26.04.2025

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Taiwans Versicherungen: Die Kunden hoffen auf ausländische Hilfe

01.05.1991
Trotz spektakulärer Gewinnlage in der Versicherungsbranche hat der Beitragszahler -­ wenn nicht die gesamte Gesellschaft - das Nachsehen.

Vor zwei Jahren verdrängte der Versicherungsriese Tsai Wan-lin (蔡萬霖) den Plastikmagnaten Y.C. Wang (王永慶) von seiner Position als reichster Mann Taiwans. Mehr noch: Vom "Fortune"-Magazin wurde er in dessen 1989er Liste der Reichsten der Welt auf Rang sechs eingestuft. Diese Neuigkeit hat Tsai auf Taiwan in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die Menschen neideten ihm aber nicht einfach die schnelle Anhäufung all dieser Reichtümer. Die kritischen Blicke galten darüber hinaus dem Versicherungswesen, derjenigen Branche, die dem einstmaligen Gemüsehändler einen derartigen finanziellen Erfolg ermöglicht hat.

Nicht jeder ist ein Bewunderer des Gewerbes. Einige Beobachter behaupten, daß Tsai und Kollegen nicht nur gegenüber Kunden, sondern der ganzen Gesellschaft gegenüber Verfehlungen begangen hätten. Eine der wesentlichen Klagen ist, daß eine Anzahl von Unternehmen ihre Versicherungsnehmer ausgebeutet hätten, indem sie Versicherungsbeiträge bei Spekulationen verwendeten und so ganze Vermögen anhäuften.

Die Gewinne in der Branche sind in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Während die übrigen Bereiche mit Problemen behaftet blieben, verzeichneten die Lebensversicherer bei den Reingewinnen, die sich im Jahre 1989 auf 515 Millionen US$ beliefen, einen Zuwachs von nahezu 100 Prozent. Wie in den Jahren zuvor kam der Löwenanteil der Gewinne von den massiven Investitionen bei Immobilien und in Aktien. Zum Beispiel erreichten die Investitionen in Immobilien von Tsai's Cathay Life Insurance Co., mit einem Marktanteil von 59 Prozent bei Lebensversicherungen im Jahre 1989 die größte Gesellschaft auf Taiwan, beinahe 30 Prozent der gesamten Kapitaleinlagen von 5,4 Milliarden US$. Das ist weitaus höher als die Obergrenze, die in den meisten entwickelten Ländern festgelegt ist.

Daß Preise für Grundstücke und Fertigbauten seit 1986 mindestens um das Dreifache gestiegen sind, ist weitestgehend ein Ergebnis der riesigen Investitionen, die die Versicherer in Immobilien getätigt haben - und ihrer systematischen und kompromißlosen Manipulation des Marktes. Kometenhafte Teuerungsraten haben bedenkliche soziale und wirtschaftliche Probleme verursacht. Nicht nur, daß sich für viele Leute der Traum von einer Eigentumswohnung zerschlagen hat. Die Produktionskosten haben sich für die Hersteller erhöht, und das bringt eine wachsende Zahl von ihnen dazu, ihre Betriebe ins Ausland zu verlegen.

Die Versicherer werden aber nicht nur der Spekulation und Preistreiberei wegen an den Pranger gestellt, sondern auch beschuldigt, ihr eigentliches Geschäft nur als Mittel anzusehen, um schnelle Profite zu erzielen, statt mit Blick auf die Interessen der Versicherungsnehmer den Service zu verbessern und stabile und langfristige Gewinne zu erzielen. Die Versicherer haben in den letzten Jahren kaum einmal die Palette der angebotenen Policen erweitert. Nach wie vor konzentriert man sich überwiegend auf den Verkauf von Versicherungen, die eher als Kapitalanlage konzipiert sind und dem Unternehmen zwar hohe Beitragszahlungen eintragen, dem Kunden aber wenig Schutz bieten. Außerdem blieben die Beiträge für Lebensversicherungen unverändert auf dem hohen Niveau, das vor langer Zeit festgesetzt worden war, obwohl sich die durchschnittliche Lebenserwartung auf Taiwan dank besserer medizinischer Dienste und Ernährung erhöht hat.

Andere beschuldigen die Versicherungsanstalten, zwar aggressiv im Verkauf ihrer Angebote zu sein, jedoch in Untätigkeit zu verfallen, sobald es um die Zahlung von Versicherungssummen geht. Kritiker führen Fälle an, in denen Versicherer versucht haben, um Zahlungen herumzukommen, indem sie Unschärfen in Vertragsbestimmungen zu ihren Gunsten auslegten.

Einige der Kritiker machen laxe gesetzliche Bestimmungen und eine protektionistische Haltung der Regierung gegenüber der Branche für die ganzen unfairen Geschäftspraktiken verantwortlich. Beispielsweise ist die Gründung neuer Versicherungsgesellschaften seit Jahrzehnten untersagt. Das Verbot hat die Kunden dem Wohlwollen der bestehenden Versicherer ausgeliefert und ihnen den Zugang zu besserem Service, den eine vermehrte Konkurrenz mit sich gebracht hätte, verwehrt.

Verbesserungen gab es auch im Angebot der Versicherungspolicen. Zuvor waren Versicherungen überwiegend als Kapitalanlage konzipiert. Nun sollen vermehrt Risiken abgedeckt werden.

Das Finanzministerium gestattete 1987 eine begrenzte Öffnung des Marktes für amerikanische Versicherungsgesellschaften als eine Maßnahme zur Reduzierung des Handelsüberschusses mit den USA. Damals wurde pro Jahr jeweils nur zwei Lebens- und zwei Eigentumsversicherern die Einrichtung von Filialen gestattet. Nun wurde auf Druck von Washington die Jahresquote von jeweils zwei auf drei Neuzugänge pro Versicherungskategorie mit Wirkung von August 1990 angehoben. Bis Mitte August hatten sich zehn US-Versicherer in Taiwan niedergelassen, fünf in jedem Bereich. Dem stehen die vor nahezu dreißig Jahren gegründeten acht Lebens- und vierzehn Eigentumsversicherer gegenüber.

Mit den Investitionen in Immobilien und der Beteiligung der Aktionäre an den Gewinnen nennen die Kritiker zwei weitere Bereiche, auf denen staatliche Bestimmungen unzureichend seien. Gegenwärtig kann ein Versicherungsunternehmen immerhin ein Drittel der Beitragszahlungen in Immobilien anlegen. Diese Obergrenze ist dreimal so hoch wie im benachbarten Südkorea und beträgt mehr als das Doppelte von dem, was in Japan gestattet ist.

Die Gewinnbeteiligung ist so geregelt, daß die Versicherer keine Dividenden ausschütten müssen, solange ihr Profit nach Abzug der Steuern unter sechs Prozent liegt. Entsprechend werden die Gewinnbeteiligungen nur auf der Grundlage des Profitanteils berechnet, der über diesen sechs Prozent liegt. Umstritten ist nun aber nicht einmal so sehr diese Ausnahmeregelung als vielmehr die Bestimmung, daß Dividenden nur von Gewinnen aus dem eigentlichen Versicherungsgeschäft gezahlt werden müssen, nicht aber von den immensen Profiten aus anderen Bereichen wie zum Beispiel dem Immobilien- oder Aktienmarkt. Gerade diese, die in den letzten Jahren astronomische Höhen erreichten, kamen nur den Aktionären der Versicherungsanstalten zugute; die Versicherungsnehmer gingen leer aus. Das wird deshalb als unfair betrachtet, weil das gesamte Kapital für Investitionen in den genannten Bereichen von den Beitragszahlern aufgebracht wird.

In einer Reaktion auf die wachsende Empörung über die zahlreichen zweifelhaften Geschäftspraktiken einheimischer Versicherungsunternehmen hat das Finanzministerium grundlegende Verbesserungen des Versicherungsgesetzes in Aussicht gestellt. Eine Überarbeitung des Gesetzes wurde dem Legislativ-Yüan zur Billigung vorgelegt. Doch sind einige der hauptsächlichen Veränderungen weiterhin umstritten, wie etwa die neue Obergrenze für Investitionen in Immobilien. Obwohl sie von einem Drittel auf 25 Prozent der Summe aller Versicherungsbeiträge gesenkt wurde, halten einige Leute dies für immer noch zu hoch und sind der Meinung, daß die Obergrenze bei 15 Prozent liegen solle.

Sogar die wesentlichste Änderung am Gesetz - die Öffnung der Branche für neue Investitionen - wird von interessierter Seite in Taiwan und in Übersee als allzu bedachtsam angesehen. Die Gesetzesvorlage ermöglicht zwar Neuankömmlingen den Zugang zum Markt, aber garantiert nicht jeder Gesellschaft, die den staatlichen Anforderungen genügt, eine Lizenz. Wie aus dem Finanzministerium verlautete, werden die neuen Genehmigungen "auf der Grundlage einer Bewilligung" erteilt werden, womit gesagt werden soll, daß nach der Aufhebung der Sperre ein Quotensystem bestehen wird.

So plant ein ausländischer Versicherer eine Krankenversicherung für Invalide und Rentner - auf Taiwan eine Novität.

Außerdem wurde bekannt, daß die neuen Lizenzen in den ersten zwei Jahren nach Zulassung von Neuzugängen am Versicherungsmarkt nur an einheimische Investoren vergeben werden. Diese Information hat bei den ausländischen Versicherern ernste Besorgnisse ausgelöst, vor allem bei den nicht amerikanischen Gesellschaften, von denen bisher noch keiner einzigen eine Erlaubnis zur Aufnahme der Geschäfte auf Taiwan gewährt wurde. Immerhin haben 21 überwiegend europäische Versicherungsunternehmen Kontaktbüros eingerichtet, um den Weg für einen offiziellen Markteintritt zu bahnen, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet.

"Das ist nicht fair gegenüber ausländischen Unternehmen. Nach diesen zwei Jahren werden noch mehr einheimische und amerikanische Versicherer auf dem Markt sein. Dies wird die Konkurrenz intensivieren und für die später kommenden Unternehmen das Geschäft ungleich schwerer machen", kommentiert Oliver Charles Moore, Direktor des Taipeier Büros von UAP (L'Union Des Assurances De Paris), der größten Versicherungsanstalt Frankreichs.

Moore, der gegenwärtig Vorsitzender des Versicherungskomitees der Europäischen Handelskammer auf Taiwan ist, ist der Meinung, daß die Republik China die europäischen Versicherer unfair behandelt, wenn Genehmigungen nur US-Versicherern erteilt werden. "Wir können verstehen, daß Taiwan den Versicherungsmarkt für amerikanische Firmen wegen des immensen Handelsüberschusses geöffnet hat", versichert er, "doch erzielt Taiwan auch im Handel mit vielen EG-Ländern einen wachsenden Exportüberschuß."

Beamte im Finanzministerium wollten nicht bestätigen, ob die Regierung ernsthaft eine derartige begrenzte Öffnung des Versicherungsmarktes plant; unterrichtete Kreise jedoch versichern, daß dies tatsächlich der Fall sei. Es ist bekannt, daß das Minsterium die Befürchtungen hegt, ein scharfer Anstieg bei der Zahl der Neuzugänge werde eine rücksichtslose Konkurrenz entfachen, die den eingesessenen Versicherern schaden könnte. Eine weitere Überlegung ist, daß die einheimischen Unternehmen zahlenmäßig ins Hintertreffen geraten könnten, wenn das Projekt zur Zulassung ausländischer Firmen zu schnell vorangetrieben wird.

Eine Reihe von Experten ist jedoch anderer Meinung. Sie machen nachdrücklich darauf aufmerksam, daß das Ministerium den Markt in raschem Tempo liberalisieren und der Konkurrenz Zugang verschaffen muß, wenn es die Branche dazu bringen will, den Service zu verbessern. Sie stimmen nicht mit der Annahme überein, daß die einheimischen Versicherer durch die Präsenz der ausländischen Mitbewerber in ihrer Existenz bedroht würden, trotz all der langjährigen Erfahrung und den überlegenen Marketingmethoden, die letzteren zu Gebote stehen. Ein Fachmann verweist auf eine Reihe von Handikaps, die den ausländischen Firmen eigen ist.

Dies wird bestätigt von einem Topmanager des hiesigen Zweigs der Aetna Life Insurance Company, einer der fünf amerikanischen Versicherungen, die Anfang 1987 auf den Versicherungsmarkt kamen, nachdem die Republik China erstmals US-Firmen zugelassen hatte. Joseph Shao, leitender Angestellter in der Marketing-Abteilung von Aetna, verweist auf den kulturellen Unterschied zwischen den Menschen der beiden Länder, der es schwierig mache, Versicherungen hierzulande auf amerikanische Art zu verkaufen.

In den USA ist es relativ einfach für Versicherungsvertreter, vom Kunden genaue Informationen über sein voraussichtliches Einkommen und andere finanzielle Fakten zu erhalten, die zur Erarbeitung einer speziell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittenen Zusammenstellung von Policen nötig sind. Diese Verkaufsmethode ist auf Taiwan jedoch nicht so einfach anzuwenden, denn die Leute hier sind im allgemeinen wenig geneigt, ihre Finanzlage vollständig offenzulegen.

Für die Versicherer aus Übersee gibt es zudem noch Hindernisse anderer Art. Es ist ihnen nicht gestattet, außerhalb von Taipei Filialen einzurichten, eine Einschränkung, die sie gegenüber den ansässigen Versicherungsunternehmen, welche im ganzen Land ein Netz von Geschäftstellen betreiben können, um einiges benachteiligt. Ausländische Versicherer haben auch Schwierigkeiten in der Konkurrenz um fähige Mitarbeiter, so ein leitender Angestellter von Cathay Life. Nach seinen Beobachtungen lehnen es manche jungen Leute ab, für ausländische Firmen zu arbeiten, weil letztere des öfteren ihre Leute ohne viel Federlesen selbst für geringfügige Fehler entlassen oder bedenkenlos Personal kürzen, sobald sich die Geschäfte verschlechtern.

Angesichts dieser und anderer Nachteile sieht der Manager von Cathay von den taiwanesischen Niederlassungen der amerikanischen Versicherungsunternehmen keine ernsthafte Bedrohung, ausgehen. Er äußerte sich zuversichtlich, daß Cathay Life in den nächsten fünf Jahren den gegenwärtigen Marktanteil trotz der zunehmenden Konkurrenz halten wird, und schätzt, daß der Prozentsatz der Lebensversicherten sich bis zum Jahr 2000 um das 2,5fache erhöhen und damit von gegenwärtig 27 auf projizierte 68 Prozent steigen wird. Er stimmt mit der Ansicht überein, daß die Präsenz der US-Versicherer auf Taiwan wieder für Wettbewerb gesorgt habe, wovon die Beitragszahler bereits profitiert hätten. Zu den Folgen zählt, daß viele Versicherer jetzt unverzüglich auf Forderungen reagieren, weil sonst nach den Vertragsbestimmungen der Policen Strafzinsen für jeden Tag der Zahlungsverzögerung gezahlt werden müssen.

Ein anderer positiver Effekt des verstärkten Wettbewerbs sind niedrigere Versicherungsbeiträge. Beispielsweise wurde der Beitragssatz für Lebensversicherungen mit Blick auf die gestiegene Lebenserwartung der Bürger Taiwans gesenkt. Darüber hinaus wurden die Beiträge für Frauen noch mehr gekürzt, deren durchschnittliche Lebenserwartung heute mit 77 Jahren um sechs Jahre höher liegt als die der Männer.

Der Eintritt der US-Versicherer hatte zudem offenbar einen stimulierenden Effekt auf die Entwicklung neuer Angebote. Aetna Life beispielsweise plant eine Krankenversicherung für arbeitsunfähige Menschen und Rentner. "Das sind die Leute, die medizinische Hilfe am nötigsten haben, doch hat leider bislang kein taiwanesischer Versicherer eine entsprechende Versicherung angeboten", erklärt Shao von Aetna. Das Unternehmen will auch eine Universal-Lebensversicherung einführen, ein Angebot, das zugleich Lebensversicherung und Kapitalanlage ist.

Trotz all der Belebung, die sie in den Markt gebracht haben, schreiben noch immer fast alle amerikanischen Versicherungsunternehmen, seien es nun Lebens- oder Eigentumsversicherer, Verluste. Aber nach Aussage von Shao ist das nichts Ungewöhnliches. "Im Anfangsstadium lassen sich rote Zahlen einfach nicht vermeiden, weil man viele Ausgaben machen muß, die mit der Startphase zusammenhängen", erklärt er. "Die Kosten für die Einstellung und Einarbeitung von Personal sind in diesem Zeitraum besonders hoch."

Die fünf amerikanischen Eigentumsversicherer verlieren aus einem weiteren Grund Geld: Die Verluste bei Feuer- und anderen Industrieversicherungen wachsen, da im Zusammenhang mit der abflauenden Wirtschaftslage eine zunehmende Zahl von Unternehmen scheitert und deshalb das Beitragsaufkommen schrumpft. Einer leitenden Angestellten der Taipeier Niederlassung der US-Firma Continental Insurance zufolge ist das Versicherungsgeschäft trotz hohen Marktpotentials in Taiwan schwierig, wenn man vom Bereich der Lebensversicherungen absieht. Sie verweist auf die beinharte Konkurrenz, zum Beispiel bei den Rückvergütungen und Kürzungen der Beiträge, die zu den besonders hohen Verlustspannen hinzukommen. Sie räumt ein, daß die meisten US-Eigentumsversicherer den taiwanesischen Markt noch nicht wirklich durchdrungen hätten. Im Augenblick sind sie noch immer auf die Unterstützung von ihren amerikanischen Zentralen oder von anderen ausländischen Firmen, die auf Taiwan operieren, angewiesen.

(Deutsch von Martin Kaiser)

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