02.05.2025

Taiwan Today

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Die Sashimi-Hauptstadt im Süden

01.09.1992
Tungkangs Hafen, der auf das 17. Jh. zurückgeht, war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges einer der blühendsten Handelshäfen Taiwans und ist heute noch ein Zentrum der Fischerei auf Taiwan, in dem besonders das Exportgeschäft floriert.

Schon seit die frühesten Siedler von Festlandchina ankamen, war Tungkang ein blühender Hafen. Der Hafen erhält sich, trotz vieler Probleme in der Fischereiindustrie, seinen Ruf, den Thunfisch mit der höchsten Qualität zu fangen.

Auf den ersten Blick ist Tungkang kein sehr beeindruckender Ort. Eine dreißigminütige Autofahrt südlich von Kaohsiung gelegen, ist es weit weg von den politischen, finanziellen und kulturellen Zentren Taiwans. Es ist definitiv nicht für tolle Hotels, Restaurants und Geschäfte bekannt. Und selbst die Attraktivität der alten chinesischen Häuser mit Höfen ist verschwunden, schon vor langer Zeit ersetzt durch Reihen mit nicht zu unterscheidenden drei- bis vierstöckigen Betongebäuden, die mit weißen, beigen oder braunen Ziegeln bedeckt sind. Obwohl man in den kurvigen Straßen neue Autos sehen kann, so sind doch Motorroller und Fahrräder die üblichere Form der Fortbewegung, zumal viele Straßen für jede andere Art von Verkehr zu schmal sind.

Doch ist Tungkang keine gewöhnliche Stadt. Seine Geschichte geht bis ins späte 17. Jh. zurück, als Taiwan noch von Einwanderern aus dem südlichen China besiedelt wurde. Tungkang entwickelte sich schließlich aus einem Fischerdorf zu einem der blühendsten Handelshäfen Taiwans. Seine Vormachtstellung wurde im Süden nicht gefährdet, bis 1945 ein großer Handel - und Industriehafen in Kaohsiung gebaut wurde.

Tungkang ist immer noch der geschäftige Heimathafen für über tausend Fischerboote. Darüber hinaus, so betont Wu Hsin-shui (吳鑫水), Bürgermeister der Stadt, ist etwa die Hälfte der 47 000 Stadtbürger auf die Fischerei für ihren Lebensunterhalt angewiesen. Diese Zahl schließt fünftausend Fischer, tausend Bootbesitzer und Kapitäne, weitere Tausend, die nachts auf den Fischmärkten arbeiten, und Leute, die in den abhängigen Industrien arbeiten, wie in Lagerhäusern, Lastwagenunternehmen, beim Bootsbau und der -reparatur und in der Fischverarbeitung und -vermarktung, ein.

Zufolge der letzten Ausgabe des “Jahrbuchs der Fischerei auf Taiwan” fingen die Seeleute von Tungkang 1990 29 000 Tonnen Fisch, davon das meiste lukrativer Thun- und Schwertfisch. Und tatsächlich ist die Stadt ganz besonders für ihren Thunfisch bekannt, der hauptsächlich nach Japan für Sashimi exportiert wird. Derzeit stammen 90 Prozent des von Japan importierten Fisches aus Taiwan, davon 40 Prozent - 20 000 Tonnen - aus Tungkang. Das stellt ein lukratives Geschäft für die Stadt dar, macht es doch etwa 70 Prozent der Erlöse Tungkangs aus Fischereiprodukten aus. Abgesehen vom Thunfisch in Sashimi-Qualität dosen die fisch verarbeitenden Betriebe der Stadt Thunfisch auch für den europäischen und amerikanischen Markt ein.

Seit dem Anfang dieses Jahrhunderts hat sich Japan auf Tungkang verlassen, die Fänge der japanischen Fischer für den enormen Sashimi-Markt zu ergänzen. Einer, der sich aus der Branche zurückgezogen hat, erinnert sich an japanische Fischhändler, die er bei einer Geschäftsreise in die Gegend um Kaohsiung und Pingtung vor 15 Jahren gesehen hatte: “Die japanischen Fischhändler lebten dort quasi. Ihre Aufgabe war es, den besten Thunfisch auf dem Markt für den Export nach Japan herauszusuchen.” Heute sind die japanischen Händler durch einheimische ersetzt, doch wird immer noch der beste Thunfisch nach Japan geschickt.

Vorbereitung von Lunchboxen mit Sashimi: Damals wie heute ist Tungkang für seinen Thunfisch berühmt, sogar im Ausland. Kennergaumen verlangt es vor allem nach leuchtend rotem Fleisch, das möglichst zart und ohne Muskel sein soll.

Tungkangs Thunfisch wird dem südkoreanischen vorgezogen, denn er wird nach dem Fang in Kühlschränken gelagert und nicht gefroren. Wie es Lin Kan-chih (林勘治), Direktor des “Fischerverbandes Tungkang” ausdrückt: “Niedrige Temperaturen tragen dazu bei, den Fisch zu erhalten, doch wenn sie zu niedrig sind, dann zerstört das die Textur des Fleisches - und gutes Sashimi muß eine gute Fleischtextur haben.” Tungkang war Japans einzige ausländische Quelle für gekühlten Thunfisch, bis vor vier Jahren Indonesien und Guam in diesen Markt einstiegen. Doch Tungkangs gekühlter Thunfisch bleibt der Favorit der Japaner und erfreut sich eines 90 Prozent hohen Anteils an diesem Importmarkt.

Zu den hauptsächlich gefangenen Thunfischarten gehören solche der Familie der Priacanthidae sowie der Gelb- und der Blauflossenthunfisch. Der Gelbflossenthunfisch erbringt die größte Menge, während der Blauflossenthunfisch als der beste erachtet wird. Der größte Teil des Fangs kommt aus dem südlichen Pazifik nahe den Philippinen und Palau. Viele der Fischer aus Tungkang sind nur auf Blauflossenthunfisch aus. Nach den Aussagen eines Fischhändlers des Hafens kann das Kilo Blauflossenthunfisch für 45 US$ bis 50 US$ verkauft werden, dem gegenüber liegt der Großhandelspreis für anderen Fisch bei 4 US$ pro Kilo.

Das Fischen mit der Langleine ist die meistbenutzte Technik in den der Küste vorgelagerten Fischereizonen. Diese Methode wurde ebenfalls von den Kütenfischern angewendet, doch aufgrund einer Erschöpfung durch übermäßiges Fischen und Umweltverschmutzung, welche durch chemische Fabriken in der nahegelegenen Gemeinde Hsinyuan verursacht wird, haben die Fischereizonen entlang der Küste einen enormen Niedergang erlebt. “Es gibt fast keinen sauberen und gesunden Fisch mehr, den man entlang der Küste fangen könnte”, klagt Lin. Die Mehrzahl der Fischerboote in Tungkang haben deshalb auf das Fischen weiter vor der Küste und auf hoher See umgestellt. Die meisten Schiffe gehören Familien. “Tungkang hat keine richtigen Fischereiunternehmen”, stellt Lin heraus. “Die Fischereiindustrie wird ziemlich viel von Familienmitgliedern oder Freunden getragen.”

Durchschnittlich sechzig Fischerboote legen täglich im Hafen an. Lin erklärt, daß diese Zahl eigentlich mehr ist, als der Hafen verkraften kann, und die Nachfrage steigt, weil immer mehr Fischerboote aus anderen Häfen auch ihren Fang in Tungkang verkaufen. Selbst die Thunfischfänger aus Kaohsiung legen gern in Tungkang an. “Sie denken, daß unser Großhandel konkurrenzfähiger ist, da es sich dabei um einen exportorientierten Markt handelt”, kommentiert Lin.

In der Halle begutachten die Fischhändler zunächst den zum Export bestimmten Thunfisch, welcher zur Kühlung in Eis gepackt wurde, aber nicht gefrieren darf. Die japanischen Kunden achten streng nicht nur auf Frische, sondern auch auf optimale Textur des Fleisches.

Um das Problem der Überfüllung zu lösen, wird die Regierung, so hofft Lin, einen Hochseehafen außerhalb des seit 1959 bestehenden bauen. Ursprünglich war der Hafen von Tungkang für die Küsten- und küstennahe Fischerei angelegt worden und nicht für die großen 50 bis 100 Tonnen schweren Hochseefischdampfer. Doch vor fünf Jahren stieg die Zahl der größeren Schiffe immens an, als die Fischer begannen, sich in den Hochseegebieten Südostasien nach Thunfisch umzusehen. Lin zufolge könnten die Fischerboote mit mehr Umfang im Hochseehafen anlegen, wenn die alten Hafeneinrichtungen zu überfüllt seien.

Der Hafen ist von etwa abends elf Uhr, wenn die Fischerboote zurückkehren, bis in die frühen Morgenstunden am geschäftigsten. Die Fänge werden aus den Booten entladen und im Großhandelsfischmarkt entlang des Hafens sofort verkauft. Ganz früh morgens sind hektische Verhandlungen dran, da die meisten Fischer - besonders die Kapitäne der Thunfischfänger - ihre Fänge an die 120 eingetragenen Fischhändler verkaufen, die in dem Markt aktiv sind und von denen viele die zwanzig Exportgesellschaften in Tungkang vertreten. Der Rest des Fanges wird auf einer Auktion, die um 3.30 Uhr beginnt, an den Käufer gebracht.

Der wertvolle Thunfisch erhält eine sofortige Behandlung an der Hafenanlegestelle. Die Fische werden einer nach dem anderen am Schwanz aus den gekühlten Lagerräumen der Boote an Deck gehievt. Nachdem Frauen die schlanken und dampfenden Körper, die zwischen ein- und zweihundert Kilos wiegen können, abgewaschen haben, werden die Fische auf den Kai geschwungen. Hier wird der Fisch von Arbeitern geschultert und in den Verkaufsbereich getragen, wo er vorsichtig auf den nassen Boden abgelassen wird. Vor Verkauf werden die Fische einzeln gewogen: zwei Leute heben das Tier auf die Waage, einer liest das Gewicht ab, und ein anderer notiert es.

Vor dem Verkauf wird das Gewicht eines jeden Fisches festgestellt. Manche wiegen bis zu ein- oder zweihundert Kilogramm, und es bedarf der Kraft zweier Leute, um den Fisch auf die Waage zu hieven. Jede Nacht werden mehr als tausend großer Fische verkauft.

Die Händler teilen jeden Fisch entsprechend seiner Qualität in eine Kategorie ein, und der beste Thunfisch wird gewöhnlich für den Export nach Japan erstanden. Der Vorgang des Prüfens ist schnell und effizient. Jeder Händler führt ein gebogenes Schaufelmesser mit sich, welches er in die Seite des Fisches stößt, um ihm damit kleine Proben zu entnehmen. Der Händler zieht die Schaufel mit dem Fleisch heraus und prüft seine Farbe und Beschaffenheit, riecht daran und probiert es vielleicht sogar. “Der beste Thunfisch für Sashimi ist leuchtend rot, und das Fleisch muß zart, möglichst ohne Muskeln sein”, erläutert ein Käufer, der die schon seit zwanzig Jahren macht. Wer war sein Lehrer? “Eigentlich keiner”, gibt er zu. “Ich habe es nur durch das Zugucken bei anderen und meine eigene vierzigjährige Erfahrung des Fischessens gelernt.” Er berichtet, daß er zwischen ein- bis zweitausend Thunfische pro Nacht untersucht.

Der Thunfisch mit Exportqualität wird gesäubert und auf LKWs verladen, die ihn zum Internationalen CKS-Flughafen im Norden Taiwans bringen. Dies ist ein sehr wichtiger Vorgang, denn die japanischen Käufer sind äußerst strikt bei der Handhabung von Fisch mit Sashimi-Qualität. Das Säubern ist eine blutige Arbeit, und die meiste wird von Frauen verrichtet, die sich anscheinend der strengen Gerüche nicht bewußt sind. Allgemeine Eile ist ebenfalls angebracht. Der Thunfisch muß den gesamten Weg bis nach Taoyuan gefahren werden, wo seine endgültige Verladung stattfindet. Laut der Angaben des Händlers einer Fischexportfirma: “Wenn unsere Arbeiter hier und in Taoyuan schnell genug sind, dann können sie den Fang in die erste Maschine nach Japan um 8.00 Uhr morgens laden. Bis Mittag sollte dann der Thunfisch in den japanischen Fischmärkten sein, und am Abend sollte er schon auf den Theken der Sashimi-Bars von Tokio liegen.”

Nachdem der beste Fisch verkauft ist, wenden sich die Händler der Bewertung der übrigen Schwert-, Thun-, Hai- und anderen Fische zu, die auf der anderen Seite des Marktes für die Versteigerung ausgebreitet liegen. Abgesehen von den kleineren Fängen werden jede Nacht über tausend große Fische versteigert. Der beste Schwertfisch wird für gewöhnlich für den Export nach Japan eingekauft, wobei der schwarze Schwertfisch als der beste für Sashimi erachtet wird. Haifischflossen, eine Lieblingszutat der Chinesen für Suppen, sind auch Bestseller.

Direkt vor der Großhandelsmarkthalle liegt der städtische Marktplatz, ein “Hafen” für jeden Liebhaber von Meeresfrüchten, der hier viel Neues entdecken kann. Wer hätte gedacht, daß man aus Fischaugen von Tennisballgröße eine kräftige Suppe mit Ingwer und Basilikum bereiten kann?

Die Versteigerung ist ein schneller und subtiler Vorgang. Die vier Auktionäre des Marktes teilen das Gebiet auf und gehen dann von Fang zu Fang. Die Preise starten sehr tief, steigen aber geschwind zu ihrem Verkaufsniveau an. Ein Versteigerer zum Beispiel gibt den Anfangspreis für blauen Schwertfisch mit 2 US$ pro Kilo an. Der Preis steigt dann um etwa 0,04 US$ pro Sekunde. Die ganze Zeit ist jeder Auktionär von ungefähr zwanzig erfahrenen Fischkäufern umringt, die den Fisch prüfen und gleichzeitig den Auktionären aufmerksam zuhören.

Ohne auch nur ein Wort mit den Händlern auszutauschen, kann der Versteigerer erkennen, wer ein Gebot abgibt, indem er einfach den Gesichtsausdruck des Bietenden beachtet. Der eine zwinkert vielleicht, der andere hebt eine Augenbraue oder macht ein Gesicht. Die fast schon telepathische Kommunikation ist äußerst effizient. Innerhalb von 30 Sekunden ist das Geschäft gemacht und der Auktionär geht weiter zum nächsten Fang. Um 5 Uhr ist die Auktion vorbei. Der Fisch, der für den einheimischen Markt verkauft wurde, wird gesäubert und geschnitten, und bald darauf ist der weite Markt mit Ausnahme einiger Frauen, die Fischernetze reparieren, leer. Mal abgesehen von den Leuten, die den blutigen Zementboden abspritzen, wird die Halle bis zum Abend verlassen daliegen.

Gerade außerhalb des Großhandelsfischmarkts liegt Tungkangs Marktplatz im Freien. Obwohl er während des Tages der wahrscheinlich geschäftigste Ort in der Stadt ist, liegt er ruhig bis in den späten Nachmittag hinein. Die Stunden des Tages sind Schlafenszeit für die meisten Leute im Fischereigeschäft, und dies ist für die Bewohner des Hafens zu einem Lebensstil geworden.

Für die Freunde von Meeresfrüchten aus dem großstädtischen Taipei ist ein Besuch des Marktes eine selige Erfahrung. Die riesige Auswahl und die niedrigen Preise sind einfach überwältigend. Beispielsweise verkauft sich ein Dutzend Sashimi-Stücke für 2 US$, etwa ein Fünftel des Taipeier Preises. Der Einkauf kann außerdem abenteuerlich sein. Viele der Fische sind ungewöhnlich, und es ist schwer, ihre Zubereitungsweise zu kennen. Zum Verkauf werden auch Fischteile angeboten, wobei Stapel von Innereien und Reihen von Fischaugen zum Angebot zählen. Was macht man mit Fischaugen von Tennisballgröße? Essen Leute die wirklich? “Klar - man kann sie zu einer leckeren Suppe mit geschnittenem Ingwer und Basilikum machen”, sagt da eine Verkäuferin völlig gelassen. Es überrascht nicht, daß Leute aus Tungkang Fisch zu jeder Mahlzeit essen. “Ohne Fisch ist ein Essen kein richtiges Essen”, verdeutlicht ein hiesiger Käufer. Selbst die Restaurants für Meeresfrüchte haben niedrige Preise, eine schmerzliche Erfahrung für Stadtbewohner, wenn sie mit den immensen Preisen zu Hause vergleichen.

Das religiöse Leben der Stadt ist eng mit der Arbeit auf See verbunden. Hier wird eine reichverzierte Sänfte für das Fest zu Ehren der taoistischen Gottheit Marquis Wen vorbereitet, worin dessen Statue durch die Straßen getragen wird, um böse Geister und die Schuld der Menschen zu vertreiben.

Nicht weit vom Marktplatz entfernt befinden sich die vielen der Fischindustrie anhängenden Unternehmen. Zuerst steht da eine Reihe von fünf- bis sechsstöckigen Eishäusern, dann eine Ansammlung von acht Bootsbauern auf bei den Seiten entlang der Straße. Der Besitzer der Tatunghua Ship Building Company erzählt, sie hätten fast fünfzig Jahre Boote für die Fischer von Tungkang gebaut. Doch kürzlich wäre ihre jährliche Produktion von fünfzehn auf sechs Stück gesunken, größtenteils, weil im letzten Jahr die Regierung die Vergabe von Lizenzen an neue Bootseigner in einem Versuch, die Ausweitung von Taiwans Fischereiindustrie einzudämmen, stoppte. Nun können nur Fischer, die bereits ein Boot haben, ein neues erwerben.

Trotz allem ist der Eigner von Tatunghua voller Optimismus hinsichtlich seiner geschäftlichen Zukunft. Eine Menge an alten Booten müsse noch ausgesondert und ersetzt werden. “Solang die Fischereiindustrie in Tungkang besteht”, stellt er fest, “werden die Bootsbauer im Geschäft bleiben. Die einzigen großen Veränderungen werden bei Material und Bautechnik liegen.”

Der Alltag in Tungkang ist wesentlich geruhsamer als im nahen Kaohsiung und in anderen großen Städten. Wenn die Fischer nicht auf dem Meer sind, ist die hauptsächliche Beschäftigung das Teetrinken, das Schachspiel und das Niedersetzen auf einen Schwatz. Es ist ein ruhiger und sicherer Ort. Doch unterhalb der glatten Oberfläche gehen einige bedeutende Umbrüche in der Gesellschaft vor sich. Ein Kapitän erzählt, daß immer weniger Leute aus Tungkang Fischer werden wollen. “Es ist eine allzu anstrengende Arbeit”, betont er, “und dein Leben ist die ganze Zeit, die du auf See bist, in Gefahr.” Obwohl tödliche Schiffsunfalle von fünf pro Jahr auf fast überhaupt keine in den letzten fünf Jahren zurückgegangen sind, hauptsächlich aufgrund der verbesserten Wettervorhersagen, ist dieser Beruf für junge Leute weiterhin unattraktiv.

Am letzten Tag des einwöchigen Festes wird in einer großen Parade ein aus Spenden für den Marquis erbautes Schiff durch die Straßen zum Strand bewegt, dessen Maße sich immer nach den Angaben eines bestimmten taoistischen Priesters richtet, welcher als einziger mit dem Marquis kommunizieren kann.

Darüber hinaus sind die Lebenshaltungskosten enorm angestiegen, die Löhne aber nicht. Im Durchschnitt verdient ein Fischer zwischen 800 US$ und 1000 US$ pro Monat. Derweil das vor einem Jahrzehnt noch als eine große Summe angesehen wurde, so ist es heute lächerlich. Als Folge müssen viele Kapitäne ihre Mannschaften mit ausländischen Seeleuten aufstocken, viele werden in den Philippinen angeheuert. Es gibt bereits etwa zweitausend Filipinos, die auf Booten von Tungkang arbeiten. Ein 38jähriger Kapitän resümiert, er wolle nicht, daß seine Kinder in seine Fußstapfen treten. “Ich arbeite hart für das Geld, damit ich meinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen kann”, erklärt er. “Dann müssen sie nicht wie ich Fischer werden.”

Doch ist der Hafen nicht immer so geruhsam. Zu Festtagen verwandelt sich Tungkang in einen aufregenden Ort, der Besucher aus ganz Taiwan anzieht. Wie bei den Seeleuten in anderen Teilen Taiwans, gibt es bei den Fischern von Tungkang den Brauch, in einen taoistischen Tempel zu gehen, um den Segen der Götter zu erbitten, bevor sie den Hafen verlassen. Über Generationen hinweg hat der religiöse Taoismus eine sehr wichtige Rolle im Leben der Fischer und ihrer Familien gespielt. Der religiöse Glaube mildert die Ängste, die durch die unvorhersehbaren Tage auf dem Meer ausgelöst werden, und beschwichtigt die Seelen jener Seefahrer, die nicht mehr zurückkehren. Viele Schiffe haben sogar Statuen taoistischer Gottheiten in ihren Kajüten.

Von allen in Tungkang verehrten taoistischen Geistern wird Marquis Wen (溫王爺) als der wichtigste erachtet. Wie alle anderen Gottheiten hat auch Wen einen historischen Charakter. Zur Zeit der Regierung des T’ang-Kaisers Li Shih-min im 7. Jh. starben Wen und sechsunddreißig seiner Soldaten in einem Schiffsunglück. Der Kaiser ließ ein Schiff bauen, auf den Namen “Marquis Wen” taufen und dann zu Ehren des Marquis aussetzen. Es heißt, daß der Geist Wens die Fischer auf dem Meer schützt.

Lin Wen-cheng (林文誠), einem Vorstandsmitglied des Tunglung-Tempels, zufolge hat sich die Verehrung von Wen verändert. “Anstatt ein Boot zu bauen und es auf dem Meer treiben zu lassen, wird es jetzt am Ufer verbrannt”, beschreibt er. Der Tunglung-Tempel ist seit dem frühen 18. Jh., als der erste Tunglung-Tempel zu Ehren des Marquis gebaut wurde, für die Organisation des Festes verantwortlich.

Der abschließende Höhepunkt des Festes ist die Verbrennung des hölzernen Schiffes. Nun gilt es bei jungen Männern, die der Feuersbrunst so nahe wie möglich stehen, den Hauptmast zu fangen, was als glücksbringend erachtet wird.

Heutzutage wird das eine Woche dauernde Fest alle drei Jahre abgehalten, wobei es am neunten Tag des neunten Mondmonats beginnt. Am ersten Tag drängen sich die Menschen am Strand, um den Geist von Marquis Wen willkommen zu heißen. Gleichzeitig führen zahllose Paraden von Menschen im Namen der ungefähr hundert taoistischen Tempel in Tungkang religiöse Tänze vor und spielen Musik in den Hauptstraßen der Stadt. Ein jeder im Umzug kleidet sich in Kostümen der Ch’ing-Zeit (1644-1911), da der Brauch zu jener Zeit nach Taiwan gebracht wurde. Während des Festes plazieren die Bewohner Opfergaben und Weihrauch auf Tische vor ihren Häusern und Geschäften, um dem Marquis zu huldigen. Er kann diese Gaben sehen, wenn sein Abbild in einer reich verzierten hölzernen Sänfte vorbei getragen wird.

Relativ viele Menschen in den Straßen tragen Ketten aus Papier um ihren Hals, womit sie wie Verbrecher aus früheren Zeiten aussehen, und halten brennende Räucherstäbchen in ihren Händen. Sie glauben, daß ihre Schuld gemildert wird, wenn sie auf diese Weise vor der Sänfte des Marquis hergehen. Wenn die Sänfte vorbeigetragen wird, knien die Leute auf die Straße und senken ihre Köpfe.

Die Willkommenszeremonie für Marquis Wen dauert drei Tage. Die ganze Zeit befindet sich seine Statue im Tunglung-Tempel oder wird von Huldigern in einer Sänfte durch die nördlichen, südlichen und zentralen Teile der Stadt getragen, um seine Wirkkraft zu verbreiten. Am vierten Tag findet eine weitere Parade in der Stadt statt. “Wenn die Parade vorbei’ ist”, erläutert Lin, “so glauben die Leute, daß all die bösen Geister aus Tungkang vertrieben wurden.”

Zu jedem Fest spenden die Menschen Tausende von NT-Dollar (l US$ = ca. 25NT-Dollar), um auf dem Platz vor dem Tunglung-Tempel ein verziertes Schiff aus chinesischer Zypresse zu bauen. Das Schiff, welches so gebaut wurde, daß es einem antiken Segelschiff gleicht, wird mit dem chinesischen, gewöhnlich für Opfergaben in Tempeln verwendeten Totengeld gefüllt. Sowohl das Geld als auch das Boot werden auf dem Höhepunkt der Festlichkeiten am siebten Tag verbrannt, wenn es Zeit ist, den Marquis zu verabschieden.

Sobald der Tag anbricht, gießt ein taoistischer Priester Wein auf Bug und Heck des Schiffs. Als nächstes wird die Statue des Marquis Wen dazu eingeladen, auf dem Oberdeck zu sitzen. Die Größe des Bootes ist jedesmal anders. “Das wird durch den Marquis entschieden”, berichtet Lin. “Nur der Priester, der mit ihm kommunizieren kann, ist in der Lage, uns Anweisungen zu geben.” Endlich wird das Schiff zu einer glückverheißenden Zeit am Nachmittag zum Strand bewegt.

Einheimische wie Besucher stehen erwartungsfreudig entlang der Strecke. Einige von ihnen warten darauf, daß das Schiff vorbeikommt, so daß sie das Totengeld von den menschlichen Helfern des Marquis in Empfang nehmen können. Lin meint, das Geld schütze die Menschen vor bösen Geistern. Am Abend erreicht die Prozession den Strand. Zu dieser Zeit werden Stapel von Totengeld unter, in und um das Boot verteilt sowie Feuerwerksknaller am Schiffskörper aufgehängt. Sobald der erste Feuerwerksknall in der Luft erschallt, tritt ein Priester mit einer Fackel auf das Schiff zu, um die Verbrennung vorzunehmen.

Das Feuer breitet sich schnell von den Stapeln Totengeldes aus und erfaßt dann den Rumpf des Schiffes. Viele junge Männer stehen so nahe wie möglich an der Feuersbrunst, um den Mast zu fangen, wenn er fällt. Es wird als glücksbringend erachtet, den Mast zu fangen, bevor er verbrennt. Die Männer werden von den Zuschauermassen noch angespornt, obwohl die Chancen, sich zu verbrennen, sehr hoch sind. Das Fest neigt sich zu Ende, wenn die Glut des riesigen Feuers endlich erlischt.

Dem Bürgermeister der Stadt, Wu Hsin-shui, zufolge ist fast jeder in Tungkang an dem Ereignis beteiligt. Über 70 Prozent der Leute von Tungkang sind Taoisten, was erklärt, warum es etwa hundert taoistische Tempel in Tungkang gibt. Das bedeutet einen Tempel auf fünfhundert Einwohner. Viele der kleineren befinden sich nahe der Hafenanlagen, und sie sind zu begehrten Orten zum Entspannen und zum Reden übers Geschäft für die Fischer geworden.

Es hat eine Menge zum Besprechen gegeben. Vor ungefähr zwei Jahren fiel das gesamte Verkaufsvolumen von Tungkangs Fischerei um 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dieser Rückgang war der erste in der Geschichte der Fischereiindustrie Tungkangs. Vorher genoß diese Industrie ein jährliches Wachstum von 10 Prozent. Im letzten Jahr fielen die Profite weiter. Lin Kang-chih vom “Verband der Fischer Tungkangs” ist der Meinung, daß dieser Trend anhalten wird, jetzt, da die Ressourcen an Fisch auf hoher See begrenzt werden. Viele Länder sind dazu übergegangen, in ihren eigenen Fischereizonen ausländische Fischerboote zu beschränken oder zu verbieten. Die einzige Lösung ist die Zusammenarbeit mit ihren Gegenübern, besonders in den südostasiatischen Ländern. “Unsere Fischer können Lizenzen für die Fischerei von diesen Ländern erhalten, doch nur wenige können sich die hohen Kosten leisten”, klagt Lin.

Nichtsdestoweniger scheint es, daß die Fischerei für lange Zeit Tungkangs Haupteinnahmequelle bleiben wird. Wie es der Bürgermeister Wu Hsin-shui ausdrückt, ist Tungkang ein natürlicher Fischereihafen, aber für andere Industrien nicht sehr geeignet. Tatsächlich kann es Grund für mehr Optimismus geben. Wenn 1996 die zweite Südautobahn fertiggestellt wird, können die verbesserten Transportverbindungen dazu beitragen, in Tungkang neue Industrien zu entwickeln, wie die lebensmittelverarbeitende, da es schon einige kleine Familienbetriebe zur Weiterverarbeitung von Meeresfrüchten in der Stadt gibt. Wu ist da nicht so sicher. “Wir haben viel Land, aber keinerlei industrielle Erfahrung”, sagt er. “Somit wird es schwierig, von anderen Geschäftsmöglichkeiten zu sprechen. Doch eins ist sicher: Tungkang kann ohne die Fischerei nicht auskommen. Und um zu deren Überleben beizutragen, müssen viele Probleme gelöst werden.”

(Deutsch von Annette Wiedenbach)

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