Wenn eine berühmte Schauspielerin, ein Filmregisseur, eine Reihe von Jugendlichen, die gerade mal ihr Abitur (bzw. ein Äquivalent) erhalten haben, und ein Bühnendekorateur sich zusammentun, um ein Unternehmen zu gründen, ist das letzte, woran man denkt, ein Atelier. Da ist auch leicht genug nachzuvollziehen, denn zur Herstellung von Kristall bedarf e solider Kenntnisse in der Chemie und Physik von Glas, um erfolgreich eine Form in Kristall erhalten zu können, besonders, wenn es bei einer Temperatur von etwa 10000° C vom festen in den flüssigen Zustand übergeht. Keiner der Mitglieder des neuen Unternehmens besaß ein gründliches Wissen auf diesem Gebiet.
Aber ein gemeinsamer Wille vereinigte sie: ein starkes Interesse an künstlerischer Kreativität und die Herausforderung, traditionelle Werte neu zu beleben. Es war mit dieser Überzeugung im Hinterkopf, daß die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin Loretta Yang, der Filmregisseur Chang I sowie der Bühnenbildner Wang Hsia-chun und einige andere Kollegen die Gesellschaft "Newworkshop" gegründet haben, das erste Atelier auf Taiwan, welches sich ausschließlich mit der Kristallkunst beschäftigt.
Spuren der Herstellung und des Gebrauchs von Glas finden sich in mehr als 5000 Jahren immer wieder. Sowohl auf den archäologischen Ausgrabungsgeländen in Mesopotamien als auch in den ägyptischen Pyramiden sind Objekte aus Glas zu finden. Die Phönizier waren sehr geschickte Glaskünstler; sie haben die Techniken der Ägypter mit großer Meisterhaftigkeit verwendet. Die Erfindung des Blasrohrs bezeichnet die entscheidende Phase in der Entwicklung dieser Technik.
Kühnere Farben und Formen sind ein Merkmal des "Newworkshops", wie bei diesem Gefäß, das in seinem Aussehen an Achat erinnert.
In China förderte man bei Ausgrabungen einer antiken Grabstätte in der Nähe von Loyang Bronzespiegel, die mit Einlagen aus Glas ähnlich denen von Perlmutt verziert waren, zu Tage. Das Grab, welches auf das vierte Jahrhundert vor Christus datiert wird, zeigt, daß, um zu einer solchen Kunst zu gelangen, es in China damals schon definitiv eine vollständige und genaue Technik samt einer Beschreibung über die Herstellung kleiner Glasobjekte gab.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts entwickelte man in England und Böhmen etwa zur gleichen Zeit einen Herstellungsprozeß, der die Imitation von Bergkristall möglich machte. Die Methode basierte auf der Benutzung von Glas mit einer Kalium-Kalzium Mischung, das heißt, einem kaliumreichen Glas, das mit einem hohen Kalkanteil versetzt wurde. Es ist am reinsten und sehr weiß. Dieses Produkt, welches aus dem Schmelzprozeß bei hohen Temperaturen hervorgeht, wurde unter dem Namen "Böhmische Kristall" bekannt. Gegen Mitte des letzten Jahrhunderts machte sich in Europa und Nordamerika ein größeres Interesse an Kunstobjekten, die die Faszination der kristallinen Transparenz besaßen, breit. Die Bewegung des Jugendstils, der sich auf eine Reaktion gegen die Industrialisierung als Normalität und auf eine Umorientierung hin zur Natur, zur Tradition und zur klassischen Schönheit gründete, erhielt von seiten der französischen Glaskünstler einen lebhaften Impuls. Jene kombinierten in ihren Werken die vier Prinzipien, welche der Jugendstil forderte: das Kunstwerk muß dekorativ sein, sich auf einer glatten Ebene erheben, eine in sich geschlossene Einheit sein und den Gebrauch von geraden Linien vermeiden. Die französischen Künstler paßten also ihre Techniken entsprechend des neuen künstlerischen Ausdrucks an und schlossen sich sehr bald der Hauptströmung der europäischen Kristallkunst an.
Zu Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts neigten auch einige amerikanische Keramikkünstler dazu, sich der dekorativen Kristallkunst zu widmen, wobei sie ihr mit Hilfe ihrer kleinen Brennöfen einen besonders individuellen künstlerischen Anstrich verliehen. Darüber hinaus fanden ihre Werke im allgemeinen bei der Öffentlichkeit guten Anklang. In den letzten dreißig Jahren jenes Jahrhunderts gewann die Kristallkunst überall auf der Welt viele Anhänger.
Die Herstellung von Glasobjekten ist schon seit grauer Vorzeit ein Bestandteil des Kunsthandwerks, aber erst in unserer gegenwärtigen Welt wurden sie wirklich populär. Im Ausland, wo sie eine besondere Stellung im künstlerischen Ausdruck haben, wurde ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. In einigen Länder wird an den Universitäten sogar ein spezieller Studiengang angeboten, der die Kunst des Kristalls untersucht. Überall findet man spezielle Institute, die ihren zahlreichen Studenten, welche sich mit äußerster Hingabe der Schaffung dieses so einmaligen Materials widmen, einen Diplomstudiengang ermöglichen.
Auf Taiwan erregte die Kristallkunst keine besondere Aufmerksamkeit. Und doch kann man in den Kaufhäusern Taiwans durchaus Glaskunstwerke aus Baccarat, Böhmen, Kosta in Schweden, Leerdam in Holland und aus Japan sehen, aber es ist nicht möglich, Stücke aus lokaler Produktion zu erhalten. Das Gebiet um Ying-ke im Norden Taiwans war lange Zeit für seine Keramik- und Glasateliers bekannt. Allerdings waren die hier produzierten Glasartikel im allgemeinen von eher mäßiger Qualität und wurden ausschließlich in Massen hergestellt. In der Vergangenheit hatte auch die United Glass Corporation damit begonnen, verschiedene Kristallartikel zur Dekoration und zur Benutzung bei Tisch zu produzieren. All diese Kristallgegenstände enthielten eine große Bleimenge, waren in Form gegossen und zum größten Teil transparent.
"Silberner Schnee" lautet der passende Titel dieser geblasenen Schale mit einer Höhe von 15 cm und einem Durchmesser von 12 cm.
Da diese Produktion auf Taiwan einmalig war, stellte sie sicherlich ein wahres Monopol auf dem Markt dar, doch war kaum irgendwelche Kreativität bei den Produkten zu finden, deren Themen sich gewöhnlich wiederholten. Weil in den fünfzehn Jahren der Produktion nur wenig Objekte auf den Markt gebracht wurden, waren die Preise extrem hoch und für die breite Öffentlichkeit nicht erschwinglich. Aus diesem Grund erreichte der Stil des Kristalls dieser Unternehmung nie das erhoffte Ergebnis; schließlich ging die Firma bankrott und mußte ihre Tore schließen.
Einer der Gründe, die zur Schaffung des "Newworkshop" geführt haben, ist die große Disparität von Glas- und Kristallprodukten, die fast überall auf Taiwan herrscht. Seitdem das Atelier seine Arbeit aufnahm, hat es viel Hoffnung für die künstlerische Herstellung exquisiter Kristallartikel hervorgerufen.
Im Gegensatz zu anderen künstlerischen Ausdrucksmitteln, wie zum Beispiel der Töpferkunst oder der Bildhauerei, die in China durchgängig eine lebhafte Tradition haben, ist die Kristallkunst hier praktisch kaum entwickelt. Gleichzeitig bieten die ungünstigen Umstände der Glasindustrie Taiwans, insbesondere bei den Artikeln von Qualität, die durch fortgeschrittenere Techniken erreicht werden könnten, nur sehr wenig Raum für die Entwicklung dieser Kunst und die Herstellung von Kristallobjekten.
Nachdem sie ganz Taiwan auf der Suche nach Informationen über die Techniken bei der Arbeit mit Kristall abgegrast hatten, kamen Chang I und Loretta Yang zu dem traurigen Schluß, daß auf Taiwan keine avanciertere Technik erhältlich war. Folglich beschlossen die beiden, sich in die USA zu begeben, wo sich ein jeder in einen Kurs einschrieb; einer am Zentrum für Kreative Studien des Kollegs für Kunst und Design in Detroit (Michigan) und die andere am Atelier für Experimentelles Glas in New York.
Nach ihrer Rückkehr nach Taiwan machten sie sich sofort an die Arbeit mit der Gründung eines Ateliers im Juni 1987 in Ying-ke. Doch schnell genug erkannten sie, daß das Atelier nicht adäquat und gut genug gelegen war. Ziemlich abgelegen konnte es kaum mit exzellenter Inspiration rechnen. Im Februar 1989 wurde es zu seinem derzeitigen Standpunkt in Hechou-tsu verlegt, ein kleiner bekannter Ort am Meer in der Nähe von Tamsui. Die gesamte moderne Einrichtung wurde von Chang I persöhnlich geplant und geleitet. Die Manufaktur, die eine Fläche von 1980 Quadratmetern umfaßt, ist mit der modemsten Ausrüstung für die Herstellung von Glas ausgestattet und beherbergt insgesamt ein Produktionsatelier, einen Ausstellungsraum und eine Bibliothek.
Obwohl mit modernsten technischen Mitteln produziert und äußerst hart gearbeitet wird im unablässigen Bemühen um sowohl die physische Widerstandsfahigkeit und die Langlebigkeit als auch um den geistigen Ausdruck, besitzen die Kristallobjekte einen Charakter von wundersamer Schönheit.
Die Anwendung von Goldstaub und -folie spielt bei den Kreationen des "Newworkshops" eine große Rolle, wie man hier an einem weiteren Beispiel sehen kann. (Höhe 33 cm, Durchmesser 22 cm)
Das Glasblasen erfordert das Schmelzen der Glasmasse im Ofen bei einer Temperatur von 1500℃. Dann wird ein Stahlrohr in den Schmelztiegel gesteckt, um eine größere Menge geschmolzenen Glases herauszunehmen, woraufhin man es beim Blasen gleichmäßig dreht, bis es die gewünschte Form erhält. Um sicherzugehen, daß die Glasmasse die vorbestimmte Gestalt annimmt, muß man das Glas mit einer kreisförmigen Bewegung entweder auf Zeitungspapier oder auf Karton gießen. Sobald das geblasene Glas die vorgesehene Höhe erreicht, behält man ein wenig des geschmolzenen Glases zurück, welches dann an einen Kolben angefügt wird, um damit dem Guß exakte Formen zu geben. Der Großteil der in diesem Atelier hergestellten Artikel wird verschiedenen Durchgängen der Bläserei unterzogen, bevor sie die endgültige Form erhalten.
Die Objekte geblasenen Kristalls, die der "Newworkshop" herstellt, sind von großer Höhe und wiegen im allgemeinen zwischen 7 und 8 Kilos. Es bleibt zu erwähnen, daß der Künstler mit seinem Stahlrohr über fünf bis sechs Stunden hinweg mit Gleichmäßigkeit blasen muß, bevor ein Werk fertigstellt ist. Während des Blasevorgangs schwitzt der Bläser stark, und oft genug beendet er den Vorgang mit verbrannten Haaren und Augenbrauen.
Abgesehen von der Bläserei gibt es auch noch andere Methoden, Glas zu bearbeiten, wie zum Beispiel die Benutzung von hitzebeständigen Gießformen [diese bestehen aus Ton oder Gips und werden nach dem Gießen zerbrochen, um da Glas zu entfernen], von gesponnenem Glas und von unzerbrechlichen Gußformen [jene sind zum Teil aus Platin und können nach dem Gießen entfernt und wiederverwertet werden]. Alle diese Methoden erfordern gründliche Kenntnisse in Chemie, Optik und Mineralogie.
Die Dekoration der Kristallobjekte kann durch eine ganze Palette an Methoden gestaltet werden, wie die Gravur mit einem ultraharten Wasserstrahl, die aufgeschichtete Verzierung, die Einlage von bunten Glasstücken, die Hitzebesprenkelung, das Einschneiden von Farblinien, die metallische Färbung, die Verzierung der oberen und unteren Reliefs, das Kolorieren unter Verwendung von Hitze, das Schnitzen, die Applikation feiner Glasplatten, das Zufügen von Sprüngen durch Gefrieren, die Devitrifikation [was die Transparenz des Objektes zu einem milchig-kristallinen Charakter verändert], da Auftragen von Goldtaub, das Polieren oder die Imitation von natürlichen Edelsteinen wie Jade etc.
Hier wird eine schlichte, mit einer feinen Zeichnung versehene Glasform von Henkeln mit eckigen traditionellchinesischen Zeichen ergänzt, die in die Beine auslaufen. (Höhe 21 cm, Durchmesser 36 cm).
Zu diesen Techniken benötigt man weiterhin eine exzellente künstierische Grundlage, eine Engelsgeduld und eine Mischung aus Geschicklichkeit und Erfahrung. Wird das geringste Detail, und sei es auch noch so klein, im Prozeß ausgelassen, kann das fatale Auswirkungen auf das endgültige Produkt haben und es irreparabel machen.
Die Künstler des " Newworkshops" haben ein gemeinsames Ziel: "eine Form zu schaffen, die dem traditionellen Erbe entspringt, und die Kräfte auf das Erreichen von Verfeinerung und Präzision zu richten." Hinsichtlich der geringen Popularität und des geringen Enthusiasmus der chinesischen Öffentlichkeit für Krisallobjekte haben sie es vermieden, sich ausschließlich mit den abstrakten Themen der Avantgarde zu beschäftigen, indem sie sich auf traditionelle Aspekte konzentrieren.
Der "Newworkshop" hat in der Tat einen Stil gewonnen, der im wahrsten Sinne des Wortes chinesisch ist in seinem Zurückgreifen auf traditionelle amphorische Formen. Zur selben Zeit wurden Stücke geschaffen, die homogener und symmetrischer sind und mit einer großen Bandbreite an Farben und dem Gebrauch von Goldfäden kombiniert werden. Im wesentlichen sind die Werke dazu bestimmt, dem ästhetischen Geschmack der chinesischen Öffentlichkeit zu gefallen. Es konnten unnötige Barrieren bei der Einführung dieser für China völlig neuen Kunst vermieden werden. Die Veränderungen, die durch Variation der Formen und kühnere Farben hervorgerufen wurden, konnten gerade zur rechten Zeit, als in der Öffentlichkeit Taiwans der Sinn für ihre Wertschätzung herangereift war, vorgestellt werden.
Und der Rat für Kulturelle Planung und Entwicklung hat schließlich die intensiven Bemühungen des "Newworkshops" mit der Verleihung des "Preises für künstlerische Kreativität" offiziell anerkannt. Zur gleichen Zeit organisierte der Rat mit einer Auswahl der Kristallwerke eine Ausstellung in der Nationalgalerie für Kunst und Kultur. Die drei Wochen dauernde Ausstellung erhielt positive Beurteilungen von den Kunstkritikern. Sogar einige Experten von berühmten Kristallmanufakturen im Ausland begaben sich schnellstens nach Taiwan, um die Ausstellung zu bewundern. Einige unter ihnen riefen aus, daß man anderenorts das, was sie hier sahen, nicht hätte schaffen können. Das hat durchaus einen guten Grund, der dies rechtfertigt: die Herstellung von Kristallartikeln von solcher Perfektion mit einem von Hause aus so sterilen Material kann nichts als Bewunderung hervorrufen.
Im Hinblick auf die Zukunft hat der "Newworkshop" sich entschlossen, tschechische und amerikanische Glaskünstler zur Zusammenarbeit mit chinesischen Künstlern in ihre Ateliers in Taiwan einzuladen. Dadurch ergibt sich ein Austausch von technischen Verfahrensweisen und verfeinerten Arbeiten sowie eine verbesserte Verbreitung der Kreationen sowohl auf Taiwan als auch im Ausland.
Mit lebhafterem Interesse und für verbesserte Kreativität in der Kristallkunst hat der "Newworkshop" sehr bald Kurse in dieser Disziplin eingerichtet, in der Hoffnung, Taiwan zu einem fruchtbaren Boden für die Kristallkunst zu machen, anstatt es bei einer isolierten Oase mit nur sieben Glaskünstlern zu belassen.
Seit seiner Gründung hat der "Newworkshop" neue Perspektiven für die Entwicklung der Kristallkunst auf Taiwan eröffnet. Bei ihrer Arbeit in einem völlig isolierten Klima und ohne Vorbilder, denen man folgen könnte, haben es die Ateliers des neuen Unternehmens geschafft, einen großen Schritt hin zum Beginn einer neuen Strömung in der Glaskunst auf Taiwan zu machen. Die künstlerischen Kreise sowohl auf Taiwan als auch im Ausland hoffen inständig, daß die Mitarbeiter dieser Ateliers nicht nachlassen mögen in ihrer kreativen Entwicklung hin zu einer legendären Kunst, die trotz aller Schwierigkeiten erstehen kann.
(Französische Übersetzung von J. D. de Sandt Deutsch von Annette Wiedenbach)