, da sich die Arbeiter beschwerten, daß die Manager viel zu geizig seien. In der gegenwärtigen Satzung ist nirgends erwähnt, welcher Prozentsatz der Gewinne für Bonusse reserviert sein sollte. "Dies beweist einmal mehr, daß das Gesetz nichts weiter ist als eine Ansammlung von Worten, ohne wirkliche Relevanz für die Bedürfnisse der Arbeiter", sagt Tsai.
Tsais neuester Kummer ist die Entscheidung des Rates für Arbeitsangelegenheiten, die Hilfe ausländischer Arbeitskräfte beim Bau von 14 Schlüsselprojekten in Anspruch zu nehmen. Mit geschätzten Kosten von 900 Milliarden NT$ (ca. 66 Milliarden DM) dienen die öffentlichen Bauvorhaben der Entwicklung einer verbesserten Infrastruktur für Taiwans Verkehrs- und Telekommunikationssysteme, Umweltschutzkontrolle und Programmen zur medizinischen Versorgung. Diese Aktion scheint zwar das Problem mangelnder Arbeitskräfte zu lösen, provoziert jedoch auch eine Menge Ärger.
Direktor Doong bezeichnet die Vorbehalte hinsichtlich der Einstellung ausländischer Arbeiter als "politische Unsicherheit". "Es ist, als ob es einen Apfel gibt, den ich nicht essen möchte, aber gleichzeitig auch andere daran hindere, ihn zu essen", sagt er. "Es ist ein psychologisches Problem unserer einheimischen Arbeiter." Tsai schlägt vor, diesem Problem auf eine andere Art und Weise zu begegnen als mit billigen ausländischen Arbeitnehmern. "Vielleicht können wir das militärisch technische Korps an den Projekten beschäftigen", sagt er. "Der gegenwärtige Lösungsvorschlag der Regierung ist unklug und schafft Uneinigkeit. Bitte vergessen Sie nicht, daß ich ein KMT-Mitglied bin und die Partei liebe, doch wenn ich einen Fehler bemerke, ist es meine Pflicht, darauf aufmerksam zu machen und zu versuchen, ihn zu berichtigen."
Neue Arbeitsrichtlinien werden derzeit vom Rat für Arbeitsangelegenheiten entworfen und sollen im Juni des Jahres fertig sein. Doong sagt, daß ein Teil des Gesetzes zur Auflage machen wird, daß die Löhne der ausländischen Arbeitnehmer denen der heimischen Arbeiter angeglichen werden. Dadurch sollen die Hersteller gezwungen werden, die Arbeitskosten zurückzuschrauben und die lokalen Industriebetriebe durch investitionen aufzustocken. Ferner werden Richtlinien entworfen, wie bei der Außer-Landes-Schaffung von illegalen Arbeitnehmern zu verfahren sei. Zuerst werden die Betroffenen aufgefordert, selbst für ihre Fahrtkosten aufzukommen. Falls sie dies nicht können, werden ihre Arbeitgeber oder Botschaften in Taiwan zur Verantwortung gezogen. Schlägt all dies fehl, wird die hiesige Regierung die Kosten übernehmen.
Die Staatliche Polizeiverwaltung legt zur Zeit jährlich 26 100 DM für Abschiebungen zur Seite, doch wird dies Geld nur für die Abschiebungskosten von illegalen Ausländern genutzt, die in der Republik China ein Verbrechen begangen haben. Ein Sprecher sagt, daß ein ohne Arbeitserlaubnis in der Republik China arbeitender Ausländer nicht wirklich ein Verbrechen begeht, sondern vielmehr die Regierungsbestimmungen verletzt. "Werden sie entdeckt, fordern wir sie auf, das Land binnen drei Monate zu verlassen", sagt er. "Es werden jedoch keine drastischen Maßnahmen unternommen, einfach weil niemand das Geld hat, diese Leute zurückzuschicken."
Diese milden Worte beruhigen die meisten illegalen Arbeiter wenig. "Ich habe keine Freiheit, ich fühle mich, als ob ich jeden Augenblick von der Polizei abgeschoben werden könnte", sagt die philippinische Arbeiterin. "Ich verbringe die meiste Zeit in der Fabrik, wo ich arbeiten, kochen, essen und schlafen muß. Außer um Sonntags in die Kirche zu gehen und einem gelegentlichen Besuch bei dem in der Nähe gelegenen McDonald's gehe ich nie nach draußen, aus Angst, von einer Polizeistreife gestoppt zu werden."
Tsai ist nicht blind für das Elend der ausländischen Arbeitnehmer, trotz seiner unaufhörlichen Kritik an der Regierungspolitik. "Ich verstehe vollkommen, welche Leiden ein ausländischer Arbeiter erdulden muß", sagt er. "Ich spreche für alle Arbeiter in Taoyuan, wenn ich sage, daß wir keine persönliche Feindseligkeit gegenüber den illegalen hier arbeitenden Ausländern hegen. Wir versuchen alle zu leben und zu überleben, und wir alle sind Arbeiter. Aber wir Chinesen müssen auch leben und uns verbessern können. Bis die Regierung nicht gerechtere Gesetze verabschiedet, müssen wir die ausländischen Arbeiter auffordern, nach Hause zurückzukehren."
Gleich ob die ausländischen Arbeitnehmer in ihre Länder zurückkehren oder bei Löhnen, die dem Rest der Gesellschaft angeglichen sind, auf Taiwan bleiben - ein Lösungsvorschlag für ihren Status ist überfällig, besonders da die Unzufriedenheit weiter wächst. Da Taiwan auch in Zukunft den Prozeß seiner industriellen Umstrukturierungen fortsetzen wird, ist abzusehen, daß die Frage nach den nötigen Arbeitskräften sich zunehmend differenzierter gestaltet. Wie die Regierung mit dem Andrang von ausländischen Arbeitern umgeht, ist eine der ersten wirklichen Prüfungen innerhalb eines wesentlich größeren Entwicklungsprozesses.
(Deutsch von Gesine Arnemann)