Welches andere Volk außer den Chinesen hätte sich wohl je ein "Mondfest" als einen seiner großen Feiertage geschaffen? Der Mittelmeerraum und das heidnische Europa feierten den Tag der Wintersonnenwende als den "Geburtstag der Sonne", bis kluge Kirchenväter das Weihnachtsfest auf diesen Termin plazierten, und auch die Betonung der anderen jahreszeitlichen Schnittpunkte im westlichen Kalender spiegelt die ängstliche Aufmerksamkeit wider, mit der der Mensch der Frühzeit das Wachsen und Abnehmen des lebenspendenden Sonnenlichts verfolgte. Die meisten Kalendersysteme, die wir kennen, sind an der Sonne orientiert und haben den Wechsel der Mondphasen (die "Monate") nur mit Schwierigkeiten in das Sonnenjahr integriert. Dagegen stellt sich der traditionelle chinesische Kalender als eine Abfolge "reiner" Mondmonate dar, d.h. Neumond fällt immer auf den 1., Vollmond immer auf den 15. (oder 16.) Tag des abwechselnd 29 oder 30 Tage langen Monats, und Mond und Mondphasen, nicht die Sonne, bestimmen daher auch den Jahresbeginn und den genauen Wechsel der Jahreszeiten.
Der chinesische Kalender ist nur ein Aspekt, in dem die ungewöhnlich enge Verbundenheit der Chinesen mit dem Mond und seinen Phänomenen zum Ausdruck kommt. Jeder, der sich nur etwas mit chinesischer Dichtung beschäftigt hat, weiß um die besondere Rolle, die der Mond darin spielt, und wenn eine EDV-Untersuchung der "Sämtlichen T'ang-Gedichte" vor kurzem festgestellt hat, daß das entsprechende Zeichen darin mit 12 000 Nachweisstellen an der Spitze der Worthäufigkeit steht, wird das niemanden überrascht haben. Nicht in dieser Zählung berücksichtigt sind freilich die schier unzähligen Nebenbegriffe, Epitheta, Metaphern und Vergleiche, die in Dichtung und Literatur für den Mond verwendet werden, als da sind: "Jadehaken" (für den Halbmond), "heller Spiegel" (für den Vollmond), "Jade-Scheibe", "Silber-Rad", "leuchtende Perle", "weißer Fächer", "rundgespannter Bogen", "Himmelsbote", "runder Glanz", "Kassia" (s.u.), "Höchstes Yin" (der Mond ist der Yin-Repräsentant schlechthin, während die Sonne für das Yang-Prinzip steht), "Höchste Reinheit", "Yin-Seele", "Gold-Seele", "Jadeterrassen-Mond" und viele andere mehr. Hinzu kommen exakt festgelegte Termini für den Neumond, den Mond in den ersten drei Tagen und im ersten Viertel, für Vollmond und abnehmenden Mond, für die helle und die unbeleuchtete Seite des Mondes. Mehr als alles andere vermag gerade diese Vielfalt der Bezeichnungen - verglichen mit der das Sonnen-Vokabular geradezu bestürzend einförmig ist - die außergewöhnliche Vorliebe der Chinesen für den Mond zu dokumentieren.
Eine Präferenz für den Mond läßt sich bereits in den Mythen und Legenden aus archaischer Zeit ausmachen. Die chinesische Mythologie ist vergleichsweise arm an Sonnenmythen, wie sie anderswo eine so bedeutende Rolle spielen, und was über diesen Himmelskörper erzählt wird, betont eher dessen bedrohlichen Charakter: zehn Sonnen gab es ursprünglich, die Tag für Tag einander über den Himmel folgten und die Erde mit ihrer Glut versengten, bis der große Bogenschütze Hou I (后羿) neun von ihnen herunterschoß und die Welt rettete. Die eine verbliebene Sonne aber fristet seither kaum mehr als ein Schattendasein in Legende und Mythologie, und außer der Tatsache, daß in ihr ein dreibeiniger Rabe lebt, ist wenig über sie zu erfahren.
Der Hase ist einer der mythischen Bewohner des Mondes und zugleich ein Symbol für Langlebigkeit.
Der Mond dagegen hat eine zahlreichere und auch interessantere Einwohnerschaft. Als Pendant zum Sonnenraben wird bald eine Kröte, bald ein weißer Hase im Mond gesehen, und in der Tat lassen sich die blauen Flecken und Meere in seinem Rund ja unschwer als sitzender Hase mit ungeheuren Löffeln interpretieren. Oft erscheinen auch beide zusammen, wie schon auf einem der frühesten erhaltenen chinesischen Gemälde, einem mit faszinierenden mythologischen Darstellungen bedeckten seidenen Grabtuch aus dem 2.Jh. v.Chr., das in Ma-wang-tui (馬王堆) in Südchina gefunden wurde. Die Kröte zumal ist es, die für die Mondphasen verantwortlich ist, indem sie den Mond nach und nach verschlingt und dann, nach Neumond, nach und nach wieder ausspuckt; auch das chinesische Wort für "Sonnen-" oder "Mondfinsternis", Shih (蝕), hat eigentlich die Bedeutung "verschlingen". Was den Hasen angeht, so finden wir ihn meist mit einem Mörser, den Stößel in der Hand, dargestellt: unaufhörlich stampft er dort, als lunarer Prototyp zahlloser chinesischer Alchimisten, die Unsterblichkeitsmedizin, um daraus das Elixier des ewigen Lebens herzustellen. Er stampft es aus den immergrünen, niemals welkenden Blättern des riesigen, nach manchen Angaben 5000 chinesische Meilen hohen Kassia- oder Zimtbaums, der im Monde wächst und manchmal auch Zinnober-Kassia genannt wird (Zinnober ist die wichtigste Ingredienz des Unsterblichkeitselixiers in der chinesischen Alchimie). Schließlich sehen wir am Fuß der Kassia eine Gestalt, die stark an unseren "Mann im Mond" erinnert: ein uralter Mann, wegen nicht ganz klarer Vergehen auf den Mond verbannt, bearbeitet dort unermüdlich mit seiner Axt den Stamm der Kassia, doch es ist eine ewig vergebliche Sisyphusarbeit, zu der er verdammt ist, denn das herausgeschlagene Stück wächst immer wieder aufs neue nach.
All diese Legenden betonen das Motiv der Ewigkeit und der unendlichen Wiederholung des Immergleichen, wie sie bereits im steten Wachsen und Abnehmen des Mondes verkörpert ist. Die Verbindungen zwischen dem Mond und der Idee der Unsterblichkeit, die sich wie ein roter Faden durch die chinesische Geistesgeschichte zieht, sind vielfältig und nicht immer leicht zu entwirren. Hase und Kröte erscheinen etwa auch als die Begleiter der "Königinmutter des Westens", Hsi-wang-mu (西王母) auf dem Berge K'un-lun, eine Gestalt, an die sich speziell in der Han-Zeit (206 v.Chr.-220 n.Chr.) eine wahre Welle allgemeiner Unsterblichkeitshoffnungen knüpfte. Mit ihr ist auch eine weitere Mondsage verbunden, die ebenfalls zum Mythenkreis um den Sonnenschützen Hou I gehört: als Hou I sie auf dem K'un-lun besuchte, hatte sie ihm das begehrte Kraut der Unsterblichkeit gegeben. Ehe er jedoch davon Gebrauch machen konnte, gelang es seiner Gattin Ch'ang-o (嫦娥), ihm die Pflanze zu entwenden, mit durchaus zwiespältigen Folgen: unmittelbar nach dem Verzehr des magischen Krauts fühlte sich Ch'ang-o in den Nachthimmel auffliegen, dem Monde entgegen; dort herrscht sie seither als unsterbliche Göttin und zugleich als warnendes Beispiel für die (von der konfuzianischen Moralphilosophie immer wieder betonte) Gefährlichkeit schöner Frauen über die Mondnächte. Merkwürdig offen bleibt, ob ihr ewiges Exil in der kalten Pracht der Mondpaläste und Jadeterrassen, die eine legendenhafte Imagination nach und nach um sie errichtet hat, nun eigentlich als Segen oder als Strafe anzusehen sei; in einem Gedicht des T'ang-Poeten Tu Fu (杜甫, 712-770) wird ihr jedenfalls, wie auch des Mondhasen und der Kröte, mit geradezu betontem Mitgefühl gedacht:
Der Hase blickt erstaunt auf das Kranichweiß meiner Haare,
Die Kröte sehnt sich gewiß nach meinem Zobelpelz.
An die einsame Ch'ang-o denk' ich voll Mitleid:
Im eisigen Himmel erträgt sie den neunzigtägigen Herbst!
Auch die genienartigen "Unsterblichen" der taoistischen Mythologie sind auf ihre Weise mit dem Mond verbunden: von Tau und Mondlicht nähren sie sich, auf Mondstrahlen schweben sie dahin, und manchmal mochte es den Menschen erscheinen, als ob sie in einsamen Mondnächten ihre Anwesenheit spürten oder den Klang ihrer Mundorgel vernähmen. So heißt es in einem Gedicht des frühen T'ang-Dichters Liu Hsi-i (劉希夷, 7. Jh.):
Der Mond steigt östlich des Sung-shan empor;
Bei hellem Mondlicht erscheinen die Berge noch öder.
Ich Einsiedler, ich liebe diese klare Landschaft,
Mit aufgelöstem Haar lieg ich im Herbstwind.
Der Wind verstummt, klar ist der nächtliche Strom;
In einsamer Nacht summen im Gras die Insekten.
Zwar kann ich ihn nicht sehen, den Unsterblichen,
Doch seine Mundorgel ist ganz nah im Mondlicht vernehmbar.
Seine Purpurlippen atmen magische Luft ein,
Seine Jadefinger bringen vollkommene Harmonien hervor.
Vollkommene Harmonien, doch was für ein Lied?
Von Phönix und Krarich auf den Unsterblichkeitsinseln. (...)
Der T'ang-Dichter Tu Fu, einer der großen Mondbetrachter unter den chinesischen Poeten.
All diesen Assoziationen zum Trotz ist es jedoch weniger die Sphäre kalter Mondgöttinnen, der Unsterblichen und der Seltsamkeiten lunarer Fauna und Flora, die dem Mond zur Ehre eines eigenen Festes verholfen hat. Vielmehr ist es eine durchaus irdische und den Herzen der Menschen nähere Seite der chinesischen Mond-Überlieferung. Schwer zu sagen, wann das Motiv zuerst aufgekommen ist: selbst wenn sie durch schier endlose räumliche Entfernungen voneinander getrennt sind, vermögen zwei Personen doch ihre Blicke zu vereinigen, indem sie zur gleichen Zeit in den Mond schauen, dessen Licht sie beide bescheint. Ein Gedicht des durch Kriegswirren von Frau und Familie getrennten Tu Fu bringt das aufs Vollkommenste zum Ausdruck; ja seine Verse gehen noch über die Tradition hinaus, indem sie in imaginativer Vergegenwärtigung nicht etwa des Dichters eigenen Blick hinauf zum Mond beschreiben, sondern den der Gattin, die ihn in der Ferne "allein" betrachtet - eine visionäre Vorausnahme des erhofften Wiedersehens:
In dieser Nacht: in Fu-chou scheint der Mond;
Im Frauengemach schaut sie allein ihn an.
Nach Sohn und Töchtern sehn' ich mich von ferne,
Die sich an Ch'ang-an nicht erinnern können.
Von duftenden Nebeln feucht ihr Wolkenhaar,
Und kalt im klaren Licht die Jadearme.
Wann stehen wir vor durchsichtigem Vorhang,
Doppelt-beschienen, daß die Tränen trocknen?
Ebenso kann derjenige, der weit entfernt von seiner Heimat lebt, in seiner Imagination dem Mondlicht folgen, das zur gleichen Zeit auch auf jene unerreichbaren Fernen fällt. Noch in einem der berühmtesten aller chinesischen Gedichte, Li T'ai-po's (李太白, 701-762) Vierzeiler "Gedanken in stiller Nacht", klingt dieses alte und unendlich oft variierte Thema an:
Vor meinem Bett das Licht des hellen Mondes.
Ich dachte, es sei Reif, der auf der Erde liegt.
Den Kopf hebend, seh' ich den hellen Mond an.
Den Kopf senkend, denk' ich an meine Heimat.
Ist der Mond in solchen Fällen vor allem ein Symbol der Trennung, so symbolisiert er zugleich doch auch deren Aufhebung, sei sie nun imaginär, wie in den eben erwähnten Beispielen, oder aber real. Damit ist der doppelte und nur scheinbar widersprüchliche Gefühlshintergrund beschrieben, vor dem das Mondfest gefeiert wird: Vereinigung der Familienmitglieder und Gedenken an die Abwesenden.
Seine Riten und Bräuche sind dabei durchaus einfach: auf einem Altar, der traditionell von den Frauen des Hauses im Hof errichtet werden sollte, werden Kerzen, runde Mondkuchen und verschiedene Früchte plaziert, die Fruchtbarkeit, langes Leben und reiche Nachkommenschaft symbolisieren. Nach Einbruch der Dunkelheit, nach Gebeten und Abbrennen von Weihrauch versammelt man sich an einem geeigneten Ort, um den runden Vollmond zu betrachten und gemeinsam Mondkuchen zu essen; dabei werden bald aus der Gestalt und Farbe des Mondes, bald aus anderen Anzeichen Rückschlüsse auf die Zukunft gezogen. Diese beziehen sich zumeist auf zu erwartende Heiraten, wie das Mondfest denn auch, dem essentiell "weiblichen" Charakter des Mondes entsprechend, im wesentlichen ein Fest der Frauen ist.
Das Feiern des Mondfestes und die Betrachtung des runden Vollmondes um die Mitte des 8. Monats sind bereits aus dem 8. Jahrhundert, vom Anfang der Regierungszeit des T'ang-Kaisers Hsüan-tsung (玄宗, 713-756) bezeugt. Eine spätere Legende berichtet gar, dieser Herrscher sei in seinem ersten Regierungsjahr in der Nacht des Mondfestes, von der Schönheit des runden Vollmondes berauscht, mit Hilfe eines Magiers persönlich zum Mond aufgestiegen, habe dort in den Jadepalästen der Ch'ang-o die Tänze der Mondfeen belauscht und nach seiner Rückkehr die gehörte Melodie augenblicklich aufzeichnen lassen: dies sei der Ursprung musikalisch-tänzerischer Darbietungen bei Hofe gewesen.
Gleichwohl dürfte die Vorstellung, daß der Mond zur Zeit der Herbstmitte am größten, schönsten und rundesten sei, schon immer vorhanden gewesen sein: es ist die Zeit, da Hitze und Feuchtigkeit des Sommers verflogen sind und die Witterung so klar ist wie zu keiner anderen Zeit des Jahres. Und sicher weitaus älter ist auch die ursprüngliche Funktion und Bedeutung des Festes der Herbstmitte: die eines Erntefestes, gefeiert, wenn (zumindest in Nordchina) die Jahresernte eingebracht ist und alle landwirtschaftliche Tätigkeit bis zum Frühjahr ruht - in der Tat ist dies noch heute das Charakteristikum des Mittherbstfestes in Korea.
Eben aus demselben 8. Jahrhundert jedoch stammen auch die ersten literarischen Zeugnisse für die besonderen Gefühle, die Hoffnungen und Sehnsüchte, die dem Mond gerade in jener Nacht der Herbstmitte entgegengebracht werden. Wie ein Kritiker aus der Sung-Zeit (960-1280) bezeugt, war es der oben bereits erwähnte Dichter Tu Fu, der als erster den "Mond am 15. Tag des 8. Monats" und seine Betrachtung beschrieben und damit eine eigene literarische Tradition begründet hat. Aus einer Folge von zwei Gedichten unter diesem Titel soll hier abschließend das erste Stück zitiert werden; wir begegnen darin nochmals einer der beliebtesten poetischen Umschreibungen für den Mond ("heller Spiegel") wie auch einem seiner mythischen Einwohner, und er tritt uns vor allem entgegen als Symbol - und Objekt - der Sehnsucht nach der Heimat:
Mein Auge ist erfüllt vom schwebenden hellen Spiegel,
Mein heimwehkrankes Herz zerschnitten vom Rückkehrwunsch.
Wie wirbelnde Distelwolle zog ich über die Weiten der Erde.
Nach der Kassia greifend, blick' ich hinauf in die Höhen des Himmels.
Der Wasserweg des Stromes scheint mir wie Frost und Schnee.
Im Wald seh' ich das Gefieder der schlafenden Vögel.
Wenn man um diese Zeit den weißen Hasen betrachtet,
Kann man fast jedes seiner herbstlichen Haare zählen.