11.05.2025

Taiwan Today

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Das Rennen in Richtung Qualität

01.01.1990
Taiwans neue Qualitätsräder: Vielleicht kein "Rolls Royce", aber zumindest ein "Benz"?
Nach zwei Jahrzehnten gradlinigen Rennens im internationalen Wettbewerb hat die heimische Fahrradindustrie in den letzten zwei Jahren eine scharfe Kurve genommen. Die arbeitsintensive Produktion von qualitativ minderwertigen Rädern, die in Taiwan früher üblich war, verlagert sich nun nach Thailand, auf das chinesische Festland und in andere sich entwickelnde Länder. In Reaktion darauf sind die Hersteller in Taiwan jetzt dazu gezwungen, entweder im Ausland zu produzieren, ihre Produkte zu verbessern oder mit anderen Waren zu handeln.

Obwohl sich bereits viele Fahrradhersteller dazu entschlossen, ihre Billigprodukt-Operationen ins Ausland zu verlagern, um die Vorteile billigerer Arbeitskräfte auszunutzen, entschieden sich einige andere, die Hitze des Konkurrenzkampfes auszusitzen, in höhere Gänge zu schalten und in Taiwan mit der Herstellung qualitativ hochwertiger Räder zu beginnen. Ihr Erfolg dabei illustriert, daß heimische Unternehmer durchaus zur Verbesserung ihrer Produkte fähig sind, zeigt aber auch, daß das Vordringen in die gehobenen Preisklassen wesentlich effektiver wird, wenn es mit Regierungshilfe geschieht.


Nach einem Jahrzehnt relativ ruhigen Dahinrollens auf dem internationalen Fahrradmarkt erlebten Taiwans Hersteller von weniger hochwertigen Rädern ein rauhes Erwachen. Veränderungen auf dem Weltmarkt machten die Umstrukturierung dieses Industriezweiges notwendig. Das letzte gute Jahr für die Billigradproduktion war 1986, als die heimischen Hersteller 9,25 Millionen Stück exportierten. Im darauf folgenden Jahr wurde das Überleben der Fahrradindustrie in Taiwan durch die rapide Aufwertung des Neuen Taiwan Dollars (NT$), steigende Arbeitskosten sowie protektionistische Maßnahmen der USA in ernste Schwierigkeiten gebracht. Die drohende Gefahr war so groß, daß das Wirtschaftsministerium diesen pro Jahr 500 Millionen US-Dollar umsetzenden Industriezweig auf die Liste der bedrohten Industrien setzte.

Während pessimistische Beobachter voraussagten, daß das Schicksal der Fahrradindustrie auf Taiwan besiegelt sei, und sich die Hersteller drängelten, um nach Thailand oder auf das chinesische Festland umzuziehen, weigerte sich eine Reihe von Geschäftsleuten, die heimische Produktion aufzugeben. Sie entschlossen sich zu investieren, ihre Räder zu verbessern und in ihren in Taiwan gelegenen Fabriken verschiedene erstklassige Erzeugnisse vom Band rollen zu lassen.

Diese Hersteller rechneten damit, daß besonders gute, hochwertige Fahrräder eine mögliche Alternative bieten müßten - auch wenn Europa, die Vereinigten Staaten und Japan den Markt, vor allem für Räder der Oberklasse, fest im Griff hatten. Mit "erstklassig" hatten die Taiwan-Hersteller nicht die Produktion von Superfahrrädern im Sinne. Sie sahen ihre größte Chance zum Erfolg in der Herstellung erschwinglicher Fahrräder der "mittleren Oberklasse".

Ihre Interpretation des Marktes erwies sich als richtig. Regierungsstatistiken bestätigen, daß trotz eines stetigen Exportrückganges von 9,25 Millionen Stück 1986 auf 6,3 Millionen Stück im Jahre 1988 im selben Zeitraum der Exportwert von 430 Millionen US-Dollar auf 543 Millionen US-Dollar anstieg. Der Durchschnittswert pro Stück kletterte bei den Fahrrädern von 61 US-Dollar auf 74 US-Dollar. Tatsächlich gewinnen Taiwans Radhersteller in einem Bergaufrennen an Geschwindigkeit.

Fritz Jou (周丁才), Generalmanager der Fritz Jou Manufacturing Company, ist einer jener entschlossenen Optimisten, die sich entschieden, sich in Richtung oberes Ende der Fahrradproduktion zu wagen, als andere in dem Geschäft die Sachen packten, um ihre Betriebe ins Ausland umzusiedeln. "Wir hatten nur drei Möglichkeiten", erzählt er. "Aufhören, ins Ausland umziehen oder uns verändern. Aber die ersten zwei Optionen kamen für uns nie in Betracht."

Seiner Meinung nach wird es sich als weiser herausstellen, der Versuchung, ins Ausland zu flüchten, widerstanden zu haben: "Auf den Philippinen oder auf dem chinesischen Festland sind Arbeitskräfte und Material billig, aber die dortigen politischen Verhältnisse sind unstabil, und die sozialen Verhältnisse könnten sich ändern. Ich habe mehr Vertrauen in Taiwan."

Die Verkaufszahlen seiner mittelgroßen Firma entsprechen dem Trend bei den Fahrradherstellern auf der ganzen Insel. 1987 exportierte die Firma noch 360 000 Billigräder, 1988 waren es nur mehr 180 000. Trotz dieses 50-prozentigen Rückgangs im Verkaufsumfang blieb der Bruttoverdienst gleich. Dieser Anstieg des Exportwertes resultierte zum Teil aus der Aufwertung des NT-Dollars um 40 Prozent, hatte seine Ursache aber vor allem in der Verbesserung der Produkte und Herstellungsmethoden.

Wie viele andere heimische Firmen, die ihre Produkte und Produktionstechniken zu verbessern suchen, wandte sich auch die Fritz Jou Company rat- und hilfesuchend an das Büro für Industrie-Entwicklung (Industrial Development Bureau, IDB) des Wirtschaftsministeriums. Das IDB unterstützt das Institut für Industrieforschung (Industrial Research Institute), das ein Spezialprogramm initiierte, um Fahrradherstellern bei der Verbesserung ihrer Herstellungstechniken und -technologien zur Seite zu stehen. Nach Beratung mit dem IDB investierte Jou 2,5 Milliarden NT-Dollar (92 Millionen US$) in die Errichtung einer modernen Fabrik direkt außerhalb Taichungs in Zentraltaiwan. Das Projekt umfaßte die Installation der neuesten importierten Lackier- und Montagetechnologie sowie die Ausbildung der Arbeitskräfte in Herstellungstechniken für die High-Class-Produktion.

Die Firma "Giant" ist tatsächlich ein Riese: Alleine hier, in ihrem Werk in Taichung, rollen täglich 7 000 Räder vom Band.

Aber nicht nur kleine und mittelgroße Unternehmen profitieren von dieser Regierungsunterstützung. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die treffend benannte Giant Bicycle Company: 'Giant' heißt Riese, und die Giant Bicycle Company ist der größte Fahrradhersteller der Welt. In nur einer der Mammutfabriken, der in Taichung, rollen täglich 7 000 Fahrräder vom Band. Die Firma produzierte 1988 ungefähr 1,4 Millionen Stück und registrierte Verkäufe im Wert von 140 Millionen US-Dollar. Doch selbst bei einer so gigantischen Produktion sahen die Giant-Manager die Notwendigkeit, die Qualität zu steigern, wenn die Firma überleben sollte. Firmenchef Anthony Lo sagt dazu: "Wir werden keine Rolls Royce [aus den Fahrrädern) machen, aber ein BMW oder Benz wäre gut."

Während der letzten drei Jahre arbeitete Giant gemeinsam mit dem von der Regierung geförderten Institut für Materialforschung an der Entwicklung von Kohlefaser-Komponenten zur Fertigung von Fahrradrahmen. Der nächste Schritt wird dann darin bestehen, die zur Herstellung dieses Materials nötige Technologie zu entwickeln. Denn obwohl Kohlefaser-Rahmen der wesentliche Bestandteil eines jeden Fahrrades der Spitzenklasse sind, sind die Firmen, die dieses Material erfolgreich produzieren, dazu bislang nur in kleiner Stückzahl und bei hohen Preisen in der Lage. Die Langzeitstrategie von Giant ist es, diese Rahmen zu einem erschwinglichen Preis herzustellen.

Eine Firma mit lediglich 35 Angestellten könnte Giant in diesem Punkt bereits überholt haben. Obwohl nicht groß genug, die hohen Produktionsraten von Giant einzuholen, behauptet die Shitamori Company, ein kleiner heimischer Fahrradrahmen- und Komponentenhersteller, daß sie bereits einteilige Kohlefaser-Rahmen zu einem außergewöhnlich niedrigen Preis herstellen kann. Unter Anwendung eines besonders konstruierten High-Tech-Ofens, der einen Rahmen pro Minute fertigen kann, ist es Shitamori nach Aussage ihres Gründers Terry Lin möglich, Kohlefaser-Rahmen zu einem Preis zu vermarkten, der "der niedrigste auf der Welt" ist.

Die Shitamori Company, der das Image anhaftet, Taiwans Pionier in der High-tech-Entwicklung zu sein, fertigt gegenwärtig pro Monat 4 500 Rahmen. Die Firma bereitet sich auf die Erweiterung ihrer Anlage vor und entwickelt außerdem Pläne für ein neues Fahrrad, das - revolutionär - ganz aus Kohlefaserteilen bestehen soll.

Für die meisten Firmen auf Taiwan ist, unabhängig von ihrer Größe, der Gangwechsel von der Billigproduktion hin zur Herstellung qualitativ hochwertiger Räder komplizierter, als daß er sich im Bau neuer Anlagen oder der Entwicklung von High-tech-Maschinen erschöpfte. Die Mehrzahl unter Taiwans Fahrradherstellern produzierte während der letzten 20 Jahre billige, qualitativ minderwertige Ware. Hochwertige Produkte jedoch erfordern ein neues Bewußtsein auf allen Ebenen des Herstellungsprozesses. Firmenmanagement und Organisationsmethoden müssen verfeinert, die Belegschaft entsprechend geschult werden. So erzählt einer der Hersteller: "Es war schon ein großes Ding. Wir mußten ja nicht nur unsere Organisation, sondern auch die Arbeitsweise der Mitarbeiter ändern, und wie sie über ihre Arbeit denken."

Über die letzten Jahrzehnte hinweg waren die Ausbildung von Arbeitskräften und deren Nachschulung, aber auch das Verhältnis zwischen Management und Arbeiterschaft in Taiwan weitgehend vernachlässigte Gebiete. Jetzt muß sich Taiwans Industrie an völlig neue Umstände anpassen. Und dies trifft insbesondere dann zu, wenn Fabriken zur Produktion von erstklassigen Gütern überwechseln, denn obwohl die Einführung mechanisierter Montageverfahren die Anzahl der benötigten Arbeitskräfte verringert, müssen diese wesentlich besser qualifiziert sein.

Taiwan habe sich verändert, erläutert Jou, und somit habe sich auch die gesamte Lebensweise gewandelt. "Die Leute sind nicht länger bereit, jeden Tag Überstunden zu machen oder für niedrige Löhne zu arbeiten. Da die Betonung jetzt eher auf Qualität als auf Quantität liegt, schließt Verbesserung nach oben alles ein, auch die Arbeiter. Genauso wie die Arbeiter mehr vom Management erwarten, erwarten wir auch mehr von ihnen. Qualität erschöpft sich nicht in der Qualitätskontrolle, sondern bezieht sich auf alle Aspekte der Fabrikation, vom Empfangstisch bis zum Fußboden der Montagehalle."

Im Bemühen, den Erwartungen der Fabrikarbeiter entgegenzukommen, umfaßt die neue Fritz Jou Fabrik eine geräumige Cafeteria, Erholungseinrichtungen sowie einen Komplex mit Schlafsälen für diejenigen unter den Arbeitern, die es vorziehen, auf dem Fabrikgelände zu wohnen. Noch vor wenigen Jahren waren dies in Taiwan praktisch unbekannte Vorzüge.

Mit ihrer neu geschulten Belegschaft und den modernen Fabrikationsanlagen ist die Fritz Jou Company jetzt in der Lage, jeden Monat 25 000 hochwertige Fahrräder herzustellen. Die Umformung der Produktserien ist längst nicht abgeschlossen, und in diesem Jahr wird die Herstellung von Mittelklasserädern immerhin noch 40 Prozent der Gesamtproduktion bestreiten. Aber schon 1990 sollen Produkte mittlerer Qualität nur noch 20 Prozent ausmachen; alle anderen Räder werden dann zur Klasse der Top-Fahrräder gehören, mit in Taiwan produzierten Chrom- oder Aluminiumrahmen und hochwertigem, importiertem Zubehör. Die Entwicklung der neuen Produktserien bei Fritz Jou ist ein weiterer Beleg für das beständige Heranreifen der Fahrradindustrie auf Taiwan.

Nach der Verbesserung der Herstellungsweisen, und nachdem die Schwierigkeiten mit den Arbeitskräften ausgebügelt wurden, wird es für Taiwans Fahrradhersteller nun darum gehen, Absatzmärkte für ihre neuen Produkte zu finden. Etliche der heimischen Fabrikanten mußten bereits feststellen, daß ihre hochwertigen Erzeugnisse seitens amerikanischer Käufer, die längst Quellen für hochwertige Fahrräder haben und diese nur widerwillig zu wechseln bereit sind, wie unbekannte Wesen behandelt werden. Es ist offensichtlich, daß der Erfolg in diesem Geschäft beides erfordert: sowohl die fortgesetzte Kultivierung des Marktes, wie auch verbessertes Markenimage. So sagt einer der Radproduzenten: "Obwohl unsere qualitativ hochwertigeren Fahrräder derzeit besser für den europäischen Markt geeignet sind, können wir, wenn wir uns anstrengen, sicherlich den Durchbruch schaffen und uns den Weg in den amerikanischen Markt erkämpfen."

Die Strategie ist einfach: überlegene Waren produzieren, denen die Konkurrenz in anderen Ländern weder in bezug auf den Preis, noch hinsichtlich der Qualität gleichkommen kann. Selbst für den Fall, daß Taiwans Währung weiterhin im Wert steigt, und selbst, wenn sie einen Tauschwert von 24 NT-Dollar zu 1 US-Dollar erreichen sollte, glauben die Hersteller auf Taiwan, daß die neuen hochwertigen Produktserien wegen ihrer Qualität, ihrem niedrigen Preis und ihrer zahlenmäßigen Präsenz auf dem Markt immer noch konkurrenzfähig sein werden. Mit der Zuversicht des typischen erfolgreichen Unternehmers verkündet Fritz Jou: "Wir werden herstellen, was der Markt verlangt. Gerade jetzt verändert sich in Taiwan alles. Die Zukunft ist vom Markt abhängig - und davon, wie wir unsere Unternehmen führen. Aber die Zukunft ist hier, nicht irgendwo anders!"

(Deutsch von Arne Weidemann)

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