Straßenhändler
Arznei (藥劑), - von altersher bis in die heutige Zeit haben die Chinesen diesen Begriff für Mixturen benutzt, die die Gesundheit erhalten und sie wiederherstellen. Die chinesischen Apotheken waren schon immer mehr für den täglichen Bedarf eingerichtet, als nur für die Versorgung zu Zeiten echter oder zu befürchtender Erkrankungen. Die im Westen üblichen täglichen Vitamineinnahmen gab es in China bereits vor 4000 Jahren.
Heutzutage kann man bei einem Spaziergang durch jede beliebige Ladenstraße Taipeis in sehr kurzen Abständen Apotheken entdecken, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. Manche Läden haben sich auf westliche Medikamente spezialisiert, andere dagegen verkaufen nur traditionelle chinesische Medizin und wieder andere haben ihren Laden in der Mitte geteilt und bieten Beides an.
Aber für diejenigen, die auf der Suche nach weniger pharmazeutischen Mitteln gegen Schmerzen, Darmbeschwerden, Lethargie und ähnliche Zipperleins sind, gibt es, überall erhältlich, traditionelle Hausmittel, die meist von einem Einmannunternehmen oder einem Einfamilienbetrieb verkauft werden. Diese "Straßenapotheken" sind gewöhnlich in Gelegenheitsläden, wie zum Beispiel tragbaren Tischen, gemieteten Hauseingängen oder zusammenklappbaren Ständen untergebracht. Das Fehlen von festen Adressen, kunstvollen Schaukästen und all den Standardwerken über Arznei schränkt jedoch in keiner Weise deren Wettbewerbsfähigkeit ein. Ästhetische und effektvolle Darbietungen locken die Kunden zu den exklusiven Allheilmitteln.
Besuchern von Taipei, die sich besonders über die gerade erwähnten Wundermittel an Ort und Stelle informieren möchten, sei eine Tour zum "Schlangennachtmarkt" in der Hua Hsi Straße empfohlen. Jederzeit nach 20 Uhr 30 ist die vier-Häuserblock-lange Straße von Gehweg zu Gehweg voll mit schaulustigen Käufern, Straßenhändlern, wagemutigen Motorradfahrern und Verkaufsständen. Mit zahlreichen visuellen und akustischen Tricks werden die Vorübergehenden zum Entleeren ihrer Brieftasche verlockt.
Traditionelle Arzneimittel enthalten verschiedene tierische, pflanzliche und mineralische Bestandteile.
Mitten unter Hunderten von Speise-, Kleidungs-, Zeitschriften-, Geräte- und Spielautomatenständen gibt es zahlreiche Medizinstände, die ihre Wundermittel denen zum Verkauf anbieten, die auf der Suche nach Gesundheit und langem Leben sind. Einer dieser Spezialisten im pharmazeutischen Handel heißt Liu Kai-hsin. Sein Stand ist kunstvoll dekoriert und fällt sofort ins Auge. Im Hintergrund stehen große Flaschen mit geheimnisvollen Mixturen sowie deren Grundstoffe, davor kleine Packungen und weitere Ingredientien.
Hinter diesem eindrucksvollen Aufbau beugt sich Liu eifrig über mehrere Glasbehälter, deren Inhalte riesigen Gallensteinen, Hobelspänen und Brandschieferstücken ähneln. Plötzlich schöpfen seine staubigen Hände einige dieser Materialien heraus und schütten sie in einen stark abgenutzten, rostfreien Stahlmixer. Er schließt den Deckel und das Licht über den Köpfen beginnt zu flackern, als sich die Maschine mit viel Spektakel in Bewegung setzt. Die ohrenbetäubenden Mahlgeräusche machen ein Gespräch vorübergehend unmöglich.
Die Demonstration ist schnell vorüber und Lius Blick schweift mit Kennermiene über die Zuschauerschar, seine scharfen Augen verraten den Experten für schnellen Umsatz. Unverzüglich beginnt er seine Produkte anzupreisen und auch für Ohren, die nicht mit dem taiwanesischen Dialekt vertraut sind, ist der Inhalt des Redeschwalls leicht zu erraten.
In einem Gespräch mit Lius Freund stellt sich heraus, daß Liu eine beachtliche Anzahl Stärkungsmittel auf den Markt gebracht hat, die unter seiner Regie entstanden sind. Die Mittel sind nicht billig und einige seiner Zuschauer verlassen den Stand. Andere bleiben, um mehr über die heilsamen Wirkungen einer täglichen Einnahme, wie zum Beispiel eine gesunde Hautfarbe und ein aktives Liebesleben, zu hören.
Später, während einer Verkaufsflaute, erklärt Liu, er sei ein lebendes Beispiel für die anschlagende Wirkung seiner pharmazeutischen Kunst. Er wird in zwei Jahren 70 und sieht - wenn man von seinen Zähnen absieht - etwa 15 Jahre jünger aus. Seine Wundermittel sind nicht alle eigene Erfindungen. Sowohl sein Vater als auch sein Großvater haben bereits Medizin verkauft. Stolz berichtet er, daß er eine Familientradition fortsetzt, die vor nahezu 200 Jahren in der Provinz Fukien entstanden ist.
In der letzten Zeit jedoch lief das Geschäft schlecht. Zum einen herrscht auf dem Schlangenmarkt eine beträchtliche Konkurrenz. Auf der gegenüberliegenden Seite des Gehweges zum Beispiel hat ein Magier eine Menschemenge um sich versammelt. Indem er auf einer dünnen, schwarzen Decke ständig Reiskörner hin- und herschüttelt, verwandeln sich diese in popkorngroße Körner. Seine junge, hübsche Assistentin macht zwar einen desinteressierten Eindruck - am Ende der wallenden Decke stehend, gähnt sie wiederholt - aber die Menschenmenge wächst ständig.
Gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer durch lautstarke Musik zu einer anderen Medizinshow gelenkt. Diese bietet eine besondere Attraktion: Während die Familienmitglieder ein musikalisches Potpourri mit elektrischen Gitarren und chinesischen Instrumenten spielen, krächzt ein sechsjähriges Mädchen ein taiwanesisches Volkslied. Müde und abgekämpft aussehend für ihr Alter, lockt sie eine große Schar an Zuschauern heran. Genau der richtige Moment, um eine spezielle Medizin zur Bekämpfung von Muskelschwäche anzubieten.
Liu seufzt, als ob da nicht schon genug Probleme für sein eigenes Geschäft wären. Aber die eigentliche Herausforderung kommt jetzt aus einer neuen Richtung. Westliche Medikamente haben dem Unternehmen große Verluste zugefügt. Trotz der harten Konkurrenz kann er noch immer seinen Lebensunterhalt verdienen. Doch das wichtigste, Liu ist von der Wirksamkeit seiner Allheilmittel nach wie vor fest überzeugt. "Nun, wollen Sie dieses Mittel nicht mal einige Monate lang ausprobieren und.......".
(Deutsch von Irene Cheng)