30.04.2025

Taiwan Today

Frühere Ausgaben

Feng-shui, "im Reich der Mitte das größte Hindernis"

01.01.1990
Ein halbkreisförmiger Teich vor dem Haus der Familie Lin in Pan-Chiao wurde angelegt, weil eine Feng-shui-Regel besagt, daß Wasser vor dem Haus etwas Günstiges ist - auch wenn es, wie in diesem Fall, versumpft und mit wildem Gras zugewachsen ist.

Fotos vom Autor

Der in Shanghai erscheinende "Ostasiatische Lloyd" schreibt am 24.12.1898 in einem Artikel über Feng-shui (風水): "Fragt man den in China ansässigen Ausländer, woran die Verbreitung der Zivilisation des Westens im Reiche der Mitte das größte Hindernis findet, so wird die Antwort hierauf zweifellos "Feng-shui" sein."

Damit gab die Zeitung die Meinung vieler Ausländer, die sich im 19. Jahrhundert in China aufhielten, wieder. Diese stimmten darin überein, dqß der Glaube der Chinesen an Feng-shui eines der größten Hindernisse für den Fortschritt in China sei. Sie glaubten auch, daß der unvermeidliche Fortschritt diesen, für sie abstrusen Aberglauben zum Untergang verurteilen würde. Daß sich dies nicht bewahrheitet hat, beweist das Lebendigsein von Feng-shui in Taiwan, Hongkong, Singapur und Südkorea, wo es heute noch zum Alltagsleben gehört. Selbst in der Volksrepublik China, wo es seit 1949 als Aberglaube verboten ist, ist es vielerorts noch lebendig.

Welche Erfahrungen mit Feng-shui hatten die Ausländer gemacht, daß sie zu der Ansicht kamen, es sei ein Hindernis für den Fortschritt? Und stimmte diese Ansicht? Wie bedeutend war Feng-shui, daß es so ein Hindernis darstellen konnte? Diesen Fragen soll einmal nachgegangen werden. Doch zuvor muß erklärt werden, was Feng-shui (wörtl. "Wind-Wasser") eigentlich ist.

Was ist Feng-shui?
Sinn und Zweck der Feng-shui Lehre liegen im Auffinden und Regulieren von Ch'i (氣), um es den Menschen nutzbar zu machen. Ch'i kann in unserem Zusammenhang mit "Lebensenergie" übersetzt werden. Alles Dasein verdankt seine Existenz dieser Lebensenergie. Die Zunahme von Ch'i bedeutet Wachstum, der Verlust von Ch'i hingegen Absterben. So wächst und gedeiht alles im Frühling, weil das Ch'i während des Frühjahres im Zunehmen begriffen ist. Mit der Sommersonnenwende kehrt sich der Prozeß der Zunahme in den der Abnahme um. Bis zur Wintersonnenwende nimmt das Ch'i nun ab. Dann kehrt sich der Prozeß wieder um, und das Ch'i nimmt wieder zu. Auch während eines Tages nimmt das Ch'i gemäß dem Lauf der Sonne, zu und ab. Wie diese zyklische Zu- und Abnahme des Ch'i den Lauf der Jahreszeiten beschreibt, so werden auch Jugend und Alter eines Menschenlebens durch die Zu- und Abnahme von Ch'i beschrieben.

Wer eine chinesische Gymnastikart, wie etwa T'ai-chi-ch'üan gelernt hat, wird die Bedeutung von Ch'i kennen. Dienen doch die gelernten Übungen dazu, den Ch'i-Fluß des Körpers zu aktivieren und zu regulieren, um gesund und vital zu bleiben. Denn ist der Ch'i-Fluß des Körpers unregelmäßig oder unterbrochen, werden Unwohlsein und Krankheit unweigerlich die Folge sein.

Ebenso, wie das Ch'i den Körper des Menschen in unsichtbaren Bahnen durchströmt, durchströmt es die Erde in unsichtbaren Bahnen. Orte, die entlang solcher Bahnen liegen, werden sich durch ihre Fruchtbarkeit auszeichnen. Orte, denen es an Ch'i mangelt, sind zum Beispiel Wüsten. Die Feng-shui Lehre, festgelegt in unzähligen Büchern, bietet das Wissen zum Auffinden und Regulieren der Bahnen, in denen das Ch'i fließt. Von Orten, die reichlich mit Ch'i versehen sind, sagt man auch, sie hätten ein gutes Feng-shui.

Es gibt auch Orte mit schlechtem Feng-shui. Das sind Orte, die entweder über kein Ch'i verfügen, oder an denen das Ch'i nicht zirkuliert, sondern stagniert. Stagnierendes Ch'i aber wandelt sich in Sha (煞). Sha bezeichnet jegliche Art von verderblichem, ungesundem Einfluß. Sümpfe sind beispielsweise Orte mit stagnierendem Ch'i.

Es gibt spezifische Merkmale, an denen man erkennen kann, ob ein Ort über ein gutes Feng-shui verfügt oder nicht. In den Feng-shui Büchern werden diese Merkmale an dutzenden von Fallbeispielen, oft mit Skizzen versehen, beschrieben. Ein idealer Ort wird mit den Symboltieren der vier Himmelsrichtungen beschrieben. Ein Berg im Norden des Standortes wird die "Schildkröte" genannt. Die Berge im Osten nennt man den "grünblauen Drachen" und die im Westen den "weißen Tiger". Im Süden, der Blick nach Süden sollte frei sein, wird ein Hügel als "Phönix" bezeichnet. Da die Bahnen des Ch'i entlang des "Drachens" verlaufen, werden sich die besten Orte an seiner Seite befinden. Der beste Ort ist jedoch da, wo sich "Drache" und "Tiger" vereinigen. Beide Bergformationen bilden die Form eines Hufeisens, das nach Süden hin offen ist.

Es wird besonders darauf geachtet, daß an der Landschaftsformation, die den "Drachen" bildet, keine Veränderungen eintreten. Denn jede Veränderung in der Umwelt kann dazu führen, daß der Lauf des Ch'i seine Bahn wechselt. So erklärt sich, wie einst blühende Orte veröden konnten. Ihr Ch'i versiegte, weil sich dessen Verlauf änderte.

Gute Orte ausfindig zu machen, ist Aufgabe des Feng-shui Spezialisten. Seine zweite Aufgabe besteht darin, die Art von Behausung, die sein Klient an einem Ort zu errichten wünscht, gemäß dessen Geburtsdatum so anzulegen, daß Harmonie zwischen Ort, Behausung und Bewohner besteht. Erst dann kann sich der Klient sicher sein, daß er vom guten Feng-shui des Ortes profitieren wird.

Das Geburtsdatum wird in China durch acht Zeichen angegeben. Jeweils zwei Zeichen für Jahr, Monat, Tag und Stunde. Aus diesen acht Zeichen (Pa-tzu 八字) wird auch das Schicksal geweissagt. Mit ihnen ist jedem Menschen zugleich eine Affinität zu bestimmten Himmelsrichtungen gegeben. Wird ein Wohnhaus gebaut, so muß der Haupteingang, denn durch ihn werden hauptsächlich die guten oder schlechten Einflüsse eindringen, unbedingt in eine Richtung weisen, die mit den Pa-tzu des Familienoberhauptes harmoniert. Auch Arbeits- und Schlafzimmer des Familienoberhauptes, also die Räume in denen es sich vorwiegend aufhalten wird, sollten in ihrer Ausrichtung mit den Pa-tzu harmonieren. Soll ein Laden florieren, so muß er gemäß den Pa-tzu des Geschäftsinhabers ausgerichtet sein.

Den richtigen Zeitpunkt für den Baubeginn oder die Geschäftseröffnung wird ebenfalls der Feng-shui Spezialist festlegen. Denn Raum und Zeit bilden das Koordinatensystem, in dem der beste Ort gewählt wird.

Je nach Art und Zweck der Behausung wird der Feng-shui Spezialist bei deren Anlage und Ausrichtung unterschiedliche Kriterien beachten. Generell wird zwischen Yin- und Yang-chai (Chai heißt wörtl. "Behausung") unterschieden. Yang-chai (陽宅) sind alle Gebäude über der Erde. Yin-chai (陰宅) sind solche unter der Erde. Dies sind in der Regel Gräber. In Taiwan wird diese Unterscheidung dadurch betont, daß man bei Yang-chai von Ti-li (地理), einer sonst veralteten Bezeichnung für Feng-shui, hingegen bei Yin-chai von Feng-shui spricht. Diese Unterscheidung in Ti-li und Feng-shui ist eine lokale Besonderheit Taiwans. Im allgemeinen wird bei beiden, Yin- und Yang-chai, von Feng-shui gesprochen.

Diese Unterscheidung scheint eine historische Berechtigung zu haben. Findet sich doch die einzige Erklärung für die Bezeichnung Feng-shui im Tsang-shu (葬書), dem "Buch der Begräbnisse", des Kuo P'u (郭璞 276-324 n.Chr.). Mit diesem Buch, heißt es, begann man in China Grabstellen nach Feng-shui Regeln auszuwählen. Dort heißt es, daß das Ch'i vom Wind (Feng) zerstreut und vom Wasser (Shui) aufgehalten wird, deshalb werde von Feng-shui gesprochen.

Gemäß dieser Aussage finden sich im Rücken vieler chinesischer Dörfer kleine Wäldchen als Schutz vor den Winden aus dem Norden. Im Süden dagegen ist ihnen meist ein Teich oder Bach vorgelagert.

Von jeher wurde dem guten Feng-shui eines Ahnengrabes mehr Bedeutung zugemessen, als dem Feng-shui eines Wohnhauses. Das gute Feng-shui eines Grabes kommt den Nachkommen des dort Bestatteten zugute. Das Ch'i wirkt durch die Knochen des Ahnen auf die Nachkommen ein. Die Ahnen sind die Wurzeln und die Nachkommen die Äste des Familienstammbaumes. Und wie bei einem Baum die Äste durch die, unter der Erde befindlichen, Wurzeln versorgt werden, so werden die Nachkommen durch die Knochen ihrer Ahnen mit Ch'i versorgt. Man geht davon aus, daß das Ch'i durch die Ahnenknochen viel konzentrierter und direkter auf einen Menschen wirken kann, als dies bei einem Wohnhaus der Fall ist. Je weiter die Generation jedoch vom Ahnen entfernt ist, desto geringer wird die Wirkung des Ch'i sein, weil sie sich auf immer mehr Ahnen verteilt.

Um Ahnengräber ranken sich viele Legenden und Geschichten. Und es heißt, ihr Feng-shui könne manchmal so gut sein, daß es einem Nachkommen gar zur Kaiserwürde verhelfen könne. Tatsächlich haben die chinesischen Kaiser bei Volksaufständen immer auch Truppen mit dem Auftrag ausgesandt, die Ahnengräber der Anführer der Aufständischen zu finden und zu zerstören, um ihnen dadurch etwaige Erfolgsaussichten zu nehmen.

Was die Bedeutung des Feng-shui für das Leben anbetrifft, sagt man, daß das Leben eines Menschen in erster Linie von seinem Schicksal bestimmt wird. In zweiter Linie von seiner Tugend und in dritter Linie vom Feng-shui. Erst in vierter Linie wird es von Schul- und Ausbildung beeinflußt.

Das Feng-shui eines Ortes basiert auf dem gesamten sichtbaren Umfeld. Schon die geringste Veränderung im Sichtfeld des Standortes, das Fällen eines Baumes oder das Errichten eines Laternenpfahles, kann dessen Feng-shui beeinträchtigen. Von schädigendem Einfluß (Sha) sind hierbei alle Arten gerader Linien, die entweder auf den Standort zulaufen oder ihn ungünstig schneiden. Vornehmlich sind dies Straßen, Kanäle, Stromleitungen oder Linien, die von Dächern gebildet werden. Auch hohe Objekte, wie Türme oder Schornsteine, die andere Gebäude überragen, können Sha erzeugen. Läßt sich die Ursache eines schädigenden Einflusses nicht beseitigen, kann man sich schützen, indem man eine Sichtblende errichtet. Denn was vom Standort aus nicht gesehen werden kann, kann auf ihn auch keinen schädigenden Einfluß haben.

Eine andere Möglichkeit ist, den schädigenden Einfluß mittels eines Spiegels zurückzuwerfen. In der Regel sind die Spiegel von den acht Trigrammen (Pa-kua 八卦) des I-ching (易經), dem "Buch der Wandlung", eingefaßt. Es können auch achteckige Holzbretter sein, auf die die acht Trigramme aufgemalt sind. Besonders in den ständig ihr Gesicht verändernden Städten von heute, wo sich gerade Linien und hohe Bauten nicht mehr vermeiden lassen, finden sich häufig Feng-shui Spiegel an den Häusern angebracht.

Der Feng-shui Kompaß: Wichtiges Werkzeug des Feng-shui Spezialisten, noch bevor der Kompaß für die Seefahrt Verwendung fand.

Aber nicht nur Wohn- und Geschäftshäuser oder Gräber haben Feng-shui. Auch ganze Länder haben ihr spezielles Feng-shui, bestimmt durch ihre Gebirgszüge, Flüsse und Seen. Die Anlage von Bergwerken oder Stauseen kann das Feng-shui eines ganzen Landes verändern. Entscheidend für die Geschicke des Landes ist immer das Feng-shui der Hauptstadt. Diese Hierarchie setzt sich nach unten fort. Das Feng-shui der Provinzhauptstadt bestimmt die Geschicke der Provinz, das der Kreisstadt die des Landkreises. Das Feng-shui einer Stadt ist bestimmend für die Geschicke ihrer Bürger, deren persönliche Geschicke wiederum vom Feng-shui ihres Hauses beeinflußt werden.

In einem Gespräch über Feng-shui gab mir jemand für die diesjährigen Zwischenfälle auf dem Pekinger Tienanmen-Platz folgende Feng-shui Erklärung: Die großen Verluste an Waldbeständen, durch die verheerenden Waldbrände vor zwei Jahren in der Mandschurei, hätten das Feng-shui von Peking ungünstig beeinflußt. Die nun kahlen Hügel und Berge böten keinen ausreichenden Schutz mehr vor den schädlichen Einflüssen aus dem Norden. Dies hätte die Regierungskrise beschleunigt und zu den landesweiten Unruhen dieses Jahres geführt. Man kann dies glauben oder nicht, aber bis jetzt hat es für den Fall einer jeden "Dynastie" in China immer auch eine Feng-shui Erklärung gegeben.

Ein Hindernis für den Fortschritt?
Als die westlichen Mächte im 19. Jahrhundert China gewaltsam öffneten, war das Reich der Mitte ein Land, das innerlich von der Lehre des Konfuzius, äußerlich aber von der Feng-shui Lehre geprägt war.

Bis 1949 wurden in China bei der Anlage aller Städte und Ortschaften die Feng-shui Regeln beachtet. Die Pflege des städtischen Feng-shui war Anliegen aller Bürger der Stadt. Bis auf Tempel, Pagoden und Amtsgebäude waren alle Häuser einer Stadt gleich hoch. Kein Haus sollte durch seine Höhe das Feng-shui der umliegenden Häuser schädigen. Fühlte sich ein Bürger doch einmal durch eine Veränderung in der Nachbarschaft in seinem Feng-shui geschädigt, konnte er diesen Fall, ließ er sich nicht gütlich lösen, auch vor Gericht, d.h. vor den Mandarin, bringen. Erst mit der Ausrufung der Republik 1911 wurden Feng-shui Streitigkeiten nicht mehr vor Gericht zugelassen.

Während die Sorge um das eigene Feng-shui oft zu Streitigkeiten zwischen Nachbarn führte, verband sie die Sorge um das gemeinsame Feng-shui der Stadt wieder zu gemeinschaftlichem Handeln. 1899 berichtet ein Missionar von seiner Missionsstation, daß dort die Bewohner auf Anraten des Feng-shui Spezialisten die Bergkrone eines nahen Berges, unter viel Mühe durch Hinauftragen von Erde um fünfzehn Meter erhöhten, um das Feng-shui des Dorfes zu verbessern.

Die häufigste Maßnahme zur Verbesserung des Feng-shui von Städten und Landkreisen war die Errichtung von Pagoden. Die meisten Pagoden Chinas dienten Feng-shui Zwecken. Zusammen mit den zahllosen Gräbern waren sie das Charakteristikum der chinesischen Landschaft. Kein Reisebericht des 19. Jahrhunderts läßt sie unerwähnt. Als 1821 die chinesische, wie portugiesische Bevölkerung Makaos aufgerufen wurde für den Bau einer Feng-shui Pagode zu spenden, - der wirtschaftliche Rückgang der Stadt wurde mit einem verschlechterten Feng-shui begründet, und die neue Pagode sollte zur Verbesserung des Feng-shui beitragen - spendete selbst der portugiesische Magistrat der Stadt Geld für dieses Bauvorhaben.

Halfen solche Maßnahmen zur Verbesserung des Feng-shui nicht, wurden mitunter ganze Ortschaften an einen neuen Platz verlegt. In den New Territories von Hongkong wurde 1936 das letzte Mal ein Dorf aus Feng-shui Gründen verlegt.

Für all diese Bemühungen hatten die Ausländer, die im 19. Jahrhundert nach China kamen, wenig Verständnis. Sie konnten dazu nur mit dem Kopf schütteln und auf den Unverstand der Chinesen weisen. Trotzdem mußten sie immer wieder die landschaftlich schöne Lage vieler Tempel und Ortschaften bewundern. Hierbei erkannten sie auch die Leistung des Feng-shui an, die für sie im Gespür für die Harmonie zwischen Architektur und Landschaft lag.

Auf diese Harmonie nahmen sie aber keine Rücksicht. Da sie sich als Kolonialherren und im Besitze der überlegeneren Kultur fühlten, fühlten sie sich auch über Feng-shui erhaben. Ihre Begegnung mit Feng-shui war daher von Anfang an durch Konflikte gekennzeichnet.

In Ningpo war es der hohe Flaggenmast, den der amerikanische Konsul vor seiner Wohnung errichtete, der die Anwohner beunruhigte. Doch auf die Macht der Kriegsschiffe gestützt, konnte er seinen Willen durchsetzen und der Mast blieb stehen. Um den schädigenden Einfluß des Mastes abzuwehren, errichteten die Anwohner nahebei einen noch höheren Mast, der mit einem Feng-shui Spiegel versehen wurde.

In Amoy war es eine Kirche, die die chinesischen Gemüter erregte. Sie wurde kurzerhand niedergebrannt, mußte aber auf Druck des britischen Konsuls wieder aufgebaut werden. Diesmal bauten die Bürger zum Schutz vor dem Sha eine Mauer gegenüber der Kirche.

Je größer aber das Objekt war, das Sha verursachte, desto schwieriger war es, geeignete Abwehrmaßnahmen zu treffen. Deshalb lehnten viele Mandarine die Erlaubnis zum Bau hoher Gebäude in den Städten ab, weil sie zu Recht Ausschreitungen von Seiten der betroffenen Bevölkerung erwarteten. Daß sie dabei die Ablehnung solcher Bauten mit Feng-shui begründeten, entsprach nur der Wahrheit. Dies stieß jedoch bei vielen Ausländern nicht nur auf Unverständnis, sondern wurde von ihnen auch als Ausrede betrachtet.

Bald waren sie sich darin einig, daß die Mandarine nur zu gern Feng-shui anführten, um ihre Bauvorhaben abzulehnen, weil die Ausländer dem nichts entgegnen konnten. Sie unterstellten dabei den Mandarinen oft fremden- und fortschrittsfeindliche Motive. Sicherlich gab es in China Fremdenfeindlichkeit, doch es wurden keine Feng-shui Probleme aus Fremdenfeindlichkeit konstruiert. Die Probleme beschworen die Ausländer selber herauf, indem sie die Feng-shui Regeln mißachteten.

In den Vertragshäfen, den Orten an denen sich die meisten Ausländer aufhielten, entschärfte sich das Feng-shui Problem mit der Einrichtung der Konzessionen, da in ihnen die Ausländer freie Hand beim Bauen hatten. Als ein Akt der Fremdenfeindlichkeit kann es allerdings angesehen werden, daß den Ausländern als Konzessionsgebiete gern Gelände mit schlechtem Feng-shui zugewiesen wurden.

Was den Vorwurf der Fortschrittsfeindlichkeit anbetrifft, so stimmt es, daß es Mandarine gab, die den westlichen Neuerungen weniger zugeneigt waren als andere. Was sie letztlich zu entscheiden hatten war, ob der Einführung von Neuerungen oder dem Schutze des Feng-shui Priorität einzuräumen war. Denn jeder Eingriff in die Landschaft betraf automatisch deren Feng-shui.

Dies war für die Ausländer schwer zu verstehen, weil sie meist ein sehr dürftiges Wissen über Feng-shui hatten. Viele glaubten, es handele sich dabei um Wind- und Wassergeister, oder um Drachen, die nicht gestört werden dürften. Bezeichnend ist eine Szene, die sich vor dem englischen Gericht in Weihaiwei abspielte. Ein Chinese klagte gegen das Betreiben eines Steinbruchs, der auf der Rückseite des Berges lag, an dem sich auch sein Ahnengrab befand. Das Feng shui des Grabes war in Gefahr, weil der Drache, also der Berg, durch den Steinbruch verletzt wurde. Der Richter, der sich die Ausführungen der chinesischen Seite anhörte, entgegnete darauf, daß der Drache sich doch wohler fühlen müsse, wenn ihn die schweren Steine nicht mehr beengen und belasten würden. Die Chinesen, nicht wenig über diese Unwissenheit verwundert, erklärten, daß doch die Steine selbst der Drache seien.

Ein besseres Wissen über Feng-shui hatten die Missionare, weil sie sich auch theoretisch damit auseindersetzten. Doch blieb für sie Feng-shui immer ein strikt abzulehnender Aberglaube.

Daß der "Drache" nicht verletzt wird, war auch ein Grund dafür, daß es in China relativ wenig Bergwerke gab, obwohl das Knowhow dazu vorhanden war. Es gab sogar kaiserliche Erlasse gegen den Bau von Bergwerken zum Schutze des Feng-shui. Als die Provinzregierung von Ssu ch'uan im Jahre 1900 einer Gruppe von ausländischen Ingenieuren Schutz und Unterstützung bei der Suche nach Bodenschätzen, sowie der Eröffnung von Bergwerken gewährte, tat sie dies nur unter der Bedingung, daß das Feng-shui dabei nicht verletzt würde.

Während Bergwerke den "Drachen" einer Stadt oder einer Provinz verletzen konnten, bildeten Telegraphenleitungen und Eisenbahnen gerade Linien, die das ganze Land durchschnitten. Es ist also nicht verwunderlich, daß Bauvorschläge dazu auf Feng-shui Einwände trafen. Da der Telegraph und die Eisenbahn damals die Symbole des Fortschritts schlechthin waren, konnte es nicht ausbleiben, daß Feng-shui als fortschrittshemmend angesehen wurde.

Das Schicksal der ersten Telegraphenleitung Chinas bestätigte diese Auffassung. 1865 zwischen Shanghai und der Mündung des Huangp'u errichtet, wurde sie noch im gleichen Jahr aus Feng-shui Gründen zerstört. Denn unglücklicherweise starb gleich nach Errichtung der Leitung in einem nahegelegenen Dorf ein Mann aus unerklärlichen Gründen. Die Bewohner nahmen den schädlichen Einfluß der Leitung als Todesursache an und rissen sie daher nieder. Der chinesische Magistrat Shanghais erkannte die Beweggründe der Dorfbewohner an und verbot den Wiederaufbau der Telegraphenleitung.

Erst 1881 sollte die nächste Überland-Telegraphenleitung in China gebaut werden. Diesmal jedoch unter dem Schutz der chinesischen Behörden und gegen die Widerstände in der Bevölkerung. Selbst behördliche Erlasse wurden veröffentlicht, die das Zerstören der Leitungen unter Todesstrafe stellten. Trotzdem wurden während einer Hungersnot in Shanhsi 1892 vielerorts die Telegraphenmasten niedergerissen, weil man die Hungersnot dem durch die Telegraphenleitung verschlechterten Feng-shui der Provinz zuschrieb.

Es waren aber nicht die Schwierigkeiten beim Telegraphenbau, die Feng-shui den Ruf des Fortschrittshemmnisses einbrachten. Vielmehr war es die Verhinderung des Eisenbahnbaus, die man Feng-shui zur Last legte. Doch gerade hier erwieß sich Feng-shui nicht als das vermutete Hindernis. Auch die erste Eisenbahnlinie Chinas fiel nicht, wie bis heute vielfach angenommen, Feng-shui zum Opfer.

1876 gelang es den Ausländern, indem sie die chinesischen Behörden über ihr Vorhaben täuschten, eine Bahnlinie zwischen Shanghai und dem siebzehn Kilometer entfernten Wusung zu bauen. Als zwei Monate nach der Eröffnung der Bahnlinie ein Chinese vom Zug überfahren wurde, nahmen die Behörden dies zum Anlaß, um gegen die Bahn vorzugehen. Die Bahn mußte an die Provinzregierung verkauft werden, wobei diese sich verpflichten mußte, den Betrieb noch ein Jahr lang aufrecht zu erhalten. Da die Bahn sogar mit Gewinn fuhr, war man auf ausländischer Seite um so mehr verwundert, als nach Ablauf des Jahres die Schienen abmontiert und samt Wagen und Lokomotive nach Taiwan verschifft wurden. Hatte man doch insgeheim gehofft, daß die Chinesen, nachdem sie einmal gesehen hätten, daß Eisenbahnen ein gewinnträchtiges Geschäft sind, dem Bau weiterer Bahnen positiv gegenüberstehen würden.

Die Ausländer selber gaben sich als Erklärung für dieses Handeln die Antwort "Feng-shui". Doch zu keinem Zeitpunkt des Baues und des Betriebs der Bahn gab es Probleme mit Feng-shui. Wenn es die gegeben hätte, dann schon während des Baues der geraden Fahrtrasse, denn diese führte durch ein Gelände mit vielen Gräbern. Doch gerade die Trasse wurde als öffentliche Straße beibehalten.

Das Bestehenbleiben der Bahn wäre einer Ermutigung zu weiteren solchen Aktionen gleichgekommen, und um den Ausländern da jede Illusion zu nehmen und um politische Unabhängigkeit zu beweisen, war die Demontage der Bahn ein notwendiger Schritt. Schon 1863 hatte Li Hung-chang, damaliger Provinzgouverneur von Chiangsu, die Bitte um die Erlaubnis des Baues einer Bahn zwischen Shanghai und Suchou mit der Begründung abgelehnt, daß Eisenbahnen für China nur zum Guten seien, wenn sie von Chinesen selbst gebaut und betrieben würden. Feng-shui erwähnt er in seiner Ablehnung nicht. Politische Gründe waren ausschlaggebend für das Für und Wider beim Eisenbahnbau. Dies trifft auch für die Demontage der ersten Eisenbahn Chinas zu.

Die nächste Eisenbahn, diesmal unter chinesischer Regie, wurde 1881 in Betrieb genommen. Über Schwierigkeiten wegen Feng-shui beim Bau der Bahn gibt es keine Berichte. Auch die deutschen Bahnbauer in Shantung konnten von keinen ernsten Schwierigkeiten wegen "religiöser Vorurteile" berichten. Sie hatten in weiser Voraussicht 1899 mit den chinesischen Beamten und Dorfvorstehern einen Vertrag abgeschlossen. Dieser sah vor, daß Kreis- und Dorfvorsteher zusammen mit einem deutschen Ingenieur das für die Bahn nötige Land vermessen und einen Durchschnittspreis dafür errechnen sollten. Eingeschlossen in den Preis waren Flurschäden, Bearbeitungsgebühren und Entschädigungen für Gräberverlegungen. Feng-shui hatte aber doch Auswirkungen auf den Bau der Bahn in Shantung. Denn in vielen Fällen war es Grund dafür, daß die Bahnhöfe nicht so dicht an die Ortschaften herangelegt wurden, wie es im Verkehrsinteresse gelegen hätte. Dies soll sich jedoch schon während der zweiten Hälfte des Bahnbaues geändert haben.

Abschließend kann gesagt werden, daß Feng-shui kein generelles Hindernis für den Fortschritt in China war. Rücksicht auf Feng-shui mußte allerdings genommen werden. Zumindest mußte es bei der Planung berücksichtigt werden. Meist ließ sich eine geeignete Maßnahme finden, um einen unvermeidlich entstehenden schädigenden Einfluß zu neutralisieren. Andernfalls blieben Konflikte nicht aus.

Mit dem Verlust staatlicher Protektion hat Feng-shui viel von seiner einstigen Bedeutung verloren. Beim Bau eines Hauses muß heute nicht mehr Rücksicht auf das Feng-shui des Nachbarn genommen werden. Feng-shui, das einmal Anliegen aller war und das Bild ganzer Städte prägte, wird heute mehr und mehr zur Privatangelegenheit von Haus- oder Firmeneigentümern.

Da die Ausländer sich aus Arroganz und Unwissenheit über Feng-shui hinwegsetzten, war ihre Begegnung mit Feng-shui von Anfang an durch Konflikte gekennzeichnet. Diese Konflikte bestätigten sie wiederum in ihrer Ablehnung des Feng-shui. Manche Kirche wäre nicht niedergebrannt worden, hätte man auf den hohen Kirchturm verzichtet. Manchmal war es nur der Schornstein, den ein Ausländer auf sein Dach setzte, der für Ärger sorgte. So summierten sich die Zwischenfälle und bald hatte jeder Ausländer eine Feng-shui Geschichte zum besten zu geben. Wieviel Wahres daran war, interessierte bald nicht mehr, denn mit Feng-shui ließ sich alles erklären.

Die Hoffnung der Ausländer, besonders der Missionare darauf, daß der Bau von Eisenbahnen und Telegraphenleitungen, die schnurgerade das Land durchschnitten, die Glaubwürdigkeit von Feng-shui erschüttern würde, hat sich nicht erfüllt. Das, was die Glaubwürdigkeit von Feng-shui erschüttert hat, ist die Verbreitung westlichen Denkens.

Meistgelesen

Aktuell