24.05.2025

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Banyanbonsais

01.03.1990
Die knorrigen, freiliegenden Wurzeln von Banyanbäumen faszinieren Züchter und Käufer gleichermaßen.
Eingetopfte Zwergbäume, im Chinesischen P'en ching (盆景) genannt, sind in China schon über Tausende von Jahren kultiviert worden. Im Westen sind sie besser unter ihrem japanischen Namen, "Bonsai", bekannt. Diese Zwergpinien, Pflaumen- oder Banyanbäume können in fast ganz Asien als Zierpflanzen für Tempel oder Pavillions gesehen werden.

Obwohl selten größer als 30-60 Zentimeter, sind sie ausgewachsen. In der Begleitung von Blumen, kunstvoll drapierten Steinen und winzigen Figürchen bieten sie einen Anblick komprimierter Pracht. Kunst und Natur überlagern sich in solchen "Gärten" und resultieren in einem Mikrokosmos, der den Eindruck sowohl von Beschränkung als auch von Freiheit vermittelt.

Bonsais waren unter den Reichen und Wohlhabenden, die die Zeit hatten, die Zwergbäumchen als Hobby zu züchten, schon immer populär. Doch stieg in den letzten Jahren der Bedarf an den Miniaturbäumen, weil mehr und mehr Leute die ästhetische Atmosphäre ihrer Häuser oder ihrer Arbeitsumgebung aufbessern wollen, indem sie einen kommerziell gezogenen Bonsai erwerben. So wurde diese spezialisierte Form der Gärtnerei zu einem florierenden Gewerbe in der Republik China.


Der große Banyanbaum (auch: Bengalische Feige) mit seinen in Unmengen freiliegenden knorrigen Luftwurzeln hat chinesische Gärtner schon lange fasziniert und veranlaßte sie schließlich auch dazu, zu versuchen, ihn in Bonsaiform zu kultivieren. Einer der dabei besonders erfolgreichen Gärtner in der Republik China ist Li Tien-lai (李天來). Sein Einfallsreichtum und seine Geschicklichkeit haben die Kunst der Bonsaizucht revolutioniert und ließen ihn unter den ortsansässigen Gärtnern fast zu einer Legende werden. Seine Banyanbonsais ziehen auch regelmäßig Käufer aus dem Ausland an, vor allem aus Malaysia, Hongkong und Singapur.

Li zieht seine meisterhaften Miniaturbanyans in einer großen Baumschule in der Nähe des Tamsui-Flusses. Das Anwesen liegt in Sanchung, einem lndustrievorort Taipeis, ein Platz, den die meisten herkömmlichen Gärtner im Gegensatz zum Land, abseits von der verschmutzten Hauptstadt, wohl als einen wenig attraktiven Standort betrachten würden. Doch entschied sich Li, näher bei seinen Kunden zu sein, was zeigt, daß sein Geschäftssinn genauso gut entwickelt ist wie sein grüner Daumen.

Der große Garten, der vor Lis Baumschule liegt und sein bescheidenes eingeschössiges Haus umgibt, vermittelt dem Besucher sofort einen ersten Eindruck von den erlesensten seiner Banyanbäumchen. Die überwältigende Schönheit und Eleganz eines jeden Exemplars illustriert die geduldige Pflege und die geschickte Hemmung des Wachstums, während die "Essenz", das Charakteristikum eines voll ausgewachsenen Baumes, erhalten bleibt.

Banyanbäume waren in China schon immer populär. Sie bieten schattenspendende Rastplätze an den Straßenrändern und sind meistens ein integraler Bestandteil der Tempelvorhöfe. In fast jedem Dorf gab es wenigstens einen großen Banyanbaum, und seine weit verzweigten Äste, die sich durch ihr weit ausgedehntes Wurzelsystem versorgen, bildeten einen natürlichen Zufluchtsort für alle, um sich zu treffen, zu entspannen, den neuesten Klatsch auszutauschen, oder um Waren zu verkaufen.

Die großen Banyanbäume dienen als Modelle für die in Li Tien-lais Baumschule nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gezüchten Bonsais.

Die Technik, in kleinen Töpfen Zwergbäume zu züchten, gibt es in China schon seit Jahrtausenden und sie entwickelte sich bereits vor langer Zeit zu einer hochgeschätzten Kunst, gleichrangig mit der Kunst des Blumensteckens und der Malerei. Anders als beim Blumenstecken oder Malen, muß der Züchter von Bonsais länger auf ein Endergebnis warten. "Weil es etliche Jahre braucht, bis ein Banyanbaum in eine interessante Form gewachsen ist, war die Kultivierung von Bonsais traditionell ein Zeitvertreib für Reiche und Privilegierte", sagt Li. Dieser Zeitfaktor bringt besondere Probleme für einen professionellen Züchter mit sich, da es recht lange dauert, ehe der kultivierte Baum einem potentiellen Kunden attraktiv genug erscheint. "Ich habe diese Hürde überwunden, indem ich eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Techniken anwende, die den Wachstumsprozeß beschleunigen", erklärt Li.

Zusätzlich zu den reiferen Bonsais, die in seinem Garten aufgereiht sind, gibt es Hunderte von Töpfen mit Banyans, die nur zwei oder drei Jahre alt sind. Trotz ihres vergleichsweise niedrigen Alters, wirken die Bäume voll ausgewachsen, was vor allem auf ihr ungewöhnlich ausgebildetes Wurzelsystem zurückzuführen ist. Diese Form ist beabsichtigt und ist eine der Besonderheiten von Lis gärtnerischer Kunst. Seine Kunden nennen die Bäumchen "Ginseng-Banyans" wegen ihrer Ähnlichkeit mit der beliebten Ginsengwurzel, die in Tees und anderen Kräuterheilmitteln Verwendung findet.

"Meine Zöglinge brauchen vom Keim bis zum ausgewachsenen Baum ständige Aufmerksamkeit", meint Li und fährt fort: "Jede Pflanze ist ein Kosmos für sich, und jeder Pflanze gegenüber entwickle ich Zuneigung und ein Gefühl von Vertrautheit. Manchmal bin ich nicht mehr willens, sie zu verkaufen. Doch auch die, die verkauft wurden, erkenne ich noch nach vielen Jahren wieder."

Die Kunden kaufen die Bäume normalerweise für Freunde oder Angestellte, und manchmal erhalten die Bonsais auch besondere Publicity. "Einmal sah ich in einer Fernseh-Show die Gastgeberin der Show einen meiner Banyans als Geschenk überreichen," erinnert sich Li. "Der Baum wurde als ein besonders edles Exemplar beschrieben, das in China bereits über viele Generationen gepflegt wurde. Doch die Pflanze stammte von mir, es war unmöglich, sie nicht zu erkennen! Erst da bemerkte ich, wie hochgeschätzt meine Pflanzen sind. Es ist erfreulich zu sehen, wie beliebt meine Bäume sind, wenn ich auch nicht immer Anerkennung für ihre Kultivierung erhalte."

Banyanbäume stellen faszinierende Charakteristika zur Schau. Eines davon ist die Vorliebe, sich noch stärker in ihre Umgebung zu integrieren, indem sie ihren Stamm und ihre Wurzeln um naheliegende Steine winden und eine große Fläche bedecken, da sie langsam an Durchmesser zunehmen. Dies geschieht dadurch, daß große Äste ihr eigenes Stütz- und Versorgungssystem entwickeln. Der Prozeß nimmt seinen Anfang mit bartähnlichen Verlängerungen an den größeren Ästen. Diese wachsen langsam und strecken sich immer weiter, bis sie schließlich am Boden Wurzeln schlagen. Sie reifen heran und entwickeln sich schießlich zu einer Art natürlicher "freischwebender Strebpfeiler".

Für die Chinesen beschwört der Baum Bilder von Göttern und Naturgeistern herauf. Die einmalige Erscheinung und die charakteristischen Eigenheiten des Banyans im Kleinformat wiederzugeben, ist eine Herausforderung, die nur wenige meistern können. Es kann noch länger dauern, die Kultivierung jedes einzelnen Baumes kann sich noch komplexer gestalten, wenn diese in Art einer "Landschaft" wachsen sollen. Dabei wird das Bäumchen zusammen mit sorgfältig ausgewählten Steinen arrangiert, um zusätzlich ästhetische Aussagekraft hinzuzufügen. Diese Bäume brauchen für ihr Wachstum mehr Zeit, doch durch die gesteigerte Nachfrage der Kunden machen sich zusätzliche Anstrengungen bezahlt. Eine typische Bonsailandschaft kann einen Preis bis zu 400 US$ erzielen.

Sorgsam legt Li die Position der Steine fest, während die Bäumchen wachsen. Im Laufe der Zeit winden sich die Wurzeln um Teile der Steine und formen so ein geschlossenes Ganzes. Vor dem Auge des Betrachters kann plötzlich eine vollkommene Kleinlandschaft erscheinen, wenn nur ein richtiger Stein an die richtige Stelle gelegt wird. Diese Aufgabe kann sich als äußerst schwierig erweisen. "Geeignete Steine sind schwer zu finden", erklärt Li. "Als ich noch in der Armee war, ging ich auf der Suche nach Steinen immer in die Berge. Viele Berge und Täler sind heute für "Steinjäger" verboten. Wenn ich einen guten Stein finde, brauche ich auch einen passenden Baum. Über eben diesen Teil meiner Arbeit habe nicht ich sondern die Natur die Entscheidungsgewalt. Nach jahrelanger Erfahrung habe ich herausgefunden, daß es einfacher ist, einen Stein für eine bereits vorhandene Pflanze als eine Pflanze für einen Stein zu finden."

Die Töpfe, die für den Gesamteindruck von besonderer Bedeutung sind, kommen aus Yingko, einer Stadt in dem für Töpferei berühmten Landkreis Taoyüan. Ein qualitativ hochwertiger Topf, der aus dem eisenhaltigen Lehm dieser Region gebrannt wird, kostet um die 15 US$. Aber Li scheut keine Kosten, wenn es darum geht, den Behälter zu finden, der am besten zu seinen Pflanzen paßt und eine möglichst harmonische Komposition aus Baum, Stein und Topf ergibt.

Das Züchten von Bonsais ist eine Kunstform - bis das Kunstwerk fertiggestellt, also das Bäumchen ausgewachsen ist, muß sich der Bonsaizüchter jedoch in Geduld üben.

Lis Karriere als Gärtner begann auf ungewöhnliche Weise. Er hat einen Universitätsabschluß in Elektrotechnik. Weder er noch seine Familie hatten erwartet, daß er durch die Zucht von Zwergbäumchen zu Wohlstand kommen würde. Doch bereits mit 37 Jahren besitzt Li mehr Geld, als er sich je während seiner Universitätstage erträumt hätte. "Als ich noch jünger war, interessierten mich die Eigenschaften des Bodens als integrierter Schaltkreis", erinnert er sich. "Pflanzen haben mich schon immer stark angezogen. Ich heiratete mit 18 Jahren, und meine Frau entwickelte anfangs eine ausgeprägte Abneigung gegen mein Hobby. Sie sträubte sich gegen meine Gewohnheit, Müllhaufen und Mülltonnen nach ausrangierten Blumentöpfen und Pflanzen zu durchsuchen. Mein Lohn war armselig, und Sie können sich vorstellen, wie sie reagierte, wenn ich das bißchen Geld auch noch für Pflanzen ausgab."

Aber Lis Frau lernte seine Liebe für Pflanzen akzeptieren, und nachdem er aus der Armee ausgeschieden war, half sie ihm sogar, seinem Interesse nachzugehen. Das junge Paar lebte im obersten Stockwerk eines Appartementgebäudes, und Li nutzte in seiner Freizeit das flache Dach für seine Experimente mit neuen Arten von Bäumen, mit Aufpfropfen und Umtopfen.

"Die Zeiten damals waren hart", erzählt Li. Die Leute waren arm und nicht gewillt, an Dingen, die keinen unmittelbaren praktischen Wert hatten, wie etwa Pflanzen, Interesse zu zeigen. Meine Frau versuchte so gut sie konnte, meine Zwergbäume auf dem Markt zu verkaufen, und das brachte wenigstens soviel Geld, daß ich meine Experimente fortsetzen konnte. In dieser Zeit entschloß ich mich auch, mit Banyans zu experimentieren."

Die meisten Züchter von Bonsaibanyans siedeln ihre Baumschulen im Süden oder in Zentraltaiwan an, wo das Wetter für das Wachstum von Bäumen eher geeignet ist. Doch versuchte Li, das kühlere Wetter auszugleichen, indem er für die Saat, das Aufpfropfen und den Topfwechsel besondere Techniken entwickelte. Er fand bald heraus, daß ganz im Gegensatz zum herkömmlichen Glauben sich das Wachstum der Banyans mit dem Wechsel der Jahreszeiten ändert. "Ich nutze dieses Wissen auf verschiedene Arten", sagt er. "Ich kann zum Beispiel eine neue Wurzel in ihren ersten Topf einsetzen, wenn der Herbst näherrückt. Bis zum Frühling wird sie sich dann in der gewünschten knorrigen Form ausgebildet haben. Dies geschieht, weil die Wurzel auch im Winter anwächst, und das obwohl das Blattwachstum nur langsam vor sich geht."

Da die freiliegenden Wurzeln wohl eine der größten Attraktionen des Banyans sind, startete Li Versuche, um Wege zu finden, deren Wachstum zu beschleunigen. Einer Eingebung folgend, versuchte er es mit Schweinemist und fand heraus, daß dieser Dünger ideal ist. Außerdem sahen die Wurzeln, die der Baum hervorbrachte, aus wie Ginsengwurzeln, denen traditionell glückbringende Eigenschaften zugeschrieben werden. Li fand auch heraus, daß Sand von Bergflüssen am geeignetsten für seine Zöglinge ist, besser als gewöhnliche Erde, weil Banyans am besten in einer relativ trockenen Umgebung gedeihen und Sand nicht soviel Wasser aufnimmt.

Gerade als Li anfing, seine Zucht zu einer Massenproduktion zu steigern, vernichtete ein Taifun sämtliche Pflanzen auf dem Dach. Die Katastrophe zwang ihn, seine Pläne vollkommen zu ändern, was auf lange Sicht gewinnbringend für sein Unternehmen war. Er sah sich nach einem Stück Land um, auf dem er seine Gärtnerei in größerem Umfang betreiben konnte. Nachdem er einen geeigneten Platz gefunden hatte, lieh er sich genügend Geld, um sich ein Grundstück, ein System zum Besprenkeln der Pflanzen und die nötigen Geräte zur Bodenbearbeitung zu kaufen. Er benötigte Jahre, um den unvermeidlichen Kredit zurückzuzahlen, doch die Ergebnisse rechtfertigen das Risiko zur Genüge.

"Ich baute zwei Treibhäuser, in denen ich mich ausschließlich dem Keimen der Banyansamen widme", sagt er. "Die meisten Gärtner begeben sich in den Süden von Taiwan, um wilde Wurzeln zu finden, mit denen sie die Kultivierung eines Banyanbonsais anfangen können, weil die Samen nur schwer zu handhaben und ihr Wachstum kaum vorherzuberechnen sind. Doch nach vielen Versuchen konnte ich die Samen zum Keimen bringen, eine Errungenschaft, mit der es niemand aufnehmen konnte."

"Ginseng Banyans" nennen Lis Kunden seine Bäumchen, da deren Formen an die als Heilmittel beliebte Ginseng-Wurzel erinnern.

Der gute Ruf seiner "Ginsengbonsais" auf dem lokalen Markt weckte Interesse sowohl im Inland als auch im Ausland. "Traditionell waren es die Wohlhabenden oder die Senioren, aus denen sich die Käuferschicht zusammensetzte", sagt Li. "Doch heute kommen die jungen Leute in Scharen zu meinem Stand am Pin Chiang Blumenmarkt in Taipei. Was ausländische Kunden betrifft, so wird meine Frau, ein Mitglied der örtlichen Blumensteckgesellschaft, während der Veranstaltungen des Vereins regelmäßig von Kunden aus Übersee angesprochen. Inländische Handelsfirmen haben auch schon gefragt, ob ich meine Planzen nicht nach Europa exportieren möchte."

Die Verkäufe sind stetig und die Profite beträchtlich, doch mit der wachsenden Nachfrage aus dem Ausland stellt sich Li ein neues Problem: die Massenproduktion. Das Anwesen wird gegenwärtig von seiner Frau, zwei Söhnen im Teenageralter und einigen vorübergehend eingestellten Hilfskräften, die für das Versprühen von Insektiziden und das Unkrautjäten verantwortlich sind, bestellt. Doch die große Anfrage fängt an, die Familie zu erschöpfen. "Früher mußten wir Hunger leiden, weil niemand unsere Pflanzen kaufen wollte, heute können wir der Nachfrage kaum mehr gerecht werden!", erläutert seine Frau.

Doch steht Li vor einem weiteren Problem: Die Städteplaner der Regierung wollen eine neue Mittelschule bauen und verlangen von ihm, einen Teil seines Landes aufzugeben. Eine neue Gärtnerei muß bald gefunden werden, doch die Grundstückpreise um Taipei schießen in die Höhe, und das meiste Land wird für die städtische Entwicklung benötigt. Bis jetzt haben er und seine Frau noch keinen geeigneten Platz gefunden. Die Familie zieht in Betracht, weiter weg in den Süden zu ziehen, um einen Streifen Land zu finden, der billig genug ist, damit sie wettbewerbsfähig bleiben können.

Trotz der bevorstehenden Veränderungen ist Li nicht allzu besorgt. Seine Geschicklichkeit und sein Geschäftssinn haben ihn in der Vergangenheit gerettet, und er ist voll Vertrauen, daß seine Fähigkeiten, die ihm ein gegenwärtiges Glück beschert haben, auch in der Zukunft Gewinne bringen werden. Umgeben von seinen kleinen Zuchtwundern, scheint Li etwas von deren Gelassenheit in sich aufgenommen zu haben. Sein Seelenfrieden illustriert somit einen der Vorzüge, den die Banyanbonsais für die haben, die sie lieben.

(Deutsch von Markus Fürst)

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