28.08.2025

Taiwan Today

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Die moderne Frau in der Literatur

01.05.1991
Viele Werke heutiger Autorinnen versuchen, Frauen den Weg zu neuen Rollen und einem neuen Selbstverständnis zu weisen.

In den vergangenen dreißig Jahren zeigte eine Reihe von Schriftstellerinnen auf Taiwan eine wachsende Affinität zu den Bestrebungen der westlichen Frauenbewegung, die Schranken, die die Tradition den Frauen gesetzt hat, zu durchbrechen. Sie begannen, für sich selbst und ihre Leser eine Vision von der modernen chinesischen Frau zu entwerfen, einer Frau, die unabhängig über sich selbst, die Gesellschaft und die gesamte Menschheit nachdenken kann. Diese Autorinnen lassen sich in drei Kategorien einteilen: die Unterhaltungsschriftstellerinnen, diejenigen, die Liebe und Ehe in Frage stellen, und die, die nach neuen Rollen für die Frau suchen.

Die erste Gruppe wird in den Sechzigern am besten durch Chen Che, besser bekannt als Chiung Yao (瓊瑤), in den Siebzigern durch San Mao (三毛), auch bekannt als Echo Chen, und in den Achtzigern durch Chang Man-chuan (張曼娟) repräsentiert. In der zweiten Kategorie sind Tseng Hsin-i (曾心儀) in den Siebzigern, Chiang Hsiao-yun (蔣曉雲) in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern und Li Ang (李昂) in den Achtzigern zu nennen. Die dritte Gruppe, die in ihren Werken nach neuen Rollen für die Frau sucht, bildete sich erst in den achtziger Jahren; hierzu gehören Yuan Chiung-chiung (袁瓊瓊), Chu Hsiu-chuan (朱秀娟), Lu Hsiu-lien (呂秀蓮), und Liao Hui-ying (廖輝英).

Dem Statistiker Tsai Sung-lin von der Nationalen Chiaotung-Universität zufolge werden zwei von dreizehn Ehen auf Taiwan wieder geschieden, während es in Taipei sogar zwei von neun Ehen sind. Die Kurzgeschichte "Die blauen Wasser des Meeres" ist insofern auf der Höhe ihrer Zeit, als sie die Scheidung als eine nicht unbedingt falsche Alternative beschreibt. Allerdings schrieb die Autorin diese Geschichte, erzählt aus der Sicht der Tante eines kleinen Jungen, um zu zeigen, daß Kinder unter einer Scheidung am meisten leiden, und sie fordert den Leser dazu auf, diese Entwicklung neu zu überdenken. Das Kind ertränkt sich schließlich selbst und zwingt die Eltern dadurch zur Selbstprüfung und zu einem Versuch, die Kluft zwichen ihnen zu überbrücken. Am Ende versöhnt sich das Paar wieder, und auf diese Weise vermag Chang Man-chuan an ihrem Eheideal festzuhalten; sie verurteilt die Scheidung, indem sie ihr ein Kind zum Opfer fallen läßt.

Unterhaltungsliteratur dieser Art spricht ein großes Publikum an, denn sie spiegelt die moralischen Werte der Gesellschaft wider, und die Charaktere sind so gezeichnet, daß sie die Sympathie des Lesers gewinnen. So romantisch oder tragisch etwa Chiung Yao's Romane auch sein mögen, am Ende kommt es doch immer zur glücklichen Vereinigung der Liebenden. "Vor dem Fenster" bildet da eine Ausnahme. Doch auch hier vermag die reine und naive Beziehung zwischen einer Oberschülerin und ihrem Lehrer das Verständnis und die Billigung der Leser zu gewinnen, da die Regeln der Gesellschaft am Ende triumphieren. Die Beziehung endet unter dem sozialen Druck, dem sie ausgesetzt ist, und das Mädchen geht schließlich weg, um einen jungen Mann zu heiraten. Jahre später kehrt sie zurück und findet ihren Lehrer als gebrochenen Mann wieder, als kranken, heruntergekommenen Alkoholiker.

"Aus der Sahara" von San Mao ist eine lebendige autobiographische Beschreibung zweier Menschen, die lernen, zusammen in der afrikanischen Wüste zu leben; eine Erfahrung, die schließlich zu einer glücklichen Ehe führt. Diese romantische Schilderung einer Liebe zwischen zwei Menschen aus verschiedenen Kulturen vermittelt dem Leser ein ideales Bild von Liebe und Ehe, die stark genug sind, um die geographische Distanz und die Unterschiede der Kulturen zu überwinden.

Von einem feministischen Blickwinkel aus gesehen halten diese Unterhaltungsromane an der archetypischen Rolle der traditionellen Frau fest. Ihre Themen stimmen mit den auch im modernen Taiwan vorherrschenden Anliegen der Frauen überein, die immer noch nach Liebe und idealer Ehe suchen, auch wenn sie bereits allen Schmerz und alles Unglück erlitten haben, die Scheidung oder männliche Untreue mit sich bringen. In gewissem Maße haben sich die Unterhaltungsschriftstellerinnen selbst an die traditionellen Auffassungen von der Frau gebunden, indem sie dazu neigen, ein vollkommenes und makelloses Bild von Liebe und Ehe zu zeichnen.

Im Gegensatz dazu kreisen die Erzählungen und Romane der zweiten Gruppe von Autorinnen um unglückliche Liebes- und Eheerfahrungen. Verglichen mit San Mao's romantischen Geschichten nähert sich Tseng Hsin-i's Roman "Ich liebe einen Doktor" (我愛博士) dem Phänomen "Liebe" auf andere Weise und mit einem kritischeren Blick. In den siebziger Jahren, dem Zeitraum, in denen beide Autorinnen ihre Bücher schrieben, "flogen" viele Studentinnen auf Männer, die mit Doktortiteln aus dem Ausland nach Taiwan zurückkehrten. Doch in "Ich liebe einen Doktor" beschreibt Tseng die mangelnde Bereitschaft der zurückkehrenden Akademiker, in ihren Beziehungen zu Frauen Verantwortung zu zeigen, und schildert die bitteren Erfahrungen der jungen Frauen, die sich in sie verlieben.

Im Jahre I979 gewann Chiang Hsiao-yun's "Der Weg zur Ehe" (姻緣路) den ersten Preis in der Kategorie "Novelle" bei einem Literaturwettbewerb, der von der chinesischsprachigen Tageszeitung "United Daily News" abgehalten wurde. Die Erzählung verteidigt scheinbar Jungfräulichkeit und Ehe, indem sie die ernsthafte Suche der Protagonistin Lin Yueh-chuan nach einem Ehemann und ihre Entschlossenheit beschreibt, ihre Reinheit für den "Mann ihres Lebens" zu bewahren. Die Autorin macht ätzende Bemerkungen über die "Neue Frau" auf Taiwan, die die Ansicht, daß Frauen sich um die Bedürfnisse der Männer kümmern sollten, in Frage stellt. Doch die Geschichte ist realistisch. Yueh-chuan bewahrt sich ihre Jungfräulichkeit mit verbissener Entschlossenheit durch drei frustrierende Beziehungen mit Männern hindurch. "Der Weg zur Ehe" beschreibt wahrheitsgetreu das sexuell freiere Verhältnis zwischen Mann und Frau in den siebziger und achtziger Jahren. Die Erzählung kritisiert Liebe oder Ehe nicht, aber sie lenkt den Sarkasmus der Leser auf Yueh-chuan's törichte Unbelehrbarkeit und ihre rigide Haltung gegenüber Liebe und Sex.

Dem "Weg zur Ehe" folgten in den achtziger Jahren eine ganze Reihe von Büchern verschiedener Autorinnen, die das Dilemma von Frauen beschreiben, die lieben, aber den Glauben in die Ehe verloren haben. Beispiele dafür sind Su Wei-chen's (蘇偉貞) "Verblühte Schönheit" (紅顏已老) und "Frauen in der Welt" (世間女子) sowie Liao Hui-ying's "Rapssamen" (油蔴菜籽) und "Der Weg ohne Wiederkehr" (不歸路).

Eine Reihe von Schriftstellerinnen gehört zu den auch international bekannten Vertretern der modernen Literatur Taiwans (im Bild u. a. Li Ang's "Gattenmord" und "Dunkle Nacht").

In ihren Romanen "Gattenmord" (殺夫) und "Dunkle Nacht" (暗夜) schildert die Autorin Li Ang auf eine sehr direkte Weise die Gewalt, die Beleidigungen und Kränkungen, die Frauen in Liebe und Ehe erleiden, und die Spiele gegenseitiger Täuschung, die Männer und Frauen in der heutigen Industriegesellschaft miteinander spielen. Die Bücher beschreiben die schmerzlichen Erfahrungen von Frauen, die Kränkungen und Beleidigungen in Liebe und Ehe ertragen, um zu überleben.

In den siebziger und achtziger Jahren begannen die Ziele der Frauenbewegung im Westen einen gewissen Anklang unter den Frauen auf Taiwan zu gewinnen. Auch ermutigten ein weltweit wachsendes Bewußtsein für Frauenfragen und Frauenrechte sowie ein zunehmender Informationsfluß viele Frauenorganisationen hierzulande, ihr Interesse an feministischen Themen zu verstärken. Die gesamte Gesellschaft auf Taiwan war in einem Prozeß der Umstrukturierung begriffen, und zur gleichen Zeit erlebten die Beziehungen zwischen Mann und Frau eine Umgestaltung. Der Wirbelwind der Veränderungen in Liebe, Ehe und Büro erfaßte beide Geschlechter und brachte viele Frauen dazu, nach einer neuen Rolle in der Familie, am Arbeitsplatz und im Leben zu suchen. Das führte zu dem Aufkommen der dritten Kategorie von Schriftstellerinnen, die diese Suche dokumentierten und den Frauen neue Rollen wiesen.

Die Protagonistin in Chu Hsiu-chuan's Roman "Eine starke Frau" (女強人) beispielsweise ist durchaus als Rollenvorbild für junge Leserinnen gedacht, die nach neuen Alternativen suchen. Das Buch, das zum Bestseller wurde, ist eine mehr oder weniger romanhafte Beschreibung einer Frau, die in Karriere und Liebe gleichermaßen erfolgreich ist.

Yuan Chiung-chiung's Kurzgeschichte "Mein eigener Horizont" (自己的天空) beschreibt demgegenüber die Gelassenheit, mit der eine Frau ihre Scheidung erlebt, und macht keinen Versuch, die Sensitivität der Geschiedenen gegenüber dem sexuellen Begehren des Mannes zu verbergen. Damit hebt sich die Geschichte von den üblichen Beschreibungen von Frauen ab, die mit heftigen Gefühlsausbrüchen zusammenbrechen, wenn sie feststellen, daß ihr Mann ihnen entfremdet ist. Doch ebenso wie viele andere geschiedene Frauen sucht die Protagonistin finanziellen und emotionalen Halt bei einem verheirateten Mann. Der Schluß freilich wirkt fast zu schön, um wahr zu sein: sie begegnet ihrem Ex-Ehemann und seiner neuen Frau und betrachtet diese neue Ehe mit wissender Herablassung; sie ist überzeugt, daß ihre Nachfolgerin das gleiche Schicksal erleiden wird wie sie selbst. Mit einem Gefühl der Befriedigung über das Ende ihrer Ehe geht sie davon. Doch wenn die Autorin dieses Schicksal als einen "eigenen Horizont" für die Frau darstellt, schränkt sie damit den Spielraum, der den Frauen bei ihrem Ringen um einen eigenen Weg gegeben ist, beträchtlich ein.

In "Diese drei Frauen" (這三個女人) schildert Lu Hsiu-lien drei neue Typen von weiblichen Persönlichkeiten: eine Hausfrau, die die Küche verläßt, um eine neue Karriere zu beginnen, eine unverheiratete Frau, die ihren Idealen nachstrebt, und eine sanfte und mitfühlende Frau, deren weites Herz es ihr möglich macht, die Geliebte ihres Mannes und deren uneheliche Kinder nach dessen Tod zu akzeptieren. Die Autorin untersucht die Rollen der Frau neu, versucht aber kaum, die seelischen Konflikte offenzulegen, die die drei Heldinnen durchmachen, während sie ihre Entscheidungen treffen und danach leben. Die Geschichte berührt das Thema moderner weiblicher Persönlichkeiten, aber sie gibt nur eine vage und unklare Antwort auf die Frage nach neuen Rollen für die Frau .

"Zugvögel in der Stadt" (都市候鳥) von Liao Hui-ying handelt von einer unverheirateten Karrierefrau in der Werbebranche. Der Roman beschreibt eingehend die Arbeitswelt der Protagonistin Wang Man-shu und versucht, ihre vorsichtige Haltung gegenüber der Liebe darzustellen. Allzu kurz und oberflächlich behandelt das Buch jedoch die rasch sich entwickelnde Liebesbeziehung zwischen Wang, die gerade einen beruflichen Rückschlag erlitten hat, und ihrem Vorgesetzten, dem sie immer schon Zuneigung, aber zugleich auch Mißtrauen entgegengebracht hatte. Insgesamt wirkt das Werk monoton, und es verwendet zuwenig Sorgfalt auf die Schilderung von Wang's Persönlichkeit und ihrer Einstellung zu ihrer Karriere.

Aus der eben gegebenen Darstellung dreier Typen von Schriftstellerinnen wird deutlich, daß selbst heute, am Beginn des letzten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts, feministische Anliegen und Zielsetzungen bei den Autorinnen wie bei ihren Lesern nicht über traditionelle Konzepte, über das Leiden der Frau in Liebe und Ehe und ihre Suche nach neuen Rollen bzw. nach harmonischer Koexistenz mit nicht-traditionellen Frauen hinausgehen.

Die Mehrheit der Autorinnen ist nach wie vor daran interessiert, Geschichten über Frauen zu erzählen. Doch einige von ihnen haben politische Romane geschrieben, wie etwa Chen Jo-hsi (陳若曦), deren bewegende Berichte aus der chinesischen Kulturrevolution große Anerkennung fanden. Während es bei Chen keinen Hinweis auf ein feministisches Bewußtsein gibt, ist es Tsai Hsiu-niu (蔡秀女), der jüngeren Generation von Autorinnen zugehörig, in ihrem politischen Roman "Flötenklang in dunkler Nacht" (暗夜笛聲) mit größerem Erfolg gelungen, feministische Fragen in die Romanhandlung zu integrieren. Gleichwohl stellt sie die Rolle der Frau im politischen System nicht klar genug heraus und versäumt es, den Widerstand der Frauen gegen männlichen Chauvinismus aus weiblicher Sicht zu beschreiben.

Im allgemeinen ist feministisches Bewußtsein nur in solchen Romanen zu Reife gelangt, die Liebe und Ehe zum Thema haben. Die weitere Entwicklung der Frauenbewegung und eine breitere Akzeptierung ihrer Ziele wird sicherlich zu einem kraftvolleren und lebendigeren feministischen Bewußtsein auf Taiwan führen. Wenn auch politische und historische Romane vermehrt von einem feministischen Standpunkt aus untersucht würden, könnte das dazu beitragen, daß der Bereich feministischer Anliegen über den engen Kreis von Liebe und Ehe hinausgeht. 

(Deutsch von Klaus Gottheiner)

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